F. Eder u.a. (Hrsg.): Bilder in historischen Diskursen

Cover
Titel
Bilder in historischen Diskursen.


Herausgeber
Eder, Franz X.; Kühschelm, Oliver; Linsboth, Christina
Reihe
Interdisziplinäre Diskursforschung
Erschienen
Wiesbaden 2014: Springer VS
Anzahl Seiten
X, 300 S., 78 Abb.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lucia Halder, Georg-Eckert-Institut. Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung, Braunschweig

Bilder haben einen wichtigen Anteil an den Möglichkeitsbedingungen des Sag- und Denkbaren, zugleich unterliegen sie aber auch den Grenzen des Zeigbaren. Auf dieser Annahme basiert der Sammelband über „Bilder in historischen Diskursen“. Die Herausgeber – allesamt Lehrende am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien – versammeln darin ausgewählte Beiträge der „3. Tagung zur internationalen Diskursforschung“.1 Das Buch ist in zwei Großkapitel gegliedert. Das erste Segment über „Bilder in Diskursen – Theorie und Methode“ legt mit einer Einleitung und drei Beiträgen das methodische Fundament für die im zweiten Abschnitt des Bandes folgenden Beispielanalysen. Acht Beiträge konkretisieren „Bild-Diskursanalysen“ in historischer Perspektive, wobei der Fokus überwiegend auf Materialien aus dem 19. und 20. Jahrhundert gerichtet ist.

In der Einleitung liefern Franz X. Eder und Oliver Kühschelm zunächst einen ausführlichen Forschungsüberblick von der Historischen Bildkunde bis zu den Visual Culture Studies. Die Herausgeber sehen ihre Arbeiten in Foucault’scher Tradition und wollen daher weniger die Frage nach der Bildbedeutung als vielmehr nach dem Bedeutungspotential stellen. Bildpraktiken stehen demzufolge im Mittelpunkt der Analysen. Auf Basis bisheriger Desiderata formulieren Eder und Kühschelm das Erkenntnisinteresse des Bandes: „Was muss eine historische Diskursanalyse leisten, die Bilder ernst nimmt?“ (S. 34) Sie soll, so die Antwort, in einer diachronen Perspektive zeigen, wie Aussagen in Bildern und Texten als miteinander verbundene Modi der Kommunikation zirkulieren und sich über verschiedene Medien verteilen. Ferner soll sie Schnittstellen zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken aufzeigen. Nicht zuletzt geht es darum, die Materialität und Dinglichkeit der Bilder zu berücksichtigen. In der Tat gibt es bisher wenige Ansätze zu einer Visuellen Diskursanalyse. Ausgehend von der Dekonstruktion des Sprichworts, dass ein Bild „mehr als tausend Worte“ sage, hatten Sabine Maasen, Torsten Mayerhauser und Cordula Renggli mit dem Sammelband „Bilder als Diskurse – Bilddiskurse“ bereits 2006 einen Diskussionsanstoß in dieser Richtung geliefert.2 Die dort formulierte Leitfrage, „wovon sich wer auf welche Weise zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort (k)ein Bild machen kann“ (ebd., S. 8), soll der vorliegende Band nun methodisch unterfüttern und an Beispielen erproben. So ist es nur folgerichtig, dass Cordula Renggli den neuen Sammelband mit einem Beitrag über „Diskursanalytisches Arbeiten mit Bildern“ einleitet. Anhand einer Sportfotografie dekliniert sie eine entsprechende Analyse durch – schematisiert, aber überzeugend. Renggli zeigt auf, dass eine solche Herangehensweise zu differenzierten Erkenntnissen führen kann, nennt jedoch zugleich die damit verbundenen Tücken. Auch Silke Betscher leistet einen wesentlichen Beitrag zur Methodenbildung. Im Aufsatz „Bildsprache. Möglichkeiten und Grenzen einer Visuellen Diskursanalyse“ fasst sie wesentliche Punkte ihrer mittlerweile erschienenen, außerordentlich lesenswerten Dissertation zusammen.3 Anhand von Fotografien aus west- und ostdeutschen Illustrierten der Jahre 1945–1949 ergründet sie systematisch die Regeln visueller Diskurse im beginnenden Kalten Krieg. Mit Claus Zittels Reflexionen über die Rolle von Bildern in historischen Diskursen der Philosophie – vornehmlich in den Arbeiten Foucaults – endet der theoretisch-methodische Teil des Sammelbandes.

Fehlt in der methodischen Einführung ein Verweis auf die Diversität von Bildern und Bildgattungen, so fällt bei den sich anschließenden acht exemplarischen Analysen zunächst die Vielfalt der untersuchten Bilder und Trägermedien positiv auf: Fotografien (Maren Röger), Zeichnungen (Christian Holtorf) oder Landkarten (Agnes Laba) in Illustrierten (Silke Betscher, Wendelin Brühwiler), Architekturtraktaten (Berthold Hub), auf Plakaten (Oliver Kühschelm) oder aus Gerichtsakten (Silvan Niedermeier) – die Beispiele sind vielfältig. Den Buchtitel „Bilder in historischen Diskursen“ haben die Herausgeber daher gut gewählt, denn er verdeutlicht: DIE historische Bilddiskursanalyse gibt es nicht. Vielmehr versuchen alle zwölf Autorinnen und Autoren die spezifische Rolle von Bildern in den jeweiligen Diskursen herauszuarbeiten. Der dem Band eigene „Mut zur Mutmaßung“ (Silke Betscher, S. 81) erweist sich dabei durchweg als Stärke. Hervorzuheben ist unter anderem der Beitrag von Maren Röger: Sie enthüllt am Beispiel von Bildern von Flucht und Vertreibung Stück für Stück deren Entstehungs- und Verwendungsgeschichte; so demontiert sie den scheinbar eindeutigen Inhalt von Bildern, die in der deutschen Geschichts- und Erinnerungskultur omnipräsent sind. Röger berührt damit ein höchst brisantes Thema, wie die aktuelle Debatte um die Verwendung eben jener Fotos in populären Geschichtskulturen zeigt.4

