B. Z. Kedar u.a.: A Bavarian Historian Reinvents Himself

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Titel
A Bavarian Historian Reinvents Himself. Karl Bosl and the Third Reich


Autor(en)
Kedar, Benjamin Z.; Herde, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
162 S.
Preis
€ 28,22
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank-Rutger Hausmann, Wasenweiler

Der am 18. Januar 1993 in München im Alter von 84 Jahren verstorbene Karl Bosl war als Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische Landesgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München einer der angesehensten Vertreter seiner Zunft. Dazu trug nicht zuletzt bei, dass er nach 1945 politisch entlastet worden war und danach eine gradlinige Karriere machen konnte, die ihm zahlreiche prominente Schüler, mehrere Mitgliedschaften in einflussreichen wissenschaftlichen Organisationen, Ehrungen und Preise sowie Gastprofessuren in den USA eintrug. Dies alles war natürlich auch die Frucht hoher fachlicher Kompetenz, präzisen Organisationsvermögens und immensen Fleißes.

Nach der deutschen Wiedervereinigung, die im Bereich der institutionellen wie der personellen Universitätsgeschichte der Zeit von 1933 bis 1945 einen beachtlichen Aufschwung herbeiführte, für den nicht nur der Zugang zu bisher verschlossenen Archiven, sondern vor allem der zeitliche Abstand zu den „braunen Jahren“ verantwortlich war, begann man auch die Biografie vermeintlich unbelasteter Hochschullehrer zu be- und zu hinterfragen. Die Ergebnisse waren wenig überraschend: Wer nach 1933 eine wissenschaftliche Karriere beginnen wollte, musste dem NS-Regime Konzessionen machen: Vereidigung auf den Führer, Mitgliedschaft in der Partei und ihren Organisationen, Dozentenlager, Mitwirkung an wissenschaftlichen Gemeinschaftsprojekten oder Publikationen mit völkisch-rassischem Hintergrund waren die wichtigsten Zugeständnisse. Der Spielraum für Widerstand gegen das NS-Regime war daher vergleichsweise gering.

Anders zu bewerten ist hingegen der Umgang der im „Dritten Reich“ aktiven Hochschullehrer mit ihrer Vergangenheit nach 1945. Nur ganz wenige hatten den Mut, sich dazu zu bekennen und sich davon zu distanzieren. Der für die Mehrheit der deutschen Hochschullehrer zwischen 1933 und 1945 zu konstatierende Opportunismus wurde durch Leugnung und Bagatellisierung ersetzt, Biografien wurden geschönt, einschlägige Veröffentlichungen verschwiegen. Die sechsbändige, im Selbstverlag erschienene Publikation des Rechtsreferendars Rolf Seeliger ist das eindrücklichste Zeugnis dieses Verdrängungsprozesses.1 Die Betroffenen hielten zusammen, ihre Schüler scharten sich hinter ihnen zur Verteidigung, die Öffentlichkeit war nur mäßig an einer Aufarbeitung interessiert.

Waren 68er wie Seeliger mit ihren bohrenden Fragen noch gegen eine Wand gelaufen, änderte sich die Situation spätestens nach dem so genannten Schwerte-Skandal im Jahr 1994. Der Germanist und ehemalige Rektor der Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen wurde als SS-Hauptsturmführer und Mitglied des Ahnenerbes e.V. der SS enttarnt, der nach 1945 seinen Namen Hans Schneider in Hans Schwerte geändert hatte. Er „schneiderte“ sich eine neue Biografie und machte als Professor Karriere. Die nationale wie die internationale Empörung war groß, und diese „Enttarnung“ wirkt bis heute nach.2

Auffällig ist, dass bohrende Fragen nach der NS-Vergangenheit erst ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende gestellt wurden und sich damit an Personen richteten, die längst im Ruhestand waren. So erging es auch Bosl. Er hatte zwar nicht seinen Namen geändert, aber ungenaue Angaben über seine NSDAP-Mitgliedschaft gemacht, was man bereits in einer Publikation des Jahres 1993 nachlesen kann.3

