HT 2016: Heidentum oder Heidentümer? Frühneuzeitliche Perspektiven auf den Polytheismus

HT 2016: Heidentum oder Heidentümer? Frühneuzeitliche Perspektiven auf den Polytheismus

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.09.2016 - 23.09.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne Christina May, Max Weber Kolleg für sozial- und kulturwissenschaftliche Studien, Universität Erfurt

Die Frage nach dem Glauben ist immer eine Frage nach den Ursprüngen aber auch den Grenzen des eigenen Glaubens. Wie Dominik Fugger in seiner Einführung darlegte, wurden die europäischen Gelehrten seit der Renaissance infolge der Wiederentdeckung einschlägiger Quellen und der Erschließung neuer Handelsmärkte in verstärktem Maße mit Heidentum konfrontiert, und zwar mit dem historischen ebenso wie mit dem zeitgenössischen. Daraus entwickelte Fugger die Leitfrage für die Beiträge dieser Sektion: Wie wurde das religiöse Andere als vergangenes oder auch gegenwärtiges Heidentum in der Frühen Neuzeit wahrgenommen? Wie verhielten sich theoretische Vorstellungen von „dem Heidentum“ zu den empirischen Befunden und inwieweit fanden Differenzierungen statt zwischen vergangenen und gegenwärtigen Erscheinungsformen? Dienten die mit dem Begriff operierenden Diskurse der tatsächlichen Auseinandersetzung mit dem Anderen oder vor allem der eigenen Selbstverortung und Abgrenzung? Die Beiträge der Sektion erhellten diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven und mittels exemplarischer Analysen, die es ermöglichten, dem Begriff und den mit ihm verbundenen Konzepten im 16. und 17. Jahrhundert erste Konturen zu verleihen.

YANN DAHHAOUI (Lausanne) untersuchte in seinem Vortrag „Les primeros padres se conformaron con las çerimonies de los gentiles. Comparing Pagan and Christian rites in Early Modern Spain“ spezifische Methoden des frühneuzeitlichen Religionsvergleichs und die daraus resultierenden Wertungen. Dabei ging es hier insbesondere um die Perspektive katholischer Humanisten des 16. Jahrhunderts und das Konzept der „Konformität“.

Allgemein bezeichnet Konformität eine im 17. und 18. Jahrhundert verbreitete Methode des Religionsvergleichs, die verwendet wurde, um die Korrespondenzen zwischen den Riten vergangener, paganer und zeitgenössischer Religionen zu verdeutlichen. Es ging darum Ursprünge zu erkennen und Entwicklungen aufzuzeigen. Während die Forschung allgemein davon ausgeht, dass der französische Humanist Francois Estienne 1567 1 erstmals die Methode der Konformität anwendete, konnte Dahhaoui in seinem Vortrag darlegen, dass der spanische Humanist Alvar Gomez de Castro bereits 1562 in seinem Essay „De la orden y origen de las Virgines Vestales“ die Methode der Konformität in einem religionsvergleichenden Kontext verwendete. In seiner in Briefform geschriebenen Abhandlung über die Priesterinnen der Vesta und ihren Kult veranschaulicht Gomez die historischen paganen Praktiken, in dem er Analogien zu aktuellen, zeitgenössischen Bräuchen und Zeremonien bildet. Vergleichsgröße sind die Lebensgewohnheiten, Rituale und Regeln christlicher Nonnen. Während die These der Konformität oder auch der Anpassung seit dem 16. Jahrhundert vor allem in antikatholischen Abhandlungen unter dem Stichwort des „Paganopapismus“ verwendet wurde, sieht Gomez hier zwar heidnische Spuren in der christlichen Liturgie, zieht daraus aber keine moralischen Urteile, sondern hält dieses für völlig akzeptabel. Ja er erkennt hier sogar eine besondere Leistung der Kirchenväter, denn sie waren es, die diese heidnischen Rituale, sei es etwa das (Oster-)Feuer, das Singen des Kyrie Eleison in der Messe, oder auch die Wahl das Knabenbischofs, verbessert, erneuert und schließlich in allgemein akzeptierte Medien verwandelt haben, die dem Lob und Preis Gottes dienten. So konnte Dahhaoui am Beispiel des spanischen Humanisten Alvar Gomez de Castro deutlich machen, dass die Konformität zwischen paganen Bräuchen und christlich-liturgischen Ritualen von katholischer Seite im 16. Jahrhundert durchaus zugegeben und sogar als wichtige kulturelle Übertragungsleistung interpretiert wurde.

