Der „Zug über Berge“ während des Mittelalters. Neue Perspektiven der Erforschung mittelalterlicher Romzüge

Der „Zug über Berge“ während des Mittelalters. Neue Perspektiven der Erforschung mittelalterlicher Romzüge

Organisatoren
Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum Trier; Christian Jörg Trier/Saarbrücken; Christoph Dartmann Münster/Vechta
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.10.2012 - 13.10.2012
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Von
Maike Schmidt, Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum Trier

Die zweckbestimmte Überquerung unwegsamer Alpenpässe mit dem Ziel der ewigen Stadt Rom beschreibt einen logistischen wie symbolischen Monumentalvorgang für die Funktion und Legitimation der deutsch-römischen Kaiserherrschaft im abendländischen Mittelalter. ‚Über Berge zu ziehen‘ zeugte nicht nur als initiative Bewährungsprobe von höchster politischer Signifikanz für den Herrscher und dessen imperiale Ansprüche. Mit der Kaiserkrönung begleiten das Forschungsthema „Romzug“ vor allem weitreichende machtpolitische und kulturelle Wirkungsdimensionen, die sich nicht zuletzt im Antagonismus zwischen Weltlichkeit und Geistlichkeit, in der kaiserlichen Lokalpolitik des von konkurrierenden Kommunen bestimmten Italiens und in den logistischen Bedingungen der Reisedurchführung selbst manifestieren. Die daraus resultierende Vielzahl von möglichen Blickwinkeln, die die Mediävistik auf das Phänomen des Romzugs zu richten vermag, war Initialzündung für die gemeinsam mit dem Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrum realisierte zweitägige Tagung an der Universität Trier. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Leitthemas des HKFZ „Räume des Wissens“ eröffnete sich die aussichtsreiche Chance, den Romzug in Bezug auf Kulturkontakte und Transferphänomene zu denken und das Erkenntnisinteresse auf ihm inhärente diplomatische und memoriale Wissensformationen zu lenken.

In Erwartung potenziell neuer Perspektiven begrüßten CHRISTIAN JÖRG (Trier/Saarbrücken) und CHRISTOPH DARTMANN (Münster/Vechta) zu einem facettenreichen Vortragsprogramm, das sich der ungebrochenen Brisanz des mittelalterlichen Referenzpunkts „Romzug“ seit dem 10. Jahrhundert widmen sollte. Die beiden Veranstalter eröffneten mit einem methodologischen Impuls: Sich an der Schnittstelle von herrschaftspolitisch ausgerichteter Wissenschaftstradition und jüngerer, kulturhistorisch orientierter Geschichtsforschung bewegend, müsse die Romzugforschung, neben der beidseitigen politischen und sozialen Durchdringung transalpiner Kontaktebenen, Kategorien des Spezialwissens - so zum Beispiel Kommunikationsdispositive und die praktische Umsetzung des Reiseunternehmens - in den Interessenfokus rücken. Unter Einbezug dieser konkreten Modi der Durchführung wäre zudem stärker als bisher neben dem König und dem fürstlichen Unterstützerkreis nach dem weiteren Gefolge und der logistischen Bewältigung eines Romunternehmens zu fragen. Für dieses Forschungsinteresse hielten insbesondere die spätmittelalterlichen Quellen eine große Menge an Informationen bereit. Gerade in dieser Hinsicht, so Jörg, könne vor allem für das Spätmittelalter ein Einblick in die „Alltagsgeschichte eines nicht alltäglichen Unternehmens“ gewonnen werden.

Die Vortragsreihe des ersten Tages eröffnete GIOVANNI ISABELLA (Bologna) mit einer punktuell vergleichenden Analyse dreier divergierender Quellenperspektiven auf die Kaiserkrönung Ottos I. zu Rom. Isabella erläuterte, inwiefern zeitgenössische Darstellungsschemata je nach verfassergebundenem Motivationshintergrund Einblick in sehr heterogene italienische Wahrnehmungsmuster der Krönungszeremonie verleihen und die damit einhergehende sakral-profane Grundproblematik verschiedenartig inszenieren. Kaiserliche oder päpstliche Oberherrschaft oszilliere dort durch Funktionsinversionen zwischen aktivem Initiieren und passivem Beiwohnen des Rituals.

