A. Hannig u.a. (Hrsg.): Die Familie Hohenlohe

Titel
Die Familie Hohenlohe. Eine europäische Dynastie im 19. und 20. Jahrhundert


Herausgeber
Hannig, Alma; Winkelhofer-Thyri, Martina
Erschienen
Köln 2013: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
413 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Kleinehagenbrock, Würzburg

Alma Hannig und Martina Winkelhofer-Thyri haben die Idee zu diesem Sammelband entwickelt, als sie ihr wissenschaftliches Interesse an der Familie Hohenlohe in verschiedenen Archiven zusammenführte. Gemeinsam mit weiteren Forschern präsentieren sie insgesamt dreizehn biographische Studien von unterschiedlichen Vertretern des hochadeligen Hauses, die im 19. und 20. Jahrhundert lebten und wirkten. Diese Abhandlungen sind höchst unterschiedlich in Umfang und Qualität, was auch von der nicht immer günstigen Quellenüberlieferung sowie vom Vorhandensein oder Fehlen wissenschaftlicher (Vor-)Arbeiten zu den vorgestellten Personen abhängt. Naturgemäß können so nur einzelne Aspekte der Geschichte einer Adelsfamilie beleuchtet werden. Gleichwohl ist ein wunderbares Kompendium entstanden, das über die biographischen Zugänge hinaus in höchst anregender Form vorführt, wie sich ehedem reichsunmittelbare Grafen und Fürsten nach dem Ende des Alten Reiches in ihre jeweils neuen Situationen schickten und unter welchen Bedingungen sie ihre höchst unterschiedlichen Karrieren machen konnten.

Dabei sind sehr bekannte Vertreter des Hauses Hohenlohe wie der bayerische Ministerpräsident und Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der kenntnisreich und abwägend von Olav Zachau präsentiert wird, der österreichische Botschafter in Berlin zur Zeit des Ersten Weltkriegs, Prinz Gottfried zu Hohenlohe-Schillingsfürst, dessen Karriere von Alma Hannig sehr schön aus den Quellen herausgearbeitet und abwägend argumentierend vorgestellt wird, oder der oberschlesische Industrielle Fürst Christian Kraft zu Hohenlohe-Öhringen, dessen Bild eher blass bleibt und der nur ansatzweise wirtschafts- und sozialgeschichtlich kontextualisiert wird.

Aber auch weniger bekannte und für Unkundige durchaus überraschende Lebenswege werden nachgegangen. So jener des ersten deutschen NOK-Präsidenten Philipp Ernst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der für das Interesse des europäischen Hochadels am Sport steht und dessen nicht immer erfolgreiches tagespolitisches Agieren Karl Lennartz analysiert. Bemerkenswert ist auch der Vertreter einer katholischen Seitenlinie des Hauses Hohenlohe-Langenburg, Prinz Max Karl, der sich gegen den Nationalsozialismus positionierte und dafür 1943 in Stuttgart hingerichtet wurde. Peter Schiffer zeichnet sachlich und zugleich einfühlsam die Höhen und Tiefen seines kurzen Lebens nach, das Leben eines Künstlers und Schriftstellers, der wegen homosexueller Handlungen mit Minderjährigen inhaftiert war, und sich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs der französischen Fremdenlegion anschloss.

Deutlich wird, dass die Vertreter des Hochadels nach dem Ende des Alten Reiches sich genötigt sahen, die Veränderungen anzunehmen und durch geschickte Ausbildung, die Pflege eigener Netzwerke sowie das Streben nach neuen Handlungsspielräumen erfolgreich zu sein und die Familientradition zu wahren. Dies schloss eine klare Abgrenzung zu anderen, niederen sozialen Schichten ebenso ein wie einen höfisch-repräsentativen Lebensstil, dessen Finanzierung nicht immer vollständig gesichert war. Die Generation des Reichskanzlers steht besonders dafür. Während es ihm durch Beharrlichkeit und Geschick – durchaus anders als von der Nachwelt wahrgenommen – gelang, wichtige politische Akzente in den 1890er-Jahren zu setzen, konnte sein Bruder, der den in der protestantischen Erinnerungskultur so bedeutungsvollen Namen Gustav Adolf trug, als Geistlicher kaum nachhaltige Impulse geben. Ein Bischofsstuhl blieb ihm versagt, seine liberalen Haltungen ließen ihn trotz des Kardinaltitels zum kirchlichen Außenseiter werden. Carsten Schmalstieg gelingt es, die Widersprüche zwischen adeligem Repräsentationsbedürfnis, mäßigem professionellem Erfolg und relativer Einflusslosigkeit herauszustellen. Ein dritter Bruder, Constantin, organisierte versiert und mit Sinn für die Herausforderungen der Zeit den Wiener Hof, wie Martina Winkelhofer-Thyri eindrücklich aus den Quellen herausarbeitet, ohne von den Zeitgenossen dafür durchweg persönliche Anerkennung gefunden zu haben.

Nicht alle Lebensbilder können hier genannt werden. Die hier erfolgte häufige Nennung von Vertretern der Linie Hohenlohe-Schillingsfürst verzerrt freilich die weite Perspektive des Buches, in der unterschiedliche Familienzweige im Deutschen Bund, in Deutschen Reich, in Österreich-Ungarn, in Franken, Böhmen und Schlesien vorgestellt werden. Aber allein die drei genannten, zwischen 1819 und 1828 geborenen hohenlohe-schillingsfürstischen Brüder belegen, dass auch die Familie Hohenlohe Teil der gesamteuropäischen adeligen Familiennetzwerke war, die sich nur sehr langsam und niemals vollständig bis ins 20. Jahrhundert hinein den oftmals willkürlichen nationalen Grenzziehungen entzog und als Relikte vornationaler, mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Strukturen besonders dazu geeignet sind, die Probleme der nationalstaatlichen Epoche zwischen Napoleon und Kaltem Krieg zu verdeutlichen.

Die Herausgeberinnen haben ihrem Werk sinnvollerweise eine Karte und einen Stammbaum beigefügt; für jedes vorgestellte Mitglied des Hauses Hohenlohe ist eine Abbildung abgedruckt. Es hätte dem Band gutgetan, wenn er um eine problemorientierte Synthese ergänzt worden wäre, die der einleitende Überblicksaufsatz zur Familiengeschichte der Hohenlohe nicht leisten kann. Und da der Rezensent Frühneuzeithistoriker ist, mag die Anmerkung gestattet sein, dass über die Jahrhunderte vor 1800 durchaus versierter geschrieben werden könnte. Das aber macht darauf aufmerksam, dass der vorliegende Band zum Hause Hohenlohe Erweiterung und Nachahmung verdient. Gewiss sind älteren Vertretern des Geschlechts in Fischers nunmehr fast 150 Jahre alten Geschichte des Hauses Hohenlohe bereits Denkmäler gesetzt worden, die die Fragen von Forscherinnen und Forschern des 21. Jahrhunderts nicht befriedigend beantworten können. Im Hohenlohe-Zentralarchiv in Neuenstein, aus dessen reichhaltigen und gut verzeichneten Beständen viele Beiträge des Sammelbandes schöpfen, aber auch andernorts ist genügend Material vorhanden, diesen neuen Fragen nachzugehen.

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