C. Glunz u.a. (Hrsg.): Von Paraguay bis Punk

Cover
Titel
Von Paraguay bis Punk. Medien und Krieg vom 19. bis zum 21. Jahrhundert


Herausgeber
Glunz, Claudia; Schneider, Thomas F.
Reihe
Krieg und Literatur/War and Literature XVII
Erschienen
Göttingen 2011: V&R unipress
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
€ 41,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Koch, Germanistisches Seminar, Universität Siegen

Den Regularien zur Abfassung einer Rezension für H-Soz-u-Kult ist der Auftrag zu entnehmen, der Rezensent möge eine Einordnung der zu besprechenden Publikation in die aktuelle Forschungslandschaft leisten. So plausibel ein solches Ansinnen prinzipiell ist, sind hiermit im vorliegenden Fall allerdings immense Schwierigkeiten verbunden. Der von Claudia Glunz und Thomas F. Schneider herausgegebene Band „Von Paraguay bis Punk“ ist konzeptionell derart disparat, dass sich ein gemeinsamer Forschungsstand der hier versammelten Texte nicht ausmachen lässt. Zwar ist die im Klappentext aufgestellte Behauptung, dass „Medien, Krieg und Erfahrung“ in einem „ambivalenten, zum Teil widersprüchlichen Verhältnis zueinander“ stehen, plausibel. Nichtsdestotrotz drängt sich bei einem genaueren Studium der Inhalte aber der Eindruck auf, dass eine möglichst allumfassende „Umbrella-These“ als Alibi dafür dient, Beiträge in einem Band zu versammeln, die nichts miteinander zu tun haben außer dem Umstand, dass es in allen im weitesten Sinne um das Thema „Krieg“ geht. Eine methodische Situierung der Begriffe „Medien“, „Krieg“ und „Erfahrung“, die es erlauben würde, auch historisch oder kulturtopografisch weit auseinander liegende Themen analytisch zueinander in Beziehung zu setzen, sucht man also vergebens – womit über die Qualität der einzelnen der acht hier zusammengestellten Fallstudien noch nichts ausgesagt ist. Dennoch bleibt die Frage, an welche Zielgruppe der Band gerichtet sein soll.

Der eröffnende, familiengeschichtliche Beitrag von Dörte von Westernhagen stellt den Versuch einer intellektuellen Biografie ihres Großonkels, Oskar von Westernhagen, dar. Diese möchte sie einer sozial- und ideologiegeschichtlichen Lektüre unterziehen und im Kontext der historischen Entwicklung vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verorten. Im zweiten Beitrag, der sich mit dem propagandistischen Gehalt der Marinesprache während des Zweiten Weltkriegs im deutsch-englischen Vergleich beschäftigt, erweist sich, wie fruchtbar die das Jahrbuch „Krieg und Literatur“ grundierende Sensibilität für die kulturellen Formatierungen von Kriegserfahrungen sein kann. So kann Franz Karl Stanzel, einer der Nestoren der deutschen Erzählforschung, aufzeigen, wie sehr sprachliche Kommunikation immer schon vom Problem der Ambiguität tangiert ist und welche welt- und erfahrungsordnenden Ressourcen solche Uneindeutigkeitseffekte semantischer Formeln gerade in konfrontativen Diskurskonstellationen des Krieges bereitstellen.

