Titel
Denkmalsturz. Zur Konfliktgeschichte politischer Symbolik


Herausgeber
Speitkamp, Winfried
Reihe
Kleine Vandenhoeck-Reihe 1581
Erschienen
Göttingen 1997: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
155 S. m. 5 Abb.
Preis
DM 22,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Günter Riederer, "Westeuropa in vergleichender historischer, Graduiertenkolleg Universitaet Trier, Perspektive"

Unbestritten stellt die Erforschung von Denkmaelern eines der zentralen Themen der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten dar. Dieser Umstand dokumentiert sich in einer zahlenmaessig eindrucksvollen Literatur, die sich der Thematik unter den verschiedensten Blickwinkeln und Perspektiven annaehert. Fast draengt sich der Eindruck auf, dass die "Denkmalswut" im 19. Jahrhundert mit der ausgiebigen wissenschaftlichen Erforschung von Denkmaelern im ausgehenden 20. Jahrhundert korrespondiert.

Ihre besondere Attraktivitaet bezieht die Denkmalsforschung auch aus der Tatsache, dass sie als Schnittstelle verschiedenster Disziplinen fungiert und eines der wenig wirklich interdisziplinaeren Forschungsfelder etabliert. Kunst-, kultur- und sozialgeschichtliche Ansaetze ergaenzen sich hier auf sinnvolle Weise und bilden jeweils unterschiedliche Schwerpunkte in der Herangehensweise an den Gegenstand aus. Geldgeber, Traegerschichten und Architekten von Denkmaelern werden dabei ebenso in den Blick genommen wie die Untersuchung ihrer Bildprogramme, Ikonographie und Symbolik. Dazu tritt die Analyse der auf das Denkmal bezogenen politisch-sozialen Praxis. Denn die verschiedenen Monumente dienten auch als Kulisse fuer Feste und feierliche Aufzuege, sie standen im Mittelpunkt eines sich rasch entwickelnden Denkmal-Tourismus und bildeten die Grundlage fuer einen florierenden Devotionalienhandel. Durch die intensive gesamteuropaeische Forschung auf diesen verschiedenen Feldern wurden zuletzt auch Synthesen auf der Ebene des europaeischen Vergleichs moeglich.

Angesichts des hier nur knapp skizzierten ausgezeichneten Forschungsstandes verwundert es fast ein wenig, dass noch neue Perspektiven auf das Denkmal moeglich sind. Ueber Denkmaeler scheint alles gesagt - oder vielmehr fast alles, beruecksichtigt man den anzuzeigenden Sammelband, der mit seinem Thema tatsaechlich forschungspraktisches Neuland betritt. Nicht die Entstehung, Rezeption und das Wirken von Denkmaelern stehen im Mittelpunkt, sondern vielmehr ihr Sturz und ihre Zerstoerung in Zeiten des politischen und gesellschaftlichen Umbruches. Der von Winfried Speitkamp (Universitaet Giessen) herausgegebene Band dokumentiert dabei die Ergebnisse und Diskussionen der Sektion "Denkmalsturz" auf dem Deutschen Historikertag im September 1996 in Muenchen. Er vereint neben einer thematischen Einfuehrung des Herausgebers in chronologischer Reihenfolge fuenf Beitraege zum Denkmalsturz in Europa von der Franzoesischen Revolution bis in die Gegenwart.

