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Titel
Kulturerbe. Eine Einführung


Autor(en)
Tauschek, Markus
Erschienen
Anzahl Seiten
212 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Sabine Eggmann, Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde (SGV), Basel

„Kulturerbe ist heute ein viel diskutiertes Thema: Es ist Gegenstand internationaler Kulturpolitik. Es wird als Werbeargument für den Tourismus genutzt. Und es ist Ausdruck unseres Umgangs mit Geschichte. Wie aber wird aus Dingen, Räumen und Traditionen kulturelles Erbe?“ So pointiert und leicht verständlich formuliert der Klappentext das Thema und Erkenntnisinteresse von Markus Tauscheks Einführung in das Kulturerbe. So konzise die Formulierung, so komplex zeigt sich das Feld. Denn bei der Feststellung, dass das Kulturerbe aktuell überall ist, will Tauschek nicht stehen bleiben, sondern er will „die Gründe, Ausprägungen, Praktiken und Diskurse dieser Omnipräsenz verstehbar machen“ (S. 14). Dafür wählt er eine kulturanthropologische Perspektive, wie sie dem deutschsprachigen Vielnamensfach Volkskunde/Europäische Ethnologie/Kulturwissenschaft eigen ist, da gerade sie besonders prädestiniert scheint, der Komplexität des Phänomens gerecht zu werden. Mit dem Blick auf die handelnden Akteure, die Materialität des Felds, die semantischen Mit- und Vorläufer des „Kulturerbes“ und die ökonomischen Bedingtheiten rückt eine Vielzahl von Aspekten in den Fokus, die die Multidimensionalität des Phänomens auszuleuchten helfen.

Diese Multidimensionalität und Vielfältigkeit des Kulturerbe-Felds zeigt der Aufriss, den Tauschek im Einführungskapitel skizziert. In einem kurzen tour d’horizon werden die Bereiche den Leserinnen und Lesern vor Augen geführt, die das Feld charakterisieren. Von der „visuellen Markierung kulturellen Erbes“ (S. 14–17) über die „Materialität kulturellen Erbes“ (S. 17–19) oder das „Kulturerbe und Geschichtsdeutung“ (S. 19–20) bis hin zur „Perspektiverweiterung“ durch das „Immaterielle Erbe“ (S. 22–26) sind in kurzen Unterkapiteln, die sich wie einleitende Minikapitel der später weiter ausgeführten großen Kapitel lesen, die Themen des Buchs platziert. Bereits hier zeigen sich die Ausführungen gespickt mit konkreten Beispielen aus der ganzen Welt und der einschlägigen Literatur zum Thema. Das belegt nicht nur die Allgegenwärtigkeit der „Kulturerbe“-Phänomene sondern ebenso sehr den Kenntnisreichtum des Autors bezüglich seines präsentierten Felds.

Auf das einführende Kapitel folgen drei Kapitel, die sich im Sinne einer Genese der heutigen Kulturerbe-Regimes den Vorläufern und Vorformen der Kulturerbepraxen zuwenden. Mit dem Denkmal- und Heimatschutz (S. 32–53), dem Museum (S. 54–72) und der Geschichtskultur (S. 74–93) werden institutionelle Formate benannt, beschrieben und in ihrer Funktion als „Agenturen des Vererbens“ (S. 54) analysiert, die als wesentliche Akteure in dem historischen Prozess der Herausbildung der aktuellen „Kulturerbe-Regimes“ interpretiert werden können. Mit diesem Rück- und Einblick in verschiedene semantische und theoretische Felder, die an der gegenwärtigen Inwertsetzung von unterschiedlichen Dingen und Handlungen als „Kulturerbe“ mitbeteiligt waren, zeigt Tauschek die historische Tiefe des bereits zu Beginn des Buchs als vielschichtig ausgewiesenen Phänomens. Interessant an diesem Nachvollzug einer Genese des „Kulturerbes“ ist das Zusammendenken unterschiedlicher und oft voneinander getrennt behandelter Themenkomplexe wie der Denkmalkultur, des Museums und des kollektiven Erinnerns. Damit gelingt Tauschek die Skizzierung eines weitgehenden Zusammenhangs, der durchaus noch um zusätzliche Agenturen – wie zum Beispiel die Disziplin der Volkskunde oder Archive, die Tauschek beide kurz anspricht – ergänzt werden kann und der damit die historische und soziale Dimension des behandelten Komplexes „Kulturerbe“ eindrücklich vorführt.

