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Titel
Ein Stratege im Exil. Hermann Budzislawski und ,Die neue Weltbühne'


Autor(en)
Teuber, Toralf
Reihe
Europäische Hochschulschriften 1 1895
Erschienen
Frankfurt am Main 2004: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
XLVIII, 259 S.
Preis
€ 51,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simone Barck, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Im Spektrum der Zeitschriften des Exils ist „Die neue Weltbühne” (NWB) von der Forschung bisher zu Recht als wichtiges Forum der Einheits- und Volksfrontpolitik, als antifaschistisches Kommunikationsorgan mit pluralistischem Charakter, gewertet worden. Strittig war dabei, ob und wie der Einfluss der KPD auf Inhalt und die Redaktionsführung von Hermann Budzislawski (HB) zu beurteilen sei. Während der renommierte Exilforscher Hans Albert Walter sie 1978 als ein „getarntes Organ der KPD” beurteilen zu müssen glaubte, kam Lieselotte Maas in ihrem standardsetzenden „Handbuch zur deutschen Exilpresse” 1990 zu einem differenzierteren Befund, wenn sie die politische Grundtendenz der NWB zwar als sich zeitweise mit der offiziellen KPD-Politik deckend beschreibt, aber betont, „nie jedoch erschien sie oder gab sie sich als deren bloßes Instrument”. In DDR-Darstellungen dominierte die Wertung der NDW als eines „der wichtigsten Organe der Volksfrontpolitik” (1980). Hier Klarheit geschaffen zu haben, ist ein wichtiges Verdienst der vorliegenden Dissertation: Parteispezifische Steuerungen oder gar Finanzierungen durch KPD oder gar Komintern sind nicht nachweisbar. Alle bisherigen Vermutungen und Verdächtigungen resultierten aus der deftigen Gerüchteküche des Exils. Diesen für den Stellenwert der Zeitschrift und die spezifische journalistische Leistung ihres Herausgebers HB zentralen Befund erbracht zu haben, war dem Verfasser möglich auf der Grundlage (zweier) erstmals von ihm ausgewerteter Archiv-Bestände, der redaktionellen Unterlagen der NWB, die seinerzeit in Paris 1939 von Gestapo und Reichssicherheitshauptamt (RSHA) beschlagnahmt und nach Schlesien auslagert worden waren. Sie wurden von der Roten Armee gesichert und nach Moskau verbracht, wo sie sich seitdem im so genannten „Sonderarchiv” des Russischen Staatlichen Militärarchives befinden. Für die Forschung zugänglich wurden sie erst in den 1990er-Jahren. Ein Teil des Redaktionsarchivs aus Paris (24 Aktenbündel) war jedoch 1966 über das polnische ZK der PVAP als „Geschenk” ins Institut für Marxismus und Leninismus (IML) beim ZK der SED gelangt, wo es sekretiert wurde. Der Enkel von HB, Thomas Eckert entdeckte diese Unterlagen dort in den 1980er-Jahren und bemühte sich vergeblich, sie für seine geplante Dissertation über die NWB zu nutzen. Erst 1989/1990 konnte er die Materialien, nun im „familiären Besitz”, auswerten; durch seinen plötzlichen Tod 1994 blieben seine Forschungen allerdings unvollendet. Teuber bekam diesen nun beim Sohn Eckerts befindlichen Bestand zeitweise für seine Arbeit zur Verfügung gestellt (als NWB-Archiv zitiert). Auf der Grundlage dieser Materialien kann Teuber tatsächlich einen „Blick hinter die Kulissen jener traditionsreichen und weltweit verbreiteten Wochenschrift” (S. 7) werfen. Dabei geht es dem Verfasser vor allem um die Rekonstruktion der Redaktionsführung des Herausgebers und Journalisten HB, um seine „beispiellose publizistische Karriere” zu erklären (S. 241). Sein erklärtes Ziel ist es, die von HB und seinen Nachkommen verbreitete „ästhetisierte Geschichte seines Exils und seines Lebens”, das „Gewebe von Dichtung und Wahrheit”, zu entflechten, um eine „Verobjektivierung [was für ein Wort!] bislang subjektiv geprägter Geschichten” (S. 11) zu erreichen. Die verständliche Absicht, die existierenden Legenden um die Zeitschrift und die Rolle HBs destruieren zu wollen, verkehrt sich, indem der Verfasser strikt und fast ausschließlich seinen vorgefassten polemischen Leitlinien folgt, zu einer generalisierenden Demontage des Publizisten und Menschen HB, die einigermaßen befremdet. Zwar gesteht der Verfasser diesem zu, in all seinem Tun motiviert gewesen zu sein „von dem festen Entschluss, gegen Hitler und den Nationalsozialismus zu kämpfen” (S. 14) und betont, dass sich sein „Erkenntnisinteresse [...] nicht auf ein schuldig sprechen eines zugegeben verdienten Journalisten und Herausgebers der Weltbühne im Exil” richte, „sondern auf das erstmalige publik machen von individuellen Begehrlichkeiten, Intrigen, finanziellen Katastrophen, persönlichen Animositäten und politischen Strategien, die sich um die NWB hinter den Kulissen ranken” (S. 16). Bei den der Darstellung vorausgeschickten Thesen (die zugleich als Ergebnisse der Arbeit angesehen werden müssen) kommt jedoch die „Entlarvung” HBs als „Jongleur zwischen Dichtung und Wahrheit” (S. 9) und seines „opportunistischen Verhaltens und seines meisterhaften Rollenspiels” (S. 12) heraus, sowie seine Besessenheit, „Ruhm zu erlangen” (S. 92), also ein wenig schmeichelhaftes Charakterbild. Selten las ich bisher eine Dissertation, die sich so wenig auf die historischen Kontexte ihres Gegenstands einläßt und sich als weitgehend blind für die Besonderheiten des antifaschistischen Exils erweist, wozu auch der fehlende vergleichende Blick (bis auf Leopold Schwarzschilds „Das neue Tagebuch”) auf andere Zeitschriften gehört. Der Verfasser analysiert die Geschichte der NDW in Wien, Prag und Paris nicht als Teil antifaschistischer Kommunikation im Exil unter politisch und existentiell prekären Verhältnissen, sondern erzählt die Story einer redaktionellen und verlegerischen Usurpation eines mit „Raffinesse und strategischem Kalkül” (S. 241) ausgestatteten „verschlagenen” (S. 193) jungen Mannes, der vom „Begehren nach finanzieller wie geistiger Anerkennung” (S. 242) geleitet war. Die Behauptung des Verfassers, dass ein starkes Motiv HBs dabei sein Drang gewesen sei, „seiner kleinbürgerlichen Herkunft zu entfliehen” (S. 194), wirkt auf mich ziemlich befremdlich, zumal fast nur in diesem Zusammenhang expressis verbis von der jüdischen Herkunft und Familie HBs die Rede ist. Ansonsten ist dessen dreifache Verfolgung und Gefährdung als Sozialist, antifaschistischer Publizist und Jude dem Verfasser leider kaum einer Erörterung wert.