In seiner Einleitung beschaeftigt sich Winfried Speitkamp mit grundlegenden Fragen und Problemen im Zusammenhang mit dem Phaenomen des Denkmalsturzes in der neueren europaeischen Geschichte. Dabei wird eine weitgehende Kontextualisierung des Problems in die moderne historische Symbolforschung vorgenommen. Zeichen und Symbole spielen in der alltaeglichen Lebenswelt der Menschen eine dominierende Rolle, sie sind ein universales Problem und ihr Gebrauch ist eine dauernde und ueberall bemerkbare Erscheinung. Im Unterschied zum einfachen Zeichen appellieren Symbole an die Emotionen ihrer Rezipienten und koennen eine breitgefaecherte Palette von Gefuehlsaeusserungen abrufen. Ehrfurcht, Schauer, Andacht, aber auch offene Ablehnung bis hin zu Aggression und Zerstoerung zeugen von ihrer emotionalen Sprengkraft. Symbolgeschichte ist deswegen zumeist Konfliktgeschichte - wie auch dieser Sammelband eindrucksvoll dokumentiert. Speitkamp operiert mit einem sehr weit gefassten Begriff des "politisch-kulturellen Zeichens". Er unterscheidet drei Typen von Symboltraegern, die einer hierarchischen Struktur folgen: Zu den Symbolen ersten Grades gehoeren die Denkmaeler selbst, aber auch nationale Symbole wie Hymnen und Flaggen. Symbole zweiten Grades sind Muenzen, Banknoten oder Briefmarken. Als Symbole dritten Grades werden Zweckgebaeude, v.a. Herrschafts- und Amtsgebaeude, bezeichnet. Erst in ihrem Zusammenspiel und in ihrer Kombination entfalten diese verschiedenen materiellen Objektivationen ihre volle Durchschlagskraft. Sie dienen dabei als Indikatoren politischen und gesellschaftlichen Wandels, denn mit dem Wechsel der Herrschaft geht der Wechsel der Symbole einher.

Der Band versteht sich auch als Beitrag zu einer komparativen Perspektive auf das Phaenomen. Er ist vergleichend angelegt und seine Aufsaetze beziehen sich auf vier Leitfragen: Im Zentrum der Analyse stehen zunaechst die angegriffenen Symbole selbst. Dem folgt die Frage nach den Zielen des Denkmalsturzes, die eng verknuepft ist mit der nach seinen Traegern und Organisatoren. Darueber hinaus soll untersucht werden, auf welche Weise ein politisch-kulturelles Zeichensystem veraenderten Umweltbedingungen angepasst werden kann. Hierfuer kommen verschiedene Strategien wie Annexion, Zerstoerung, Umsetzung, Umgestaltung oder Umbenennung in Frage. Als vierte und letzte erkenntnisleitende Frage steht die Funktion des Denkmalsturzes im Mittelpunkt.

Guenther Lottes (Universitaet Giessen) beschaeftigt sich in seinem Beitrag mit den Denkmalstuerzen der Franzoesischen Revolution. Er stellt dabei zunaechst fest, dass die spektakulaere Zerstoerung der Bastille - der erste Denkmalsturz der Moderne - eigentlich einen Sonderfall darstellt. Die Angriffe der Revolutionaere richteten sich zuerst gegen die Symbole der gesellschaftlichen Ungleichheit wie Wappen, Kirchenbaenke, Gerichtssaeulen, Herrensitze und Kloester. Das politisch-kulturelle Zeichensystem der Monarchie blieb zunaechst noch ausgespart, da man hoffte, den Koenig und seine Insignien der Macht "in die Symbolsprache der Revolution positiv zu integrieren" (25). Erst nach dem 10. August 1792, also in einer zweiten Phase der Revolution, wurden auch die Koenigsdenkmaeler angegriffen und eine "Entroyalisierungskampagne" (27) in Szene gesetzt. 1793/1794 steigerte sich diese Entwicklung zu einem "Entroyalisierungsrausch" (34), einer Ausloeschung der Erinnerung an die monarchische Vergangenheit Frankreichs. Allerdings waren - wie Lottes ausfuehrlich belegt - auch die Denkmalstuerze der Franzoesischen Revolution keine spontanen Ereignisse, sondern vielmehr ein organisiertes und exakt inszeniertes Massenspektakel.

