Osteuropa 53 (2003), 9-10

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Osteuropa 53 (2003), 9-10
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Jahresabo 79 €, Einzelheft 9,50 €, Doppelhefte je nach Umfang zwischen 18 € und 28 €

 

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Institution
Osteuropa
Land
Deutschland
c/o
Redaktion „Osteuropa“ Dr. Manfred Sapper, Dr. Volker Weichsel, Dr. Andrea Huterer, Olga Radetzkaja, Margrit Breuer Schaperstraße 30 10719 Berlin Tel. 030/30 10 45 - 81 / 82 Fax 030/21 47 84 14 E-mail: osteuropa@dgo-online.org
Von
gebert@dgo-online.org

Inhaltsverzeichnis und Abstracts

Inhaltsverzeichnis

Osteuropa 53. Jahrgang, 9-10/2003

Themenheft: Rußland in Europa. Der Kontinent steht kopf

Inhaltsverzeichnis

Editorial: Europäische Gymnastik, S. 1212

Kulturräume

Jurij Andruchovyč: Mit einer seltsamen Liebe . . ., S. 1215

Andrej Gornych: Rußland als Geschmackssache. Anmerkungen zu Jurij Andruchovyč, S. 1223

Vladimir Papernyj: Glaube und Wahrheit. Gide und Feuchtwanger in Moskau, S. 1228

D. Beyrau, W. Eichwede, E. Jahn, A. Kamenskij, A. Kappeler, L. Wolff, A. Zorin: Rußland in Europa. Neuer Wein in alten Schläuchen? Fragen an die Historie, S. 1245

Dorothea Redepenning: Russischer Stoff, europäische Form. Der Dialog der Kulturen in der Musik, S. 1262

Boris Dubin: Masse und Macht. Literatur und Buchmarkt in Rußland, S. 1281

Birgit Menzel: Blick durch ein deutsches Teleskop. Russische Literaturkritik im Wandel, S. 1295

Stadträume

Oleg Charchordin, Larisa Ivanova Veėn: Novgorod als res publica, S. 1308

Kirill Levinson: Die deutsche Stadt der Vormoderne. „Ganz normale Menschen?“ S. 1334

Vladimir Gel’man: Reform retour. Rußlands kommunale Selbstverwaltung vor dem Aus? S. 1343

Evgenij Saburov: Das kommunale Koma, S. 1353

Stanislav Savickij: Theater eines Souffleurs. Zur Modernisierung eines Stadt-Theaters, S. 1357

Ivan Sablin: Mariinskij-Theater – die zweite, S. 1365

Arkadij Bartov: Der Mythos Sankt Petersburg, S. 1371

Boris Groys: Die Stadt im Zeitalter ihrer touristischen Reproduzierbarkeit, S. 1378

Robert Argenbright: Platz schaffen für die neue Mittelklasse. Moskaus dritter Transportring, S. 1386

Robert Rudolph, Isolde Brade: Die Moskauer Peripherie. Transformation und globale Integration, S. 1400

Karl Schlögel: Moskau und Berlin im 20. Jahrhundert. Zwei Stadtschicksale, S. 1417

Kontinentalräume

Klaus Müller: Rußlands Europäisierung. Ein Weg in die globalisierte Moderne, S. 1440

Otto Luchterhandt: Rußland in Europa - die institutionelle Dimension, S. 1456

Andrej Zacharov: Ein Novum mit Tradition. Föderalismus in Rußland und Europa, S. 1469

Sergej Filatov: Christentum als Wertebasis Europas? Zur Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche, S. 1478

Nadežda Arbatova: Kooperation oder Integration? Rußland und das Große Europa, S. 1492

Vjaceslav Morozov: Auf der Suche nach Europa.
Der politische Diskurs in Rußland, S. 1501

Aleksej Levinson: Evroz, S. 1515

Roland Götz: Licht und Schatten. Die Energiepartnerschaft zwischen Rußland und der EU, S. 1525

