E. Jäger: Die Insel Rügen auf alten Karten

Cover
Titel
Die Insel Rügen auf alten Karten. Vier Jahrhunderte Kartografiegeschichte 1532–1885


Autor(en)
Jäger, Eckhard
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 42,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gyula Pápay, Historisches Institut, Universität Rostock

In den Vorbemerkungen weist der Autor auf die Bedeutung der Karten als historische Quellen hin, sie sind „bedeutende Quellen für die Größe eines Landes, für seine Gemeinde- oder Ämtergrenzen, für den Siedlungsbestand und die sich wandelnde Schreibweise der Ortsnamen, für das Straßen- und Wegenetz, für Oberflächengestalt und Bodennutzung“. Sie dienen „nicht nur der Landesgeschichte, sondern auch der Orts- und Flurnamenforschung und der Erforschung des Wandels von Kulturlandschaften“ (S. 9). In der letzten Zeit erfreut sich die Kartographie einer besonderen Zuwendung seitens der Kultur- und Geisteswissenschaften. In diesem Rahmen entstand eine Tendenz, die Kritische Kartographie, die mittlerweile als ein neues Paradigma der Kartographie betrachtet wird.1 Die geschichtswissenschaftlichen Beiträge zur Kritischen Kartographie, analog zu den Studien von anderen Wissenschaftsdisziplinen, konzentrieren sich auf die Objektivitätskritik der Karten und auf die Betrachtung der Karten als Machtinstrumente.2 Durch die Betonung dieser Aspekte ist die Auswertungsmethodik der Karten als historische Quellen in den Hintergrund geraten. Aus diesem Grund ist die vorliegende Publikation mit einer fast lückenlosen Erfassung der historischen Karten eines Gebietes von besonderer Bedeutung, nicht nur in regionalgeschichtlicher Hinsicht. Eine so strukturierte Publikation kann auch zu einer differenzierteren Betrachtung einiger Grundthesen der Kritischen Kartographie beitragen, vor allem durch ihre Vollständigkeit, denn die Publikationen zur Geschichte von Karten sind in den meisten Fällen einer Selektivität unterworfen.

Die vorliegende Publikation enthält 174 Karten mit unterschiedlicher Provenienz. Einige sind Handzeichnungen. Die meisten sind im Druck erschienen. Unter diesen befinden sich Karten, die in zahlreichen Exemplaren überliefert sind, aber auch viele seltene Exemplare, die als Einblattdrucke mit geringer Überlieferungschance erschienen sind. Zu den Letzteren gehören zum Beispiel Karten auf Flugblättern. Die Recherche in zahlreichen Institutionen nahm viele Jahre in Anspruch. Die Karten wurden in zwei Katalogen erfasst, in dem ersten die Landkarten und im zweiten die Seekarten. Bei den Landkarten bilden zwei handgezeichnete Karten den Auftakt, die erste Karte aus dem Jahre 1532 und die zweite Karte aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zu jeder Karte wurde meist an der jeweils linken Seite eine ausführliche Beschreibung zugefügt. Diese beinhaltet zunächst die bibliographischen Angaben sowie die Nennung des Fundortes der Karte. Darauf folgen ausführliche Kommentare zum Inhalt und zur Gestaltung der Karte, in denen auch auf den Entstehungszusammenhang der Karte, wie zum Beispiel die Intentionen des Kartenautors, eingegangen wird. Ein besonderer Vorzug dieser Kommentare besteht darin, dass die Karten erkenntnisreich in einen allgemeinen kartenhistorischen Kontext gesetzt werden. Damit geht die vorliegende Publikation über eine rein regional ausgerichtete Kartographiegeschichte weit hinaus. Den dritten und abschließenden Teil der Kommentare bilden, insoweit solche vorliegen, die Literaturangaben zu den einzelnen Karten. Zu einem großen Teil der Rügen-Karten gibt es keinerlei Vorarbeiten, denn viele erscheinen hier erstmalig in einer kartenhistorischen Publikation.

