O. Depenheuer u.a. (Hrsg.): Einheit – Eigentum – Effizienz

Cover
Titel
Einheit – Eigentum – Effizienz. Bilanz der Treuhandanstalt. Gedächtnisschrift zum 20. Todestag von Dr. Detlev Karsten Rohwedder


Herausgeber
Depenheuer, Otto; Paqué, Karl-Heinz
Reihe
Bibliothek des Eigentums 9
Erschienen
Berlin 2012: Springer Gabler
Anzahl Seiten
VIII, 214 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 89,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus Böick, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Ein verführerisches Gedankenexperiment drängt sich bei der Besprechung dieses Sammelbandes, der auf eine repräsentative Gedenkveranstaltung aus Anlass des 20. Todestags von Detlev Rohwedder am 1. April 2011 zurückgeht, geradezu auf. Hätten die honorigen Teilnehmer sich im Datum geirrt und sich nicht im Europa-Saal des Bundesfinanzministeriums eingefunden, sondern wären einen Tag später zu einer Veranstaltung zur Geschichte der Treuhandanstalt nach Berlin gereist – sie hätten dort nicht den Juristen Otto Depenheuer von einem „brillante[n] Bravourstück deutscher Verwaltungskompetenz“ (S. 121) oder den Volkswirt Michael Burda von einem „Riesenerfolg“ (S. 97) schwärmen gehört. Es wäre vielmehr die Rede gewesen von einer „Privatisierungsorgie“ mit „ruinösen Folgen“, vollführt durch ein willfähriges „Instrument“ der „herrschenden politischen Klasse“ im Interesse des „westdeutschen Großkapitals“ – um nur einige der kritischen Bewertungen anzudeuten, die bei einer Berliner Tagung altgedienter ostdeutscher Sozialisten und Betriebsräte zur Sprache kamen und deren Ergebnisse ebenfalls kürzlich publiziert wurden.1

Den von dem Staatsrechtler Otto Depenheuer und dem Volkswirt Karl-Heinz Paqué herausgegebenen Sammelband eröffnen nicht die Wissenschaftler, sondern eine bemerkenswerte Riege prominenter Zeitzeugen: Der heutige Bundesfinanz- und frühere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble würdigt den ermordeten Treuhandpräsidenten Rohwedder als „große[n] Patrioten“ (S. 3); Schäubles Amtsvorgänger Theo Waigel gesteht ein, dass er „zeitweilig nichts dagegen gehabt“ hätte, wenn die missvergnügliche Rechts- und Fachaufsicht über die Treuhandanstalt beim Bundeswirtschaftsminister gelegen hätte – wovon er allerdings vernunftgemäß doch Abstand genommen habe: „Wenn es da drüben landet, wird es noch teurer.“ (S. 18)

Der einstige Vorsitzende der SPD-Volkskammerfraktion Richard Schröder übt sich in einer launigen Philippika auf die Treuhand-Kritiker, deren Wehklagen über den kapitalistischen „Ausverkauf“ des industriellen „Volksvermögens“ er mit einem DDR-Witz von einer ehrfurchtsvoll staunenden japanischen Delegation im Ostberlin der 1980er-Jahre zu entlarven sucht: „Herrlich, diese Museen: Pergamon, Pentagon [!], Robotron“ (S. 13). In bewährter Manier2 verwahrt sich Schröder gegen die „schlampige Nörgelei“ der zahlreichen Kritiker und betont, dass „auch der Freiheitsbaum […] Schatten“ geworfen habe; indes: „Nicht die Treuhand, sondern die Maueröffnung hat große Teile der DDR-Wirtschaft ruiniert“ (S. 15). Der Beitrag des Hamburger Wirtschaftsprüfers und Rohwedder-Vertrauten Otto Gellert ist eine fast hymnische Gedenkrede auf den ermordeten Treuhandpräsidenten, der Gellert seinerzeit in den Verwaltungsrat geholt hatte. Er deutet die Vielschichtigkeit des Rohwedderschen Lebenswegs im Spannungsfeld von Politik und Wirtschaft an: Als (öl-)krisenmanagender Wirtschaftsstaatssekretär in den 1970er-Jahren, als energischer Vorstandsvorsitzender des angeschlagenen Dortmunder Hoesch-Konzerns in den 1980er-Jahren sowie als zupackend-patriotischer Treuhandchef beim Wirtschaftsumbau Ost 1990/91.

