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Titel
Shaping Europe. France, Germany, and Embedded Bilateralism from the Elysee Treaty to Twenty-First Century Politics


Autor(en)
Krotz, Ulrich; Schild, Joachim
Erschienen
Anzahl Seiten
340 S.
Preis
€ 72,68
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lappenküper, Otto-von-Bismarck-Stiftung, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Mit beeindruckenden Veranstaltungen und Reden haben die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs am 22. Januar 2013 des 50. Jahrestages der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags gedacht. Dass auch die Wissenschaft dies- und jenseits des Rheins das Jubiläum nicht unbeachtet verstreichen lassen würde, war spätestens im Frühjahr 2012 klar, als die ersten Konferenzen und Publikationen angekündigt wurden.1 Wenn Ulrich Krotz und Joachim Schild sich nun zugutehalten, den Wettlauf um „the first full analysis of the bilateral Franco-German order, its institutional shape, organization, expansion and consolidation, and evolution“ seit dem Abschluss des Freundschaftsabkommens 1963 gewonnen zu haben (S. 1), so entspricht das nur bedingt der Wahrheit; denn diese Ehre gebührt im Grunde Hélène Miard-Delacroix bzw. Corine Defrance und Ulrich Pfeil.2 Das Verdienst des Buches von Krotz und Schild liegt vielmehr darin, dass es die „interrelated reality of Franco-German bilateralism and multilateral European integration“ der vergangenen fünfzig Jahre mit einem dezidiert politikwissenschaftlichen Forschungsansatz analysiert (S. 1).

Im Kern geht es den beiden Autoren um die Frage, warum Frankreich und Deutschland trotz tiefgreifender sozio-politischer Unterschiede seit einem halben Jahrhundert eng miteinander zu kooperieren und die europäische Politik maßgeblich zu prägen vermögen. Zur Beantwortung bedienen sie sich des von ihnen entwickelten Konstrukts des „embedded bilateralism“, das sowohl die institutionell und normativ unterfütterte zwischenstaatliche Beziehung als auch die Verbindung zwischen der bilateralen und der multilateral-europäischen Politik erfasst. Nach einem einführenden Kapitel über den theoretischen Rahmen untersuchen Krotz und Schild im ersten Teil ihrer Studie zunächst die Zusammenarbeit des deutsch-französischen „couple“ seit 1963 auf drei Ebenen: „regularized intergovernmentalism, predominantly symbolic acts and practices, and parapublic underpinnings“ (S. 49). Dank des „regularized intergovernmentalism“ seien beide Regierungen seit der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags in der Lage gewesen, Interessengegensätze und Konflikte zwar nicht per se zu vermeiden, wohl aber zu beheben oder zumindest zu kanalisieren. Mit Hilfe symbolischer Akte hätten sie seit den Zeiten Adenauers und de Gaulles dem beiderseitigen Verhältnis eine geschichtspolitische Tiefendimension verliehen. „Parapublic underpinnings“ wie Austauschmaßnahmen, Städtepartnerschaften, bilaterale Vereinigungen, Institutionen und Medien hätten zu einer zivilgesellschaftlichen Verankerung der Verständigung beigetragen. Ungeachtet aller „bouts of friction, irritations, and occasional quarrels“, so das Zwischenfazit der Verfasser, seien Deutschland und Frankreich aufgrund dieser drei Konzepte in der Lage gewesen, „to hang together in a certain way amidst and in spite of all kinds of transformation“ (S. 236).

Im zweiten, die europäische Ebene behandelnden Teil beleuchten Krotz und Schild sodann die deutsch-französische Rolle in Bezug auf die fundamentalen Normen, den institutionellen Rahmen und zentrale Felder der europäischen Politik. Überzeugend weisen sie nach, wie die beiden Nachbarn auf manchem ‚Acker‘ gemeinsam als Motor fungierten, etwa in der Debatte über die Vertiefung der Europäischen Gemeinschaft oder über die Währungsintegration. Nicht als Tandem, wohl aber als „key players“ (S. 155) agierten Deutschland und Frankreich in den verschiedenen Erweiterungsrunden der Europäischen Gemeinschaft. Demgegenüber gehörten die Binnenmarktpolitik und die Außen- und Sicherheitspolitik dem Urteil der Autoren zufolge nicht in den Bereich deutsch-französischer Führungsarbeit. Verantwortlich für die so unterschiedlich ausfallende Einflussnahme der Nachbarn zeichneten laut Krotz und Schild „different combinations of a limited number of factors located at the bilateral, domestic, regional European, and international levels“ (S. 238). Wenngleich sich an diesem Befund auch in Zukunft nicht viel ändern dürfte, gibt es ihres Erachtens zur Fortsetzung des „Franco-German ‚embedded bilateralism‘“ keine Alternative (S. 243); es sei denn, man wünschte eine deutsche Hegemonie oder die Desintegration bzw. Degeneration des europäischen Einigungsprojekts.

Durch die kompakte Verdichtung der Themenstränge auf nur 230 Seiten und die Konzentration auf die Zeit nach 1963 bleibt mancher Aspekt der deutsch-französischen Zusammenarbeit, etwa die Ost- oder die Entwicklungspolitik, unterbelichtet. Ferner hätte sich der Leser an der einen oder anderen Stelle mehr historische Tiefenschärfe gewünscht. Bedauerlich ist auch, dass die Autoren die Literatur der Jahre 2011 und 2012 nur selektiv ausgewertet haben.3 Doch trotz dieser Ausstellungen kann kein Zweifel bestehen, dass Krotz und Schild den selbst gesetzten Anspruch, „new light on the functioning of the EU’s system at a given moment in time“ zu werfen (S. 11), voll einlösen.

Anmerkungen:
1 Jörn Leonhard (Hrsg.), Vergleich und Verflechtung. Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert, Berlin 2013; Reiner Marcowitz / Hélène Miard-Delacroix (Hrsg.), 50 ans de relations franco-allemandes, Paris 2012.
2 Hélène Miard-Delacroix, Im Zeichen der europäischen Einigung. 1963 bis in die Gegenwart, Darmstadt 2011; Corine Defrance / Ulrich Pfeil (Hrsg.), La France, l’Allemagne et le traité de l’Elysée 1963–2013, Paris 2012.
3 Neben den in Anmerkung 2 genannten Arbeiten blieben etwa unberücksichtigt: Corine Defrance / Ulrich Pfeil, Eine Nachkriegsgeschichte in Europa 1945 bis 1963, Darmstadt 2011; Ulrich Lappenküper, Mitterrand und Deutschland. Die enträtselte Sphinx, München 2011.

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