HT 2006: Ein Kaiser mit vielen "Gesichtern" – das Bild Konstantins des Großen im Wandel der Zeiten

HT 2006: Ein Kaiser mit vielen "Gesichtern" – das Bild Konstantins des Großen im Wandel der Zeiten

Organisatoren
Heinrich Schlange-Schöningen (Univ. des Saarlandes); Andreas Goltz (Univ. Bamberg); Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2006 - 22.09.2006
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Von
Claudia Tiersch, Technische Universität Dresden

In diesem Jahr jährt sich zum 1700. Mal der Tag, an dem Konstantin seine Ansprüche auf das römische Kaisertum erhob. Seine Initiativen, aber auch seine Persönlichkeit haben stärksten Einfluss auf die Nachwelt ausgeübt. Eine Ursache dafür war, dass er als erster römischer Kaiser die christliche Kirche förderte und privilegierte und so die für Europa prägende Verbindung von Staat und christlicher Kirche wesentlich formte. Galt Konstantin noch bis zum 18. Jahrhundert als prestigeträchtiges Vorbild, verdüsterte sich aber sein Bild seit dieser Zeit allmählich. Symptomatisch hierfür ist das Konstantinsporträt Jakob Burckhardts, der den Kaiser als eiskalten Machtpragmatiker zeichnete und auch dessen Unterstützung für das Christentum auf Machtkalkül zurückführte. Die von Heinrich Schlange-Schöningen (Saarbrücken) und Andreas Goltz (Bamberg) veranstaltete Sektion „Ein Kaiser mit vielen Gesichtern – Das Bild Konstantins des Großen im Wandel der Zeiten“ ging den Ursachen der einstmaligen Hochschätzung und späteren Problematisierung Konstantins nach. Hierbei spiegelten die vier Referate eindrucksvoll die Mannigfaltigkeiten der Wahrnehmung dieses Kaisers in verschiedenen Regionen und Epochen der europäischen Geschichte.

Albrecht Berger (München) widmete sich der Frage, welche legitimatorische Bedeutung Konstantin für Byzanz gewann, also für das Reich, dessen Anfänge er durch die Gründung des neuen Zentrums Konstantinopel entscheidend geprägt hatte. Berger zeigte, wie Konstantin in Byzanz zum Gegenstand von Hagiographie wurde und damit zum Gründerheros eines Staates, der seine Legitimität aus der untrennbaren Verbindung von Romanitas und Christianitas ableitete. Interessanterweise etablierte sich diese Konstantinshagiografie aber keineswegs unmittelbar nach seinem Ableben, sondern erst in einem zeitlichen Abstand von etwa zweihundert Jahren. Die Ursachen dafür lagen zum einen in der mangelnden hagiographischen Tauglichkeit der Basisquelle Eusebius, zum anderen aber auch im ambivalenten Wirken Konstantins selbst. Dieser hatte Konstantinopel zwar gegründet und religiös geprägt, doch trug diese Religiosität wesentlich die Züge Konstantins. Sie enthielt damit christliche ebenso wie pagane Elemente und betonte vor allem den Kaiser selbst als Mittelpunkt des Kults. Die eigentliche Christianisierung der Stadt war das Werk seiner Nachfolger. Erst seit dem 5. Jahrhundert finden sich Spuren für eine christliche Stilisierung der Taten und Verdienste Konstantins. Diese bediente sich etwa der fälschlichen Zuschreibung von Kirchenbauten an Konstantin oder schrieb ihm eine angeblich aktive Rolle bei der Bekehrung seiner Mutter Helena zu. Die Sakralisierung des Gründers bot dann auch die Basis für eine vertiefte Sinnstiftung der gesamtstaatlichen Identität: So behaupteten die Gründungslegenden Konstantinopels („Patria“), dass Konstantin einstmals in Begleitung von zwölf Senatoren von Rom aus in seine neue Gründung aufgebrochen sei. Der religiöse Kontext der Zwölfzahl war evident. Tatsächlich wurde den fiktiven zwölf Gründungssenatoren sogar eine Liste bestimmter Bauten zugeschrieben. Mythos und städtische Topographie wurden also aufs engste miteinander verzahnt, die Gründung Konstantinopels wurde damit zu einer bewussten traditio imperii umgedeutet.

Zugleich wurde Konstantin aber auch zu einem Garanten der Legitimität einiger kaiserlicher Nachfolger. So ist der Ehrenname neos Konstantinos seit dem 5. Jahrhundert für die Kaiser Markian und Justinian bezeugt, Konstantin wurde also auch als politisches Vorbild bewertet. Darüber hinaus wurde die legitimierende Funktion des Konstantinsnamens insbesondere durch Väter, welche die Herrschaft neu errungen hatten, für ihre Söhne genutzt. Gleichwohl wurde der Name Konstantins als Herrschername nie dominant. Als Gesamtbild ergibt sich, dass Konstantin innerhalb des Byzantinischen Reiches eher als Heiliger denn als Staatsgründer wahrgenommen wurde. Insofern ist es nicht überraschend, dass der Name des letzten byzantinischen Kaisers und seiner Mutter, Konstantin und Helena, als Zeichen empfunden und theologisch ausgedeutet wurde. Nun aber bekam diese theologische Deutung eine apokalyptische Färbung: Konstantin und Helena standen am Anfang und Ende von Byzanz.

