A. Wilkes Tucker u.a. (Hrsg.): War/Photography

Cover
Titel
War/Photography. Images of Armed Conflict and Its Aftermath


Herausgeber
Wilkes Tucker, Anne; Michels, Will; Zelt, Natalie
Reihe
The Museum of Fine Arts, Houston
Erschienen
Anzahl Seiten
606 S., 179 Farb- und 364 SW-Abb.
Preis
$ 90.00 / € 72,53
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Vowinckel, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Mit dem Band „War/Photography“ sollen, so die Herausgeber, Diskussionen über die Rolle der Fotografie im Krieg gebündelt und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Bisherige Forschungen zum Thema hätten sich zu sehr auf einzelne Fotografen, Agenturen und Kriege konzentriert, während es eine Metareflexion eher unter Theoretikern gegeben habe (gemeint ist vor allem Susan Sontag).1 Dies ist angesichts der vielfältigen Literatur zur Kriegsfotografie eine durchaus gewagte Aussage, die möglicherweise eher der Legitimierung des eigenen Projekts dient als den Forschungsstand spiegelt.2 Auch der vorliegende Band bietet keine Systematik mit Anspruch auf Vollständigkeit, sondern „a platform from which other inquiries can spring“ (S. 7). Konzipiert wurde der Band als Begleitpublikation zu der gleichnamigen Ausstellung, die von November 2012 bis März 2013 zunächst im Museum of Fine Arts in Houston gezeigt wurde, anschließend im Annenberg Space for Photography in Los Angeles und in der Corcoran Gallery of Art in Washington. Ab November wird die Ausstellung im Brooklyn Museum in New York zu sehen sein.3

Das Inhaltsverzeichnis verspricht zunächst einen systematischen Zugriff auf das Thema, indem es sich an den verschiedenen Stadien und Problemlagen des Kriegs entlanghangelt. Im ersten Teil geht es unter anderem um den Kriegsbeginn, den Rekrutierungsprozess und die Ausbildung der Soldaten, im zweiten um den Kriegsalltag, um Aufklärungsfotografie und das Phänomen des Wartens, im dritten Teil um Kampf, Tod, Zerstörung und Exekutionen, im vierten um Freizeit, Kriegsgefangene, die medizinische Versorgung und den Glauben („Faith“), im fünften um Zivilisten, Flüchtlinge und Kinder, im sechsten schließlich um das Kriegsende, um Sieg und Niederlage, die Reintegration von Soldaten sowie um die Erinnerung an den Krieg.

Ein „Entlanghangeln“ ist dies insofern, als die Systematik durch Abschnitte wie „Iwo Jima“ oder „Soldier Photography: Visualizing the War in Iraq“ regelmäßig unterbrochen und an Fallbeispiele gebunden wird. Wer die jeweiligen Texte verfasst hat, ist aus dem Inhaltsverzeichnis nur teilweise zu entnehmen. Viele Beiträge werden lediglich am Ende mit dem Kürzel eines der Herausgeber gekennzeichnet. Es wechseln also systematische und narrative Abschnitte, was durchaus ansprechend sein könnte, wären die systematischen Texte nicht höchst unsystematisch. Ein Beispiel: Der von Anne Wilkes Tucker verfasste Beitrag „The Advent of War“ bezieht sich nacheinander auf eine Reihe von Fotografien, die mit dem Beginn von Kriegen gerade nichts zu tun haben. Ein darin besprochenes Porträt von Theodore Roosevelt wurde einen Monat vor dem Ende des Spanisch-Amerikanischen Kriegs von 1898 aufgenommen; gleich im Anschluss wird ohne jede Überleitung Adolf Hitlers Bildpropaganda vor 1933 aufgegriffen; von dort geht es weiter zum japanischen Angriff auf Pearl Harbor, der ja keineswegs einen neuen Krieg markierte, sondern den Eintritt der Vereinigten Staaten in den bereits seit Jahren andauernden Zweiten Weltkrieg.