Die Kommentare zeugen davon, dass der Autor Eckhard Jäger ein sehr guter Kenner der Kartographiegeschichte ist. Er wurde 1980 an der Ruhr-Universität Bochum im Fach Wirtschafts- und Technikgeschichte (Prof. Dr. Albrecht Timm) promoviert mit einer Arbeit über die kartographische Darstellung Ostpreußens 1542–1810. Bis 1993 war er stellvertretender Direktor des Instituts Nordostdeutsches Kulturwerk in Lüneburg, seit 1993 ist er Inhaber eines Antiquariats in Lüneburg, zu dessen Schwerpunkt historische Karten gehören. Er verfasste mehrere Publikationen zu den Themen Kartographiegeschichte, Buch- und Verlagswesen sowie historische Bildkunde. Zu diesen Themen konzipierte und führte er mehrere Ausstellungen durch. Weiterhin erhielt er mehrere Lehraufträge an verschiedenen Hochschuleinrichtungen.

Die Karten erscheinen in einer sehr guten Druckqualität. Die kolorierten Karten werden farbig wiedergegeben. Die Schrift ist trotz der notwendigen Verkleinerung in den meisten Fällen lesbar. Leider fehlen die prozentualen Angaben zum Maß der jeweiligen Verkleinerung. Sie lassen sich aber berechnen, da die Originalmaße jeweils angegeben sind. Wünschenswert wäre weiterhin, dass diejenigen Karten, denen eine besondere Bedeutung als historische Quellen zukommt, mehr Abbildungsraum erhalten hätten. Zu diesen gehören die Schwedischen Matrikelkarten, die hier lediglich mit der Karte von Hiddensee (1695) vertreten sind, und die Karte von Friedrich Carl Grahl (1779/1806), die in einem stark verkleinerten Ausschnitt erscheint. Die Bedeutung der Letzteren ergibt sich für die Geschichtswissenschaft vor allem daraus, dass hier die Gemeindegrenzen verzeichnet werden, die eine unerlässliche Grundlage zur Schaffung von historischen Informationssystemen bilden.

Auf den Katalogteil folgen zwei Studien. Die erste enthält eine aufschlussreiche Typologie der Rügen-Karten. Dabei werden fünf Kartentypen unterschieden. Der Kartentypus V. schließt die Altkartographie der Insel Rügen ab. Dazu gehören die Urmesstischblätter, die auf Anordnung des preußischen Generalstabes um 1830 begonnen wurden, und die topographischen Folgekarten. Die zweite Studie behandelt die Landkartenpreise im 18. Jahrhundert im Vergleich zu anderen Kosten.

Die vorliegende Publikation hat keineswegs nur regionalhistorische Bedeutung. Ihre Lektüre wird den Vertretern der Kritischen Kartographie empfohlen, denn durch diese fast lückenlose, chronologische Folge von Karten wird deutlich, dass die Kartenproduktion nur partiell durch Machtinteressen beeinflusst wurde. Einen langen Zeitraum hindurch wurde sie von kommerziellen Interessen geleitet. Mitunter spielten auch rein wissenschaftliche Intentionen eine nicht unwesentliche Rolle. Besonders gut geeignet ist diese Publikation für die Einbeziehung in die Lehre zur kartographischen Quellenkritik, erstens durch die markante Abgrenzung des Gebietes (durch Küstenlinien), zweitens durch die weitgehende chronologische Vollständigkeit. Es lässt sich anhand dieser Karten besonders gut sichtbar machen, dass die Karten einerseits durch keine andere Quellenart ersetzbare historische Quellen darstellen, aber andererseits auch, in welchem Maße ihrer Auswertung als historische Quellen epochen- und typenbedingt Grenzen gesetzt sind.

Anmerkungen:
1 Pablo Iván Azócar Fernández / Manfred Ferdinand Bruchroithner, Paradigms in Cartography. An Epistemological Review of the 20th and 21th Centuries, Heidelberg 2014, S. 120ff.
2 Vgl. z.B. Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2004.