Winfried Speitkamp behandelt in seinem Aufsatz die Denkmalstuerze in Deutschland vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zur Revolution von 1848. Er geht dabei in drei chronologisch und sachlich aufeinanderfolgenden Schritten vor: Zunaechst widmet er sich der Wirkung der Franzoesischen Revolution auf Deutschland unmittelbar nach den Ereignissen von 1789, dann bezieht er sich auf Restauration und nationale Bewegung seit 1814 um schliesslich die Symbolkaempfe der sozialen und politischen Unruhen seit 1830 zu beschreiben. Als Ergebnis stellt sich dabei heraus, dass der Sturm auf die Bastille zwar betraechtliche Ausstrahlung auf ganz Europa hatte, in Deutschland selbst allerdings ein vergleichbar zentrales Symbol des Ancien Regime fehlte. Demzufolge richteten sich die Angriffe - wie am Beispiel der Mainzer Republik belegt wird - zunaechst gegen die dezentralen Symbole des Absolutismus. Nach 1815 wurde das franzoesische Zeichensystem ausradiert, ein populaeres Mittel dafuer waren rituelle Verbrennungen von Napoleonpuppen oder Gesetzestexten. Die sozialen Proteste der Uebergangsgesellschaft nach 1830 zeigen ein ambivalentes Bild. Sie wandten sich nicht direkt gegen die monarchischen Denkmaeler selbst, sondern "zielten vielmehr auf eine Wiederherstellung gerechter Herrschaft und sicherer Nahrung" (66). Problematisch ist dabei allerdings Speitkamps These, dass die Revolution von 1848 in Deutschland "keine eigene revolutionaere Festkultur mit eigener Symbolik entwickelte" (71), weil damit eine ganze Reihe von Phaenomenen wie beispielsweise der Kult um den Revolutionsfuehrer Hecker unterschlagen werden.

Der Beitrag von Annette Maas (Universitaet Saarbruecken) widmet sich einer spezifischen historischen Region. Am Beispiel des "Reichslandes Elsass-Lothringen", das nach 46-jaehriger deutscher Zwangsherrschaft 1918 wieder in das franzoesische Mutterland zurueckkehrte, untersucht sie den Umgang mit den Erinnerungsorten aus der Zeit der deutschen Herrschaft. Im Mittelpunkt ihrer Ausfuehrungen steht dabei die Grenz- und Festungsstadt Metz. Exemplarisch verfolgt Maas den dortigen Sturz der in der Reichslandzeit errichteten Hohenzollerndenkmaeler und die Neubelegung dieser Erinnerungsstaetten durch die franzoesische Nation nach 1918. Angesichts der angespannten Situation im ehemaligen "Reichsland" und den ebenso konfliktreichen wie unsicheren Identitaetslagen seiner Bewohner verwundert der doch sehr differenzierte und kontrollierte Umgang mit den deutschen Herrschaftszeichen.

Hans-Ulrich Thamer (Universitaet Muenster) untersucht die Denkmalpolitik im nationalsozialistischen Deutschland. Er beschaeftigt sich zunaechst mit den politisch-aesthetischen Konzepten der nationalsozialistischen Denkmalpolitik, die sich durch ihr ambivalentes Verhaeltnis zu Denkmalkulturen aus frueherer Zeit auszeichneten. Einerseits wurden politisch missliebige Denkmaeler der Weimarer Republik und des Kaiserreichs zerstoert. Andererseits konnte man eine gewisse Sympathie fuer den Monumentalismus der spaetwilhelminischen Zeit nicht verhehlen. Im weiteren Verlauf geht Thamer chronologisch vor und untersucht verschiedene Phasen des nationalsozialistischen Denkmalsturzes. Auffaellig sind dabei die massenhaften Denkmalstuerze unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtuebernahme. Eine zweite Phase endet mit der Radikalisierung der Kunst- und Kulturpolitik 1937 und fuehrt in den Jahren 1940 bis 1942 im Zusammenhang mit der kriegswirtschaftlich begruendeten Metallspende zu einem dritten Hoehepunkt der Vernichtung von Denkmaelern. Im Schlussteil widmet sich Thamer der Frage der Entnazifizierung der Denkmaeler nach 1945.