Im Jahr 2011 legten dann die beiden Mediävisten Peter Herde (Würzburg) und Benjamin Kedar (Jerusalem) eine quellengestützte Studie vor, die Bosls Tätigkeit im „Dritten Reich“ weiter entmythologisiert. So war Bosl zwar am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten, hatte aber seine Mitgliedschaft nicht, wie er später angab, zeitweise unterbrochen. „Thus we may envisage Bosl as thoroughly adapting to the regime and serving it faithfully, hoping that adaptation and service would further his scholarly career, but dispensing with day-to-day manifestations of Party membership.“ (S. 64) Auch seine Mitwirkung an einem vom Ahnenerbe e.V. der SS geförderten Projekt „Wald und Baum in der arisch-germanischen Kulturgeschichte“ (S. 20f.)4 und selbst seine Durchhalterede „Das Reich als politische Idee“ vom 13. Dezember 1944 (S. 25–27) sprengen noch nicht den Rahmen der Zugeständnisse, die Wissenschaftler dem Nationalsozialismus üblicherweise machten.

Die Verfasser kommen dann auch zu dem Schluss: „Up to this point Bosl’s behavior was by no means exceptional. It became highly unusual only once he made the claim that he was actively involved, over several years, in covert anti-Nazi activities and that on the night of 17–18 April 1945 he successfully did what Limpert failed to do on the following day – that is, cut the Wehrmacht’s communication lines and saved Ansbach from needless destruction” (S. 65). Bosl unterrichtete zu diesem Zeitpunkt an einem Ansbacher Gymnasium, an dem sich um den allein seinem christlichen Gewissen gehorchenden Robert Limpert (15. Juni 1925–18. April 1945) eine Schülerwiderstandsgruppe gebildet hatte, zu der weiterhin Robert Frank, Wolfgang Hammer und Hans Stützer zählten. Als die Gruppe am 18. April hörte, Gestapo und SS hätten Ansbach verlassen und amerikanische Panzer seien im Anrücken, überzeugte Limpert Bürgermeister Albert Böhm, die Stadt kampflos den Amerikanern zu übergeben. Ein Hindernis bestand darin, dass der Wehrmachtsoberst Ernst Meyer als Stadtkommandant nicht an Übergabe dachte. Um ihn davon abzuhalten, Verstärkung zu holen, durchschnitt Limpert das Telefonkabel zwischen dem ehemaligen Gefechtsstand und den Truppen in der Vorstadt, wurde dabei jedoch von zwei Hitlerjungen überrascht, verhaftet, standrechtlich von Meyer zum Tode verurteilt und am Ansbacher Rathaus gehenkt. Aus den Unterlagen des amerikanischen Feldwebels Frank D. Horvay, der am 9. Mai 1945 nach Ansbach kam und für die Entnazifizierung verantwortlich wurde, geht hervor, dass Bosl sich jetzt als aktiven Widerstandskämpfer erklärte. Angeblich sei er ein Jahr lang in einem KZ eingesperrt worden, habe dann in einem Strafbataillon dienen müssen, später jedoch an der Rettung Ansbachs mitgewirkt, indem er das Telefonkabel Oberst Meyers durchschnitten habe (S. 40f.). Diese Aussagen führten dazu, dass Bosl, wenngleich nach einigem Hin und Her, am 24. März 1948 von der Spruchkammer Ansbach-Stadt als „Entlasteter“ eingestuft wurde, was eine wesentliche Voraussetzung für seine weitere Laufbahn war.

Kedar und Herde haben, juristisch gesprochen, einen dem Indizienbeweis vergleichbaren indirekten Nachweis dafür erbracht, dass sich Bosl durch Verschweigen, Beschönigen und Fälschen als Widerstandskämpfer bezeichnen ließ. Ein persönliches Eingeständnis von ihm lag zeitlebens nicht vor. Der kritische Leser kann sich jedoch ein eigenes Urteil bilden, denn im Anhang der Studie (S. 73–151) werden alle einschlägigen Dokumente wiedergegeben, zum Teil faksimiliert. Ein Quellenverzeichnis, das Archivalien, Interviews und Sekundärliteratur auflistet (S. 152–158), rundet nebst einem Namensindex (S. 159–162) den Band ab. Warum dieser in englischer Sprache verfasst wurde, wo doch die Mehrheit der Zeugnisse deutsch sind, erschließt sich nicht.