Tobias Münchmeyer: Rußlands nukleare Prostitution. Brennstoffe geben, Brennstäbe nehmen, S. 1540

Igor' Knjazev: Sibirien - Rußland – Europa. Kto kogo? - oder: Wer bremst wen? S. 1549

Svetlana Pogorel'skaja: Auf der Suche nach dem Neuen Rußland im deutschen Blätterwald, S. 1557

Abstracts:

Vladimir Papernyj: Glaube und Wahrheit. André Gide und Lion Feuchtwanger in Moskau.
Die junge Sowjetunion übte eine große Faszination auf zahlreiche westliche Intellektuelle aus. In Scharen kamen sie in das Land, um das Experiment dieser gewaltigen Transformation einer ganzen Gesellschaft mit eigenen Augen zu sehen. Lion Feuchtwanger und André Gide reisten mit großen Vorschußlorbeeren an – ihre Eindrücke vor Ort könnten nicht unterschiedlicher sein. Ihre Reiseberichte aus den 1930er Jahren sind in einem Sinne paradigmatisch für westliche Urteile über Rußland: Sie sind nicht nur von der Individualität des Beobachters geprägt, sondern ebenso von der Ambivalenz des Beobachteten.

D. Beyrau, W. Eichwede, E. Jahn, A. Kamenskij,A. Kappeler, L. Wolff, A. Zorin: Rußland in Europa. Neuer Wein in alten Schläuchen? Fragen an die Historie.
Erkenntnis bedarf der immer neuen Reflexion, um nicht zu Interesse zu erstarren. Das Nachdenken über das Verhältnis zwischen Rußland und Europa füllt Bibliotheken. In einer Zeit, die von Globalisierung und wachsender Verflechtung in Kommunikation, Kultur, Wirtschaft und Politik gekennzeichnet ist, gehören die historisch gewachsene räumliche Verortung und die kognitiven Landkarten in West und Ost auf den Prüfstand. Wo also ist Rußlands Platz in Europa, und was ist das spezifisch Russische an Europa? OSTEUROPA hat Historiker eingeladen, mit dem Handwerkszeug ihrer Profession einen Blick zurück nach vorne zu werfen. Dietrich Beyrau, Wolfgang Eichwede, Egbert Jahn, Aleksandr Kamenskij, Andreas Kappeler, Larry Wolff und Andrej Zorin sind dieser Einladung gefolgt.

Dorothea Redepenning: Russischer Stoff, europäische Form. Der Dialog der Kulturen in der Musik.
Der Gang durch die Petersburger Musikgeschichte veranschaulicht an ausgewählten Beispielen die vielfältigen Aspekte des interkulturellen Dialogs. Dieser hat im Laufe des 19. Jahrhunderts einen spezifischen musikalischen Stil entstehen lassen, der Ausländern und Russen als „russisch“ im emphatischen Sinne erscheint.

Boris Dubin: Masse und Macht. Literatur und Buchmarkt in Rußland.
Die letzten zwölf Jahre haben die rußländische Gesellschaft tiefgreifend verändert. Der Markt ist umfassend privatisiert worden, Literatur und Leserschaft sind nicht mehr homogen. Die Funktion des gedruckten Wortes hat sich verändert. Einerseits wird Massenkultur produziert, andererseits gewinnen Organe mit minimaler Auflage an Qualität. Die früher charakteristische Vordenkerrolle der Intelligencija ist nicht mehr existent.

Birgit Menzel: Blick durch ein deutsches Teleskop. Russische Literaturkritik im Wandel.
Nicht nur die Kommerzialisierung von Literatur und Kultur hat die einstige Autorität der russischen Literaturkritik erschüttert und traditionelle Publikationsmedien aufgelöst. Durch die als chaotisch und bedrohlich erlebte Vielfalt blockiert, leidet die Literaturkritik an einer moralischen und ästhetische Werte- und Orientierungskrise. Überdies ist sie in Skandalen und Konkurrenzkämpfen verfangen. Trotz positiver Ansätze ist Rußlands Literaturkritik noch nicht in der Lage, den Herausforderungen durch die neue Literatur und Realität gerecht zu werden.

