Cover
Titel
The Pan-German League and Radical Nationalist Politics in Interwar Germany, 1918–39.


Autor(en)
Jackisch, Barry A.
Erschienen
Farnham, Surrey 2012: Ashgate
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 100,33
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Leicht, Potsdam

Seit der 1984 erschienenen Studie von Roger Chickering über den Alldeutschen Verband gilt dessen Geschichte im Wilhelminischen Kaiserreich als gut untersucht.1 Für die Zeit nach 1914 besteht nach wie vor Forschungsbedarf. Von einer methodisch ausgewogenen und quellenkritisch fundierten Studie über Wollen und Wirken des Alldeutschen Verbandes nach 1918 darf man daher Antworten auf Fragen nach der Mitgliederstruktur und gesellschaftlicher Verankerung, nach politischem Handlungsspielraum, ideologischem Einfluss und sozialem Mobilisierungspotential der Alldeutschen erwarten.

Der Titel des vorliegenden Buches verspricht eine kontextbezogene Analyse des Alldeutschen Verbandes innerhalb der rechtsnationalen Bewegung während der Zwischenkriegszeit. Dabei handelt es sich um eine leicht überarbeitete Version der bereits im Jahr 2000 an der Universität Buffalo eingereichten Dissertation von Barry A. Jackisch. Während der langjährigen Vorbereitung zu deren Drucklegung hat aber mittlerweile eine ganze Reihe von Forschungsprojekten zur Thematik ihren Abschluss gefunden, auf die Jackisch – wenn überhaupt – nur in der Einleitung knapp eingeht.2 Deren kritische Einbeziehung wäre – und dies sei hier vorweggenommen – für die Schärfung seiner Thesen hilfreich gewesen.

Jackisch formuliert die Leitthese, dass die Leitungsverantwortlichen des Alldeutschen Verbandes, allen voran der langjährige Vorsitzende Heinrich Claß, auch nach Kriegsende und Revolution 1918/19 über beste Kontakte zu den konservativen und rechtsradikalen Organisationen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene verfügten. Diese Beziehungen sicherten dem Verband einen gewichtigen Einfluss auf die Entwicklung der rechtsnationalen Politik, der weit über seine zahlenmäßige Größe hinausging (S. 4). Indem Jackisch den Alldeutschen Verband als einen der wichtigsten Akteure im rechtskonservativen und radikalnationalistischen Lager der Weimarer Republik verortet, schreibt er ihm auch einen maßgeblichen Anteil an der tiefgreifenden Zerstrittenheit der politischen Rechten während der 1920er-Jahre zu, welche eine wesentliche Voraussetzung für die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 bildete (S. 11).

Die in sechs Kapitel gegliederte Darstellung zeichnet in groben Zügen die Entwicklungslinien des Alldeutschen Verbands in der Weimarer Republik nach. Seinen analytischen Einstieg wählt Jackisch unmittelbar in den letzten Kriegswochen und der sich anschließenden Revolution von 1918/19. Die bedingungslose Kapitulation des Heeres und die Abdankung des Kaisers, aber auch die Selbsterkenntnis der eigenen Ohnmacht, aller Beschwörungen zum Trotz auf den Ausgang des Krieges keinen Einfluss gehabt zu haben, bilden den Hintergrund für die so genannte Bamberger Erklärung vom Februar 1919. In dieser formulierte hauptsächlich Claß die Leitlinien für die kommende Politik des Alldeutschen Verbandes innerhalb der zukünftigen demokratisch-parlamentarischen Republik. Sie bildet allerdings nicht die große Zäsur innerhalb der Verbandspolitik (S. 18f.), sondern die Fortentwicklung des in der Verbandsleitung bereits seit Jahren forcierten Radikalisierungsprozesses. Alle wesentlichen Aspekte der alldeutschen Propaganda nach 1918 – permanente Führerfixierung und völkische Diktatur, gesteigerter Antisemitismus und die Postulierung rassistischer Volksgemeinschaftsutopien – haben ihren Ursprung in verschiedenen Debatten weit vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Jackisch versäumt es aber, seine Analyse zu diesen weltanschaulichen Kontinuitäten in Beziehung zu setzen. Er verzichtet auch auf eine genauere Betrachtung der radikalisierenden Dynamik des Krieges auf den Verband an sich. Denn bereits während des Krieges zeigte sich, dass die Alldeutschen in einem sich zunehmend verändernden Milieu politischer Massenmobilisierung stets ihrem Honoratiorencharakter verhaftet geblieben waren.

