Internationale Politik 60 (2005), 4

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Internationale Politik 60 (2005), 4
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Das Kreuz mit den Religionen

Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
1430-175X
Anzahl Seiten
144
Preis
€ 9,95

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Wagner, Patrick

Das Kreuz mit den Religionen
Rocco Buttiglione, heute Europa-Minister der Regierung Berlusconi, ist ein aufrechter Katholik. Mit seinen christlichen Überzeugungen hält er nicht hinter dem Berg, wenn man ihn danach fragt. Dieses tat im vergangenen Herbst das Europäische Parlament, denn Rocco Buttiglione war dazu ausersehen, Justiz-Kommissar der Europäischen Union zu werden. Nach der Befragung gab es einen gewissen Aufstand, der dazu führte, dass Rocco Buttiglione letztlich nicht EU-Kommissar wurde. Man erinnere sich: Buttigliones zutiefst im katholischen Glauben wurzelnde Ansichten – etwa über die Schwulenehe und die Rolle der Frau – wurden von den meisten europäischen Volksvertretern als dermaßen politisch unkorrekt empfunden, dass der Italiener seine Kandidatur zurückziehen musste.
Ein doch bemerkenswerter Vorgang, nicht? Das Parlament des „christlichen Abendlands“ – das im Übrigen parallel hitzig über den Gottesbezug in der Präambel zur europäischen Verfassung und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der muslimischen Türkei stritt – hält einen gläubigen Christen wegen seines Glaubens für nicht kompatibel mit einem hohen EU-Posten. Noch erstaunlicher war, dass der Fall Buttiglione kaum für Aufsehen sorgte. Europa mag heute vieles sein – als „christlich“, so scheint es, versteht es sich immer weniger. So wächst auch in Glaubensdingen die transatlantische Entfremdung.
Im gottesfürchtigen Amerika fragen sich Kongressabgeordnete:
„Warum sollen wir Europa ernst nehmen? Dort gehen sie nicht einmal in die Kirche!“ Im säkularen Europa beobachtet man dagegen die wachsende politische Macht der Christlichen Rechten in den USA mit irritiertem Kopfschütteln. Für die IP ist dies ein Anlass, dem Thema Religion(en) ein ganzes Heft zu widmen: Unsere Autorinnen und Autoren analysieren den amerikanischen und europäischen, christlichen und muslimischen, ja sogar den indischen Umgang mit religiösen Fragen – herausgekommen ist ein kritischer Blick vor allem auf Europa. Und das erscheint uns nun wirklich bemerkenswert.
Kommt der nächste Papst aus China?

Inhaltsverzeichnis

Marcia Pally: Duell der Paradoxien
Die Amerikaner sind religiös, die Europäer dagegen säkular bis zur Intoleranz. Deshalb gelingt den USA die Integration von Minderheiten weit besser
Aufgeklärte Europäer begegnen amerikanischer Religiosität gern mit Herablassung. Aber, fragt die Amerikanerin Marcia Pally, warum ignorieren sie ihre eigene kulturelle Intoleranz – etwa die Neigung, muslimische Immigranten noch in der dritten Generation auszugrenzen? Europa sollte seinen Umgang mit Glaubensfragen kritisch überprüfen.

Alan Wolfe: Versöhnen und spalten
Religion kann als einheitsstiftende Kraft einer multikulturellen Gesellschaft dienen
Amerika ist eine polarisierte Gesellschaft, der Grund dafür ist die Spaltung zwischen Fundamentalisten und Aufgeklärten – so lautet das Klischee. Mit der Realität hat es nicht viel zu tun. Gläubige leben ihren Glauben in der Praxis individuell und kreativ aus, Religion kann sogar als einheitsstifende Kraft in einer multikulturellen Gesellschaft dienen.

Karsten D. Voigt: Was der Westen glaubt
Klischees bestimmen die Debatte auf beiden Seiten des Atlantiks. Doch der Versuch, einander zu verstehen, tut Not, wenn Europa und Amerika sich nicht entfremden wollen
In den Vereinigten Staaten bestimmen evangelikale Christen zunehmend die Politik, Präsident Bush wird als „spiritual leader“ angesehen. Das säkularere Europa betrachtet diesen Trend mit Misstrauen. Doch werden die Unterschiede verdrängt, wird die transatlantische Kluft weiter wachsen. Deshalb sollten sich beide Seiten um Verständnis bemühen.

