Frauds – Norms, institutions and illegal economic practices in Mediterranean Europe (16th -19th centuries)

Frauds – Norms, institutions and illegal economic practices in Mediterranean Europe (16th -19th centuries)

Organisatoren
Roberto Zaugg, Universität Basel
Ort
Basel
Land
Switzerland
Vom - Bis
28.09.2012 - 29.09.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Patricia Hertel / Franziska Hilfiker / Davina Benkert, Departement Geschichte, Universität Basel

Nach der Begrüßung durch den Vorsteher des Departements Geschichte der Universität Basel, Kaspar von Greyerz und durch den Organisator der Tagung, Roberto Zaugg, führte BIAGIO SALVEMINI (Bari) in das Thema ein. In diesem dritten von vier Treffen des Forschungsnetzwerks „Aux bords des institutions – Pouvoirs, acteurs et pratiques marchandes dans l’Europe méditerranéenne (XVIIe-XIXe siècle)“ sollte Betrug in seinen verschiedenen Facetten besprochen und in Bezug auf das Thema des Forschungsnetzwerks fruchtbar gemacht werden.

Das erste Panel widmete sich Betrugsfällen, in denen der Staat eine Rolle spielte. STEPHAN KARL SANDER (Zürich) beschrieb die Praxis von Händlern in Zadar bei Betrugsfällen an die venezianischen Gerichte zu gelangen. Dies erscheint bemerkenswert, da lokales Recht und lokale Bräuche bei Handelsangelegenheiten weiterhin gelten. Trotz der Schwäche des Staates an der Peripherie des Reiches ist also ein gewisses Vertrauen in die Wirkung rechtlicher Schritte vor venezianischen Gerichten ersichtlich.

CHRISTOPHER DENIS-DELACOUR (Paris) zeigte am Beispiel der Einbürgerung ligurischer Schiffskapitäne durch den Kirchenstaat eine Art „institutionellen Betrug“ auf. In Ablehnung der Colbertschen Maxime der Einheit von Schiff, Flagge und Mannschaft, nutzte der Kirchenstaat die Praxis der Einbürgerung von Schiffskapitänen, um die eigene Handelsflotte zu vergrößern. Die ligurischen Schiffe konnten so unter römischer Flagge die genuesischen Zölle im Binnenhandel vermeiden. Von Betrug ist daher zu sprechen, weil der Kirchenstaat durch die Einbürgerung geltendes internationales Seerecht umging.

RAFAELLA SALVEMINI (Neapel) beschrieb die Bemühungen des Königreichs Neapel, Hygienebestimmungen für eintreffende Schiffe, Mannschaften und Handelsgut durchzusetzten. Das Interesse der Behörden, verdorbene Güter und kranke Personen von ihren Häfen fernzuhalten, liegt auf der Hand. Die hohen Strafen, die bei Betrug angesetzt wurden, sind durch die Seuchengefahr erklärbar. Die strikten Regeln – zum Beispiel die Weigerung, fremdsprachige Papiere zu akzeptieren – bewegten allerdings Schiffskapitäne und Händler, ihre Papiere, Zollausweise, Hygieneausweise etc. zu fälschen, um ihre Waren landen zu können.

In seiner Keynote Lecture ging GEORG CHRIST (Manchester) auf die Möglichkeiten lokaler kretischer Händler ein, in Umgehung des venezianischen Stapels griechischen Wein direkt an englische Händler zu verkaufen. Dies war durch das venezianische Stapelregal grundsätzlich nicht möglich. In der Praxis wurde über Kabotage Wein aus Kreta nach England geschmuggelt. Die große Nachfrage nach griechischem Wein in England führte aber die kretischen Händler dazu, in Venedig nach einem bilateralen Handelsabkommen zu fragen, um größere Mengen legal exportieren zu können. Obwohl Venedig dieses England antrug, kam es nicht zustande, da es im Interesse keiner der zwei Parteien lag. Die Eroberung Kretas durch die Osmanen verkleinerte die Menge an produziertem Wein weiter, so dass man in England dazu überging, ausgebauten (und dadurch transportfähigen) Wein aus Portugal – den so genannten Portwein – zu importieren. Das Beispiel zeigt also, dass die Nachfrage nach griechischem Wein in England über Schmuggel und den offiziellen Handel nicht gedeckt werden konnte. Versuche, legal größere Mengen zu verkaufen, scheiterten und die englischen Weinhändler sahen sich langfristig nach anderen Bezugsquellen um.