Unter den weiteren Beiträgen des Sammelbandes (zu denen die Aufsätze von Simone Herzig über die außenpolitischen Zielsetzungen der „Deutschen Hochschule für Politik“ in den Jahren 1920-1933, von Harald Weiß über die Ideologiegeschichte der „Biene Maja“, von Fabian Brändle zu dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen, autobiografischen Text „Soldatenleben“ aus der Feder des Söldners Ulrich Lopacher und Florian Pauls‘ gelungene Rekonstruktion von Antikriegsthemen in der Folk- und Punkmusik zählen), widmen sich eigentlich nur die beiden Beiträge von Heinrich Placke und Mahmoud Al-Ali der spezifischen Konstellation von Literatur und Krieg. Wie für die anderen Beiträge (insbesondere Weiß, Brändle) so ist auch hier eine auffallende medientheoretische Voraussetzungslosigkeit festzustellen. Nun sind Theorien natürlich kein Selbstzweck, aber sie können dazu beitragen, den medialen Status von zu analysierenden Gegenständen zu gewichten und breitere Kontexte zu eröffnen. Dies wäre insbesondere für Heinrich Plackes Beschäftigung mit Lukas Bärfuss’ Ruanda-Roman „Hundert Tage“ (2008)1 von Vorteil gewesen. Zwar konstatiert Placke zutreffend, dass Bärfuss’ Text keine Reportage sei, sondern einer „fiktionale[n] Textsorte“ (S. 108) zuzurechnen ist. Die nachfolgende Analyse blendet diese Erkenntnis dann aber weitgehend aus und verbleibt nahezu völlig auf der Ebene des Inhalts. Zurecht erkennt Placke in „Hundert Tage“ einen Text, der sich anhand des Völkermords im Ruanda der 1990er-Jahre mit dem Scheitern moralischer Zurechnungskonventionen auseinandersetzt. Diese normative Diffusion ist für Bärfuss – davon erfährt man in Plackes Analyse leider nichts – aber nicht nur ein Problem, das auf der Ebene von figuraler Rede und Handlung reflektiert wird, sondern das sich zugleich auch als Form- und Darstellungsproblem realisiert. An der für die Gegenwartsliteratur und die Gegenwartsliteraturforschung zentralen Frage, wie sich asymmetrische Kriege erzählen bzw. repräsentieren lassen2, geht Placke kommentarlos vorbei.

Auch Mahmoud Al-Alis Beitrag „Der Weg in die innere Freiheit im literarischen Werk Gas II von Georg Kaiser“ präsentiert eine rein inhaltsorientierte Analyse, deren unterkomplexes Ergebnis, dass die „Gas-Triologie“ zur Antikriegsliteratur zu zählen sei (S. 102), in keiner Weise innovativ ist. Wie Placke argumentiert Al-Ali rein textimmanent. Dabei hätte eine Kontextualisierung im Hinblick auf andere Autoren der klassischen Moderne, Walter Benjamin oder Ernst Jünger etwa, gerade für das in Kaisers Trilogie verhandelte Problem der modernen (Kriegs-)Technik spannende Einsichten in anthropologische, ökonomische und kulturkritische Diskurskonstellationen der Jahrzehnte vor 1945 liefern können. Nicht ohne Grund kommt eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschungsliteratur, die über direkte Bezüge zu Kaiser hinausgehen würde, in Al-Alis Beitrag nicht vor.

Insgesamt vermittelt der Band „Von Paraguay bis Punk“ ein mehr als zwiespältiges Bild. Auch wenn im Hintergrund die richtigen Fragen an die Medialität und Kulturalität von Kriegserfahrungen zu stehen scheinen, enttäuscht der kunterbunte Band, gerade weil ein übergreifendes Probleminteresse und ein verknüpfendes, methodisch innovatives Analysedesign in den versammelten Einzelstudien völlig fehlen. Dass aktuelle Forschungsfragen der Kulturwissenschaften, etwa nach der medienimprägnierten Emotionalität des Krieges3 keine Beachtung finden, passt ins Bild.

Anmerkungen:
1 Lukas Bärfuss, Hundert Tage, Göttingen 2008.
2 Michael Lützeler, Bürgerkrieg global. Menschenrechtsethos und deutschsprachiger Gegenwartsroman, München 2009; Christa Karpenstein-Eßbach, Orte der Grausamkeit. Die neuen Kriege in der Literatur, München 2011; Niels Werber, Erzählen in Krieg und Nicht-Krieg, in: LILI. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 165 (2012), S. 87-105.
3 Søren Fauth / Kasper Green Krejberg / Jan Süselbeck (Hrsg.), Repräsentationen des Krieges. Emotionalisierungsstrategien in der Literatur und in den audiovisuellen Medien vom 18. bis zum 21. Jahrhundert, Göttingen 2012.

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