Nach diesem Einblick in ein katholisches Verständnis vom Zusammenhang zwischen Heidentum und katholischer Frömmigkeitspraxis, analysierte FRANZISKA TURRE (Erfurt) in ihrem Vortrag: „Die Heiden unter uns. Heidenstereotype in der konfessionellen Auseinandersetzung des 16. und 17. Jahrhunderts“ die Entstehung und Struktur des Heidentopos als antikatholisches Argument. Die Vorgehensweise, katholische Frömmigkeitspraktiken mit denen des antiken Heidentums zu vergleichen, die bereits seit dem Mittelalter bekannt war, erlebte jedoch erst ab der zweiten Generation der Reformatoren eine Hochkonjunktur. Während Luther seine Kritik an der katholischen Frömmigkeitspraxis (in erster Linie) noch wesentlich theologisch begründet hatte (sola scriptura), verwendeten Nachfolger vor allem seit dem Tridentinum das Heidenstereotyp als Argument gegen die altgläubige Religionspraxis. Es hat den Anschein, als habe nach der Veröffentlichung der Dekrete von Trient ein verstärkter Rechtfertigungsbedarf des Prinzips „sola scriptura“ selbst geherrscht, nachdem in den Konzilsdekreten die Heilige Schrift gleichberechtigt neben die Tradition gestellt wurde. In den darauffolgenden Debatten besannen sich die Protestanten auf religionsgeschichtliche Argumentationen, um sich mit dem Katholizismus auseinanderzusetzen. Die Urkirche diente nun als Folie und wurde zum wirksamen Ansatzpunkt, um das Traditionsargument der Katholiken auszuhebeln. Hatte Gomez also noch die Übertragungsleistung der Kirchenväter hervorgehoben, beschrieben die Protestanten ausgehend von dieser Stunde null eine Verfallsgeschichte, die mit der Institutionalisierung der Kirche begonnen hatte. Dabei standen hier, so Turre, zwei Themen im Mittelpunkt: Das Verhältnis zwischen Tradition und Heiliger Schrift und die Werkgerechtigkeit der Katholiken, die mit der des Heidentums verglichen wurde.

Während die Tradition für die Katholiken also ein wichtiger Pfeiler ihrer Religion blieb, erkannten die Protestanten in der Apostelkirche das Vorbild und in den Neuerungen seit der Institutionalisierung den Abfall vom wahren Glauben. Zwar entstand das Heidenstereotyp in einer besonderen theologiegeschichtlichen Situation, doch es erwies sich, wie Turre zeigen konnte, als besonders langlebig. Noch im 19. Jahrhundert behauptete etwa Karl August Hase in seinem Handbuch der Protestantischen Polemik, die katholische Heiligenverehrung sei auf dem Boden der alten Götterwelt entstanden.

