C. Arbogast: Württembergische NSDAP

Titel
Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP. Funktion, Sozialprofil und Lebenswege einer regionalen NS-Elite 1920-1960


Autor(en)
Arbogast, Christine
Reihe
Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Suedwestdeutschland 7
Erschienen
München 1998: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Brunner, Historisches Seminar Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Freiburg

Obwohl die Bibliothek zur Geschichte des Nationalsozialismus mittlerweile mehr als 20.000 Titel umfasst, ist der Wissensstand in einigen Bereichen dieser zentralen Phase deutscher Geschichte noch immer unbefriedigend.
So ist in den letzten Jahren das Fehlen einer konkreten und personennahen Erforschung der Verwaltungs- und Herrschaftsgeschichte des NS-Regimes deutlich geworden. Abseits der spektakulaeren Verbrechen und der im Fokus der Oeffentlichkeit stehenden Entscheidungstraeger ist das Wissen ueber die normale, alltaeglichen Durchsetzung und Ausgestaltung der Parteienherrschaft gering. Dies betrifft sowohl die Rolle und Funktion der einzelnen Parteiaemter und Posten als auch die Menschen, die diese Funktionen ausuebten. Insbesondere diejenigen lokalen Traegereliten, die im Vergleich mit den verantwortungstragenden und entscheidungstreffenden Maennern in Berlin von marginaler Bedeutung erscheinen, die aber fuer die Menschen vor Ort die zentralen Repraesentanten des Regimes darstellten und mit entsprechender, wenn auch lokal begrenzter Macht ausgestattet waren, fanden bisher kaum Beachtung.
Doch sind an den Universitaeten Mannheim, Tuebingen und Karlsruhe im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte einige Arbeiten entstanden, die sich dieser Fragestellung unter einem regionalgeschichtlichen Ansatz annehmen. Hier ist an erster Stelle die umfassende Studie von Michael Ruck ueber die Beamtenschaft im deutschen Suedwesten zwischen 1928-1972 zu nennen, eine Untersuchung, die in geschickter Verbindung von gruppenbiographischer Methodik mit der in Deutschland etwas unterentwickelten Elitenforschung aufschlussreiche Ergebnisse zeitigte und die Beharrungskraefte einer Verwaltungselite ueber die Zaesuren von 1933 und 1945 bestaetigte.
Die 1996/97 an der Universitaet Tuebingen als Dissertation angenommene Studie von Christine Arbogast entstammt dem gleichen Forschungszusammenhang und verfolgt gleichermassen einen strukturgeschichtlichen und biographischen Ansatz in regionaler Beschraenkung. Anhand von personenbezogenen Partei- und Entnazifizierungsakten sowie diversen Unterlagen der bundesdeutschen Justiz untersucht die Autorin die Machtausuebung dreier verschiedener Gruppen von Parteifunktionaeren in Wuerttemberg: Der Kreisleiter, der ihnen unterstellten Ortsgruppenleiter und schliesslich der Leiterinnen der Kreisfrauenschaften. Nachdem die Autorin zunaechst die formalen Aufgaben und Kompetenzen dieser drei Funktionaersgruppen dargestellt hat, kontrastiert sie die Ergebnisse dieses ersten Teils mit der tatsaechlichen Herrschaftspraxis vor Ort, indem sie einige der in den Quellen fassbaren Konflikte analysiert. Dazu zaehlt neben den haeufigen Denunziationen, die sich meist an die Kreis- und Ortsgruppenleiter richteten, die innerparteilichen Konflikte sowie die haeufig auftretenden Probleme der Parteielite vor Ort mit den alteingesessenen Honoratioren, wie etwa den Pfarrern. Im dritten Teil erstellt die Autorin ein Sozialprofil der Kreisleiter und der Kreisfrauenschaftsleiterinnen, wobei sie ihre dritte Untersuchungsgruppe, die Ortsgruppenleiter, nicht beruecksichtigt. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass von 64 wuerttembergischen Kreisleitern immerhin 44 dem oeffentlichen Dienst entstammten oder Angestellte waren und aus dem unteren Mittelstand kamen, dass ein Grossteil von 1933-1945 auf ihrem Posten ausharrte und dass sie zum Grossteil der Generationen zwischen 1891 und 1905 entstammten, zwei Generationen, die die Autorin in Detlev Peukerts Generationsmodell als "Frontgeneration" und "ueberfluessige Generation" ausmacht, ohne aber daraus analytische Schluesse zu ziehen.