Oleg Charchordin, Larisa Ivanova-Veėn: Novgorod als res publica.
Die Große Brücke über den Fluß Volchov in der Republik Novgorod (1134–1470) war eine der res publica, die Novgorod erst zur Republik machten. Die Brücke der Chroniken und Ikonen versammelt die Göttlichen und die Sterblichen, die Natur und die Politik. Das gemeinsame Handeln der Novgoroder, das Novgorod seine Größe verlieh, richtete sich auf die Brücke und hatte auf ihr seinen Platz. Die altrussische republikanische Stadt Novgorod läßt uns so erkennen, wie wichtig die dingliche Komponente des Phänomens der res publica ist.

Kirill Levinson: Die deutsche Stadt der Vormoderne. „Ganz normale Menschen“?
Historische Erkenntnis erfordert die Überwindung von Raum und Zeit. Festzustellen ist, was war. Interkulturelle Erkenntnis stellt den Historiker vor weitere Herausforderungen. Semantik und Etymologie behindern den Austausch. Die Schicksale einzelner Menschen machen politische Zusammenhänge erkennbar und führen die Gemeinsamkeiten aller jenseits kultureller Grenzen vor Augen. Der Beitrag illustriert das Handwerk des Historikers, der auf einem Spaziergang das frühneuzeitliche Augsburg erschließt.

Vladimir Gel’man: Reform retour. Rußlands kommunale Selbstverwaltung vor dem Aus?
Kommunale Selbstverwaltung in Rußland ist jung. Erst seit zehn Jahren genießt sie Verfassungsrang. Die schwache demokratische Substanz und minimale Steuerschöpfung vor Ort schränkten die Autonomie real ein. Die Abwälzung föderaler Kompetenzen auf die Kommunen ohne entsprechende Mittel überforderte ihre Handlungsspielräume. Abhilfe sollte die Föderalreform und eine Reform der lokalen Selbstverwaltung schaffen. Der Gesetzesentwurf verrät den Geist der Zeit. Neben der Rezentralisierung der politischen Macht geht es um die Rückkehr zum sowjetischen Verständnis von lokaler Politik als letztem Glied einer administrativen Befehlskette und zur Finanzierung durch Dotationen und Subventionen von oben: Auf dem Spiel steht mehr als die kommunale Selbstverwaltung.

Ivan Sablin: Marinskij-Theater, die zweite.
Wie unter einem Brennglas zeigen sich an dem Projekt der Rekonstruktion des Mariinskji-Theaters in Sankt Petersburg die Brüche der Globalisierung, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Ein internationaler Wettbewerb, der globale architekturästhetische Normen nach Rußland bringen soll, gerät in den Verdacht, von Petersburger und Moskauer Bürokraten nach ganz anderen Maßstäben entschieden zu werden. Was in den USA als postmoderne Dekonstruktion auftritt und sich in architekturhistorischen Kontext einfügt, erscheint in Rußland als modernistische Radikalität.

Boris Groys: Die Stadt im Zeitalter ihrer touristischen Reproduzierbarkeit.
Die ursprüngliche Idee der Stadt ist die Isolation, innerhalb derer sie sich ständig zerstört und wieder erneuert. Diese Stadtidee ist jedoch überholt. Sie wurde von einem konservativen Tourismus abgelöst, der durch Betrachtung Monumente für die Ewigkeit schuf. Die globale Vernetzung setzt die Stadt nun wieder in einen geographischen Kontext. Der postmoderne totale Tourismus homogenisiert die Städte. Sie werden weltweit reproduziert. Ort der Utopie ist nicht mehr die Stadt, sondern die Zukunft. In der Zukunft wird der Kosmos zum neuen Utopos.