Wie verschieden hiervon das Bild Konstantins im Westeuropa der Frühen Neuzeit war, verdeutlichte der Kunsthistoriker Rolf Quednau (Münster) am Beispiel dreier Bildniszyklen. Dabei handelt es sich erstens um die von Raffael und seiner Werkstatt 1520-24 im Auftrag der Päpste Leo X. und Clemens VII. geschaffenen Fresken für die Sala di Costantino in den Vatikanischen Palästen. Das zweite Beispiel ist eine zwölfteilige Bildfolge, die 1622-25 in Form von Wandteppichen durch Peter Paul Rubens für Ludwig XIII. realisiert wurde. Im dritten Fall handelt es sich um eine Erweiterung dieser Serie durch den Kardinallegaten Francesco Barberini, der sieben dieser Bildteppiche in Frankreich als Geschenk erhalten hatte, und der diese Folge nach seiner Rückkehr durch Pietro da Cortona um fünf weitere Szenen ergänzen ließ. In all diesen Bildwerken wurde Konstantin nicht als Heiliger, sondern als historische, wenn auch idealisierte Persönlichkeit rezipiert, als ruhmreicher Kaiser. Sein Bild spiegelte jedoch immer auch das besondere Verhältnis zwischen imperium und sacerdotium. Quednau illustrierte, dass die Darstellungen Konstantins zum einen visuelle und literarische Geschichtsbilder reflektierten, die spezifischen Interessen der Auftraggeber aber zugleich dafür sorgten, dass das Konstantinsbild in facettenreicher Weise neu akzentuiert wurde.

Während etwa für das unter Leo X. initiierte Bildprogramm ein verstärktes Interesse an einer Abbildung antiker Geschichtswirklichkeit erkennbar wird, welches auch das Zeugnis des Konstantinsbogens mit integrierte, vollzog sich unter Clemens VII. ein Programmwechsel. Dieser betonte verstärkt die Geltungskraft päpstlicher Autorität. So schilderten die Bilder, wie Papst Sylvester den knienden Konstantin tauft, von diesem aber mit den kaiserlichen Herrschaftsrechten und – insignien ausgestattet wird. Die Geltungsbehauptung uneingeschränkter Herrschaftsrechte über Rom und die westliche Reichshälfte ist als eindeutige Reaktion des päpstlichen Hofes auf die bereits aufflammende Papstkritik zu interpretieren. Wie nachhaltig Clemens VII. seinen Herrschaftsanspruch durch Übersteigerung erhärten wollte, ist daran zu erkennen, dass bei dieser Gelegenheit das constitutum Constantini letztmalig als historische Wahrheit postuliert wurde.

Die Fresken beeinflussten ihrerseits die einhundert Jahre später entstandenen Bildteppiche für den französischen König Ludwig XIII., doch wurden die propagandistischen Akzentsetzungen nun selbstverständlich auf die königlichen Interessen abgestimmt. Interessanterweise vermied man jegliche Anspielungen, die Konstantin als Legitimationsquelle für päpstliche Ansprüche hätten zeigen können, etwa Begegnungen mit Papst Sylvester. Das dominierende Thema der Teppiche bildete hingegen die monarchisch-legitimierende Berufung auf Konstantin, etwa indem Heinrich IV. als neuer Konstantin inszeniert wurde. Zudem stellte man dynastische Aspekte heraus, wie etwa die angebliche Doppelhochzeit Konstantins mit Fausta bzw. seiner Schwester Constantia mit Licinius, die mit einer tatsächlichen Doppelhochzeit in der Familie Ludwigs XIII. parallelisiert werden konnte. Die spätere Ergänzung der Bildfolge im Auftrag des Kardinallegaten Francesco Barberini setzte auf eine biografische Ausweitung des Themenspektrums. Besonders betont wurde hier das Befreiungs- und Befriedungsimage Konstantins, indem sein Kampf mit einem Löwen und die Zerstörung heidnischer Bildwerke durch ihn dargestellt wurden. Quednaus Vortrag machte deutlich, dass sich zwar alle erwähnten Kunstwerke durch künstlerische und ideelle Akzentsetzungen unterscheiden, ihnen gemeinsam ist aber das Bild von Konstantin als starkem Monarchen und christlichem Herrscher.