Chronologisch daran anschließend fragte ANNE KATHARINA PFEIFER (Saarbrücken) nach der Italienpolitik des ‚Otto Medius‘ und dem daraus ableitbaren Status der Apenninenhalbinsel in der kaiserlichen Herrschaftspraxis. Pfeifer wies dabei ausdrücklich auf die Bedeutsamkeit der „Süd-Nord-Perspektive“ hin. Von primärem Belang für die Regentschaft Ottos II. sei weniger nur der Blick des „Einnehmenden“, sondern die päpstlichen und regionalpolitischen Erwartungshaltungen, die sich vom im Umbruch begriffenen Italien an den Kaiser richteten. Darüber hinaus stelle sich mit Blick auf den jungen Otto als Mitkönig und Mitkaiser die Frage nach Kontinuität und Wandel karolingischer Herrschaftstraditionen.

CHRISTOPH DARTMANN (Münster/Vechta) knüpfte an die bereits getätigte Schwerpunktsetzung der konkreten Wirkung römisch-deutscher Machtausübung in Italien mit einem Beitrag zur Vielgestaltigkeit der kaiserlichen Regionalpolitik zu Zeiten der Staufer an. Im Zentrum standen lokale Handlungs- und Behauptungszwänge, die nicht getrennt von den einvernehmenden, ständig changierenden Städteallianzen der politischen Landschaft Italiens gelesen werden könnten. Als Legitimationsgarant und Mittler nicht in die Schlinge der vielschichtigen, „schachfeldartig“ aufgestellten Nachbarschaftsfeindschaften lokaler Eliten zu geraten, verlange vom deutsch-römischen Herrscher eine flexible Politik der Adaptation. Diesen Konfliktkonstellationen könne letztlich nur eine Herangehensweise gerecht werden, die das Agieren der Staufer auch aus der Perspektive lokaler Akteure und Überlieferungen in den Blick nimmt.

Auf der Problematik ebendieses „Schachbrettprinzips“ städtischer Erzrivalitäten gründete ebenfalls der auf die Herrschaftsperiode Heinrichs VI. und dessen Wirken in Oberitalien fokussierte Beitrag von JOHANNES BERNWIESER (Marburg). Die „stabile politische Konfliktstruktur“ der Lombardei generiere das permanente Risiko für den Kaiser, durch öffentliche Aktionen eigene Parteiergreifung zu implizieren und so in die Zwickmühle der persistenten Adelsfeindschaften zu geraten. Für Heinrichs Mission der Befriedung der Lombardei stellte Bernwieser ein ihn fundamental von seinem öffentlichkeitswirksamen Vorgänger unterscheidendes „Handeln im Verborgenen“ fest. Indem Heinrich ‚Öffentlichkeiten‘ meide und lediglich „zurückhaltende Empfehlungen“ ausspreche, wahre er Neutralität und vermeide den Zugzwang, in den sich sein Vorgänger begab.

Der Stadt Rom als Konfliktzentrum widmete sich die letzte Sektion des Tages, die JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) mit einer epochenübergreifenden Analyse der zumeist kurzzeitigen und spannungeladenen Romaufenthalte des Kaisers und deren innerstädtischen Wahrnehmungen eröffnete. Johrendt wies darauf hin, dass die zwei oppositionellen Arten des Romeinzugs – der militärisch erkämpfte und der freudig herbeigesehnte - im Zeichen römischer „Schaukelpolitik“ zwischen epochenspezifischer Zuwendung zu Papst oder Kaiser stünden. Die sich immer stärker manifestierende Tendenz aktiver Einbringung römischer Machthaber in die Vergabe der Kaiserkrone markiere die stadtpolitischen Entwicklungen Roms nachhaltig. Innerhalb dieser städtischen Eigenständigkeitsbemühungen bewege sich auch der spätmittelalterliche Usus expliziter Einladung des Anwärters, die das Einheimsen der römischen Gunst zur Krönungsvoraussetzung werden ließ.

