HT 2014: Reich ist, wer Geld hat? Ökonomischer Gewinn und Verlust im Blick von Zeitgenossen und Forschung

HT 2014: Reich ist, wer Geld hat? Ökonomischer Gewinn und Verlust im Blick von Zeitgenossen und Forschung

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Göttingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.10.2014 - 26.10.2014
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Von
Stephan Köhler, Institut für Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim

Die Sektion „Reich ist, wer Geld hat?“ wurde von dem Forschernetzwerk durchgeführt, welches Julia Bruch (Köln), Ulla Kypta (Frankfurt am Main) und Tanja Skambraks (Mannheim) im Jahr 2013 ins Leben gerufen haben. Nach der Inauguraltagung des Arbeitskreises für spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte im November 20131, die sich mit der Frage nach Methoden beschäftigte, konnte der Arbeitskreis sich auf dem diesjährigen Historikertag einem weiteren Publikum präsentieren. Das Thema des 50. Deutschen Historikertages, Gewinner und Verlierer, sollte dabei Anstoß für eine wirtschaftshistorische Betrachtung mittelalterlicher und neuzeitlicher Phänomene ermöglichen. Die Beiträge drehten sich um die Frage, ob tatsächlich nur reich ist, wer Geld hat, mithin also um die Frage nach wirtschaftlichem Erfolg und Misserfolg im Spiegel der zeitgenössischen Quellen wie auch der Forschung. Die sechs Vortragenden näherten sich dieser zentralen Fragestellung unter Bezugnahme auf konkrete Beispiele und neueste Forschungsergebnisse. Allen Vorträgen war dabei gemein, auf das Verständnis zeitgenössischer Menschen einzugehen, wer ein Verlier und wer hingegen ein Gewinner sei. Die Sektion war in zwei Panels mit je drei Vorträgen gegliedert. Nach jeweils drei Beiträgen zu den einzelnen Panels wurden die Fragen und Anregungen in einer anschließenden gemeinsamen Podiumsdiskussion zusammengefasst und besprochen. Die dazu abgegebenen Wortmeldungen machten deutlich, dass auch die Mediävistik ein großes Interesse an der Wirtschaftsgeschichte zeigt.

Die Sektion wurde von TANJA SKAMBRAKS (Mannheim) mit einem Vortrag über die Monti di Pietà des mittelalterlichen Italien eröffnet. Bei den sogenannten “Bergen der Barmherzigkeit“ handelt es sich um Institutionen einer christlich motivierten Kreditvergabe, welche vor allem Teilen der arbeitenden und dennoch armen Stadtbevölkerung helfen sollte. Die Montes waren zur Zeit ihrer größten Ausdehnung in über 200 Städten vorhanden und somit keine periphere Erscheinung. Gerade die Untersuchung dieser vormodernen Mikrokredite – wobei bewusst ein Begriff der heutigen Zeit gewählt wird – zeigt, wie viel Potential wirtschaftshistorische Studien in sich bergen. Skambraks betonte die lange Tradition von Diskursen über die christliche Kreditvergabe und die Notwendigkeit, deren Quellen historisch zu untersuchen. Gerade die Tatsache, dass die Institution der Montes über einen relativ langen Zeitraum eine große räumliche Ausdehnung erfuhr, belegt deren Erfolg. Anhand von eindrucksvollen Archivmaterialien veranschaulichte die Referentin das Funktionieren der Montes (Schätzung des Pfandgegenstandes, Kreditvergabe, Buchführung usw.) und vertiefte anhand einiger Fallbeispiele das Funktionieren oder Scheitern einzelner Einrichtungen. Neben der Frage nach dem Erfolg oder dem Misserfolg wurde großes Augenmerk auf den christlich-theologischen Diskurs um die Zinsnahme gelegt. Besonders ein Briefwechsel zwischen dem Monte di Pietà in Mantua und Papst Innozenz VII. aus dem Jahr 1486 offenbart die auch innerhalb der Kirche vertretenen kontroversen Standpunkte. Der Beitrag veranschaulichte sehr gut, wie Zeitgenossen zwischen theoretischem Wissen und pragmatischer Anpassung einen Mittelweg ausdiskutierten, der für beide Seiten gangbar war. Das Forschungsprojekt verspricht einen wichtigen Beitrag zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte zu liefern.

CHIRSTIAN SCHOLL (Münster) beschäftige sich in seinem Vortrag mit Gewinnern und Verlierern im jüdischen Geldhandel des späten Mittelalters. Dabei hinterfragte er die Meistererzählung der jüdischen Geldleihe, die in vielen Feldern auf klischeehafte Narrative zurückzuführen ist, wie etwa den Ausschluss jüdischer Personen aus anderen Erwerbsmöglichkeiten. Der Diskurs über „Juden“ in der Finanzwelt wurde aus dem Hochmittelalter bis weiter zu Martin Luther tradiert, wie Scholl mit Zitaten belegte. Doch dem Vortragenden ging es nicht um eine bloße Neubewertung alter Stereotype, sondern um die Frage, unter welchen Bedingungen Juden als Gewinner oder Verlierer an der Wirtschaft partizipierten. Autoren wie Michael Toch haben die Annahme, dass jüdische Personen aus anderen Erwerbstätigkeiten ausgeschlossen in den Finanzsektor fliehen mussten, bereits entkräftet.2 Im Vortrag näherte sich Scholl der Thematik von einem wirtschaftshistorischen Zugang: Er legte nämlich die schwierigen ökonomischen Bedingungen jüdischer Finanziers im Kreditwesen dar, die mit Zinsen und dem Ausfallrisiko von Krediten operieren mussten. Des Weiteren wurde auch auf die Notwendigkeit (jüdischer) Geldgeber verwiesen, welche das für die Wirtschaft notwendige Kapitel bereitstellten. In diesem Zusammenhang konnte die ambivalente Haltung christlicher Autoritäten gegenüber jüdischen Geldgebern besser verstanden werden. In Summe zeigen die präsentierten Ergebnisse, dass gerade in einem scheinbar gut erforschten Feld wie dem jüdischen Geldhandel durch innovative Fragestellung neue Erkenntnisse zu erwarten sind.

Der Beitrag von NILS BOCK (Münster) über „Wucherer, Enteignung und finanzielle Sanierung“ in der Politik Philippes IV. gegenüber italienischen Kaufleuten rundete das erste Panel ab. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Bedeutung lombardischer Finanziers für die französische Krone. Die Vormachtstellung dieser Gruppe von Bankiers spiegelt sich noch heute in der nach ihnen benannten rue des Lombards im Herzen von Paris wieder. Im Vortrag wurde die Politik der französischen Krone gegenüber italienischen Kaufleuten, insbesondere den Brüdern Guidi dei Franzesi analysiert. Die beiden florentinischen Kaufleute konnten unter Philippe IV. eine beachtliche Karriere durchlaufen und waren erst Kammerdiener und später Schatzmeister. Dabei haben die Florentiner Brüder in den kommenden Jahren die Aufsicht über zahlreiche Einkünfte aus der Krondomäne erhalten, unter anderem über die Steuern, die Kirchenzehnten und die Abgaben auf den Handel von italienischen Kaufleuten. Als Finanzagenten des Regenten finanzierten sie dessen Feldzüge und streckten die geschätzten Steuereinkünfte vor, die sie dann für sich selbst beanspruchen konnten. Der steigende Einfluss der lombardischen Kaufleute am Hof sollte im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts in das Gegenteil umschlagen, als der König den Einfluss italienischer Händler empfindlich einschränkte und 1310/1311 für Anleihen bei lombardischen Kaufleuten einen Höchstzinssatz von 2,4 Prozent pro Tag festlegte. Die drastische Wandlung der königlichen Politik gegenüber italienischen Kaufleuten spiegelt den schwierigen Diskurs der Krone gegenüber Handel und Geldleihe wieder. Der Vortrag zeigte, wie nahe Enteignung und finanzielle Sanierung einander waren und warf kontroverse Fragen zum Thema Gewinner und Verlierer auf – unter anderem wie (damalige) wirtschaftliche Effizienz bewertet werden könnte.