Mit der Frage nach Handelsstrategien und merkantilen Netzwerken, die sich speziell während Kriegs- und Krisenzeiten herauszubilden vermochten, sowie mit der näheren Beleuchtung der Organisation, Regulierung und Praxis von Kaperfahrten im mediterranen Raum im Kontext der Napoleonischen Kriege, setzten sich die Beträge des zweiten Panels auseinander. RITA LOREDANA FOTI (Palermo) untersuchte dabei die Entwicklung des sizilianischen Prisengerichtes – des Tribunale delle Prede – in den Jahren 1794 bis 1813. Das in Palermo auf Sizilien – welches zur Zeit um 1800 als Protektorat und Militärstützpunkt Englands fungierte – ansäßige Tribunale delle Prede hatte unter anderem die Verantwortlichkeit und Aufsicht über die Regulierung der mit Kaperbriefen ausgestatteten Korsaren-Schifffahrten inne. Zusammengesetzt aus einem Richter und einem Kommandanten der royal navy bestimmte das Gericht über, auf juridischer wie politischer Ebene äußerst delikate, Fragen wie die Legitimität der gemachten Prisen. In ihrem Beitrag fokussierte Foti vor allem das Wirken des Gerichtes an der Schnittstelle von maritimem Kriegsrecht, maritimem Handelsrecht, ius gentium und lex mercatoria und beleuchtete auch das Zusammenspiel und die Konfliktsituationen, die sich dabei mit anderen Kontrollinstanzen wie der Polizei oder dem Gesundheitsamt (la sanità) ergaben.

Wie es wiederum Korsaren gelang, ebendiese Kontrollinstanzen und allen voran das Tribunale in Palermo bei ihren maritimen Raubzügen zu umgehen, zeigte IDA FAZIO (Palermo) auf. Am Bespiel der Insel Stromboli zeichnete Fazio die dichten Beziehungsnetzwerke, verflochtenen ökonomischen Interessen und Formen der Komplizenschaft nach, welche sich zwischen Korsaren, den Einwohnern von Stromboli und Akteuren der Polizei und der sanità etablierten.

Einen räumlich bis über den Atlantik sich ausdehnenden Blick gewährte schließlich MARGRIT SCHULTE BEERBÜHL (Düsseldorf) mit ihrer Untersuchung klandestiner britischer Handelsnetzwerke während der Napoleonischen Kriege, welche Großbritannien mit neutralen Mächten einging und die vor allem über Familien- und Freundschaftsverbindungen geknüpft wurden. Anhand der britischen Strategien, den Handel, Import und Export, aufrecht zu erhalten, zeigt Schulte Beerbühl auf, dass es exakt solche geheimen Handelsbündnisse und –strategien waren, die es kriegführenden und durch offizielle Blockaden und Embargos merkantil eingeschränkten Mächten ermöglichten, den Kontakt zu globalen Netzwerken und Versorgungsketten weiterhin zu unterhalten.

Die Referenten des dritten Panels widmeten sich vornehmlich der Bekämpfung von Betrugsfällen des 18. Jahrhunderts und stellten dabei die Toskana ins Zentrum. GUILLAUME CALAFAT (Ecole Française de Rome) untersuchte einen 1739 in Livorno verhandelten Prozess zwischen dem britischen Handelskapitän John Jucker und dem ehemaligen Handelsvertreter Ramadam Fatet, einem Muslim aus Damiette. Der komplexe Verlauf des Verfahrens sowie die Art und Weise der Beweiserhebung seien, so Calafat, aufschlussreich für die Prozesse von Wahrheitsfindung und für Handelspraktiken der Zeit insgesamt.

