L. Schön: An economic history of modern Sweden

Titel
An economic history of modern Sweden.


Autor(en)
Schön, Lennart
Reihe
Explorations in Economic History 54
Erschienen
London 2012: Routledge
Anzahl Seiten
371 S.
Preis
104,99 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yaman Kouli, Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz

Englischsprachige Überblicksarbeiten, die sich im Rahmen einer Monographie mit der Wirtschaftsgeschichte Schwedens im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigten, sind rar gesät. In deutscher Übersetzung sind sie praktisch nicht vorhanden. Umso begrüßenswerter ist es, dass der Routledge-Verlag im letzten Jahr diese Monographie in seine wirtschaftshistorische Reihe aufgenommen hat. Tatsächlich handelt es sich um das zweite Werk dieser Art, nachdem 2000 bereits die Arbeit von Lars Magnusson erschien1. Die Publikation von Lennart Schön ist schon deswegen bedeutsam, weil es kaum vergleichbare Bücher gibt.

Den Epilog ausgenommen, ist die Arbeit in sechs Kapitel untergliedert. Das erste Kapitel führt in den theoretischen Ansatz von Lennart Schön ein. Hier unterteilt er den Untersuchungszeitraum in fünf Abschnitte: 1790–1850 (Transformation der Landwirtschaft), 1850–1890 (Frühe Industrialisierung in der Agrargesellschaft), 1890–1930 (Durchbruch der modernen Industriegesellschaft), 1930–1975 (Wachstum des Dienstleistungssektors und die Entstehung der modernen Industriegesellschaft), und in der Zeit ab 1975 verortet Schön den „Durchbruch der Dienstleistungswirtschaft oder der post-industriellen Gesellschaft“ (S. 10). Diese Phasen stellen jeweils – so die Annahme Schöns – „strukturelle Zyklen“ (S. 16f.) dar. Sie sind wiederum selbst untergliedert. Am Beginn eines solchen Zyklus steht jeweils eine strukturelle Krise, die in erster Linie durch das Auftreten neuer sogenannter „Entwicklungsblöcke“ (development blocks) (S. 9) geprägt sind. Es handelt sich hierbei jeweils um eine Gruppe von Erfindungen, die wirkungsmächtig genug sind, eine neue Phase „schöpferischer Zerstörung“ (S. 17) sowie weiterer auch politischer Transformationen einzuleiten. Diesem folgt gemäß dem Modell eine Phase der Rationalisierung, die so lange fortgeführt wird, bis die Gewinnaussichten der wirtschaftlichen Unternehmungen, die auf dem Entwicklungsblock basieren, so gering sind, dass es zu einer neuen Strukturkrise kommt. Das überdurchschnittliche Wachstum, das besonders die beiden mittleren Jahrzehnte jedes strukturellen Zyklus‘ prägt, schwächt sich ab, und der Kreislauf beginnt von neuem. Die Verwandtschaft zu den Kondratieff-Zyklen ist unverkennbar und wird von Schön auch expliziert.

Das Buch kommt seiner Aufgabe, einen Einstieg in die Wirtschaftsgeschichte Schwedens zu bieten, sehr gut nach. Die gewählten Epochen verleihen der Publikation eine klare inhaltliche Struktur, und auch die Unterkapitel sind sehr streng chronologisch geordnet. Jedes Kapitel wird mit einer kurzen Darstellung der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungen in Europa und – wo notwendig und angemessen – den USA eingeleitet. Schön verliert auf diese Weise den internationalen Kontext nie aus den Augen. So wird nachvollziehbar und detailreich das Bild eines Landes gezeichnet, dessen Wirtschaft sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer stärker in den Weltmarkt integrierte und durch diese Ausrichtung stark geprägt wurde. Dadurch kam es zu hohem Wachstum, dessen Geschäftsgrundlage ein Kapitalimport war, mit dessen Hilfe der Aufbau der Produktionskapazitäten finanziert wurde. Die für den jeweiligen strukturellen Zyklus elementaren Wirtschaftsbranchen der Entwicklungsblöcke werden identifiziert, und Schön zeigt, welchen Beitrag die Agrarindustrie – Milchwirtschaft, Holzstoff und Papierindustrie, Holzindustrie – sowie originäre Industriezweige – Eisenbahn, Stahlindustrie, Bekleidungsindustrie – für die Wirtschaft Schwedens gerade im 19. Jahrhundert leisteten.

Erfrischend wirken auch die kontrafaktischen Fragen, die Schön einstreut, um dem Eindruck entgegenzuwirken, sein Modell beschreibe einen Automatismus. So fragt er, weshalb Schweden sich nicht zu einem unterentwickelten Staat entwickelt habe. In diesem Zusammenhang klärt er, dass auch das skandinavische Land trotz seiner dünnen Besiedlung auf einen expandierenden Binnenmarkt angewiesen war, der der steigenden Bedeutung des Exportes voranging. Auch dass immer wieder kurze Abschnitte zu sozialen Entwicklungen eingeflochten, etwa zum Verhältnis der Geschlechter, der demographischen Entwicklung oder der Alphabetisierung der Bevölkerung, trägt zum positiven Eindruck bei. Dies geschieht über das für eine Wirtschaftsgeschichte unbedingt erforderliche Maß hinaus und rundet die Arbeit ab.

