L. Fischer u.a. (Hgg.): Die Frauen der Wiener Moderne

Titel
Die Frauen der Wiener Moderne.


Herausgeber
Fischer, Lisa; Emil Brix
Erschienen
München 1997: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birgitta Bader-Zaar, Institut fuer Geschichte, Universitaet Wien

Die differenzierte Erforschung des Schluesselbegriffs "Moderne" in Wien, der Wiener Kultur des Fin-de-Siecle, hat sich die Arbeitsgemeinschaft "Wien um 1900" seit 1986 angesichts des damals international gestiegenen Interesses an der Thematik zum Ziel gesetzt. Drei Baende mit Ergebnissen von Forschungsgespraechen zum Thema liegen bereits vor, der Sammelband "Die Frauen der Wiener Moderne" fasst nun die Beitraege einer von der Oesterreichischen Forschungsgemeinschaft abgehaltenen internationalen und interdisziplinaeren Tagung zusammen, die in Wien im November 1995 stattfand und sich das Ziel setzte, sich einem "bisher wenig beachteten Teil" des kreativen Milieus in Wien zuzuwenden und erstmals in der Jahrhundertwendeforschung "die Frauenfrage als zentraler Teil der Wiener Modernediskussion" zu analysieren (siehe Vorwort).

Fast alle Untersuchungen beleuchten die oesterreichische Frauengeschichte neu und zeigen damit, wie notwendig weiterhin die historische Aufarbeitung und die Erweiterung unseres Wissens in diesem Bereich ist. Wichtig sind hier Hanna Hackers Beitrag ueber Konfliktmuster in der buergerlichen Frauenbewegung sowie Susan Zimmermanns Untersuchung der durch antimodernistische Tendenzen in der staatlichen Sozialpolitik bewirkten Umgestaltung von Geschlechterverhaeltnissen bei nichtbuergerlichen Schichten, originell die kleine Studie Roman Sandgrubers ueber die "Eroberung" des Fahrrads und besonders des Automobils durch Frauen. Mehrere Beitraege sind biographisch orientiert, wie Marina Tichys Darstellung der Beziehungen zwischen Feminismus und Sozialismus anhand des Beispiels der Therese Schlesinger oder die Studie von Ursula Kubes-Hoffmann ueber die intellektuellen Feministinnen Rosa Mayreder und Helene von Druskowitz. Hier ist auch besonders die Untersuchung von Juergen Nautz ueber die Frauen der Wiener Schule fuer Nationaloekonomie hervorzuheben, die einen faszinierenden Einblick in die Beitraege von Frauen wie Martha Stefanie Braun oder Ilse Schueller-Mintz zur oekonomischen Theoriebildung vor allem innerhalb des MisesKreises in den 1920er Jahren gibt.

Im engeren Sinne mit der Modernediskussion setzt sich u.a. Waltraud Heindl in ihrem Ueberblick ueber die Entwicklung der buergerlichen Maedchenbildung, sowohl auf der formalen als auch der informellen Ebene (Theater, Buecher, Salonkultur), und den anhand des Beispiels von Otto Weiningers "Geschlecht und Charakter" exemplifizierten maennlichen Diskurs ueber Frauenbildung auseinander, wobei sie nachweist, dass der Antifeminismus dieser Epoche wesentlich aus der frauenfeindlichen humanistischen Bildung der Knaben gespeist wurde. In ihrem Beitrag ueber Feministinnen im sexuellen Diskurs der Moderne untersucht Karin Jusek die Reaktionen von Grete Meisel-Hess, Irma von Troll-Borostyani und den Sozialdemokratinnen auf Frauen abwertende Sexualtheorien der Jahrhundertwende. Besonders kohaerent in der Auseinandersetzung mit der Hauptfragestellung - Frauen in der bzw. und die Wiener Moderne - ist aber der Block jener Beitraege, die sich der Analyse des Agierens von Frauen des - vor allem juedischen - Bildungsbuergertums in der Kunst widmen. Claudia Balk praesentiert die Selbstinszenierungen der Schauspielerinnen Adele Sandrock und Eleonora Duse, die die "maennlichen Imaginationen" der "femme fatale" und der "femme fragile" vorfuehrten. Anhand des Beispiels der Reaktion der Kunstkritiker auf die 1910 in Wien gezeigte Ausstellung "Die Kunst der Frau" geht Julie Marie Johnson auf den antimodernistischen Diskurs ein. Sabine Plakolm-Forsthuber gelingt es, anhand der Beispiele der Bildhauerinnen Teresa Feodorowna Ries, Ilse Twardowski-Conrat und Elza Koeveshazi Kalmar die Spannung zwischen Selbstbestimmung von Frauen und den durch Geschlecht gesellschaftlich gesetzten Grenzen, aber auch zwischen Anerkennung und der Zurueckdraengung als Randfigur aufzuzeigen. Besonders aufschlussreich fuer die Diskussion ueber die Moderne ist Brigitte Spreitzers Beitrag ueber weibliche Subjektivitaet bei oesterreichischen Autorinnen. Anhand der Beispiele Rosa Mayreder, Elsa Asenijeff, Grete Meisel-Hess und Else Jerusalem zeichnet sie deren unterschiedliche Ansaetze, in einer Zeit der Identitaetskrise, der "radikalen Infragestellung des klassischen Subjekts", sich auf den Weg der Selbstfindung zu begeben und Subjektivitaet zu artikulieren. Mit ihrem Beitrag ueber die "Antimoderne der Wiener Moderne" fasst Lisa Fischer schliesslich die Reaktion der Maenner auf die Experimente der Frauen in ihren Lebensentwuerfen, auf ihre gesellschaftspolitischen Forderungen und Visionen zusammen und weist auf Deformierungs- und Marginalisierungsversuche hin. Als Abschluss des Bandes schoen ist der Beitrag von Brigitte Bruns ueber das "Geschlecht der Moderne", der nochmals zur Krise der Identitaet zurueckfuehrt und anhand des Diskurses ueber Androgynitaet und Hermaphrodismus auf die Furcht vor der Aufloesung der Geschlechterpolaritaeten und damit auch auf Diskussionen der Gegenwart hinweist.