Claß und die alldeutsche Führung jedenfalls waren nicht bereit, trotz ihrer notorischen Ablehnung der parlamentarischen Demokratie gewaltsame Umsturzpläne und Putschversuche wie den Lüttwitz-Kapp-Putsch 1919 zu unterstützen. Den meisten rechtsgerichteten Gruppierungen wie den Freikorps und paramilitärischen Verbänden, aber auch der 1922 gegründeten Deutschvölkischen Freiheitspartei standen die Alldeutschen ablehnend gegenüber. Ihr Ziel, aus der bereits vor dem Ersten Weltkrieg zersplitterten Rechten eine starke völkische Bewegung unter alldeutscher Führung zu schaffen, scheiterte aufgrund divergierender politischer Führungsansprüche und persönlicher Animositäten, wie Jackisch im zweiten Kapitel größtenteils aus dem bisher unveröffentlichten zweiten Band der Erinnerungen von Heinrich Claß rekonstruiert.3

Die alldeutschen Kontakte zur frühen NSDAP waren ähnlich gelagert. Anfangs hatte Claß zwar den „Trommler“ Adolf Hitler als ein willkommenes propagandistisches Werkzeug betrachtet und über diverse Kanäle der klammen Partei immer wieder kleinere Geldsummen zukommen lassen. Doch als Hitler deutlich signalisierte, dass er den alldeutschen Führungsanspruch nicht zu akzeptieren bereit war, wollte Claß keine Mittel mehr nach München transferieren. Auch in diesem dritten Kapitel stützt sich die Studie vornehmlich auf Claß’ Memoiren. Spätestens hier hätte der Leser eine kritische Einschätzung dieser methodisch nicht unproblematischen Quellengattung erwartet. Ebenso fehlt eine systematische Untersuchung der Stellung des Verbandsvorsitzenden innerhalb der alldeutschen Machtstruktur. Es bleibt unklar, wer im Verband neben Claß eigentlich für welche Positionen eintrat. Jackisch schreibt wiederholt von „Claß and his colleagues“, „Claß and his associates“, „some Pan-German members“, „Claß and the Pan-German leadership“, „the League`s leadership“, „Hugenberg and his Pan-German allies“ etc. Gleichfalls sucht man eine fundierte Analyse der Gremienstruktur des Verbandes, der Entscheidungswege und Machtkompetenzen, der Mitgliederentwicklung und Finanzierungswege, sowie der Wechselbeziehungen zwischen Ortsgruppen, Regionalvereinigungen (Gauverbände) und der Verbandszentrale in Berlin vergeblich.

Mit der wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung der Weimarer Republik vollzog der Verband einen programmatischen Kurswechsel. Jackisch legt im vierten Kapitel dar, wie die Verbandsspitze um Claß Mitte der 1920er-Jahre versuchte, einen größeren Einfluss auf die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) zu gewinnen. Innerhalb der wichtigsten konservativen Partei der Weimarer Republik gründeten führende Alldeutsche Ende 1922 den Völkischen Reichsausschuss als parteiinterne Plattform ihrer Kritik gegen den Dawes-Plan, gegen die Beteiligung der DNVP im Kabinett von Hans Luther, gegen die Zustimmung der Partei zum Vertrag von Locarno 1925 und gegen die Versöhnungspolitik des Außenministers Gustav Stresemann. Das konkrete strukturelle, organisatorische und finanzielle Wirkungspotential des Alldeutschen Verbandes und die tatsächliche Reichweite dieser alldeutschen Unterwanderung vor allem in den sehr selbständig agierenden DNVP-Landesverbänden bleiben aber offen.