Robert Argenbright: Platz schaffen für die neue Mittelklasse. Moskaus dritter Verkehrsring.
Moskaus neue Mittelklasse läßt sich vor allem über Konsumismus und Auto-Manie definieren. Für sie entstehen neue Räume. Als größtes Bauvorhaben seit dem Ende der UdSSR stellt der dritte Verkehrsring einen Wendepunkt in der Stadtgeschichte dar. Doch die Verkehrsprobleme werden dadurch langfristig nicht gelöst. Das Vorhaben kostet sehr viel und wirkt sich negativ auf Umwelt und Stadtbild aus. Zudem gefährdet es durch die Verringerung des öffentlichen Raumes die Zivilgesellschaft. Geht Moskau den eingeschlagenen Weg weiter, droht die staatlich geförderte Auto-Manie Ungerechtigkeit zu festigen und Moskau zu teilen.

Robert Rudolph, Isolde Brade: Die Moskauer Peripherie. Transformation und globale Integration.
Moskau und das Moskauer Gebiet erfuhren während der 1990er Jahre eine starke räumliche Differenzierung und Polarisierung. Im Stadtzentrum und in den angrenzenden Vierteln entstanden eine international orientierte Geschäftsinfrastruktur, neue Bürostandorte und Geschäftsstraßen sowie Zonen des gehobenen Konsums. Dem privilegierten Raum stand eine städtische Peripherie gegenüber, die von vielfältigen Formen des Niedergangs gekennzeichnet war. Stellenweise entwickelte sich jedoch auch hier ein kleinbetriebliches Gewerbe. Erst seit der allmählichen ökonomischen Konsolidierung seit dem Ende der 1990er Jahre entstehen großflächige Einzelhandelsstandorte und Freizeitparks, die vergleichbaren Strukturen an den Peripherien der großen Metropolen auf dem gesamten Globus ähneln.

Karl Schlögel: Moskau und Berlin im 20. Jahrhundert. Zwei Stadtschicksale.
Moskau mit seinen heute zwölf Millionen Einwohnern und Berlin mit seinen 3,5 Millionen blicken zurück auf ein Jahrhundert dramatischer Stadtentwicklung. Darin gibt es viel Übereinstimmung und noch mehr Unterschiede. Beide Städte sind – auf ganz verschiedene Weise – geprägt worden von der exzessiven Dynamik und Gewaltentfaltung des 20. Jahrhunderts; beide sind für eine bestimmte Zeit herausgefallen aus dem Kreis der großen Städte der Welt, beide sind dabei, in ihn zurückzukehren und ihre Rolle neu zu definieren.

Klaus Müller: Rußlands Europäisierung. Ein Weg in die globalisierte Moderne.
Im Kontext der Osterweiterung der EU wird erneut darüber diskutiert, wo die äußeren Grenzen Europas verlaufen. Tatsächlich deutet der unterschiedlich erfolgreiche Verlauf der postkommunistischen Transformationen eine neue Trennlinie an, die zwischen den erfolgreicheren Beitrittskandidaten und den nur partiell reformierten Nachfolgestaaten der UdSSR verläuft. Die besonderen Probleme, mit denen die östlicheren Reformstaaten und insbesondere Rußland belastet sind, rechtfertigen allerdings nicht, daran zu zweifeln, daß Rußland zu einem Europa gehört, über dessen Grenzen die EU keine alleinige Definitionsmacht beanspruchen kann.

Otto Luchterhandt: Rußland in Europa – die institutionelle Dimension.
In der letzten Phase der Sowjetunion und vor allem in der Perestrojka waren die OSZE und der Europarat von entscheidender Bedeutung für die politische und institutionelle Integration des Rußlands in europäische Strukturen. Obwohl es in dieser Zeit zu einer Annäherung an das Wertesystems Europas kam, sind Menschenrechtsverletzungen und Rechtsunsicherheit immer noch weitverbreitet. Rußlands Zukunft ist eine Kooperation mit der EU, nicht aber in eine Mitgliedschaft.