Undiskutiert bleibt allerdings hinsichtlich des theoretischen Ansatzes der Erforschung der "Wiener Moderne" die geographische Konzentration auf Wien, ein Kritikpunkt, den schon Allan Janik in einem frueheren Band der Arbeitsgemeinschaft vorgebracht hat.(1) Durch einige Beitraege wird dieser Ansatz im vorliegenden Band doch infragegestellt. Wenn zum Beispiel Karin Jusek Irma von Troll-Borostyanis Werk untersucht, eine Frau die in Salzburg aufgewachsen und nach einigen Jahren in Budapest nach Salzburg zurueckgekehrt ist, um hier ihre wichtigsten Werke zu schreiben und damit die Wiener Frauenbewegung entscheidend zu beeinflussen, wenn Ursula Kubes-Hoffmann auf die erste Philosophin Oesterreichs Helene von Druskowitz, die in Zuerich promovierte und u.a. in Dresden lebte, hinweist, wenn Sabine Plakolm-Forsthuber u.a. die in Bruessel ausgebildete Bildhauerin Ilse Twardowski-Conrat behandelt, dann sollte sich einerseits die Frage nach den gegenseitigen Einfluessen von Kulturzentrum und sogenannter "Peripherie" stellen, aber auch nicht vergessen werden, dass sich die oesterreichische Frauenbewegung innerhalb eines internationalen feministischen Diskurses entwickelte und schliesslich die Wiener Moderne in den Kontext der gesamten Habsburgermonarchie und einen internationalen Kontext eingebettet werden muss. So hat die irische Germanistin Eda Sagarra in ihrer durchdachten Einleitung zum Band zu Vergleichen mit anderen kulturellen Zentren Europas wie Berlin oder auch innerhalb der Monarchie Prag und Budapest aufgefordert. Erste Hinweise sind durch Elzbieta Hurnikowas Beitrag im vorliegenden Band ueber Frauen in der oesterreichischen und polnischen Literatur gegeben, fundierte Studien sind in diesem Bereich aber noch ausstaendig.

Eine kleine formale Kritik bezieht sich auf die editorische Arbeit: Viele Druckfehler und der Ausdruck "Eugenetik" (S. 115), statt "Eugenik" waeren nicht notwendig. Ein Plus ist aber das bei Sammelbaenden leider seltene Personen- und Sachregister.

Dem Band "Die Frauen der Wiener Moderne" ist es insgesamt mit einigen hervorragenden Beitraegen sicherlich gelungen aufzuzeigen, wie "kreative, reflektierende und engagierte Frauen in einer grossen Vielfalt von Ausdrucksformen" (S. 12) versuchten, ihre Rechte geltend zu machen (2) und mit dem Umbruch im Geschlechterverstaendnis umgingen. Es bleibt zu hoffen, dass das Buch zu weiteren Fragestellungen hinsichtlich der Modernediskussion und zur Erfuellung der von Eda Sagarra erwaehnten Forschungsdesiderata - neben den internationalen Vergleichen die Untersuchung von Journalistinnen und Musikerinnen, aber auch der Professionalisierung der Literatinnen -, anregen.

Anmerkungen:
1) Allan Janik, Vienna 1900: Reflections on Problems and Methods. In: Emil Brix - Patrick Werkner (Hg.), Die Wiener Moderne (Wien/Muenchen 1990) 151-163.
2) Eda Sagarras Begriff der "weiblichen Nation" in Anlehnung an die ihre Rechte einfordernden Nationalitaeten der Habsburgermonarchie moechte ich hier nicht folgen, da er die die oesterreichische Frauenbewegung bis 1918 besonders belastenden Differenzen von Nation und Klasse verwischt.

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