Nach diesen drei Kapiteln wechselt Tauschek die Perspektive. Jetzt folgt in zwei Kapiteln die Präsentation der UNESCO (S. 94–115) und ihrer Produktion eines neuen „Schlüsselkonzepts“ des „Immateriellen“ (S. 116–138). Die UNESCO wird hier als Beispiel für die (wiederum auch historisch sich entwickelnde) Herstellung von kultureller Bedeutsamkeit qua „Kulturerbe“ thematisiert. Dieser Perspektivwechsel bringt einen gewissen Bruch zum Vorherigen mit sich, der hätte vermieden werden können: Auch die UNESCO gebärdet sich als (mächtige) Agentur, die in die Fußstapfen der vor ihr genannten Agenturen tritt.

Effekte dieser Inwertsetzung spezifischer Objekte und Praktiken als „Kulturerbe“ sind sowohl die Diskussion um das kulturelle Erbe als Eigentum (S. 139–161) wie auch die Verwertung von „Kulturerbe als touristische Destination“ (S. 162–179), die Tauschek in zwei eigenen Kapiteln nachzeichnet und differenziert kommentiert. Man hätte sich hier den strukturellen Perspektivenwechsel im Buch von den verschiedenen Agenturen hin zu den Verdinglichungen und der Konsumption von „Kulturerbe“ vorstellen können. Damit wären die jetzt ohne Hierarchie nebeneinander gestellten Kapitel inhaltlich noch stärker miteinander verknüpft worden.

In seinem Schlusskapitel verweist Tauschek auf die genuin politische Ausrichtung des Felds „Kulturerbe“ und damit konsequenterweise auch auf die das Feld kritisch in den Blick nehmenden „Critical Heritage Studies“ (S. 181–185). Gleich darauf folgt zum Ausblick ein Bündel an konkreten, neuen Forschungsfragen und -perspektiven, die das Feld sowohl in seiner komplexen Profilierung sichtbar als auch gleichzeitig hinsichtlich seiner unterschiedlichen Implikationen dekonstruierbar machen (S. 185–188). So schließt Tauschek den Bogen seiner Überlegungen ab, indem er gleichzeitig den Horizont kulturwissenschaftlicher Bemühungen wieder aufreißt und diese als dezidiert politisches Statement positioniert.

Das Buch geht in seiner Ausführung deutlich über ein einleitendes Handbuch hinaus, indem die vorgestellten Ansätze nicht nur kommentiert und kritisch eingeordnet, sondern durch die Auswahl der behandelten Themenkomplexe auch neue Zusammenhänge angedacht und anschaulich gemacht werden. Zudem ist die Darstellung sehr dicht und komplex gestaltet, was die Lektüre – auch für „eingeweihte“ Leserinnen und Leser – anspruchsvoll macht. Pro (Unter-)Kapitel diskutiert Tauschek in rascher Folge unterschiedliche Argumentationen, die er gleichzeitig zum Komplex „Kulturerbe“ verbindet. Der rote Faden – wie ganz verschiedene Phänomene als „Kulturerbe“ in Wert gesetzt werden – bleibt dabei immer sichtbar, wenn auch manchmal etwas dünn. Tauschek hätte sich durchaus mehr Platz und Zeit für die Entwicklung der verschiedenen Stränge, die das Feld strukturieren, gönnen dürfen. Möglicherweise geht diese Kritik aber eher an die Adresse des Verlags, der ein vom Autor einzuhaltendes Format vorgegeben und durchgesetzt hat.

Aufgrund der Dichte ist das Buch konsequent eher für solche Leserinnen und Leser geeignet, die sich bereits Kenntnisse über das Feld angeeignet haben und eine Synthese des Bisherigen rezipieren bzw. auch darüber hinausgehen wollen. Tauscheks Einführung sowie das – im Text verarbeitete – ausgesprochen breite Literaturverzeichnis bietet so einen reichen Fundus für all diejenigen, die auf dem Gebiet des „Kulturerbes“ weiter forschen wollen.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/