Als originelles Herzstück des Sammelbands kann das Protokoll einer von Karen Horn moderierten Podiumsdiskussion gelten, die neben Gellert die Rohwedder-Nachfolgerin Birgit Breuel, den einstigen Chef des Treuhand-Verwaltungsrats Jens Odewald sowie den früheren Staatssekretär Johannes Ludewig zusammenbrachte. Die versammelten Zeitzeugen rekapitulieren anhand farbiger Anekdoten aus ihrer jeweils eigenen Perspektive die dicht gedrängten Geschehnisse, berichten von subjektiven Erwartungen und Erfahrungen, abenteuerlichen Arbeitsbedingen, aber auch immer wieder von Unsicherheiten, Konflikten, Widersprüchen und Missverständnissen in der Alltagspraxis, fernab der ökonomischen wie politischen Großkontroversen. Birgit Breuel versucht, den punktuellen Erzählstil mit der intensiv erlebten „Gleichzeitigkeit“ zu begründen: „Es ist ja alles parallel und gleichzeitig gelaufen, in ganz kurzer Zeit und deswegen ist es so schwer, daraus eine lange Geschichte zu machen.“ (S. 42)

Waren die bisherigen Passagen zeitgenössischen Selbstvergewisserungen vorbehalten, betreten nun die Wirtschaftswissenschaftler das Parkett. Herausgeber Paqué3 setzt dabei den Grundton, indem er eine Anwendung „moderne[r] Methoden der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse“ zur Demaskierung polemischer Kritik als „nationale Aufgabe“ (S. 57) deklariert. Lutz Bellmann und Hans-Dieter Gerner nehmen eine ökonometrische Analyse zur (positiven) Entwicklung früherer Treuhand-Betriebe nach dem Jahr 2000 vor; Bernd Lucke rekapituliert die Ergebnisse einer statistischen Analyse von Treuhand-Verträgen, um so die Sinnhaftigkeit der den Investoren gewährten Kaufpreisnachlässe im Austausch für Arbeitsplatz- oder Investitionszusagen (eher positiv) beurteilen zu können. Michael Burda stellt die „makroökonomischen Zwänge“ der Treuhandpolitik heraus und konstatiert die Alternativlosigkeit des Handelns der wesentlichen Akteure. Mit persönlichen Eindrücken – einem Besuch bei Carl Zeiss in Jena im Frühjahr 1990 – illustriert Burda seinen zeitgenössischen Eindruck, dass sich die ostdeutsche Industrie in ein tiefes „Tal der Tränen“ (S. 83) hineinbewegen musste. Die schwierige, von der Treuhand schleunigst zu meisternde Erblast der Zentralplanwirtschaft deutet er als „ultimative Rache von Marx“ (S. 87) am Kapitalismus: Der postsozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftsumbau in den neuen Ländern habe mittelfristig nachhaltige Wandlungsprozesse in der scheinbar saturierten Altbundesrepublik angeschoben, wie Burda mit Verweis auf die rot-grünen Agenda-Reformen zeigt.

Der Ökonomen-Riege schließen sich Jurisprudenz und Politikwissenschaft an. Zunächst entfaltet Otto Depenheuer anhand des Eigentumsbegriffs ein fast triumphalistisches Geschichtspanorama: Ein 150-jähriger „Weltbürgerkrieg“ um privat- oder gemeinwirtschaftliche Eigentumsformen sei 1989/90 mit dem „blamablen Zusammenbruch“ des Realsozialismus endgültig entschieden worden. An dessen Ende hätten alternativlos die „politische Renaissance und [der] ökonomische Triumph des Privateigentums“ gestanden, dem die Treuhand als „zentraler Agent“ zum finalen Durchbruch verholfen habe: „Die historische Dimension dieser Aufgabe und ihrer Bewältigung kann kaum hoch genug veranschlagt werden“ (S. 118). Um eine differenzierte Einordnung aus politikwissenschaftlicher Perspektive ist Roland Czada bemüht, der hier Quintessenzen seiner langjährigen Forschungen präsentiert4: Insbesondere die schrittweise Einbettung der Treuhandanstalt in „die Koordinations- und Kooperationsnetzwerke an der Schnittstelle von Staat und Wirtschaft“ offenbare „einen letzten Triumph des ‚rheinischen Kapitalismus‘ und der korporatistisch verflochtenen ‚Deutschland AG‘“ (S. 137). Die Treuhand habe, so Czadas bedenkenswerte Pointe, nicht nur die realsozialistische Zentralplanwirtschaft abgewickelt, sondern gleichzeitig auch die ohnehin porösen Fundamente der altbundesrepublikanischen Wirtschaftsordnung weiter erodieren lassen. Der Jurist und Kriminologe Klaus Boers rückt die oft skandalisierte Wirtschaftskriminalität im Massenprivatisierungsgeschäft in den Fokus5 und argumentiert, dass diese „im Kern nicht umbruchs- oder gar DDR-typisch“ gewesen sei; Akteure und Praktiken eigneten sich vielmehr für eine fallbezogene Analyse der für „marktwirtschaftliche Gesellschaften strukturtypische[n] Bedingungen“ (S. 148) wirtschaftskrimineller Aktivitäten.