Wie sieht nun das vom Verfasser angekündigte „neue Bild” der Wochenschrift aus? Man liest gespannt von den höchst komplizierten Eigentumsverhältnisse des „Blattes”, in die Edith Jakobsohn, verschiedene weitere Emigranten, Helene Reichenbach und HB selbst involviert sind. Nach den Einblicken in die konkurrierenden redaktionellen Verantwortlichkeiten von Willi S. Schlamm, Heinz Pol, HBs selbst ist man dann erstaunt, dass dieses „Blatt” ohne größere Unterbrechungen in diesen explosiven Zeiten und an wechselnden Orten erschienen ist. Dies muss wohl doch vor allem als die bleibende Leistung des seit März 1934 als Chefredakteur tätigen HB angesehen werden. In der Analyse seines Umgangs mit alten und neuen Autoren erwies sich HB als „großer Kommunikator im antifaschistischen Exil und innerhalb der jüdischen Massenemigration” (Dieter Schiller, 2003). Der Vorwurf Teubers an HB, „politische Kompromisse” gemacht zu haben, geht meines Erachtens an den Realitäten des Exils vorbei: Die Volksfrontpolitik bildete sich eben über einige Jahre heraus, was Irrtümer und Korrekturen und „Wendungen” mit sich brachte, und Kompromisse waren im Interesse des Kampfes gegen Nazi-Deutschland notwendig. Der publizistische Anteil der parteiunabhängigen NWB an diesem Prozess, wie ihn bereits Lieselotte Maas und Dieter Schiller analysiert haben, bleibt auch nach Teubers ins Negative tendierender Wertung für mich unbestritten.