Aus der gewählten methodischen Vorgehensweise dieser Publikation resultieren jedoch leider auch Schwächen. Ist die Wirkung der Eisenbahn für die europäische Industrialisierung Mitte des 19. Jahrhunderts kaum zu bestreiten, stellt sich die Frage, ob sich vergleichbare Neuentdeckungen für jeden strukturellen Zyklus identifizieren lassen. Die Elektrotechnik und Strom als zunehmend an Bedeutung gewinnende Energieform spielt laut Schön für die Entwicklungsblöcke nach 1890, 1930 und 1975 eine prominente Rolle, so dass sich die Frage stellt, ob sich das Wirtschaftswachstum nach 1910 und vor allem nach 1950 tatsächlich allein durch sie erklären lassen. Birgt das Modell der Entwicklungsblöcke für das 19. Jahrhundert mithin durchaus Erklärungskraft, ist das für das 20. Jahrhundert weit weniger der Fall. Schön zieht zudem ergänzend auch das Argument der drei industriellen Revolutionen heran. Beschreibt die erste Revolution den Durchbruch des Fabriksystems, meint die Zweite die Verwissenschaftlichung der Produktion am Ende des 19. Jahrhunderts. Die These der dritten industriellen Revolution Mitte der 1970er Jahre hebt die wachsende Bedeutung der Elektronik hervor. Die Hypothesen der drei genannten Revolutionen marginalisiert die Rolle der Entwicklungsblöcke, was an verschiedenen Stellen zu inneren Widersprüchen führt.

Durch die Konzentration auf die Entwicklungsblöcke bleibt die Beschäftigung mit dem Wandel der Denk- und Handelsweisen, die in der Forschung in Anlehnung an Douglass North Institutionen genannt werden, leider weitestgehend aus. Dort, wo der Begriff Institutionen auftaucht, bezieht er sich auf Marktinstitutionen wie die schwedische Reichsbank oder klassische politische Institutionen wie den Staat und die Kommunalverwaltung. Eine der seltenen Ausnahmen ist der Verweis auf die „property rights“ (S. 65). Angesichts der prominenten Rolle, die der Begriff in der Forschung spielt, wäre eine höhere Trennschärfe hilfreich gewesen.

Vergleichbares gilt für die Besonderheiten der schwedischen Wirtschaft, etwa die selbst im europäischen Maßstab hohe Staatsquote von über 50 Prozent (2005). Schön verweist für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auf das schwedische Modell des Wohlfahrtsstaats, dessen Kernelemente die Kontrolle des Arbeitsmarktes, eine gleichmäßige Einkommensverteilung und die effiziente Allokation von Ressourcen sind. Dieses wird jedoch als makroökonomisches Konzept dargestellt, das von oben nach unten implementiert wurde. Vor dem Hintergrund der Diskussion der „Varieties of Capitalism“, die keineswegs abgeschlossen ist, wäre es lohnenswert gewesen zu erläutern, wie sich die Vorstellungen der Bevölkerung etwa über die Rolle des Staates und gerechte Lohnverteilung mit diesem Modell deckten.

Eine unübersehbare formale Schwäche ist die für eine wissenschaftliche Publikation nur schwer zu rechtfertigende Zitierweise. Die gesamte Arbeit hat bloß 27 Endnoten, was für über 300 Seiten Text kaum der Rede wert ist. Zwar erwähnt Schön zusätzlich im Fließtext Publikationen, indem er an den entsprechenden Stellen Autor und Jahr des Referenzwerks angibt. Hierbei nennt er jedoch keine Seitenzahlen. Auf diese Weise erschwert Schön dem interessierten Leser, der sich genauer über bestimmte Themenbereiche informieren möchte, die Recherche. Das ist bedauerlich, da gerade Überblickswerke dieser Art regelmäßig Ausgangspunkt für weitere wissenschaftliche Arbeiten darstellen. Sollte es zu einer Neuauflage kommen, ist eine Behebung dieser formalen Mängel dringend anzuraten.

Wie bei Routledge leider üblich, ist auch der Preis der gebundenen Ausgabe mit 104,99 Euro sehr hoch angesetzt. Er dürfte auf die meisten potentiellen Käufer abschreckend wirken. Vor dem Hintergrund des hohen Kaufpreises irritiert zudem der unschöne Tippfehler auf dem Buchrücken („An Economic History ofModern Sweden“). Trotz der formalen Mängel hat die Arbeit von Lennart Schön angesichts der knapp bemessenen nicht-schwedischen Forschungsliteratur zu diesem Wissenschaftsfeld das Potential, zu einem Standardwerk zu werden.

Anmerkung:
1 Lars Magnusson, An Economic History of Sweden (Routledge Explorations in Economic History 16), London 2000.

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