Die heterogenen Teile des Sammelbandes fügen sich nur schwerlich zu einem kohärenten Gesamtbild. Die verschiedenen Beiträge oszillieren vielmehr unentschlossen wie unverbunden zwischen zeitzeugenschaftlicher Selbstvergewisserung und historischer Aufarbeitung – bezeichnenderweise ohne jede Beteiligung der Historikerzunft. Einige Beiträger sind redlich darum bemüht, wie in der Einleitung gefordert, eine „Bilanz“ zu ziehen und die „Polemik hinter sich“ zu lassen, um „eine nüchterne Bestandsaufnahme des Erreichten“ vorzulegen (S. V). Demgegenüber prägen heroisierendes Gedenken an den „Märtyrer“ Detlev Rohwedder, eine bisweilen teleologisch-systemkämpferisch eingefärbte Würdigung der Treuhandanstalt sowie die fast wagenburghafte Verteidigung ihrer Errungenschaften gegen den vielstimmigen Kritikerchor bisweilen den Grundtenor.

Obwohl zahlreiche Beiträge und nicht zuletzt auch die Zeitzeugen selbst beständig ihre irritierend weitläufigen Handlungs- und Gestaltungsspielräume während der Transformationszeit auf der Mikroebene unterstreichen, verharren die dezidiert wissenschaftlichen Beiträge eher auf einer institutionell-abstrakten Makroebene und diagnostizieren dabei allerorten Alternativlosigkeiten. Ob bei der Erforschung von politischen Netzwerkstrukturen, makroökonomischen Kontexten oder statistischen Korrelationen: Wie im Vogelflug blicken die Treuhandforscher aus großer Distanz über das unübersichtliche Terrain. Eine Ahnung von der widersprüchlichen Alltagspraxis des Privatisierungsgeschäfts sowie ihrer Reflexion und Deutung im Kleinen vermittelt dabei noch am ehesten die facettenreiche Zeitzeugenrunde, die allerdings ohne jede weitergehende Kontextualisierung der präsentierten Erzählungen geblieben ist. Daneben sind vor allem diejenigen Beiträge anregend, die die vielfältigen wie ambivalenten Wechselbeziehungen zwischen alten und neuen Ländern während der Transformationszeit herausarbeiten. Gerade sie verdeutlichen: Die nach wie vor stark umkämpfte Geschichte des postsozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsumbaus ist mitnichten bloße ostdeutsche „Regionalgeschichte“.

Ob der erbitterte Glaubensstreit zwischen Verteidigern und Kritikern um Erfolg oder Misserfolg von Treuhandanstalt und Wirtschaftsumbau 2013 in eine neue Runde geht, darf allerdings bezweifelt werden. Das wohlgeübte Aneinander-vorbei-Reden und gegenseitige Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen wird in diesem Falle nicht zuletzt materiell erleichtert: Erschienen in der „Bibliothek des Eigentums“, erweist sich der nicht einmal 200-seitige Sammelband zu einem fürstlichen Preis von 90 Euro als recht umfängliches Investment; hier ist die eingangs erwähnte, klassenkämpferische Deutungskonkurrenz nicht nur um genau einen Tag frischer, sondern auch deutlich erschwinglicher.

Anmerkungen:
1 Ulla Plener (Hrsg.), Die Treuhandanstalt – der Widerstand in Betrieben der DDR – die Gewerkschaften (1990–1994). Tagung vom 2. April 2011 in Berlin. Beträge und Dokumente, Berlin 2011, S. 8 u. 17f.
2 Richard Schröder, Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit, Freiburg 2007.
3 Vgl. Karl-Heinz Paqué, Die Bilanz. Eine wirtschaftliche Analyse der Deutschen Einheit, München 2009.
4 Roland Czada / Gerhard Lehmbruch (Hrsg.), Transformationspfade in Ostdeutschland. Beiträge zur sektoralen Vereinigungspolitik, Frankfurt am Main 1998.
5 Klaus Boers / Ursula Nelles / Hans Thiele (Hrsg.), Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, Baden-Baden 2010.

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