Bankiers im Netzwerk der Bank-Industrie-Beziehungen – 11. Sitzung des Arbeitskreises Bank- und Versicherungsgeschichte

Bankiers im Netzwerk der Bank-Industrie-Beziehungen – 11. Sitzung des Arbeitskreises Bank- und Versicherungsgeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2012 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Ute Pothmann, Dortmund

Die 11. Sitzung des Arbeitskreises behandelte das Thema „Bankiers im Netzwerk der Bank-Industrie-Beziehungen“. Zum zweiten Mal tagte der Arbeitskreis im Hause der Commerzbank und Bereichsvorstand Richard Lips (Frankfurt am Main) hieß die Teilnehmer/innen herzlich willkommen. Anschließend begrüßte der Leiter des Arbeitskreises, Dieter Ziegler (Bochum), die Teilnehmer/innen. In seinem Impulsreferat betonte er die deutschlandspezifischen personellen Verflechtungen zwischen Banken und Industrie, die unter den Namen „Deutschland AG“ und „Rheinischer Kapitalismus“ bekannt wurden. Die engen Verbindungen zwischen Banken und Industrie führten zum geflügelten Wort der „Bankenmacht“. Nachdem in Kaiserreich und Weimarer Republik einzelne Bankiers eine Vielzahl von Mandaten innehatten, wurden im Jahr 1931 die Mandate für den Einzelnen gesetzlich reduziert und die Aufsichtsratsgremien verkleinert. Banken blieben jedoch weiterhin in Unternehmen präsent, die Mandate wurden durch den Einbezug von Filialleitern nun weiter gestreut. In der Regel konkurrierten mehrere Banken in den Kontrollorganen der Unternehmen und direkte Interventionen in Unternehmen, wie beispielsweise die Eingriffe der Deutschen Bank bei Mannesmann in einer Krisensituation, waren seltene Ausnahmen. Während die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg der historischen Forschung gute Möglichkeiten zur personellen Recherche bietet, sind Untersuchungen für die Zeit ab den 1950er-Jahren deutlich schwieriger geworden. Öffentlich zugängliche Informationen bieten nur wenige Daten zu Aufsichtsräten, Netzwerke sind kaum ermittelbar. Nur wenige Banken öffnen ihre Archive der Forschung.

Im Auftaktvortrag porträtierte MARTIN L. MÜLLER (Frankfurt am Main) Georg Solmssen (1869-1957), den Spross einer Bankiersdynastie, der im Jahr 1900 in die Disconto-Gesellschaft eintrat, 1911 Geschäftsinhaber wurde und 1929 Vorstandsmitglied der fusionierten Deutschen Bank und Diskonto-Gesellschaft. Nach 1933 wurde Solmssen aus der Bank gedrängt und 1938 emigrierte er schließlich in die Schweiz. Als Beispiel für den „Unternehmermut“ Solmssens steht sein Engagement beim Aufbau des Petroleumgeschäftes für die Bank in Rumänien. Solmssens „Ordnungssinn“ zeigte sich in seinem Führungs- und Kommunikationsstil, der durch Schriftlichkeit und Informationsaustausch geprägt war: Aufsichtsratsitzungen wurden ebenso protokolliert wie wichtige Telefonate. Mit diesen Verfahren wollte Solmssen Vorsorge gegen selbstherrliche Verwaltung fremden Vermögens treffen. Er wollte seinen „Management by letters“-Stil gegen den wesentlich laxeren Verwaltungsstil bei der Deutschen Bank durchsetzen. Solmssen war allein in Deutschland in 45 Aufsichtsräten vertreten. An zwei Aufsichtsratsmandaten verdeutlichte der Referent das Engagement Solmssens in Unternehmen: der Deutsch-Atlantischen-Telegraphen-Gesellschaft (DATG) und dem Süßwarenhersteller Stollwerck. Für die DATG besorgte Solmssen eine Finanzierung aus den USA, bei Stollwerck veranlasste er eine Kapitalzusammenlegung und die Entmachtung der Familie. Nach Müller sah Solmssen seine Bankierstätigkeit auch als gesellschaftliche Ordnungsfunktion. Gleichzeitig verfolgte er pragmatisch das Geschäftsinteresse im Wettbewerb mit der Bankenkonkurrenz. Die Frage nach der Verbindung zwischen Unternehmensverfassung und Risikobereitschaft sah Müller vorrangig als eine Frage der Persönlichkeit an. Gegenbild zu Solmssen war Jakob Goldschmidt von der Danatbank, den Solmssen wegen seiner betonten Spekulationsneigung nicht mochte.

