S. Reinke: Kurie – Kammer – Kollektoren

Cover
Titel
Kurie – Kammer – Kollektoren. Die Magister Albertus de Parma und Sinitius als päpstliche Kuriale und Nuntien im 13. Jahrhundert


Autor(en)
Reinke, Stephan
Reihe
Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 30
Erschienen
Köln 2012: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
XI, 475 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Hitzbleck, Historisches Institut, Universität Bern

Der Titel weckt Erinnerungen an verschmökerte Abende mit Göttern, Gräbern und Gelehrten, auf den Spuren von Heinrich Schliemann und Hernando Cortez. Nun also der Roman der Kurienforschung, am Gewandzipfel von Albertus und Sinitius hinein ins undurchdringliche Labyrinth der Römischen Kurie? Stefan Reinke hat es sich in seiner im Jahre 2002 in Göttingen eingereichten Dissertation zur Aufgabe gemacht, am Beispiel zweier Kurialer „Aufschluss über die kurialen Behörden und ihre Arbeitsweise zu gewinnen“ (S. 1). Anders als zahlreiche Studien der letzten Jahre stößt Reinke in die quellenmäßig deutlich schlechter erschließbare Zeit vor dem zweiten Konzil von Lyon im Jahre 1274 vor. Umso mehr muss sein Versuch gewürdigt werden, anhand biografischer Skizzen auf die Funktionsweise der päpstlichen Kurie vor dem Avignonesischen Exil schließen zu wollen. Erwähnenswert ist auch die Entscheidung, zugunsten weniger prominenter Angehöriger der Kurie die üblichen Verdächtigen – Kardinäle, leitende Kanzleiangehörige, Verwandte des Pontifex – hintanzustellen. Das Werk ist aus den Vorarbeiten zu einem Editionsprojekt von Norbert Kamp hervorgegangen, der seinem Schüler „die Ermittlung prosopografischen Materials zu allen in den Protokollen vorkommenden Personen“ aufgetragen und ihm die beiden Kurialen „zur eigenständigen Bearbeitung überlassen“ (S. 2) hat.

Reinke führt in einer knapp fünfseitigen Einleitung in Erkenntnisinteresse und Untersuchungsrahmen seines Werkes ein, wobei man sich angesichts der Natur kurialer Quellen eines gewissen Naivitätsverdachts nicht erwehren kann, wenn er schreibt, dass „es weniger darum gehen kann, die Persönlichkeiten/Individualitäten der einzelnen Personen herauszuarbeiten“ (S. 1). Neben den Biografien will Reinke „allgemeinere und systematische Themen der Erforschung der Römischen Kurie“ (S. 4) behandeln, insbesondere die Fragen nach den familiae der beiden Kurialen sowie nach ihrem rechtlichen Status als nuntius. Besonders dieser letzte Teil verspricht weiterführende und anschlussfähige Ergebnisse zur Funktionsweise der römischen Kurie wie der päpstlichen Verwaltung und Diplomatie. Die Einleitung lässt leider eine Verortung innerhalb der Literatur ebenso vermissen wie eine Vorstellung der genutzten Quellen.

Der erste Teil widmet sich Magister Albertus de Parma und beginnt mit dem leider programmatischen Satz: „Aus der Jugend des Albertus ist nichts überliefert“ (S. 7). Der in Aussicht gestellte Roman der Kurie präsentiert sich in diesem wie auch im zweiten biografischen Teil über Magister Sinitius stilistisch als Fahndungsbericht, der Schritte, Umfeld und Aufenthaltsorte der Verdächtigen mit detektivischem Spürsinn verfolgt und gerichtsfest dokumentiert. So behandelt Kapitel A.1.2 auf 19 Seiten nicht nur die nachweisbaren Verwandten des Albertus, sondern auch sämtliche Personen mit dem Bezugsnamen de Parma, und dies obwohl meist schnell klar wird, dass sie mit der Hauptperson des Abschnitts nichts zu tun haben. Im Folgenden erschließt Reinke die berufliche Biografie des Albertus, den er seit dem Pontifikat Innocenz‘ IV. als Skriptor in päpstlichen Diensten wahrscheinlich machen kann. Ab 1261 wird er dann „im Rahmen der Finanzbeschaffung“ (S. 30) für den Papst oder das Kardinalskollegium eingesetzt. Diese Tätigkeit als Kollektor umfasst das Eintreiben von Schulden bei diversen Bischöfen und Prälaten auf dem Kontinent und in England. Reinkes Interpretationen des interessanten Materials wirken leider oft unfertig: Bei diesen Geldern, von denen in den Quellen gesagt wird, dass die säumigen Prälaten sie den Kardinälen bei ihrem Aufenthalt an der Kurie „versprochen“ (S. 30) hätten, handelt es sich ihm zufolge im Allgemeinen nicht um die den Kardinälen zustehenden servitia communia. Leider thematisiert er aber nicht, was für Zahlungen es dann gewesen sein könnten. Denn man fragt sich schon, warum etwa ein Bischof von Winchester dem Kardinalskollegium 800 Mark Sterling versprechen sollte, zumal dies genau der Summe entspricht, die ein Bischof von Winchester unter Johannes XXII. anlässlich seiner Konsekration dem Kardinalskollegium zahlen musste. Weitere Kapitel folgen Albertus‘ Tätigkeit an der Kurie in Rom, wo er auch ein Kanonikat an der Peterskirche in Besitz nehmen konnte.

