R. Stöber: Neue Medien. Geschichte. Von Gutenberg bis Apple und Google

Cover
Titel
Neue Medien. Geschichte. Von Gutenberg bis Apple und Google – Medieninnovation und Evolution


Autor(en)
Stöber, Rudolf
Reihe
Presse und Geschichte – Neue Beiträge 72
Erschienen
Bremen 2013: Edition Lumière
Anzahl Seiten
498 S., zahlr. Abb.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Bösch, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

Wie entstehen neue Medien? Einige prominente Medienwissenschaftler gehen von revolutionären Umbrüchen aus, bei denen neue Medientechniken schlagartig die Welt veränderten. Insbesondere Friedrich Kittler betonte dabei die Entwicklung von Medien aus Kriegstechniken, die sich anschließend ins zivile Leben einschreiben würden. Dagegen traten andere, wie der Bamberger Kommunikationswissenschaftler Rudolf Stöber, für ein „evolutionstheoretisches Modell“ ein. Stöber zählt dabei neben Jürgen Wilke sicher zu den besten historischen Kennern seines Faches. Nach seinen Qualifikationsarbeiten zu Presseverbänden der Weimarer Republik und zur öffentlichen Stimmung 1866 bis 1945 ist er bereits mit zahlreichen medienhistorischen Überblicksdarstellungen hervorgetreten, die auch das Konzept der Medienevolution stark machten.1

Sein neuestes Buch kompiliert, systematisiert und erweitert seine vorherigen Gesamtdarstellungen mit diesem Ansatz. Er fasst die mediale Evolution dabei in Analogie zur biologischen als einen offenen Prozess, der durch innere und äußere Faktoren zu einer Ausdifferenzierung der Medien führe (S. 36f.). Dies verbindet Stöber mit Ansätzen der Diffusionstheorie, um Muster der Verbreitung des „Neuen“ zu fassen. Dieser Fokus schlägt sich direkt in der Gliederung des Buches nieder. Im Unterschied zu seinen früheren und zu anderen mediengeschichtlichen Studien stellt er Aspekte des Aufkommens jedes einzelnen Mediums systematisch dar, wie ihre Erfindung, Bezeichnung und Verbreitung sowie ihre Ausdifferenzierung, Erfolgsbedingungen und Wirkungen.2 Dabei konzentriert sich Stöber wie andere Kommunikationswissenschaftler auf die Massenmedien, also die Presse, Film, Radio, Fernsehen und Computer bzw. das Internet, verbunden mit Seitenblicken auf Telegraphie und Telefon.

Stöbers Vorgehen ist originell und bietet zahlreiche Vorteile. Die Massenmedien werden so vergleichend nebeneinander behandelt, wobei die Genese jedes einzelnen Mediums faktenreich präsentiert wird. Stöbers Kenntnisse und seine Datensammlung sind beeindruckend. Der Text versammelt zahllose anschauliche Beispiele und Fakten mit technischen, ökonomischen und akteursbezogenen Details. So findet man die zwei Versionen des Morse-Alphabets komplett abgedruckt, die Größe und das Gewicht des Sputniks von 1957 oder Angaben zum Wikipedia-Eintrag des PDS-Politikers Uwe Hiksch 2006. Den Lesefluss fördern die Einzelbeispiele sicherlich nicht, da das Buch so eher den Charakter eines Nachschlagewerks erhält, bei dem vieles kurz aufblitzt. Hilfreich sind die zahlreichen Tabellen, die vor allem die Verbreitung von Einzelmedien dokumentieren, ebenso ihre finanzielle Seite. Weil innerhalb der Systematik die Medien jeweils einzeln behandelt werden, fällt die vergleichende Ergebnisbildung leider relativ knapp aus. Da Stöber beim Aufkommen von neuen Medien stark die Perspektive auf die Erfinder und Techniken ausrichtet, bleiben zudem die gesellschaftsgeschichtlichen Perspektiven etwas blass.

Reflektiert und zugleich wesentlich allgemeiner gehalten ist sein ausführliches Fazit. Neue Medien entständen, so bilanziert er, aus der Unzufriedenheit mit alten Medien und spezifischen Bedürfnissen. Weniger der Krieg als breitere kulturelle Voraussetzungen seien für den Erfolg entscheidend. Die Medienevolution führe zu einer Binnendifferenzierung und verdränge alte Medien in neue Funktionsnischen, die ihr Überleben sichern, aber ihre öffentliche Aufmerksamkeit mindern würden. Damit entfalten neue Medien vor allem eine Wirkung auf alte Medien. Medien können sich zudem dann durchsetzen, wenn sich mit ihnen Geld verdienen lasse. Eher unspezifisch bleiben die Erkenntnisse aus seinem Diffusionsansatz: Teuren, unzuverlässigen Erfindungen folgen billige, kommerzielle Medien, die staatlich reguliert werden, und schließlich alltagstaugliche Komplettlösungen von Großfirmen.

Unverständlich ist, warum Stöber kaum andere Forschungen zum Medienwandel einbezieht und genauer diskutiert. Selbst klassische Texte von Marshall McLuhan oder medienwissenschaftliche Entwicklungsmodelle wie von Marshall T. Poe schafften es nicht einmal ins Literaturverzeichnis.3 Stöbers Bilanz regt dennoch zum Weiterdenken an. Ein Evolutionsansatz könnte etwa systematischer auf gescheiterte Medien blicken, die sich nicht durchsetzen. Auf diese Weise ließen sich gesellschaftliche Bedürfnisse, Marktlogiken oder auch politische Vorgaben genauer klären. Wer eine knappe Einführung in die Mediengeschichte von Rudolf Stöber sucht, der ist jedoch weiterhin besser mit seinen vorherigen Bänden bedient, die über weite Teile nahezu identische Kapitel in einer anderen Anordnung aufweisen. Als Debattenbeitrag ist vor allem sein Fazit anregend, wenngleich auch dies demjenigen des Vorgängerbuches ähnelt.4

Anmerkungen:
1 Vgl. Rudolf Stöber, Mediengeschichte. Die Evolution neuer Medien von Gutenberg bis Gates (Studienbücher zur Kommunikations- und Medienwissenschaft), 2 Bde., Opladen2003; vgl. die Rezension von Werner Faulstich, in: H-Soz-Kult, 26.06.2004, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-4626> (15.10.2014); ders. Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 3., überarbeitete Auflage, Konstanz 2014 (1. Auflage 2000).
2 Diachron dagegen: Frank Bösch, Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt am Main 2011; Jürgen Wilke, Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1999; vgl. die Rezension von Clemens Zimmermann: Rezension zu: Bösch, Frank: Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen. Frankfurt am Main 2011, in: H-Soz-Kult, 07.07.2011, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-16769> (15.10.2014).
3 Marshall T. Poe, A History of Communication Media and Society from the Evolution of Speech to the Internet, Cambridge 2010; vgl. die Rezension von Andreas Hepp, in: H-Soz-Kult, 27.04.2012, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-17111>. (15.10.2014).
4 Stöber, Mediengeschichte, Bd. 2, S. 207–262.

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