Hatten sich beide Vorträge vor allem auf die praktische Instrumentalisierung und den konfessionellen Umgang mit dem Heidentum als Topos konzentriert hatten, stellte DOMINIK FUGGER (Erfurt) in seinem Beitrag „Das Partikulare im Universellen: Philipp Clüvers Blick auf das Heidentum“ eine frühe allgemeine Theorie des Heidentums vor. Der Geograph Philipp Clüver (1580-1622) verband dabei, wie Dominik Fugger ausführte, als erster den ethnographischen Zugriff mit einer zeittypisch universalistischen Heidentumstheorie. Der Ursprung der Abgötterei liegt nach Clüver zeitlich vor der Sintflut: Das Heidentum kam mit Kain in die Welt, der, verleitet durch den Satan, sich über die Natur Gottes täuschen ließ. So ging das Wissen Adams verloren und das Heidentum kam als Missverständnis in die Welt. In seiner Urform manifestierte es sich als stellare, physische Abgötterei, das heißt die Eigenschaften des unsichtbaren Schöpfers wurden von den Menschen auf die sichtbare Schöpfung übertragen. Die Verehrung der Sonne wurde an Gottes Stelle gesetzt. Mit der Zeit trat neben den Sonnenkult die Verehrung des Mondes. Die Eigenschaften Gottes wurden nun teilweise dem Mond attribuiert, einzelne Eigenschaften in der Folgezeit auch den Sternen zugesprochen. Von hier ausgehend, griff die Vergötterung auch auf Verstorbene über, denen göttliche Eigenschaften zugesprochen wurden. Dabei stellte sich Clüver diese Attribuierungen, so Fugger, wie eine fortschreitende Aufspaltung, oder Aufteilung göttlicher Eigenschaften auf immer mehr Götter vor. Mit der babylonischen Sprachverwirrung bekam das bereits zuvor ausdifferenzierte Pantheon unterschiedliche Namen. Für Clüver ergibt sich damit, dass dem Heidentum fehlattribuierte Eigenschaften des einen Gottes zu Grunde liegen. Weise Heiden zeichneten sich dadurch aus, dass sie die Existenz eines einzigen Schöpfergottes, sozusagen subkutan und unter der oberflächlichen Verwirrung liegend, erkannten. Ein Beispiel für ein solches weises Heidentum erkennt Clüver bei den Germanen. Denn bereits Caesar bezeuge, dass die Germanen Sonne und Mond und Feuer verehrt hätten. Hieraus entwickelt Clüver ein christliches Dreifaltigkeitsmodell, in dem die Sonne für Gott Vater und der Mond als sonnenhafter Himmelskörper für Christus steht. Vulkan, das Feuer, steht für den heiligen Geist. Weitere Gottheiten waren den Germanen – Tacitus folgend – zwar durchaus bekannt, aber sie hätten sie nur als Eigenschaften der drei Hauptgottheiten verstanden, so dass die germanischen weisen Heiden in Clüvers Theorie also Vorstellungen des Schöpfergottes und sogar der Dreifaltigkeit bewahrt hätten. Dieses elaborierte religionshistorische Konzept machte sie in der Vorstellung Clüvers zu den weisesten Heiden, weiser noch als die Ägypter, die ja zumindest auch die Sonne verehrten. So lebten, folgt man Clüver, alle Völker unter demselben universellen Heidenhimmel, aber nicht alle hatten den gleichen Horizont.

