Autorität in der "Krise" nach 1945

Autorität in der "Krise" nach 1945

Veranstalter
Oliver Kohns (Attract-Projekt "Ästhetische Figurationen des Politischen" / Université de Luxembourg), Martin Roussel (Internationales Kolleg Morphomata: Genese, Dynamik und Medialität kultureller Figurationen / Universität zu Köln), und Till van Rahden (Canada Research Chair in German and European Studies / Université du Montréal)
Veranstaltungsort
Universität zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.06.2015 - 19.06.2015
Deadline
31.01.2015
Von
Kohns, Oliver / Roussel, Martin / van Rahden, Till

Seit den 1930er Jahren, und verstärkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs, unternehmen Philosophen wie Alexandre Kojève oder Hannah Arendt und Politologen wie Dolf Sternberger oder Theodor Eschenburg eine Neubegründung demokratischen Denkens im Zeichen des Autoritätsbegriffs. Diesen neuen Diskurs über Autorität kennzeichnet dabei einerseits die Konstruktion einer Traditionslinie und andererseits ein grundlegendes Bewusstsein einer Krise der politischen Kategorie Autorität. Am deutlichsten wird dies bei Arendt, die ihrer titelgebenden Frage "Was ist Autorität?" die Bemerkung vorwegschaltet, der eigentliche Titel müsse lauten "Was war Autorität?" Ob Autorität nun definiert wird als eine Form von Macht jenseits von Zwang einerseits und Überzeugung andererseits (Arendt), in der Mitte zwischen Ratschlag und Befehl (so schon Theodor Mommsen) oder im Rückgriff auf die antike Tradition der auctoritas (Heinze, Sternberger und viele andere): Immer geht es um eine fraglose Legitimität politischer und sozialer Macht und Hierarchie. Nach 1945 tritt die Reflexion auf das, was Autorität ist (oder war), an die Stelle einer Diskussion von "Autoritäten" wie etwa der Autorität eines Herrschers. Die Suche nach neuen Formen der Autorität richtet sich dabei weniger gegen die antiautoritäre Bewegung, sondern fragt nach der Bedeutung von Autorität als politischer Kategorie im "demokratischen Zeitalter" (Jan-Werner Müller). Die vollständige Eingliederung des Diskurses über Autorität in ein konservativ-reaktionäres Lager wäre voreilig: Nicht nur Sternbergers Plädoyer für die "Autorität der Verfassung", sondern zahlreiche Entwürfe einer alternativen Geschichte der Autorität (bis zu Leonard Kriegers Studien) zielen explizit auf die Entwicklung einer demokratischen Autorität. Nicht zuletzt im Ausgang von den Arbeiten David Estlunds und Thomas Christianos setzt sich diese Diskussion bis heute in der anglophonen politischen Philosophie fort.

Zu fragen wäre, warum in diesem Kontext dem Begriff der Autorität eine zentrale Rolle zugeschrieben wird, der seit den Studien des Frankfurter Instituts für Sozialforschung in den 1930er Jahren und besonders durch Adornos Arbeiten über den "autoritären Charakter" verstärkt in die Nähe zu "faschistischem Denken" geraten ist. Darüber hinaus muss die Konstruktion einer Begriffsgeschichte im Ausgang von einem vermeintlichen Schlüsselbegriff auctoritas in der römischen Republik problematisch erscheinen – nicht nur aufgrund einer komplexen historischen Rekonstruktion, sondern vor allem weil eine Nachwirkung der römischen auctoritas in den politischen Diskussionen der Neuzeit kaum belegbar ist, während autoritätskritische Positionen bis hin zu einer Abkehr von patriarchalen "Autoritäten" seit der Debatte zwischen John Locke und dem Monarchisten Robert Filmer das "revolutionäre" Denken der europäischen Moderne kennzeichnen.

Insofern seit der Französischen Revolution und mit der Herausbildung eines konservativen politischen Lagers im bürgerlichen 19. Jahrhundert über Autorität im Sinne eines beklagenswerten Verlustes (an Vertrauen, Verlässlichkeit, Sicherheit, Orientierung usw.) gesprochen wird, kann die Rede über Autorität nach 1945 umso leichter an der Konstruktion allgemein diagnostischer Krisensymptomatiken mitwirken. Die Ausgangsthese unserer Konferenz ist vor diesem Hintergrund, dass dem Diskurs über Autorität in der Neubegründung demokratischen Denkens nach 1945 eine besondere Bedeutung zukommt, die nicht einfach als reaktionäre Melancholie nach einer verlorenen Hierarchie erklärt werden kann, sondern im Gegenteil eher als Teil "Orientierungskrisenreaktion" (Kertscher), nach einer politischen und sozialen Ordnung und Legitimität in demokratischer Zeit. Ein vergleichender Blick auf den Versuch der amerikanischen Politikwissenschaft, den Begriff einer democratic authority gesellschaftspolitisch und philosophisch zu begründen, verspricht hier mehr als nur Aufschlüsse über die historische Signatur von Debatten.

Was das Format betrifft, wollen wir vom üblichen Konferenzprozedere abweichen, um den Fokus stärker auf die Diskussionen zu legen. Es wird keine langen Vorträge geben, sondern Impulsreferate, in denen jede/r Teilnehmer/in in ca. 10–12 Minuten eine fachspezifische Perspektive auf die Frage der Autorität entwickelt. Es geht also eher darum, ein Verständnis dafür zu gewinnen, wie man heute noch sinnvoll über Autorität sprechen kann und welchen Beitrag hierfür verschiedene Fachkulturen leisten können. Die Frage wird unseres Erachtens mit Texten wie Hannah Arendts "Was ist Autorität?" in der Zeit nach 1945 vorbereitet, wobei Arendt insofern paradigmatisch wäre, als hier der Autoritätsbegriff historisch wie systematisch völlig geöffnet wird. Die Zuschreibungen schwanken zwischen der Bedeutungslosigkeit des Begriffs und einer neu zu gewinnenden Bedeutung.

Falls Sie an der Tagung interessiert sind, schicken Sie bitte ein Abstract von 250–300 Wörtern und ein kurzes CV bis zum 31. Januar 2015 an Nicole Karczmarzyk (nicole.karczmarzyk@uni.lu).
Reise- und Übernachtungskosten können aller Voraussicht nach übernommen werden.

Programm

Kontakt

Nicole Karczmarzyk
Universität Luxemburg
Campus Walferdange
Route de Diekirch
L-7220 Walferdange

nicole.karczmarzyk@uni.lu

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