Die von Kedar und Herde aufbereiteten Ergebnisse fanden ein geteiltes Echo: Zustimmung in der Tagespresse5, Aberkennung von Ehrenrechten durch Bosls Heimatstadt Cham als Konsequenz der Enthüllungen6, aber auch Verteidigung Bosls7, weil Kedar und Herde mit Vermutungen gearbeitet hätten und allzu quellenpositivistisch vorgegangen seien. In der Tat erstaunt, dass Bosls Widerständigkeit in Ansbach, wo sicherlich eine große Zahl von Zeitzeugen lebte, nach Kriegsende nicht hinterfragt wurde, nicht einmal im Umkreis des hingerichteten Robert Limpert.

Wie dem auch sei, nicht minder aufschlussreich als die Causa Bosl als solche sind die systemischen Hinweise, die die Autoren geben. Unter Bosls Münchner Historikerkollegen gab es durchaus Männer, die man wirklich als widerständig oder widerstandsnah bezeichnen kann: Alexander Graf Schenk von Stauffenberg, Franz Schnabel, Max Spindler, Michael Seidlmayer und Johannes Spörl (S. 66–70). Bei den meisten war eine Verankerung im katholischen Glauben der Grund für Reserve und Abwehr gegenüber dem Nationalsozialismus. Allerdings bewahrte diese Haltung, zu der sich auch Bosl bekannte, ihn nicht vor Mitläufertum. Es gibt Anzeichen wie seine Eheschließung nach protestantischem Ritus in der Nürnberger Lorenzkirche, die für eine Abkühlung seiner katholischen Bindung sprechen, was allerdings nicht, wie bei vielen Zeitgenossen, zum Kirchenaustritt führte.

Bosl war kein Einzelfall, und die hier dargelegten Enthüllungen gewinnen erst dann ihren wirklichen Wert, wenn sie als ein weiterer Beitrag zu einer Sozialgeschichte des deutschen Akademikers im Nationalsozialismus (unter besonderer Berücksichtigung der Professorenschaft) genutzt und in einen größeren Kontext einbezogen werden. Eine solche Arbeit bleibt nach wie vor ein Desiderat, wenngleich es inzwischen genügend Einzeluntersuchungen zum Thema gibt. Helmut Heiber hat mit seiner umfangreichen Biographie Walter Franks im Jahr 1966 einen Anfang gemacht und den einzuschlagenden Weg vorgezeichnet.8

Anmerkungen:
1 Rolf Seeliger (Hrsg.), Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. Eine Dokumentation, 6 Bde., München 1964–1968.
2 Zusammenfassend Frank-Rutger Hausmann, „Der Schwerte-Mythos“, in: Scientia Poetica 5 (2001), S. 164–182.
3 Ferdinand Kramer, Der Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte von 1917 bis 1977, in: Wilhelm Volkert / Walter Ziegler (Hrsg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte. 70 Jahre Kommission für Bayerische Landesgeschichte. 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte, München 1998, S. 351–407.
4 Bernd Rusineck, „Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte“ – Ein Forschungsprojekt des „Ahnenerbe“ der SS 1937–1945, in: Albrecht Lehmann / Klaus Schriewer (Hrsg.), Der Wald – Ein deutscher Mythos?, Perspektiven eines Kulturthemas, Berlin 2000, S. 267–363.
5 Dirk Walter, Der entzauberte Karl Bosl, in: Münchner Merkur 1.7.2011; Patrick Bahners, Die Legende eines Humanisten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 6.7.2011, S. N3.
6 Hans Kratzer, Cham stürzt das Denkmal Bosl, in: Süddeutsche Zeitung 29.11.2011 (<http://www.sueddeutsche.de/bayern/wegen-dubioser-ns-vergangenheit-cham-stuerzt-das-denkmal-bosl-1.1221358> [29.10.2012]).
7 Vgl. zusammenfassend Ernst Schütz, Die Causa Bosl. Mehr Fragen als Klarheit, in: Das Gymnasium in Bayern 10 (2012), S. 34–37; Matthias Berg, Lehrjahre eines Historikers. Karl Bosl im Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59,1 (2012), S. 45–63.
8 Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland, Stuttgart 1966.

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