Im Anschluss an diesen Einblick in frühneuzeitliche Religionstheorie als historische Heidentumstheorie, stellte PAOLA VON WYSS-GIACOSA (Zürich) in ihrem Vortrag „Vielgötterei und Feuerkult. Der Blick des britischen Geistlichen Henry Lord auf die Religionen Indiens“ die unmittelbare Erfahrung mit zeitgenössischem Heidentum und die daraus folgende Religionsinterpretation und Reaktion in den Mittelpunkt. Mit „A Display of two Forraigne Sects in the East Indies“ (erschienen 1630 in London) stellte sie eine Schrift vor, die zu den ersten gedruckten Texten gehört, die in Europa über indische Religion erschienen ist. Gegenstand des aus zwei Teilen bestehenden Bandes sind einmal die Bania (“A discovery of the sect of the Banians“) und einmal die Parsen („The Religion of the Persees“). Während Henry Lord mit den Parsen aber eine tatsächlich homogene Religionsgemeinschaft vorstellt, umfasst der Begriff Bania Vertreter der Händlerkaste, die sich unter anderem aus Jains oder auch Vaishnava zusammensetzte, also keine religiös homogene Gruppe. Henry Lord hatte von 1624 bis 1629 im Auftrag der East India Company als anglikanischer Pastor in Surat (Gujarat), gelebt und gearbeitet. Seine beiden Abhandlungen basieren, wie der Autor selbst betonte, auf direktem Augenschein, waren durch Befragung der religiösen Spezialisten und Studium der heiligen Schriften vor Ort entstanden. Bei den Texten Lords handelte es sich, wie Wyss-Giacosa ausführte, typologisch dennoch nicht um eigentliche Berichterstattungen, sondern eher um eine methodische Analyse der heidnischen Kulte. Entsprechend klar strukturiert und aufgebaut präsentieren sich die beiden Teile dem Leser. Die Kapitelunterteilungen weisen starke Parallelen auf. Beide Male beginnt der Autor, nach Widmungen und einer Einleitung, mit der Schöpfungsgeschichte und beschreibt dann den jeweiligen Mythos bis zur Sintflut. Im Anschluss daran betrachtet er die Heiligen Bücher und thematisiert danach ausführlich einerseits die spezifischen „moral laws“, die religiösen Gebote, und andererseits die „ceremonial laws“, die Feste, Zeremonien und Rituale. Dennoch kann von einer wertfreien, objektiven Analyse hier nicht die Rede sein. Schon in der Einleitung macht der Autor deutlich, dass er die Prägung falscher Religion, denn um eine solche handle es sich hier, für ein gravierendes Vergehen halte. Der englische Pastor meint in den Vorstellungen und Geboten der Bania pythagoreische Ursprünge zu erkennen. Ihre Vielgötterei nennt er polemisch eine der papistischen nahe „Heiligenverehrung“. Den Feuerkult der Parsen setzt er zwar von anderen Formen der Idolatrie ab, verurteilt ihn jedoch scharf. Das vorrangige Ziel der von Lord unternommenen möglichst genauen Dokumentation der fremden „Heidentümer“ zur Religionskritik wird auch aus der visuellen Gestaltung des Frontispizes deutlich, und vor allem die gewählten Zitate aus der Aeneis Vergils (Buch VIII, Vers 698) und dem 1. Korintherbrief des Paulus (Paulus 1 Kor. 11-19) verdeutlichen, wie Wyss-Giacosa darlegen konnte, das Religions- und Heidentumsverständnis Lords. Mit dem Aufsuchen und der bewussten Analyse heidnischer Religion in Indien lieferte der puritanische Geistliche, so Wyss-Giacosa, empirische Evidenz zu gentiler Idolatrie, die zum wirkmächtigen Argument innerhalb religionsgeschichtlicher Auseinandersetzungen wurde und gleichzeitig als Mahnung und Antrieb zur notwendigen Stärkung der christlichen Einheit im Kampf gegen das Heidnische verstanden werden sollte. Die von ihm geleistete präzise Dokumentation dieser Kulte stand also innerhalb eines großen Auftrags zur Bestätigung der christlichen Wahrheit. Die wahrgenommene Pluralität sollte Lord zufolge, so Wyss-Giacosa abschließend, zu größerer Klarheit über den persönlichen Glauben führen, und so diente die Beschäftigung mit der Vielfalt also letztlich der Wohlfahrt der eigenen Religion. Die abschließende Diskussion bestätigte den großen Forschungsbedarf im Feld der frühneuzeitlichen Wahrnehmung des Polytheismus.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Dominik Fugger / Franziska Turre (beide Erfurt), Paola von Wyss-Giacosa (Zürich)

Yann Dahhaoui (Lausanne): „Les primeros padres se conformaron con las çerimonias de los gentiles. Comparing Pagan and Christian rites in Early Modern Spain“

Franziska Turre (Erfurt): „Die Heiden unter uns. Heidenstereotype in der konfessionellen Auseinandersetzung des 16. und 17. Jahrhunderts“

Dominik Fugger (Erfurt): „Das Partikulare im Universellen: Philip Clüvers Blick auf das Heidentum 1580-1622“

Paola von Wyss-Giacosa (Zürich): „Vielgötterei und Feuerkult. Der Blick des britischen Geistlichen Henry Lord auf die Religionen Indiens“

Entfallen: Sergio Botta (Rom): “Towards a Global Theory of Polytheism in Fray Juan de Torquemada’s Monarquía Indiana”

Anmerkung:
1 In seiner Schrift „Traicté de la conformité du langage francois avec le grec“, erschienen 1567.


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts