Asfa-Wossen Asserate: Der letzte Kaiser von Afrika

Titel
Der letzte Kaiser von Afrika. Triumph und Tragödie des Haile Selassie


Autor(en)
Asserate, Asfa-Wossen
Erschienen
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Spielbüchler, Johannes Kepler Universität Linz

Kaiser Haile Selassie I. war unbestritten eine der schillerndsten Figuren im Afrika des 20. Jahrhunderts. In seinem Buch versucht Asfa-Wossen Asserate, ein Porträt dieses Mannes zu erstellen. Dazu rückte er eine einfach klingende Frage ins Zentrum: Wer war Haile Selassie I.? Zur Beantwortung gliedert der Autor seine Charakterstudie in neun chronologische Kapitel, in denen primär versucht wird, die Person zu erfassen, ohne allzu sehr auf deren Wechselspiel und Wirkmächtigkeit in Bezug auf Äthiopien einzugehen.

Der letzte Kaiser von Äthiopien, 1892 als Tafari Makonnen geboren, verfolgte zielstrebig einen Weg, der ihn bald in den innersten Zirkel der Macht und 1930 an die Spitze des ältesten Staatsgebiets in Afrika führte. Als Kaiser Haile Selassie I. (der Name bedeutet Macht der Dreifaltigkeit) verstand er sich als 225. Nachfolger auf dem äthiopischen Thron in direkter Linie von König Salomon und dessen Verbindung mit der Königin von Saba; er war fortan also auch Siegreicher Löwe des Stammes Juda, Auserwählter Gottes und König der Könige (Negusa Negast). Dieses Selbstverständnis arbeitet der Autor als Kern des kaiserlichen Charakters heraus.

Asfa-Wossen Asserate skizziert zunächst den Aufstieg des jungen Herzogs (Ras) an die Spitze des Reiches. Diese Karriere war keineswegs vorbestimmt, sondern schien dem Machtvakuum geschuldet, das der bis 1913 uneingeschränkt regierende Kaiser Menelik II. hinterlassen hatte. In diesen Wirren schaffte Ras Tafari Makonnen es, Regent und Kronprinz der neuen Kaiserin zu werden. Was folgte, war eine Phase, die in der besprochenen Biographie als „Machiavelli auf Äthiopisch“ bezeichnet wird (S. 64). Der Regent erwies sich als begnadeter Stratege: außenpolitisch verteidigte er Äthiopien gegen koloniale Begehrlichkeiten, innenpolitisch festigte er einerseits seine Macht, während er gleichzeitig versuchte, das durch Feudalismus und Sklaverei in den Augen vieler Europäer rückständige Land zu modernisieren. Als Ziel dieser Strategie beschreibt der Autor die Mitgliedschaft Äthiopiens im Völkerbund – ein sichtbares Zeichen der Modernisierung.

Nach dem Tod der Kaiserin 1930 wurde Ras Tafari Makonnen als Haile Selassie I. zum Kaiser gekrönt. Sein Zug zur absoluten Macht trat immer deutlicher hervor – Asfa-Wossen Asserate übertitelt das Kapitel dazu mit „Ein Auserwählter Gottes“ (S. 106). Die unumschränkte kaiserliche Autorität wurde zum Herrschaftsprinzip, der Feudalstaat in eine absolutistische Erbmonarchie umgewandelt. Der Autor legt dabei sehr behutsam jenen Antagonismus des neuen Negusa Negast offen, der sich durch seine weitere Herrschaft ziehen sollte: einerseits um Modernisierung bemüht, war der Kaiser einem überkommenen Herrschaftsmodell verfallen, in dem er über Jahrzehnte alle Zügel fest in der Hand hielt. Dies sollte ihm letztendlich, so der Befund Asfa-Wossen Asserates, zum Verhängnis werden.

Unterbrochen wurde die Herrschaft Haile Selassies I. durch eine Katastrophe: die Mitgliedschaft im Völkerbund konnte Äthiopien nicht vor einem brutalen Eroberungs- bzw. Kolonialkrieg Italiens bewahren, in dessen Folge der Kaiser 1936 ins britische Exil gezwungen wurde. Als er, unterstützt durch die britische Armee, im Jänner 1941 aber wieder äthiopischen Boden betrat, nahm er den alten Kurs sofort wieder auf. Asfa-Wossen Asserate beschreibt einen geschickten Machtpolitiker, dem es in kurzer Zeit gelang, die äthiopische Souveränität wiederherzustellen, potentielle Gegner im Land auszuschalten und seine Position als absoluter Monarch abzusichern. Parallel dazu erarbeitete sich der Kaiser den Ruf eines international respektierten Staatsmannes. Der Autor legt dar, wie Haile Selassie I. Äthiopien durch die Begehrlichkeiten des Kalten Kriegs dirigierte und umreißt die Rolle des Kaisers im afrikanischen Integrationsprozess der frühen 1960er-Jahre – wenngleich die Wirkmächtigkeit des Monarchen in Afrika dabei nur kurz gestreift wird.

Außenpolitischen Erfolgen stellte Asfa-Wossen Asserate innenpolitisches Versagen gegenüber. Zur Absicherung seiner Macht entwickelte der Kaiser immer autoritärere Züge. Die wachsende Kritik daran schien Haile Selassie nicht zu bemerken – zu sehr war er der Außenpolitik verhaftet und verließ sich auf die traditionelle Position eines Negusa Negast. Dementsprechend überrascht war der Kaiser in Asfa-Wossen Asserates Darstellung vom ersten Putsch 1960, in dem seine eigene Leibgarde und wohl auch sein Sohn und Thronfolger verwickelt waren. Der Umsturzversuch konnte rasch niedergeschlagen werden, Haile Selassie I., der im Ausland Erfolge feierte, verlor in Äthiopien selbst zunehmend das Vertrauen in sein Umfeld. Dabei blieb er blind gegenüber den Krisen und Konflikten in seinem Reich, wie der Autor ihm vorwirft. Dies führte 1974 zu einem schleichenden Putsch, dem der Kaiser nichts entgegensetzen konnte. Seine einstige Macht war zerbröckelt und er wurde am 12. September 1974 durch eine Militärregierung abgesetzt, ehe er im August 1975 im Hausarrest unter nach wie vor ungeklärten Umständen starb.

Neben der zweibändigen Autobiographie von Haile Selassie I. selbst1 und der Darstellung von John H. Spencer, dem Berater der äthiopischen Außenpolitik von 1943 bis 19742, gewährt die Biographie von Asfa-Wossen Asserate die wohl persönlichsten Einblicke in das Leben des letzten Kaisers von Äthiopien (der Autor wehrt sich gegen die Darstellung des Kaisers durch Ryszard Kapuściński3, dem er einen fiktiv-literarischen Zugang attestiert). Er weist wiederholt auf seine enge Verwandtschaft zum Kaiser hin, was einerseits eine Stärke, andererseits auch die größte Schwäche des Buchs ausmacht. Asfa-Wossen Asserate schildert Erinnerungen aus dem Kreis seiner Familie oder Details zu persönlichen Begegnungen mit dem Kaiser, um vorsichtig dessen Charakter zu entblättern. Dabei vermeidet er aber direkte Kritik an dessen Entscheidungen oder Handlungen. Es wäre ungerecht, dem Autor die Erstellung einer Hagiographie Haile Selassies I. vorzuwerfen, zentrale Fragen zur Amtszeit des Kaisers werden aber nicht gestellt oder nur sehr knapp abgehandelt. Asfa-Wossen Asserate gibt Einblick in die komplizierten Machtstrukturen am äthiopischen Hof, lässt aber weitgehend offen, wie Ras Tafari Makonnen seine Position innerhalb dieser Strukturen ausbauen und absichern konnte. Er charakterisiert Haile Selassie als Zerrissenen zwischen Modernisierung und Tradition, geht aber zu wenig darauf ein, was dies für Äthiopien bedeutete. Des Kaisers Sonderrolle innerhalb Afrikas wird angerissen, ohne diese klarer herauszuarbeiten; seine internationale Reputation herausgestellt und sein Versagen in Äthiopien nur kurz abgehandelt. Als Hintergrund des Putsches 1960 nennt Asfa-Wossen Asserate die Konflikte zwischen Zentrum und Peripherie, Bauern und Großgrundbesitzern sowie jene zwischen Aristokratie und neuen Eliten. Die Figur des Kaisers scheint aus dieser Problemkonstellation weitgehend herausgehalten – ähnlich wie in den Beschreibungen, die letztendlich zum Putsch von 1974 führten. Diesbezüglich ist interessant, dass Asfa-Wossen Asserate das Scheitern Haile Selassie I. primär in internen Unterlassungen und Fehleinschätzungen begründet sieht, während John H. Spencer dafür externe Faktoren hauptverantwortlich macht.4

Dieses Buch wartet mit keinen neuen Erkenntnissen zur äthiopischen Geschichte oder der Regierung von Haile Selassie I. auf, es stellt vielmehr den sehr persönlichen Versuch einer Charakterisierung eines geachteten Familienmitgliedes dar, das bis zu seinem Ende davon überzeugt war, von Gott auserwählt zu sein. Neben harscher Kritik vermeidet Asfa-Wossen Asserate auch direktes Lob und greift dafür lieber auf Zitate zurück. So lässt er den Kern der kaiserlichen Persönlichkeit von Nelson Mandela formulieren: „Würde war das Kennzeichen all seiner Handlungen.“5 Als Fazit der Regentschaft von Haile Selassie I. zitiert er den äthiopischen Historiker Bahru Zewde: „Das größte Verbrechen Haile Selassies war es, dass er viel zulange regierte – und dass er sich dessen nicht bewusst war.“6

Anmerkungen:
1 Haile Selassie I, My Life and Ethiopia’s Progress. 1892–1937, Bd. 1, Oxford 1976 (Originalausg. Addis Abeba 1972); ders., My Life and Ethiopia’s Progress, Bd. 2, East Lensing 1994 (Erstaufl. Addis Abeba, 1973).
2 John H. Spencer, Ethiopia at Bay. A Personal Account of the Haile Selassie Years, 2. Aufl., Hollywood 2006 (Erstaufl. Algonac 1984).
3 Ryszard Kapuściński, König der Könige. Eine Parabel der Macht, Frankfurt am Main 1995 (Originalausg. Polen 1978)
4 Spencer, Ethiopia, p. xiv.
5 Nelson Mandela, Der lange Weg zur Freiheit, Frankfurt am Main 2002 (Originalausg. Boston 1994), S. 396; zitiert in Asfa-Wossen Asserate, Der letzte Kaiser, S. 293.
6 Bahru Zewde, Hayla-Sellase: From Progressive to Reactionary, in: Northeast African Studies 2 (1995), pp. 99–114, hier p. 111, übersetzt von Asfa-Wossen Asserate in: ders., Der letzte Kaiser, S. 362.

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