Einen der interessantesten Beiträge des Bandes liefert Malte Zierenberg, der über die Sichtbarkeitsbedingungen von Pressefotografie 1900–1930 den Begriff des Dispositivs begreifbar macht. Indem sich Zierenberg den „Akteuren der Sichtbarkeit“ (S. 175) widmet, zeigt er, wie die Organisation von Bildern Auswirkungen auf ihre Verwendung und somit auf visuelle Gedächtnisse haben kann. Er legt die „verborgene Bedeutungsproduktion im Archiv“ durch Ablage, Verweise und Verschlagwortung frei. Da Zierenberg mit der Pressefotografie ein Medium von hohem Evidenzanspruch untersucht und dabei nicht die Macht der Bilder, sondern die Macht über Bilder seziert (S. 173), kann sein Aufsatz durchaus als Abgrenzung zu einem Konzept der „Bildermacht“ – wie etwa bei Gerhard Paul skizziert – gelesen werden.5

Während die Visual History bislang viele Studien zu Einzelbildern oder Bildclustern hervorgebracht hat, erweitert der vorliegende Band das Forschungsfeld um Arbeiten mit großen Bildkorpora. Indem sich Beiträge explizit auch mit verlorengegangenen Bildern, mit Gegenbildern oder auch Leerstellen beschäftigen, werden Visibilität und Invisibilität als zentrale Kategorien in den Vordergrund gerückt. Den Anspruch, einer „Mediengeschichte der Bild-Text-Kommunikation zuzuarbeiten“, wie auf dem Einband angekündigt, erfüllt der Sammelband jedoch nicht. Das Verhältnis von Bild, Text und Sprache bleibt leider unzureichend eruiert. Ist an wenigen Stellen von „Multimodalität“ die Rede, so vermisst die Leserin oder der Leser die Berücksichtigung etwa von Film- und Videomaterial, das zudem die Tonspur als weitere Bedeutungsebene beinhaltet.

Acht Jahre nach dem 46. Deutschen Historikertag mit dem Rahmenthema „GeschichtsBilder“ 2006 in Konstanz liefert der Band einen vortrefflichen Anlass zur Reflexion, was sich auf dem Gebiet der Historischen Bildforschung seither getan hat. Wurde unter dem Leitthema von 2006 noch der Quellenwert von Bildern hinterfragt, verbunden mit Diskussionen um Geschichtsbilder als zentrale Elemente für Erinnerung und Identität, so stehen mittlerweile nicht mehr nur die historischen Bedingungen von Produktion, Distribution und Rezeption von Bildern zur Debatte, sondern es wird darüber hinaus untersucht, wie Bilder ihrerseits die Bedingungen zu formen vermochten. Visuelle Diskursanalyse reduziert Bilder nicht auf Dokumente einer zu rekonstruierenden Vergangenheit, sondern interessiert sich gleichermaßen für die Beziehungsgeflechte, die hinter der Sichtbarkeit stehen. Wie der vorliegende Sammelband eindrücklich zeigt, hat sich das Forschungsfeld seit jenem Historikertag in der Tat dynamisch weiterentwickelt. Angestoßen von dem Wandel der Geschichtswissenschaft zur „multimodalen Kulturwissenschaft“ (Eder / Kühschelm, S. 3) steht die Abgrenzung von oder Zuordnung zu Disziplinen dabei nicht mehr im Vordergrund. Vielmehr lösen die Autoren mit ihrer kreativen Suche nach passenden theoretischen und methodischen Angeboten verwandter Disziplinen en passant die zentrale Forderung einer allgemeinen Bildwissenschaft ein – die indes weiterhin auf fachspezifische Erkenntnisinteressen und Kompetenzen angewiesen bleibt.

Anmerkungen:
1 Die Tagung fand vom 29. September bis 1. Oktober 2011 an der Universität Wien statt. Siehe den Bericht von Therese Garstenauer, in: H-Soz-u-Kult, 01.12.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3919> (01.11.2014).
2 Sabine Maasen / Torsten Mayerhauser / Cornelia Renggli (Hrsg.), Bilder als Diskurse – Bilddiskurse, Weilerswist 2006.
3 Silke Betscher, Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle Kalte-Kriegs-Diskurse in deutschen Nachkriegsillustrierten, Essen 2013. Siehe dazu die Rezension von Magdalena Saryusz-Wolska, in: H-Soz-Kult, 23.05.2014, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2014-2-132> (01.11.2014).
4 Stephan Scholz, „Ein neuer Blick auf das Drama im Osten“? Fotografien in der medialen Erinnerung an Flucht und Vertreibung, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 11 (2014), S. 120–133, <http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2014/id=5014> (01.11.2014); NS-Propaganda-Foto war lange das Symbol für Flucht (Interview von Sven Felix Kellerhoff mit Manfred Kittel, Direktor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung), in: Die Welt, 16.10.2014, <http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article133322330/NS-Propaganda-Foto-war-lange-das-Symbol-fuer-Flucht.html> (01.11.2014).
5 Gerhard Paul, BilderMACHT. Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts, Göttingen 2013. Siehe dazu die Rezension von Bernd Stiegler, in: H-Soz-u-Kult, 29.11.2013, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-4-173> (01.11.2014).