Das zweite Panel wurde mit einem Vortrag von ULLA KYPTA (Frankfurt am Main) über “Hierarchie und Netzwerke“ eröffnet. Im Zentrum der Untersuchung standen dabei Erfolgsstrategien ober- und niederdeutscher Kaufleute, die – wie Kypta anmerkte – schwer zu bewerten sind, ohne in anachronistische Denkmuster zu fallen. Hierzu präsentierte Kypta einen neuen Ansatz, um wirtschaftliches Handeln zu erforschen. Nicht die (geographische) Ausbreitung geschäftlicher Tätigkeiten oder das Anwenden modern anmutender Geschäftspraktiken (doppelte Buchführung) seien Indikatoren für einen erfolgreichen Kaufmann im Mittelalter, sondern ein auf „Vorteil“ zielendes Handeln und das Vermeiden von Verlusten bildeten die Ziele damaliger Kaufleute. Somit ergeben sich bei der Erforschung wirtschaftlichen Handels neue Fragen, die eine differenzierte Bewertung mittelalterlicher Wirtschaftsformen erwarten lassen. Dieser Ansatz wurde anhand von Primärquellen wie Handels- oder Rechnungsbüchern veranschaulicht, die als Selbstaussage mittelalterlicher Kaufleute gedeutet werden können. Unter der Prämisse, Erfolg mit der Umgehung von Verlusten gleichzusetzen, werden herkömmliche Erzählweisen des Konkurrenzkampfes ober- und niederdeutscher Kaufleute hinterfragt und relativiert. Ausschlaggebend für Handelsgeschäfte war nicht der Konkurrenzgedanke gegenüber dem Anderen, sondern der eigene Vorteil, der diktiert, dort zu handeln, wo es vorteilhaft ist. Das Forschungsprojekt lässt somit auf neue Impulse der mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte hoffen, um ältere Narrative zu hinterfragen und zu ergänzen.

Im anschließenden Vortrag von ANGELA HUANG (London) wurde die Frage nach dem ökonomischen Gewinn für Hansestädte gestellt. Das Neue daran war, dass sich Huang mit den Binnenstädten der Hanse im Landesinneren befasste. Damit wurde das Augenmerk auf eine Region gelegt, die in der Forschung sonst vernachlässigt wird – nämlich dem ökonomischen „Hinterland“ der Küste. Eingangs wurde die Frage geklärt, worin der Gewinn, ein Mitglied der Hanse zu sein, bestand. Die Referentin zeigte, dass die Partizipation am Hansehandel und der Genuss von Privilegien die wichtigsten ökonomischen Vorteile für Hansestädte gewesen sind. Daraufhin wurde die Frage ausgeweitet, welchen Nutzen denn nun die Binnenstädte davon gehabt hätten. Huang ging von einer selbst durchgeführten Fallstudie zum Leinenhandel der Hanse aus, um diese Frage zu untersuchen. Dabei konnte sie die Verschränkung von lokaler Produktion und dem Fernhandel aufzeigen. Durch den Hansehandel setzte eine Diversifizierung der Binnenökonomien ein. Hansestädte im Landesinneren stellten Güter für den Handel zur See bereit und partizipierten somit auch an den Hanseprivilegien. Der Vortrag lenkte somit die Aufmerksamkeit auf schlechter erforschte Bereiche einer sonst eingehend behandelten Handelsorganisation.

Der letzte Beitrag von HEINRICH LANG (Bamberg) drehte sich um das Thema, ob transalpine Handelsgesellschaften als Verliererinnen während des Dreißigjährigen Kriegs zu betrachten seien. Dabei stand die Frage nach Veränderungen für das europäische Handelssystem im Zusammenhang mit der atlantischen Expansion im Zentrum der Untersuchung. Ausgehend von Arbeiten zu dem italienischen Kaufmannsgeschlecht der Salviati wurden Veränderungen im Investitions- und Wirtschaftsgebaren von Kaufleuten aufgezeigt. Von besonderer Bedeutung für den gewählten Untersuchungszeitraum ist das Investitionsverhalten von Kaufleuten in einer Krisensituation (wie Krieg) und das damit verbundene Entstehen neuer Märkte. Beiden begegneten die italienischen und deutschen Kaufleute mit bestimmten Strategien. Es kam zu einer Diversifizierung der Geschäfte (Erwerb von Land, Investitionsmodell der accomandite), welche das Risiko streute und den zunehmend unsicheren Handel entlasten sollte. Die transalpinen Handelsbeziehungen, etwa mit Augsburger Kaufleuten, wurden ebenfalls an das Kriegsgeschehen angepasst. Diese Phase konjunktureller Veränderungen ermöglichte es zwar vermehrt neuen Aufsteigern, am großen Handel zu partizipieren, die großen europäischen Verkehrsachsen (Venedig-Lyon-Amsterdam) blieben aber zunächst von den Veränderungen im Groben unbeeinträchtigt. Die Zahlen, die aus den Handelsbüchern der Salviati gezogen werden können, bestätigen dieses dynamische Bild. Die Kaufleute des 16. Jahrhunderts sind im 17. Jahrhundert nicht geschlossen ins wirtschaftliche Hintertreffen geraten. Beobachtbar ist in den Quellen eine wirtschaftliche und soziale Dynamik, die, wie der Referent aufzeigen konnte, zur Warnung davor gereicht, pauschale Tendenzen für den europäischen Handel zu prognostizieren. Die Frage nach Gewinnern und Verlierern ist auch eine Frage von Lang- oder Kurzfristigkeit der Perspektive.