JÖRG SCHWARZ (München) knüpfte an das Entwicklungsmuster erstarkender stadtrömischer Interessen an und untersuchte die Relevanz einer „politischen Topographie“ des sich im Umbruch befindlichen Roms für den Aufenthalt Ludwigs des Bayern. Im Zentrum des Beitrags stand im Speziellen die signifikante Inszenierung seiner von den spezifischen ereignisgeschichtlichen Umständen und der bewussten Nutzung des Stadtbilds geprägten Krönung. Die zielgerichtete Einbindung der topographischen Dispositionen Roms zwischen Kapitol und Sankt Peter werde zum Stilmittel der Demonstration eines säkularen Kaisertums. Mit dem Verzicht auf päpstliche Mitwirkung, mit dem Austausch geistlicher gegen weltliche Funktionsträger und mit der aktiven Rolle römischer Stadtherren zeuge das Krönungszeremoniell von einer bemerkenswerten Singularität und stehe im Zeichen der persistenten Senatsbewegung in Rom.

Der zweite Tagungstag thematisierte die konkreten politischen und infrastrukturellen Dispositive der Romzugsorganisation sowie das erinnerungsgeschichtliche Weiterwirken des transalpinen Kulturkontakts. CHRISTIAN JÖRG (Trier/Saarbrücken) lieferte eingangs eine differenzierte Auseinandersetzung mit den strukturellen und logistischen Erfordernissen für die Umsetzung der weitestgehend im Selbstverständnis der nordalpinen Reichsstadtpolitik verankerten Züge über die Alpen. Dass allerdings im Rahmen der städtischen Romzughilfe kein einheitlich institutionalisiertes Unterstützungsmuster existierte, veranschaulichte Jörg anhand der sich auf das Reisevorhaben maßgeblich auswirkenden, teilweise langwierigen Verhandlungen der Reichsstädte über das Kontingent an personellen oder finanziellen Unterstützungsleistungen. Dies belege die lebhafte regionale und überregionale Verhandlungsaktivität zwischen städtischen Führungsgruppen, wobei durchaus auch innerstädtische Konfliktlinien bezüglich der Haltung gegenüber dem Königtum zum Tragen gelangt seien, wie er am Beispiel des Romzugs Sigismunds nachweisen konnte.

Die Verdichtung innerstädtischer und transstädtischer Kommunikationsnetze, die der Diskurs über Maßnahmen der Romzughilfe sowie der im Prozess begriffene Romzug selbst forcierten, vertiefte SIMON LIENING (Trier) am Beispiel Straßburgs während des bereits vor Brescia gescheiterten Unternehmens König Ruprechts. Die im Vorfeld von städtischen Führungsschichten geführten Verhandlungen seien bedacht auf bestmögliche Selbstbestimmung und Reduzierung der Hilfeleistungen im städtischen Interesse, wobei dem Typus des Gesandten als kompetenter, autonom agierender Wissensträger im Allgemeinen und als externer Informant während des Zugverlaufs im Besonderen eine zentrale Rolle zukäme. Im Gegensatz zu früher greifbaren Umsetzungen der Romzughilfe bestehe das Kontingent in diesem Falle maßgeblich aus Angehörigen der Straßburger Führungsgruppen und nicht aus von städtischer Seite besoldeten Rittern und Herren aus dem engeren regionalen Umfeld.