RALF AHRENS (Potsdam) zeichnete den Bankier Jürgen Ponto (1923-1977) als zentrale Figur der „Deutschland AG“ und stellte Beispiele seiner Einflussnahme in Krisensituationen in Unternehmen aus den 1970er-Jahren vor. Ponto hatte großes Kommunikationstalent, kulturell weitgespannte Interessen und ein positives Image. Er übernahm Mandate in den Aufsichtsräten vieler bekannter, zum Teil konkurrierender Konzerne, zu denen RWE, Allianz und Daimler gehörten. Um die Frage des Einflusses zu klären, unterschied Ahrens Kontrolle als Monitoring, das die Dresdner Bank im Eigeninteresse wahrnahm und Kontrolle als Steuerung. Letztere Form der Machtausübung kam nur in Extremsituationen zum Tragen. In solchen Krisen mussten mehrere Banken wegen gemeinsamer Interessen im Konsortial- und Kreditgeschäft miteinander kooperieren. Die Beispiele betrafen den Baukonzern Bilfinger Berger, die AEG, die Metallgesellschaft, Krupp, Thyssen und Daimler Benz. Nach Ahrens nutzte Ponto informelle Spielräume. Eine Abgrenzung zwischen Kontrolle und Beratung war oft schwer zu ziehen. Ponto war an einer langfristigen Sicherung der Geschäftsbeziehungen zwischen den Industrieunternehmen und der Bank interessiert. Wenn auch in Krisensituationen eher eine Einflussmöglichkeit über Aufsichtsratsmandate gegeben war, garantierte dies jedoch keine Durchsetzung von Bankinteressen. Gefragt wurde in der anschließenden Diskussion nach einer Differenzierung zwischen persönlichem Mandat und Bankmandat, die nach Ahrens aufgrund der Quellen unterscheidbar zu beantworten ist. Kapitalbeteiligungen waren für die Dresdner Bank nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern es zeigten sich starke Bindungen an den „angestammten“ Besitz. Das Depotstimmrecht spielte ebenso wie Hauptversammlungen in den 1970er-Jahren keine Rolle. Bei Einflussversuchen standen für Ponto wirtschaftliche Fragen im Vordergrund, technologisch-politische Vorstellungen, beispielsweise bei der AEG, entwickelte er nicht.

Im Zentrum des Vortrages von DANIEL WYLEGALA (Marburg) stand das Agieren von Karl Klasen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und gleichzeitig Aufsichtsrat bei der Reederei HAPAG in den späten 1950er-Jahren in zwei schwierigen Situationen. Klasen war 1952 bis 1969 Vorstand in der Norddeutschen Bank und der Deutschen Bank, seit 1967 als Sprecher. 1956 übernahm er das Aufsichtsratsmandat in der HAPAG, die nach dem Zweiten Weltkrieg für den Wiederaufbau ihrer Flotte Bundes- und Landesmittel sowie Steuerhilfen und Darlehen erhalten hatte, unter anderem von der Norddeutschen Bank (Regionalbank der Deutschen Bank 1952-1957). Mehrheitsaktionär der HAPAG war der Reeder Schuchmann. Im Jahr 1958 wollte die Deutsche Bank ihr bei der Kreditvergabe vereinbartes Recht ausüben und die Kreditmittel in Aktien umtauschen; damit hätte sie eine Sperrminorität erhalten. Es kam zum Konflikt mit Schuchmann, der mit einer anderen, ebenfalls in seinem Besitz befindlichen Reederei zudem in Konkurrenz zur HAPAG stand. In dieser Krisensituation trieb Klasen die Fusion zwischen der HAPAG und dem Norddeutschem Lloyd voran, die beide schon seit Jahren in der Tourismusbranche zusammenarbeiteten. Hintergrund für die angestrebte Fusion waren anstehende Strukturveränderungen im Warenverkehr (Umstellung auf Containertransport), die von Einzelreedereien nicht bewältigt werden konnten. Nach Wylegala waren für Klasen die Interessen des Unternehmens ebenso wichtig wie die Interessen der Bank und er zielte auf Langfristigkeit und Kooperation. Diskutiert wurde anschließend die Frage nach dem Verhalten des HAPAG-Vorstandes in der Krise, der bei Klasen Unterstützung suchte und kein Interesse an einem übermächtigen Großaktionär hatte. Während Schuchmann in der öffentlichen Wahrnehmung sehr viel Kritik erfuhr, wurde Klasen zum Retter eines hamburgischen Symbols hochstilisiert.