Josef Braml: Die religiöse Rechte in den USA
Evangelikale Christen werden zunehmend auch die außenpolitische Agenda bestimmen
Christliche Rechte sind eine wichtige Wählergruppe der Republikaner. Mit ihren Überzeugungen beeinflussen sie zunehmend die amerikanische Außenpolitik, vor allem im Nahen Osten. Doch diese „weichen“ Faktoren werden in der europäischen Politikanalyse oft ausgeblendet – was zu Fehleinschätzungen führt und die transatlantische Allianz belasten kann.

Peter Jukes: Die Apokalypse in uns
Europa wähnt sich vor religiösem Fundamentalismus sicher. Dies könnte ein Irrtum sein
Europa wähnt sich sicher. Mit religiösem Fundamentalismus hat man nichts zu tun. Dabei wird leicht übersehen, wie sich die apokalyptischen Impulse in der Kultur der Moderne fortsetzen. Sie erfüllen Sehnsüchte, von denen auch Europa immer wieder erfasst wird.

Tariq Ramadan: In Europa zu Hause sein
Gläubig, finanziell unabhängig, staatsbürgerlich engagiert: Wie eine zeitgenössische europäisch-muslimische Identität aussehen könnte
Muslime in Europa begegnen dem Anpassungsdruck der westlichen Lebensweise auf zwei Arten: Sie werden auch säkular oder sie leben einen Glauben, der den Islam des 7. Jahrhunderts imitiert. Tariq Ramadan fordert dagegen einen zeitgenössischen europäischen Islam.

INTERVIEW mit Irschad Mandschi: »Reform beginnt mit den Frauen!«
Ohne die Lösung der Frauenfrage wird die muslimische Identitätsfindung scheitern

Kuldip Nayar, Ashis Nandy und Sanjay Subrahmanyam: Säkularisierung oder Säkularismus?
Hat das europäische Vorbild der Religionsferne Indiens multikulturelle Gesellschaft toleranter gemacht? Oder leisten dies die Religionen des Subkontinents?
Nicht nur in der westlichen Welt diskutiert man über die Bedeutung der Religion für die Politik. In Indien wird seit längerem unter dem Begriff des „Säkularismus“ das Zusammenleben der vielen religiösen Gruppen in Südasien erörtert. Im vergangenen Sommer wurde diese Debatte für ein breiteres Publikum zugespitzt auf den Seiten von Outlook India geführt. Wir dokumentieren die Beiträge von drei führenden indischen Gelehrten, die auch deutliche Meinungen nicht scheuen.

Paul Badde: Fliegender Drache am Himmel
Was geschähe, wenn der Vatikan einen Chinesen zum Nachfolger von
Papst Johannes Paul II. wählte? Ein auf Fakten basierendes Gedankenspiel
Nirgendwo wächst die katholische Kirche so schnell wie in China. Das ideologisch verwüstete und im radikalen Umbruch befindliche Land sucht nach spirituellen Werten. Die Wahl eines polnischen Papstes beförderte den Zusammenbruch des Sozialismus. Ein chinesischer Papst als Nachfolger Johannes Paul II. würde die Welt noch heftiger erschüttern – deshalb sei ein faktengestütztes kleines Gedankenexperiment gestattet.

Helga Haftendorn: Koloss auf tönernen Füßen
Zu groß, zu unbeweglich, zu überfrachtet: Die NATO braucht eine neue Zweckbestimmung
Die Allianz steckt in einer tiefen Anpassungskrise. Sie wird nur dann fortbestehen, wenn sowohl die Europäer als auch die Amerikaner deutlich machen, dass sie an der NATO als Risikogemeinschaft festhalten wollen. In der Zukunft muss sie viel flexibler werden, um die unterschiedlichen Anorderungen ihrer Mitgliedsländer weiterhin erfüllen zu können.

Oliver Thränert: Regelungen für die Nichtverbreitung
Der fast 40 Jahre alte Atomwaffensperrvertrag ist keineswegs überflüssig

Oliver Meier: Ein Vertrag ohne Freunde?
Dennoch droht der NVV auf der Überprüfungskonferenz im Mai zu scheitern
Die Angst vor Terroranschlägen mit „schmutzigen“ Bomben und der wachsende Kreis von Atommächten machen eine internationale Agenda zur Begrenzung der Proliferation so dringlich wie nie zuvor. Doch solange die Kernwaffenstaaten an Atomwaffen als legitimem Mittel zur Verteidigung festhalten, werden die Differenzen nicht zu überwinden sein.