Die Abschlussdiskussion drehte sich um das Gesamtthema „Gewinner und Verlierer“ in der Wirtschaftsgeschichte. Darin wurde nochmals die Kernfrage nach der Definition aufgegriffen, wie oder besser gesagt von welcher Warte aus man Erfolg und Verlust vormoderner Wirtschaftspraktiken bewerten kann. Problematisch sind sicherlich Großnarrative der Forschung, welche (proto-)nationale Entwicklungen vorwegnehmen. Die Sektion hat aufgezeigt, wie sehr die wirtschaftliche Bewertung von Erfolg mit dem eigenen Wirtschaftsempfinden verbunden ist. Die hier gewählten Zugänge, zur historiographischen noch eine zeitgenössische Betrachtungsweise hinzuziehen, ermöglichten teilweise einen Einblick in die mittelalterliche Selbstwahrnehmung von Kaufleuten, Kreditgebern und Kirche. Diese eingangs formulierten Fragen wurden in den sechs Beiträgen in der einen oder anderen Form aufgegriffen. Dabei näherten sich die Referenten/innen der Wirtschaftsgeschichte von ganz unterschiedlichen Perspektiven: Der ethischen Frage nach der Nutzung von Zinsen, dem Zusammenspiel privater und königlicher Finanzen, der Bedeutung von Hierarchie und Netzwerken oder der Verflechtung unterschiedlicher Wirtschaftsstrukturen auf lokaler und internationaler Ebene. Die Sektion unterstrich damit die Notwendigkeit, wirtschaftshistorische Untersuchungen von unterschiedlichen Blickpunkten aus durchzuführen, um die Diskrepanz zwischen der Vorstellung von Forscher/innen und Zeitgenossen zu fassen.

Die Frage nach dem Beitrag von Historiker/innen muss sich nicht zwangsläufig auf die Rekonstruktion ökonomischer Prozesse beschränken, sondern kann auch Wirtschaften als Teil der menschlichen Kultur verstehen. Diese und ähnliche Diskussionsbeiträge machten deutlich, dass ein Arbeitskreis für Wirtschaftsgeschichte im Spätmittelalter einen interessanten Beitrag zur Geschichtsforschung leisten kann. Neben dem gesteigerten Bewusstsein, wirtschaftliche Zusammenhänge wie gezeigt von unterschiedlichen Perspektiven aus zu betrachten, muss auch den methodischen Aspekten entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zu diesem Zweck widmet sich die „Zweite Tagung des Arbeitskreises für Spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte“ den theoretischen und methodischen Zugriffen.3 Man darf hoffen, dass mit dem weiteren Vorhaben des Arbeitskreises ähnlich interessante Arbeiten einhergehen. Die Beiträge der Sektion haben schon jetzt Zugänge aufgezeigt, die eine zukünftige Erforschung von mittelalterlicher Wirtschaftsgeschichte fruchtbar erscheinen lassen.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Julia Bruch (Köln) / Ulla Kypta (Frankfurt am Main) / Tanja Skambraks (Mannheim)

Moderation: Hiram Kümper (Mannheim)

Tanja Skambraks (Mannheim), Die Montes Pietatis. Eine Erfolgsgeschichte des vormodernen Kreditwesens?

Christian Scholl (Münster), Gewinner und Verlierer im jüdischen Geldhandel des späten Mittelalters.

Nils Bock (Münster), Wucherer, Enteignung und finanzielle Sanierung. Philipp IV. von Frankreich und die italienischen Kaufleute

Ulla Kypta (Frankfurt am Main), Hierarchie und Netzwerke: Erfolgsstrategien ober- und niederdeutscher Kaufleute.

Angela Huang (London), Die Hanse im 15. Jahrhundert: Ein Netzwerk von Gewinnern?

Heinrich Lang (Bamberg), Transalpin operierende Handelsgesellschaften als Verliererinnen? Geschäftliche Transferbeziehungen italienischer und süddeutscher Kaufmannbankiers während des Dreißigjährigen Kriegs.

Anmerkungen:
1 Tagungsbericht Neue Methoden der spätmittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte. 15.11.2013–16.12.2013, Frankfurt am Main, in: H-Soz-u-Kult, 17.01.2014, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5188> (5.11.2014).
2 Michael Toch, The Economic History of European Jews. Late and Early Middle Ages, Leiden 2013.
3 Programm für die Konferenz des Arbeitskreises 2014 in Mannheim <http://www.wirtschaftsgeschichte.org/konferenz-novemberdezember-2014> (5.11.2014).


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