So verdienstvoll eine solche Untersuchung auch ist, so ist diese generell zu konstatierende analytische Zurueckhaltung zu bedauern. Angesicht der schwierigen Quellenlage ist es zugegebener Massen nicht sehr einfach, repraesentative Aussagen und daraus abgeleitete uebergreifende Thesen zu bilden, doch haette dies der Anspruch, der hinter dem Forschungsprojekt steht, erfordert. So ist es fuer den Leser nicht einfach, die 19 biographischen Portraets in den Gesamtkontext einzuordnen und ihren Aussagegehalt zu erfassen, zumal auch die Auswahlkriterien fuer die Skizzen unklar sind und die Lebenslaeufe in ihrer Kuerze nicht unbedingt fuer sich selbst sprechen. Es waere hilfreich, wenn die Autorin am Beginn ihrer Studie ihre Definition der ja schon im Titel vorkommenden "regionalen NS-Elite" klargestellt haette, die offenbar mit erheblicher Machtfuelle ausgestattete und mehrere Doerfer beherrschende Kreisleiter ebenso umfasst wie die Kreisfrauenschaftsleiterin, die ehrenamtlich Kinderkrippen betreute.
Doch gehoert es zu den Verdiensten dieser Studie, zu zeigen, welch grossen Anteil die Taetigkeit kleiner NS-Funktionaere in ihrem direkten sozialen Umfeld fuer die Durchsetzung und Stabilisierung der Parteienherrschaft hatte. Denn auch die Gesangsveranstaltungen dienten der sozialen Kontrolle, und die von der Autorin mit der Taetigkeit eines Dorfpfarrers verglichene Betreuungsarbeit der Ortsgruppenleiter liess gerade auf dem Land kaum Raum fuer abweichendes Verhalten. Wie Arbogast eindruecklich belegt, fuehrte das Bestreben, sich in der von Konkurrenz gepraegten Parteiorganisation als unentbehrlich zu erweisen, schnell zu in ihren Folgen unkalkulierbaren Denunziationen sozial oder politisch unangepasster Gemeindemitglieder.
Dass aber gerade diese fuer das Regime so wichtige soziale Kontrolle von den Funktionaeren der untersten Ebene gar nicht als spezifisch nationalsozialistisch wahrgenommen wurde, zeigt das abschliessende Kapitel ueber die politische Saeuberung in Wuerttemberg nach 1945. Gemessen am Kriterium der "Anstaendigkeit" konnten viele Kreis- und Ortsgruppenleiter vor den Entnazifizierungsspruchkammern mit Entlastungszeugnissen rechnen. Wie die Autorin zeigt, wurden sie weder von den Spruchkammern noch von der Bevoelkerung als Verantwortliche fuer das Geschehen angesehen. Vielmehr zeigten sich alle an den Verfahren Beteiligten auch nach 1945 tief von nationalsozialistischen Auffassungen beeinflusst, ohne dies wahrzunehmen, etwa dann, wenn die Spruchkammern es den Beschuldigten positiv anrechneten, wenn diese sich aus eigenem Antrieb zum Militaerdienst gemeldet hatten. Kontrastiert man die mehrfach festgestellte Milde, die in vielen untersuchten Faellen zur bruchlosen Integration von ehemaligen Kreisleitern in die Gesellschaft der Bundesrepublik fuehrte, mit der relativen Haerte, mit denen diejenigen Funktionaere verfolgt wurden, die als "Fanatische" oder "Hundertprozentige" das Kriterium der "Anstaendigkeit" verfehlten, so wird man einmal mehr auf jene verengte Auffassung vom genuin Nationalsozialistischen gestossen, der den Verlauf der gesamte Entnazifizierung bestimmte und der erst ab den 60er Jahren schrittweise erweitert wurde. Insgesamt kann Arbogast die Ende der 80er von Barbara Fait aufgestellte These nicht bestaetigen, wonach die Kreisleiter zwar mit milden Strafen aus der Entnazifizierung hervorgingen, doch durch die soziale Stigmatisierung dauerhaft aus der Gesellschaft ausgeschlossen und am Wiederaufstieg gehindert wurden. Erstaunlicherweise wurden, so Arbogast, die Kreisfrauenschaftsleiterinnen, deren Belastung schon durch ihre eingeschraenkte Kompetenz wesentlich geringer war als die der beiden anderen untersuchten Gruppen, von der Entnazifizierung wesentlich haerter getroffen als diese. Zwar fielen die Urteile der Spruchkammern entsprechend milder aus, doch waren sie im Nachkriegsdeutschland einer staerkeren sozialen Aechtung ausgesetzt als die maennlichen Vergleichsgruppen. Leider liefert die Autorin aber auch fuer diesen bemerkenswerten Befund keinen Erklaerungsansatz.

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