Samir Kassir: Die Intifada der Unabhängigkeit
Kann der Libanon sein konfessionelles Korsett ablegen? Die Chancen stehen gut
Die Allianz steckt in einer tiefen Anpassungskrise. Sie wird nur dann fortbestehen, wenn sowohl die Europäer als auch die Amerikaner deutlich machen, dass sie an der NATO als Risikogemeinschaft festhalten wollen. In der Zukunft muss sie viel flexibler werden, um die unterschiedlichen Anorderungen ihrer Mitgliedsländer weiterhin erfüllen zu können.

Eldat Beck: Frühling in Beirut
Kiew, Belgrad, Tiflis sind ihre Vorbilder: Die Studenten auf dem Platz der Märtyrer wollen endlich Freiheit, Pluralismus und einen modernen, unabhängigen Staat
Überrascht entdecken die Studenten, die sich jede Nacht auf Beiruts „Platz der Märtyrer“ versammeln, dass die Religionszugehörigkeit sie viel weniger trennt als früher: Im Zorn über den Mord an Rafik Hariri scheint sich ein neues Nationalgefühl herauszukristallisieren. Hat es Bestand, könnte der Libanon zum Modell für den Nahen Osten werden.

Mary Elise Sarotte: Eine Föderalismusdebatte anderer Art
Im Inneren der Bush-Regierung tobt ein Konflikt unversöhnbarer politischer Traditionen. Das macht den Auftritt Washingtons gelegentlich verwirrend
Die widersprüchlichen Signale, die von der amerikanischen Außenpolitik ausgesendet werden, haben eine kaum beachtete Ursache: Im Inneren der Bush-Regierung tobt ein Konflikt unversöhnbarer politischer Traditionen.

Hans-Dieter Heumann: Multipolarität und „Europe puissance“
Auch die Europäer reden des Öfteren aneinander vorbei: Auf der Suche nach der Logik der französischen Außenpolitik
Frankreich hält an seinen außenpolitischen Zielen fest: Wahrung des eigenen Ranges und der Unabhängigkeit. Es ist sich aber zunehmend bewusst, dass es diese Ziele nur als Teil eines handlungsfähigen Europas („Europe puissance“) erreichen kann. Auf dem Weg dorthin ist Deutschland der Partner „sine qua non“. Beide Staaten sehen sich ihrem Ziel gleichgewichtiger transatlantischer Beziehungen etwas näher gekommen.

Tim B. Müller: Soll der Iran doch seine Bombe haben
Hatte Bush mit seiner Irak-Politik doch Recht? Die Strategen streiten, wie es jetzt weitergeht

Alexandra Kemmerer und Simone Dietrich: Kartographie des Religiösen
Über Bücher von Friedrich Wilhelm Graf, Mary Anne Perkins, Günther Lachmann und anderen
Pippa Norris und Ronald Inglehart analysieren Religion und Politik im globalen Vergleich. Friedrich Wilhelm Graf betrachtet die Wiederkehr der Götter aus Binnenperspektiven. Und Mary Anne Perkins erzählt identitätsbildend von Europa als Christenheit.

WERKSTATT DEUTSCHLAND von Franz Walter
Servicestationen für Passageriten
Die spirituell verarmten europäischen Kirchen werden als Institutionen überleben. Denn die nächste Phase der Sinnsuche kommt bestimmt – auch hierzulande

ÖKONOMIE von Helmut Reisen
Globales Schwarzer-Peter-Spiel
An die Stelle globaler Wirtschaftskoordination sind wechselseitige Schuldzuweisungen getreten. Produktiver wären echte Koordinierungsgespräche

KULTUR von Lorenz Jäger
Schrecken, Erhabenheit und Revolution
Es gilt, Edmund Burke wieder zu entdecken: Vom britischen Denker des 18. Jahrhunderts kann die heutige politische Theorie viel lernen – vor allem Eleganz

TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck
Erdöl adieu
Bis uns die Sonne aus schlichtem Wasser unseren Brennstoff bruzzelt, wird noch einige Zeit vergehen. Die Forschung arbeitet fieberhaft auf das Wasserstoffzeitalter hin

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