Die weiteren Schilderungen in Kapitel fünf folgen der Leitthese, der Alldeutsche Verband trage mit seiner seit 1926 einsetzenden Initiative, mit Alfred Hugenberg einen aus ihren Reihen als Parteivorsitzenden der DNVP zu platzieren, eine signifikante Verantwortung für die Radikalisierung der konservativen Politik und die Zersplitterung der deutschen Rechten in den späten Jahren der Republik (S. 134). Die strukturelle Zusammenarbeit mit der DNVP und die uneingeschränkte Unterstützung Hugenbergs bedeuteten aber nicht nur einen grundlegenden Paradigmenwechsel des Verbandes, der seit Gründung 1891 auf seine vorgebliche Überparteilichkeit großen Wert gelegt hatte. Vielmehr ist diese Fokussierung auf die DNVP als Plattform politischer Verbandsarbeit zugleich das Eingeständnis des Scheiterns der eigenen politischen Ziele. Völlig zu Recht kommt Jackisch daher zu dem Schluss, dass der so genannte Claß-Putsch von 1926 nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Missverständnissen gewesen sei. Claß diskutierte zwar verschiedene Szenarien zur Ausschaltung des parlamentarischen Systems, aber über konkrete Planungen geschweige denn die dazu nötigen Ressourcen verfügten die Alldeutschen zu keiner Zeit.

Ein Blick auf die Mitgliederentwicklung hätte zeigen können, dass der Verband keineswegs mehr den politischen Stellenwert innehatte, den Claß ihm in seinen Erinnerungen zugeschrieben hatte. Ende der 1920er-Jahre hatte sich die Anzahl der Mitglieder im Vergleich zum Anfang des Jahrzehnts nahezu halbiert. Beim politischen Nachwuchs hatte der Alldeutsche Verband gerade im Gegensatz zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gänzlich an Attraktivität verloren. Wesentliche Gründe wie das im Erziehungsideal Bismarckscher Honoratiorenpolitik verhaftete Politikverständnis der Alldeutschen oder ihre bildungsbürgerlich-elitäre Abgrenzung bleiben weitgehend unbeleuchtet. Es bleibt daher fraglich, inwieweit die Alldeutschen eine wichtige Rolle bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler spielten (S. 158).

Zum Abschluss wird die Entwicklung des Alldeutschen Verbands nach 1933 auf nur wenigen Seiten kursorisch behandelt. Leider wurden die dem Autor bekannten und im Sonderarchiv Moskau befindlichen Gestapo-Akten über den Verband nicht systematisch ausgewertet. Die größtenteils gut lesbare Dissertation bietet so insgesamt einen ersten Überblick über die Wirkungsgeschichte des Alldeutschen Verbandes während der Weimarer Republik, bleibt aber deutlich hinter dem aktuellen Forschungsstand zurück.

Anmerkungen:
1 Roger Chickering, We Men Who Feel Most German. A Cultural Study of the Pan-German League 1886–1914, Boston 1984.
2 Zum Beispiel Rainer Hering, Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890–1939, Hamburg 2003; Stefan Frech, Wegbereiter Hitlers? Theodor Reismann-Grone. Ein völkischer Nationalist (1863–1949), Paderborn 2009; Maximilian Terhalle, Deutschnational in Weimar. Die politische Biographie des Reichstagsabgeordneten Otto Schmidt(-Hannover) 1888–1971, Köln 2009; Maik Ohnezeit, Zwischen „schärfster Opposition“ und dem „Willen zur Macht“. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik 1918–1928, Düsseldorf 2011; Johannes Leicht, Heinrich Claß 1868–1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn 2012; Björn Hofmeister, Between Monarchy and Dictatorship. Radical Nationalism and Political Mobilization of the Pan-German League, 1914–1939, PhD Georgetown University 2012.
3 Heinrich Claß, Politische Erinnerungen, Teil 2, BArch Berlin, N 2368/3, ehemals BArch Koblenz, Kl. Erw.499 F. In Vorbereitung ist die Quellenedition Heinrich Claß, Politische Erinnerungen des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes 1915-1933/36, hrsg. v. Björn Hofmeister.

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