Andrej Zacharov: Ein Novum mit Tradition. Föderalismus in Rußland und Europa.
Wer über Gemeinsamkeiten zwischen Rußland und der Europäischen Union nachdenkt, stößt schnell auf die föderale Ordnung. Historisch betrachtet ist sie für Rußland und Europa jeweils ein Novum. Auch der Zugang zur Verwirklichung der föderalistischen Idee ist ähnlich. Jeweils geht es um den Aufbau eines „Föderalismus von oben“, entweder nach einem ausgearbeiteten Plan wie in der EU, oder chaotisch und spontan wie in Rußland. Rußlands Weg zu einer föderalen Ordnung führte über trial and error. Die dabei erworbenen Erfahrungen bieten allgemeine Lehren, die über Rußland hinaus anwendbar sind.

Sergej Filatov: Christentum als Wertebasis Europas? Zur Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche.
Nach der Christianisierung der Rus’ stand die Orthodoxie in engem Kontakt mit dem lateinischen Christentum. Mit der Verschmelzung von Staat und Kirche im 15. und 16. Jahrhundert entwickelte sie sich jedoch zunehmend zur ideologischen Stütze einer Westeuropa fremden Staatsauffassung und anti-westlichen Politik. In der Sowjetunion lebte diese Tradition in den späten 1930er Jahren wieder auf. Bis heute ist die Russisch-Orthodoxe Kirche ein Hort der Feindschaft gegenüber westlichem Denken aller Art – einschließlich dem konservativen katholischen. Exemplarisch kommt dies an der im Jahre 2000 verabschiedeten Sozialdoktrin zum Ausdruck. Erst wenn auch die Russisch-Orthodoxe Kirche anerkennt, daß sie Teil der europäischen Zivilisation ist, wird Rußland ein Teil Europas sein.

Nadežda Arbatova: Kooperation oder Integration? Rußland und das Große Europa.
Die neue Nachbarschaftsstrategie der EU weist gravierende Mängel auf. Der Raum östlich der EU wird als Einheit betrachtet. Rußland kommt jedoch eine Sonderrolle zu, weil seine Ressourcen für ganz Europa bedeutend sind. Auch ist europäische Sicherheit ohne Rußland nicht denkbar. Die bestehenden Strategieerklärungen Rußlands und der EU haben keine Substanz mehr. Für eine erfolgreiche Entwicklung der rußländischen Demokratie ist die internationale Einbindung unerläßlich. Sinnvoll wäre eine „besondere Assoziation“ der Rußländischen Föderation mit der EU.

Vjačeslav Morozov: Auf der Suche nach Europa. Der politische Diskurs in Rußland.
Rußland diskutiert seit Jahrhunderten über seinen Platz in Europa und sein Verhältnis zum Westen. Der Westen wird meist als Bedrohung gesehen, der Rußland mit wesensfremden Elementen überströmt und das Land kolonisiert. Das Bild von Europa hingegen ist ambivalent. Mal kann Europa als Teil des feindlichen Westens betrachtet werden, als falsches Europa, mal als „wahres“ Europa, dem Rußland wie selbstverständlich zugehört. Auch im vergangenen Jahrzehnt bewegte sich der außenpolitische Diskurs über Rußlands Platz in Europa und sein Verhältnis zum Westen im Rahmen dieser mentalen Landkarten. Die NATO-Osterweiterung und der Krieg gegen Jugoslawien betrachtete die verunsicherte politische Klasse als Ausdruck einer Verirrung Europas. Seit dem Amtsantritt Vladimir Putins hat sich das Europa-Bild deutlich gewandelt