Der Aufsatz von Maoz Azaryahu (Universitaet Haifa) ueber die politisch motivierte Umbenennung von Strassen im ehemaligen Ost-Berlin waehrend der Jahre 1990 bis 1994 fuehrt einmal mehr vor Augen, welche Bedeutung der Besetzung und Durchdringung des oeffentlichen Raumes mit Symbolen zukommt. Strassenschilder sind zwar alltaegliche Gegenstaende, die zunaechst nur der raeumlichen Orientierung dienen, ihre Bedeutung reicht aber weit darueber hinaus. Deutlich zeigt Azaryahu, dass die Wahl von Strassennamen ein politischer Akt ist, der "von ideologischen Beduerfnissen und politischen Kraefteverhaeltnissen bestimmt wird" (138). Zunaechst wird in einem kurzen historischen Abriss die Geschichte der Berliner Strassennamen von 1813 bis 1989 beschrieben. Es folgt in zwei Unterkapiteln die Entwicklung von 1990 bis 1992 bzw. 1993 bis 1994. In der ersten Phase (1990-1992), die noch wesentlich von den ehemaligen Ost-Berliner Bezirken bestimmt wurde, entschieden sich die politisch Verantwortlichen dabei fuer ein "moderat-minimalistisches Vorgehen" (146). Die zweite Phase der Umbenennung erfolgte auf Initiative des Berliner Senats und sollte - auch im Hinblick auf die Entwicklung Berlins zur Hauptstadt der Bundesrepublik - die Erinnerung an das kommunistische Erbe tilgen. Im August 1993 wurde eine "Unabhaengige Kommission zur Umbenennung von Strassen" eingesetzt, die den Umbenennungen Objektivitaet verleihen sollte. Dieses strategische Ziel konnte - so der Verfasser - jedoch nicht eingeloest werden.

Zusammenfassend laesst sich feststellen: Auf gewinnbringende Weise naehern sich die Beitraege dieses Sammelbandes dem von der Forschung lange uebersehenen Phaenomen des Denkmalsturzes in fuenf jeweils konfliktreichen Umbruchphasen der Moderne. Als zentrales Ergebnis ihres Vergleichs ist festzustellen, dass die beschriebenen Denkmalstuerze epochen-, nationen- und systemuebergreifende Gemeinsamkeiten aufweisen. Besonders deutlich wird dies anhand von zwei Aspekten. Zum einen handelt es sich bei Denkmalstuerzen oftmals um exakt in Szene gesetzte Spektakel und keine spontanen Ausbrueche des Vandalismus. Zum anderen - und das scheint tatsaechlich die Quintessenz aller Beitraege zu sein - weisen die beschriebenen Symbolkaempfe einen ambivalenten Charakter auf. Die Geschichte des Denkmalsturzes hat nicht nur mit Vandalismus und Zerstoerung von Erinnerungszeichen zu tun, sondern ist gleichzeitig auch die Geschichte des Aufbaus und der Neubelegung von Denkmaelern. Der Vernichtung und dem "Memorizid" folgt immer - wenn auch unter einem bestimmten Blickwinkel - die Rekonstruktion der Geschichte.

Abschliessend ist dem Schlussplaedoyer des Beitrages von Guenther Lottes fuer eine weitere Beschaeftigung mit dieser Thematik in vollem Umfang zuzustimmen, wenn er darauf verweist, dass "in jedem Fall (...) der Denkmalsturz von der historischen Anthropologie inspirierten Forschungen ein reiches Betaetigungsfeld" (44) bietet. Der Sammelband "Denkmalsturz" hat dafuer eine erste wichtige Grundlage geliefert.

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