Abschließend untersuchte CHRISTOPH WEBER (Braunschweig) den Romzug als „europäischen Erinnerungsort“ kulturhistorisch auf dessen Memorialfunktion in spätmittelalterlichen Text- und Baurelikten hin. Die die Symbolik der Herrschaftsrepräsentation in den Fokus rückende Erinnerungsleistung vergegenwärtige sich ebenso in Diskursen als „Identifikationsgeschichten“ wie in konkret materiellen Zeugnissen. Für solche ‚lieux de mémoire‘ sei die Berufung auf Karlstraditionen sowie die allgemeine Repräsentation militärisch-ritterlicher Italienerfahrung in Denk- und Grabmälern jener Zeit charakteristisch. Während diese einen entscheidenden Beitrag zur Begründung einer historisch-traditionellen Herrschaftsordnung leisteten, induzierte manch greifbarer konträrer Diskurs mit der Romzugkritik – wie die bekannte, durch Thomas von Celano überlieferte Weigerung des hl. Franziskus, dem herannahenden Zug Kaiser Ottos IV. Beachtung zu schenken – ebenso „negative Erinnerungsorte“.

In einer prägnanten Bilanz der Veranstalter verwies Christoph Dartmann schlaglichtartig auf zukünftige Handlungsfelder der Romzugforschung: Sich wandelnde Perspektiven der Mediävistik ermöglichten eine Vielfalt von Zugängen zum mittelalterlichen Romzug. Neben dem traditionellen, herrschaftsgeschichtlichen Fokus auf europäische Konfliktlinien nähmen nunmehr „weiche“ Aspekte des Krönungszeremoniells, der Sozialgeschichte des Militärs oder der erinnerungsgeschichtlichen Rolle des ‚Zugs über Berge‘ im „Identitätsmanagement“ Europas Einzug in die geschichtswissenschaftliche Methodologie. Christian Jörg wies wiederholt auf die Notwendigkeit einer definitorischen Unterscheidung zwischen „Romzug“ und „Romaufenthalt“ hin. Bisher synonym verwandt, bedürften sie aufgrund der mehrdimensionierten Bedeutung von Kaiserkrönung, Herrschaftsansprüchen und Reichsrechten in Italien gerade angesichts neuerer Thesen zu einer Sonderstellung der Romzüge des 15. Jahrhunderts durchaus einer analytischen Differenzierung.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Italien im Reich der ottonisch-salischen Zeit

Giovanni Isabella (Bologna): La legittimazione del potere imperiale di Ottone I nelle fonti italiche del X secolo

Anne Katharina Pfeifer (Saarbrücken): Otto II. (955-983) und das Regnum Italiae

Sektion II: Kommunen, Kaisertum und „Italienpolitik“ im hohen Mittelalter

Christoph Dartmann (Münster/Vechta): Reichsherrschaft? Zum Eingreifen der Staufer in die regionale Politik des kommunalen Italiens

Johannes Bernwieser (Marburg): Heimlichkeit und Herrschaft: Heinrich VI. in der Lombardei

Sektion III: Rom und die Romzüge. Die ewige Stadt als Bezugspunkt und Konfliktzentrum

Jochen Johrendt (Wuppertal): Rom bleibt Rom! Der Romzug der hochmittelalterlichen Kaiser aus der Sicht der Römer

Jörg Schwarz (München): Aufladungen – Inszenierungen – Wandlungen. Romzug und Romaufenthalt Ludwigs des Bayern 1327-1330

Sektion IV: Transalpine Bezüge und Weiterwirken. Rahmenbedingungen des späten Mittelalters

Christian Jörg (Trier/Saarbrücken): Unterstützung aus dem nordalpinen Reichsgebiet. Organisatorische Rahmenbedingungen und städtische Interessenkoordination im Umfeld der 'Romzughilfe' während des Spätmittelalters

Simon Liening (Trier): „... das man unserm herren dem Roemischen kúnige dienen wolte úber berg gen Lamparthen“. Zur Straßburger Interessenvertretung und Informationsbeschaffung im Kontext des Romzugs König Ruprechts

Christoph Weber, Braunschweig: Der Romzug als europäischer Erinnerungsort im späteren Mittelalter


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