FRIEDERIKE SATTLER (Potsdam) präsentierte mit Alfred Herrhausen (1930-1989) einen Bank-Vorstand der 1980er-Jahre unter der Fragestellung, ob das Netzwerk zwischen Banken und Industrie noch so dicht und bedeutend war. Der promovierte Betriebswirt wechselte 1970 von der VEW, in der er kaufmännischer Leiter und später Mitglied des Vorstands war, in den Vorstand der Deutschen Bank. Hier gründete er eine Abteilung für strategische Fragen. Herrhausen sah das neue Zentrum der Weltwirtschaft im pazifischen Raum. Herrhausen wollte die Deutsche Bank neu ausrichten und zu einer globalen Universalbank machen. Diese Neuausrichtung sollte Strategien (Ausbau des Filialnetzes), Strukturen (Neue Geschäftsfelder wie Investmentbanking und Unternehmensberatung für die mittelständische Kundschaft), Unternehmenskultur (Transnationalität) und Kontrollmechanismen (Rechnungs- und Informationswesen auf elektronischer Basis) umfassen. Daher beteiligte sich die Deutsche Bank an der Unternehmensberatung Roland Berger und kaufte 1989 die Investmentbanking-Gesellschaft Morgan Grenfell, deren Integration in die Deutsche Bank jedoch nicht gelang. Nach der Ermordung Herrhausens 1989 gab es zu seinen Konzepten in der Bank keine klare Haltung, allerdings wachsende Spannungen zu den alten Kunden, denn das Investmentbanking passte nicht zur Hausbankfunktion. Der Interessenkonflikt wurde bei der feindlichen Übernahme von Thyssen durch Krupp deutlich, als die Deutsche Bank für beide Firmen nicht zu vereinbarende Rollen übernahm und das Vertrauensverhältnis zu Thyssen zerstörte: Deutsche Bank-Vorstand Cartellieri musste den Thyssen-Aufsichtsrat verlassen. Zusammenfassend stellte Sattler fest, dass das neue Geschäftsmodell zur Auflösung der traditionellen Bindungen zwischen Bank und Industrieunternehmen führte und die „Deutschland AG“ beendete. Das „multinationale Allfinanz-Konzept“ Herrhausens löste zudem das auf Kooperation angelegte Bankengefüge Deutschlands auf, da Herrhausen dem internationalen Markt und der Profitabilität vor der Harmonie den Vorzug gab.

Abschließend stellte FRAUKE SCHLÜTZ (Köln) die Vorstandssprecher der Commerzbank und ihre Verbindungen zur Industrie vor, hierbei ging sie besonders auf die Sprecher der Familie Marx ein. Anhand mehrerer Generationen der Familie Marx veranschaulichte Schlütz Verflechtungen: Paul Marx (1888-1952) kam 1920 zum Barmer Bankverein, in dessen Aufsichtsrat sein Vater, der Düsseldorfer Oberbürgermeister Wilhelm Marx viele Jahre ein Mandat innehatte. Nach der Fusion mit der Commerzbank war Paul Marx von 1932 bis 1943 im Vorstand, danach bis 1945 im Aufsichtsrat der Bank und nahm eine Vielzahl von Aufsichtsratmandaten in Unternehmen wahr. Sein Sohn Will (1919-2005) begann 1942 eine Lehre bei der Commerzbank in Düsseldorf und wurde 1957 Vorstand bei der Commerz- und Disconto-Bank in Hamburg. Bei seinem Wechsel zum Bankhaus Sal. Oppenheim nahm er das Aufsichtsratsmandat bei der Th. Goldschmidt AG mit und behielt es bis 1983. Bereits Paul Marx war 28 Jahre lang im Aufsichtsrat des Essener Chemieunternehmens gewesen, darunter einige Jahre als stellvertretender Vorsitzender. Schon Wilhelm Marx hatte 13 Jahre lang den Aufsichtsratsvorsitz in der Firma innegehabt. Offensichtlich spielten die persönlichen Beziehungen zwischen der Familie Marx und dem Unternehmen eine große Rolle, denn Theo Goldschmidt war bis 1961 im Aufsichtsrat der Commerzbank.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Richard Lips (Bereichsvorstand Group Communications Commerzbank AG)

Dieter Ziegler (Ruhr-Universität Bochum, Leiter des Arbeitskreises Bank- und Versicherungsgeschichte)

Vorträge

Martin L. Müller (Deutsche Bank AG, Historisches Institut, Frankfurt am Main): „Unternehmermut und Ordnungssinn“: Georg Solmssen – ein deutscher Bankier im Zeitalter der Extreme.

Ralf Ahrens (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam): Bankiers und Unternehmenskontrolle: Jürgen Ponto als Aufsichtsrat der Deutschland AG.

Daniel Wylegala (Philipps-Universität Marburg): „Hart in der Sache, konziliant in der Form.“ Karl Klasen, die Deutsche Bank und die HAPAG.

Friederike Sattler (Historische Kommission der Bayer. Akademie der Wissenschaften): „Produktionsstandort Deutschland in Gefahr ?“ Alfred Herrhausens Versuch zur strategischen Neuausrichtung der Deutschen Bank als Partner der Industrie in den 1980er Jahren

Frauke Schlütz (Universität zu Köln): Die Vorstandssprecher der Commerzbank seit 1870


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