Ebenfalls am Beispiel der Stadt Livorno arbeitete ANDREA ADDOBBATI (Pisa) die umstrittene „interest or not interest“-Klausel in maritimen Versicherungsverträgen und den Kampf gegen sie heraus. Diese Klausel erlaubte dem Versicherten, Anspruch auf Rückvergütung zu erheben, ohne das Risiko beweisen zu müssen. Sie wurde im 18. Jahrhundert für grenzüberschreitende Spekulationspraktiken genutzt.

SAMUEL FETTAH (Aix-en-Provence) stellte in einer vergleichenden Perspektive Maßnahmen gegen den Betrug in Sardinien, der Toskana, auf Korsika und in der Provence im 18. und 19. Jahrhundert dar. Vor dem Hintergrund der jeweiligen sozialen und gesetzlichen Gegebenheiten betonte er, dass in diesen Regionen auf verschiedene Weise gegen Betrugsfälle vorgegangen wurde. Jedoch blieben diese Versuche insgesamt fragmentarisch und führten nicht zu einer Kooperation zwischen Städten oder Staaten.

Die Tagungsteilnehmer/innen setzten sich anhand verschiedener Beispiele aus dem Mittelmeerraum mit dem Faktum des "Betrugs" auseinander. Die Spannweite reichte dabei von Schmuggel und Piraterie über Dokumentenfälschungen zu "institutionellem Betrug" von staatlicher Seite. Es wurde aufgezeigt, dass die Definition dessen, was einen Betrug darstellt, zwischen Behörden und Akteuren verhandelt wird, facettenreich ist und daher einen sorgfältigen Umgang mit Quellen und Begriffen verlangt.

Konferenzübersicht:

Kaspar von Greyerz (Universität Basel): Conference Greetings

Biagio Salvemini (Universität Bari): Introduction

Panel I
Discussant: Kim Siebenhüner (Universität Basel)

Stephan Karl Sander (Universität Zürich): Economic activities and practices between legal and social norms. Examples from Zadar (16th century)

Christopher Denis-Delacour (MMSH Aix- en-Provence): Un pavillon et des Etats. L'exploitation marchande du pavillon pontifical face aux politiques mercantiles (XVIIIe siècle).

Raffaella Salvemini (CNR-ISSM Neapel): Santé maritime et fraudes dans le Royaume de Naples (XVIIIe-XIXe siècles).

Keynote lecture
Georg Christ (Universität Manchester): False Labelling? Greek Wine, English Tariffs and Coping Mechanisms (16th-18th centuries).

Panel II
Discussant: Wolfgang Kaiser (Universität Paris I)

Rita Loredana Foti (Universität Palermo): Judges and corsairs. The Sicilian Tribunale
delle Prede (1794-1813).

Margrit Schulte Beerbühl (Düsseldorf): Trading with the enemy. Clandestine networks during the Napoleonic Wars

Ida Fazio (Universität Palermo): Fraud, Disputes and Contraband in Sicilian Corsairing (Stromboli, 1811).

Panel III
Discussant: Roberto Zaugg (Universität Basel)

Guillaume Calafat (Ecole française de Rome): Ramadam Fatet vs John Jucker. Un procès et un faux à Livourne en 1737.

Andrea Addobbati (Universität of Pisa): Négociants et gamblers. Les polices spéculatives ‘interest or not interest’ et le commerce franco-caribéen durant la guerre de Succession d’Autriche.

Samuel Fettah (Aix-en-Provence): Lieux hors la loi. Une approche comparée des espaces de la fraude en Méditerranée septentrionale (Sardaigne, Toscane, Corse, Provence) entre XVIIIe et XIXe siècle.