Im Kapitel über Heinrich Mann, einem der wichtigsten Autoren der NWB (allein 190 Blatt umfasst die bisher unbekannte Korrespondenz zwischen ihm und HB, 70 Artikel brachte das „Blatt” von Heinrich Mann heraus) kann der Verfasser einige Zensur-Eingriffe HBs nachweisen. Auch im Umgang mit den Beiträgen Louis Fischers, der unter anderem über die Sowjetunion und die Moskauer Prozesse schrieb, erwies sich HB als so energischer Korrektor, dass der Autor gegen die „ungeheure Verkrüppelung” seiner Texte protestierte und eine „Richtigstellung” erscheinen musste. (S. 79ff.). Gravierend waren auch HBs (die scharfe Kritik an den Juden, den Linken, dem Versagen der gesamten deutschen Emigration, an den Parteien, an Stalin u.a. betreffenden) Kürzungen von Kurt Tucholskys Brief an Arnold Zweig. Das wird evident, wenn man diesen am 15. Dezember 1935, kurz vor seinem Tod geschriebenen Brief, der in der NWB im Februar 1936 veröffentlicht wurde, mit dem Original im Anhang (XIX-XXV mit Kennzeichnung der „Auslassungen” und „Änderungen” durch HB) vergleicht.

Einige echte Neuigkeiten kann der Verfasser präsentieren. So etwa mit der Information über Helmut Gusdorfs seit 1937 von den USA aus angestellte Bemühungen um eine dortige Herausgabe der NWB. Auch wird erstmals der Anteil von Johanna Budzislawski an der Redaktionsarbeit (als „unsichtbare, zweite Redakteurin”, S. 201) belegt, der über das Abschreiben von Manuskripten und Verhandeln mit Autoren hinaus in der wichtigen Anlage des „Archivs” bestanden hat. Im Fall der bisher strittigen Angaben über die Auflagenhöhe (9.000-16.000 Exemplare) der NWB ergibt sich nach Auswertung der Redaktionsunterlagen eine wesentlich geringere Auflage von 5.000 oder 6.000 Exemplaren (S. 9). Daher auch der verzweifelte, stete Kampf um mehr Abonnenten und um den oft schwierigen Absatz. Angesichts eines immer kleiner werdenden europäischen Marktes ist es geradezu erstaunlich, dass die Zeitschrift trotz erheblicher Kreditschulden zeitweise mit Gewinn gearbeitet hat und ihren Autoren manches lebenswichtige Honorare zahlen konnte. So z.B. an Heinrich Mann, der das Geld für seine in Prag lebende geschiedene Frau und Tochter verwendete. Das beendete natürlich die fortschreitende Nazi-Okkupation, von der die von Prag nach Paris geflüchtete NWB Ende August 1939 erreicht wurde. Nach seiner Inhaftierung konnte HB, der aus dem Internierungslager „versehentlich” entlassen wurde, im Oktober 1940 mit seiner Familie via Lissabon nach New York entkommen. Damit war auch das Ende der NDW besiegelt. Seit Juni 1946 erschien in der SBZ das rote „Blättchen” wieder: „neu herausgegeben von Maud von Ossietzky” und von Hans Leonard redigiert. Doch das ist eine andere, weitgehend noch ungeschriebene Geschichte, zu der aber gehört, dass HB nach seiner Emeritierung an der Leipziger Universität in den Jahren 1967 bis 1971 für sein altes „Blatt” als Chefredakteur wirken konnte.

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