Genau dieses Bild erodierte dann im Zeitalter der Aufklärung, wie Heinrich Schlange-Schöningen eindrucksvoll zeigte. Eine entscheidende Rolle dabei spielte Voltaire, der seit den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts das Konstantinsbild überaus kritisch reflektierte. Er stellte den Herrscher als amoralischen Usurpator dar und stilisierte seine Regentschaft als Tyrannenherrschaft. Mit seinen vehementen Attacken wich der Philosoph von der bisher überwiegend vertretenen positiven Deutung Konstantins durch offizielle Geschichtswerke klar ab. Zwar finden sich für seine Sichtweise durchaus einzelne Vorläufer (Zosimus, Dante, Bernhard von Clairvaux, Montesquieu), doch Voltaires Kritik war von neuer Qualität, da die mittlerweile intensivere Beschäftigung mit der Antike eine substanziellere Argumentation ermöglichte. Vor allem aber wiesen seine Angriffe auf Konstantin über die Einzelperson dieses Monarchen hinaus. Konstantin wurde vielmehr zum Symbol für die von Voltaire generell attackierte traditionelle Verbindung von Thron und Altar sowie der jahrhundertealten sakralen Geltungsansprüche der französischen Monarchie. Auf diese Weise entstanden neue Traditionslinien sowohl innerhalb der Konstantinsrezeption als auch im politischen Diskurs, und ältere Deutungsmuster wurden neu aufgeladen.

Es überrascht nicht, dass die Einstellung Voltaires keineswegs unwidersprochen blieb; energische Einwände wurden vor allem von französischen Jesuiten artikuliert. Doch zugleich erfuhr Voltaire auch öffentliche Unterstützung für sein monarchiekritisches Deutungsangebot. Dies zeigte die Aufführung seines Stücks „Irène“ 1778 im Théâtre Français. Thema des Stücks war die unglückliche Liebe der byzantinischen Kaiserin Irene zu Alexios Komnenos, der zuvor ihren Gatten umgebracht hatte. Das Theaterpublikum quittierte Verse, die Konstantin und Theodosius als Tyrannen qualifizierten, mit begeistertem Beifall, ganz im Gegensatz zu früheren Ansichten. Zu diesem allmählich gewandelten Meinungsbild hatte nicht zuletzt Ludwig XV. beigetragen, dessen amoralisches Verhalten in starkem Kontrast zu seinem sakralen Amtsverständnis stand. Schlange-Schöningen verwies zu Recht darauf, dass die unmittelbare gesellschaftliche Breitenwirkung eines einzelnen Denkers wie Voltaire nicht zu überschätzen ist, generelle Auswirkungen aber insofern anzunehmen sind, als sich die spätere Revolution aus dem Geist der Aufklärung ableitete. Zwei ihrer Bestandteile waren die Angriffe auf die Monarchie und die hiermit verbundene kritische Konstantinsreflexion. Beide bedeuteten eine Dekodierung traditioneller Werte.

Wie nachhaltig dieser Traditionsstrang auch die moderne, insbesondere die mediale Konstantinsrezeption geprägt hat, erhellte der Beitrag von Andreas Goltz. Den Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildete eine auffallende Diskrepanz: Eigentlich böte das aktuelle Konstantinsjubiläum einen idealen Ansatzpunkt für mediale Inszenierungen und deren verkaufstechnische Vermarktung. Eine derartige jubiläumsbasierte Erinnerungsform wird für andere Personen und Ereignisse in geradezu selbstverständlicher Weise genutzt. Für Konstantin jedoch ist geradezu eine massenmediale Schattenexistenz zu konstatieren, gleich, ob es sich um Printmedien, Rundfunk oder Film handelt. Gegenwärtig ist der erste christliche Monarch lediglich Gegenstand der historischen Forschung sowie einiger Ausstellungen. Dabei gehörte Konstantin doch über Jahrhunderte hinweg zu den meistrezipierten historischen Persönlichkeiten und diese Rezeption beschränkte sich keineswegs nur auf monarchische Kreise. Den Gründen für diesen auffallenden Reputations- und Präsenzverlust Konstantins in der Moderne ging Goltz sehr plausibel nach. Gewiss ist ein Grund hierfür in der bereits länger währenden kritischen Konstantinstradition zu sehen, die sich mit dem Verfall der europäischen Monarchien noch verstärkte. Zugleich verwies der Referent aber auch darauf, dass spezifische Züge der Persönlichkeit Konstantins dessen mediale Verwertbarkeit behindern. So erschwert die ambivalente Persönlichkeit des ersten christlichen Herrschers, etwa der Mord an Frau und Sohn oder sein oft abwägendes politisches Taktieren, eine klare Kategorisierung oder gar positive emotionale Identifizierung. Diese bilden jedoch Grundprinzipien erfolgreicher Dramaturgien. Vor dem Hintergrund bisweilen erstaunlicher Verfälschungen althistorischer Inhalte in der modernen medialen Umsetzung richtete der Referent ein abschließendes Plädoyer an die Fachwissenschaft, ihre Spielräume zu medialer Einflussnahme intensiver zu nutzen.

Insgesamt ließ diese Sektion nicht nur auf äußerst spannende Weise den Wandel des Konstantinsbildes in der europäischen Geschichte deutlich werden. Sie vermittelte in Anknüpfung an das Rahmenthema des diesjährigen Historikertages auch einen Eindruck davon, welche Rückschlüsse die Frage nach der Rezeption des Konstantinsbildes auf das kulturelle Selbstverständnis und politische Wirkungsmechanismen der jeweils untersuchten Epoche ermöglicht.


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