Teil B der Arbeit über den Magister Sinitius, der als Skriptor, Kollektor und Kammerkleriker in päpstlichen Diensten stand, folgt demselben Muster. Er bringt eine mit allergrößter Akribie zusammengetragene Menge an Informationen zur Zielperson, die in den Fußnoten erschöpfend wiedergegeben werden. Es stellt sich die Frage nach dem Mehrwert dieser Zitierpraxis insbesondere dort, wo gedruckte und damit dem Interessierten problemlos zugängliche Quellen abgeschrieben werden. Der aufgeblähte Anmerkungsapparat bedrängt den Haupttext vielerorts. So beginnt etwa Seite 148 direkt mit dem Fußnotenstrich und der Fortsetzung von Fußnote 196, die sich dann noch bis Seite 149 weiterzieht, dort aber vom Gewicht des Haupttextes wieder in die untere Hälfte der Seite zurückgedrängt werden kann.

Teil C versteht sich als systematische Darstellung zu den nuntii im Untersuchungszeitraum und befasst sich am Beispiel der beiden traktierten Kurialen vornehmlich mit Umfang und Rolle ihrer familiae sowie ihrem diplomatischen Status, der in der älteren Forschung oft genug auf den eines ‚lebendigen Briefes‘ reduziert worden ist. Dieser Teil ist zweifelsohne der interessanteste des Werkes, der die Kurienforschung über Albertus und Sinitius hinaus bereichern kann. Leider sind neuere, für das Thema unverzichtbare Arbeiten, etwa von Andreas Rehberg, Andreas Fischer und Ralf Lützelschwab, vor der Drucklegung nicht mehr eingearbeitet worden, so dass das Buch stellenweise wie aus der Zeit gefallen erscheint. Auch dieser Teil bietet eine Unzahl von Informationen, Namen und Ereignissen, die von den systematischen Ergebnissen der Untersuchung häufig ablenken. Auch künftig zu beachten sind dagegen Reinkes Ergebnisse zum diplomatischen Status der nuntii, die weit mehr waren als nur Sprachrohre ihres Auftraggebers. Auch seine Erkenntnisse zur Zusammenstellung, Größe und Versorgung ihres Gefolges während ihrer Reisen verdienen Aufmerksamkeit. Hier erntet Reinke die Früchte seiner Arbeit, auch wenn es durchaus nahegelegen hätte, andere Arbeiten zur zeitgenössischen Diplomatie und zum Botenwesen vergleichend heranzuziehen.

Der Anhang des Werkes vermittelt in seiner Disparatheit den Eindruck, dass hier anderenfalls verlorenes Material zugänglich gemacht werden sollte. Es finden sich Listen ausgewählter nuntii und ihrer Begleitpersonen, die auch Informationen zur Größe des Gefolges sowie zu seiner Finanzierung enthalten. Die umfängliche, aus unedierten Quellen gearbeitete Liste der Peterskanoniker in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hätte damals einen prominenteren Publikationsort verdient gehabt. Heute findet sich das Material bereits in der Arbeit von Jochen Johrendt über das Kapitel von St. Peter im Vatikan.1 Der Dokumentenanhang bringt unediertes Urkundenmaterial, zum Teil in kritischer Edition. Das Buch wird dankenswerterweise durch ein Register erschlossen, das neben den Personen auch Orte und wenige zentrale Begriffe enthält.

Insgesamt lässt das Buch den Leser etwas ratlos zurück. Hier wurde langjährige, intensive Arbeit geleistet, deren Wirkung aber durch die Aufbereitung verschenkt wurde. Es wäre Mut zu Reduktion und Synthese gefragt gewesen sowie ein sorgfältiges Lektorat, dem die Lesbarkeit und die Eliminierung von Tipp- und Flüchtigkeitsfehlern ein Anliegen gewesen wäre. Dem Eingeweihten bietet Reinke vielfältige interessante und auch anschlussfähige, weiterführende Beobachtungen, die freilich dem Text abgerungen werden wollen. Dem Uneingeweihten bleibt sein Werk ein undurchdringliches Labyrinth.

Anmerkung:
1 Jochen Johrendt, Die Diener des Apostelfürsten. Das Kapitel von St. Peter im Vatikan (11.–13. Jahrhundert), Berlin/New York 2011.