Viele dieser oft nur zwei bis vier Seiten kurzen Texte sind zwar anregend, geben aber nur marginale Auskunft über das jeweils im Titel angesprochene Thema. Das wäre zu verschmerzen, wenn die Systematik sich in den jeweiligen Abbildungen wiederfinden ließe, doch auch hier folgte das Herausgeberteam offenbar eher seiner Intuition als einer Systematik. Auf den Text über „Execution“ zum Beispiel folgen 20 Abbildungen, von denen unter anderem zwei in Ungarn (1956), eine in Indien (1857), zwei in Mexiko (1867 und 1913), eine in Paris (1871) und eine in Italien (1916) aufgenommen wurden; ferner finden sich dort ein Bild des toten Che Guevara in Bolivien (1967), eins ohne jegliche Angabe (ca. 1942), der gehängte Mussolini (1945), Göring in Untersuchungshaft (1946) und das von Eddie Adams 1968 in Vietnam aufgenommene Foto der Exekution eines Viet Cong. Wenn es die Absicht der Herausgeber war, die volle Breite des Themas „Exekution im Krieg“ darzustellen, ist dies sicher gelungen. Die Fotografien verkommen dabei aber unter der Hand zu einem „Kessel Buntes“, zumal es zu den einzelnen Abbildungen keine erklärenden Texte gibt. Dem Anspruch, alle nur denkbaren Aspekte des Kriegs von der Kampfhandlung über die Langeweile an der Front bis zur Lage der zivilen Opfer und der Wiedereingliederung der Soldaten in die Zivilgesellschaft darzustellen, wird der Band durchaus gerecht. Viele dieser Themen sind allerdings nicht neu, sondern wurden schon von Pionieren der Kriegsfotografie wie Robert Capa oder Margaret Bourke-White (und auch in der Literatur zum Thema) erschöpfend behandelt.

In visueller Hinsicht erweist sich das Buch als überaus vielseitig; das Blättern darin bringt immer wieder Überraschungen und hinterlässt starke Eindrücke. Erschwert wird das Blättern indes dadurch, dass der Band stattliche 4.380 Gramm auf die Küchenwaage bringt und deshalb allenfalls zu Hause lesbar ist, am besten an einem Tisch. Die Buchseiten hatten sich im Fall des Rezensionsexemplars bereits auf dem Versandweg vom Buchrücken gelöst, was das Blättern (und Rezensieren) zusätzlich erschwerte.

Lichtblicke sind immerhin die thematischen Essays von Hilary Roberts über Kriegsfotografen, von John Stauffer über die „Living Room Wars“ des 19. Jahrhunderts, von Bodo von Dewitz über Schnappschüsse aus dem Ersten Weltkrieg und von Liam Kennedy über Fotos, die amerikanische Soldaten ab 2003 im Irak machten. Wenig nachvollziehbar ist jedoch auch hier die Auswahl: Warum werden einige wenige Aspekte in zusätzlich eingeworbenen Texten behandelt, während andere in der Masse des Bildmaterials untergehen?

Fazit: Das Buch „War/Photography“ gehört zu denen, die man gern im Regal stehen hat und immer wieder gern zur Hand nimmt. Eine solche Aussage zwingt aber angesichts der unsäglichen Grausamkeiten, die in einigen Bildern dargestellt werden, auch zur kritischen Selbstbefragung: Warum wollen wir – außer aus wissenschaftlich-historischem Interesse – das Leiden anderer betrachten? Welchen Unterschied macht es, ob wir von den Gewalttaten, die im Krieg verübt wurden und werden, lesen oder ob wir Fotos davon ansehen? Und schließlich: In welcher Weise können Bilder politische Entscheidungsprozesse beeinflussen? Antworten auf diese Fragen finden wir dann aber doch eher bei Susan Sontag.

Anmerkungen:
1 Susan Sontag, On Photography, New York 1977, deutsch: Über Fotografie, München 1978 (und weitere Auflagen); dies., Regarding the Pain of Others, New York 2003, deutsch: Das Leiden anderer betrachten, München 2003 (und weitere Auflagen).
2 Vgl. dazu etwa Caroline Brothers, War and Photography. A Cultural History, London 1997; Ute Daniel (Hrsg.), Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert, Göttingen 2006; Anton Holzer (Hrsg.), Mit der Kamera bewaffnet. Krieg und Fotografie, Marburg 2003; Peter Howe, Shooting Under Fire. The World of the War Photographer, New York 2002; Michael Kamber, Bilderkrieger. Von jenen, die ausziehen, uns die Augen zu öffnen. Kriegsfotografen erzählen, Hollenstedt 2013; Peter Maslowski, Armed with Cameras. The American Military Photographers of World War II, New York 1993; Gerhard Paul, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn 2004; George H. Roeder, The Censored War. American Visual Experience During World War Two, New Haven 1993; Rainer Rother / Judith Prokasky (Hrsg.), Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges, München 2010; John Taylor, War Photography. Realism in the British Press, London 1991.
3 Siehe <http://www.mfah.org/exhibitions/past/warphotography-photographs-armed-conflict-and-its-/>; <http://www.annenbergspaceforphotography.org/exhibition/war>; <http://www.corcoran.org/warphoto>; <https://www.brooklynmuseum.org/exhibitions/war_photography/> (25.09.2013).