Aleksej Levinson: Evroz.
Die politische Klasse Rußlands diskutiert über ein engeres Verhältnis mit der Europäischen Union. Was aber denkt und empfindet die Bevölkerung, der so oft zugeschrieben wird, sie betrachte die Europäisierung Rußlands viel skeptischer als die Elite? Umfragedaten zeigen, daß zwar nur eine Minderheit sich emotional als Europäer empfindet, aber eine deutliche Mehrheit sich rational zu den Europäern zählt. Zwar sind wie auch immer geartete „eigene“ Entwicklungswege immer noch attraktiv, die meisten Bürger Rußlands halten jedoch einen demokratischen Staat nach westlichem Vorbild für die Zukunft Rußlands.

Roland Götz: Licht und Schatten. Die Energiepartnerschaft zwischen Rußland und der EU.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Rußland und der EU wird von privaten Unternehmen und Regierungsinstanzen vorangetrieben. Zur Integration Rußlands in den europäischen Wirtschaftsraum kann es wegen inkompatibler Ziele mittelfristig nicht kommen. Die EU hegt auf dem Gebiet der Energiebeziehungen momentan kaum erfüllbare Erwartungen. Die rußländische Gaswirtschaft kann den jetzigen Lieferumfang nur aufrechterhalten, wenn der rußländische Binnenverbrauch nicht ansteigt. Dies erfordert eine Abkehr von der staatlichen Preisregulierung. Zwar entspricht die Struktur des Warenaustauschs der EU mit Rußland heute kolonialen Verhältnissen. Eine kluge Wirtschaftspolitik ermöglicht es, damit verbundene Nachteile zu vermeiden. Rußlands Integration in Europa erfordert ein offenes Wirtschaftsmodell.

Tobias Münchmeyer: Rußlands nukleare Prostitution. Brennstoffe geben, Brennstäbe nehmen.
Rußland versorgt die Weltmärkte mit seinem Mineralöl und Erdgas und nimmt dabei hohe ökologische Kosten in Kauf. Offenbar sieht die Regierung Rußlands in der Übernahme ökologischer Risiken eine gewinnbringende Nische im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung. Dies zeigt besonders die gegen den Widerstand der Bevölkerung beabsichtigte Einfuhr von Atommüll.

Igor’ Knjazev: Sibirien – Rußland – Europa. Kto kogo? Oder: Wer bremst wen?
Sibirien gilt aufgrund einer „asiatischen Mentalität“ und seiner wirtschaftlichen Rückständigkeit als Bremsklotz für die Integration Rußlands in Europa. Tatsächlich aber hat Sibirien auch eine liberale Tradition, und die wirtschaftlichen Probleme sind nicht unüberwindbar. Sie sind vielmehr Ausdruck einer einseitig auf die Ausbeutung der Rohstoffe ausgerichteten Politik des Moskauer Zentrums. Das Zusammenwachsen Rußlands und Europas ist eine Chance für Sibirien: Das föderale Zentrum muß im Zuge der Integration Kompetenzen nach unten delegieren, beispielsweise in der Migrations- und der Wirtschaftspolitik. Zudem könnte Sibirien horizontale Beziehungen zu den Regionen Europas und aufbauen. Sibirien würde vom Bremsklotz zur Zugmaschine.

Svetlana Pogorel’skaja: Auf der Suche nach dem Neuen. Rußland im deutschen Blätterwald.
Die Anschläge auf die USA und Vladimir Putins Amtsantritt veränderten die deutsche Berichterstattung über Rußland. Die partnerschaftlichen Beziehungen verdrängten die Transformation als beherrschendes Thema. Der Krieg in Tschetschenien geriet im Zuge des „Kampfes gegen den Terror“ in den Hintergrund. Kaliningrad hingegen, dem traditionell große Aufmerksamkeit gewidmet wird, geriet während der Verhandlungen zwischen der EU und Rußland über die Transitfrage ins Zentrum des Interesses.

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