INTERNATIONALE POLITIK, 60 (2005), 5

Titel der Ausgabe 
INTERNATIONALE POLITIK, 60 (2005), 5
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Kriegs-Enden

Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
1430-175X
Anzahl Seiten
144
Preis
9,95

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Patrick Wagner

Das Jahr 1945, als die Alliierten die Welt vom massenmörderischen Wahn des deutschen Nationalsozialismus befreiten, ist 60 Jahre danach wieder ungeheuer präsent. Seit Wochen schon werden in allen Medien die Ereignisse der letzten Kriegstage nacherzählt. Es werden aus den Archiven gekramte alte Fotos gedruckt, private Tagebücher ausgewertet, die letzten Überlebenden befragt, auch die Historiker um eine neue Einordnung des Zweiten Weltkriegs gebeten; und Filme wie „Der Untergang“ stellen die letzten Tage Adolf Hitlers im Bunker unter der Reichskanzlei nach.

Aber es zeigt sich auch, dass die Vergangenheit weit weniger vergangen ist, als wir vielleicht glaubten. Zur großen Gedenkfeier am 60. Jahrestag des Kriegsendes in Moskau kommen mehrere baltische Staatschefs nicht; viele Balten haben die Geschichte der sowjetischen Besatzung nach 1945 noch nicht so verarbeitet, dass ihre Politiker entspannt zum Feiern in die russische Hauptstadt fahren könnten. In Polen, berichtet unser Autor Konrad Schuller, heulen am Jahrestag des Warschauer Aufstands immer noch die Sirenen – und das ganze Volk erstarrt. Unter der Kruste des in der Europäischen Union „wiedervereinigten“ Europas gären die alten Wunden. Schaut man genau hin, wie es für diese IP der Historiker Thomas Speckmann tut, sieht man, dass gerade ein neuer Kalter Krieg heraufziehen könnte.

Und den Deutschen, argwöhnt Richard Herzinger, sei inzwischen die „amerikanische Urheberschaft ihrer deutschen Demokratie peinlich geworden“: „Die untergründige Agenda ihrer jetzt mit voller Kraft in Gang gekommenen vergangenheitspolitischen Neujustierung“ sei es, „im Rahmen einer neuen Geschichtserzählung die Rolle der USA bei der Befreiung Europas … so weit wie möglich zu minimieren“, weil man heute „zumindest moralisch mit den USA auf Augenhöhe stehen“ wolle. Wasser in den Wein deutscher Selbstgewissheit gießt auch Schimon Stein, Israels Botschafter in Berlin, im Gespräch mit der IP: Am 40. Jahrestag der Aufnahme deutsch-israelischer Beziehungen sei Deutschlands Verhältnis zu Israel „ohne Empathie“.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt:

Thomas Speckmann: Der neue Kalte Krieg
Hinter den Kulissen der Antiterrorkoalition kehrt die alte Ost-West-Konfrontation wieder – Amerikaner, Russen und Chinesen ringen um neue Einflusszonen 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kündigt sich eine Entwicklung an, die an den Beginn des Kalten Krieges erinnert. Angesichts der NATO-Osterweiterung, der Yukos-Affäre, des dritten Golf-Krieges und der innenpolitischen Entwicklung in der Ukraine haben sich die Beziehungen zwischen Moskau und Washington abgekühlt. Hinter den Kulissen der Antiterrorkoalition ringen die Vereinigten Staaten, Russland und China um alte und neue Einflusszonen.

Richard Herzinger: Amerika – eine deutsche Wunde
Abnabelung vom Befreier: In der neuen deutschen Selbstwahrnehmung, die auf dem Terrain der Vergangenheit gesucht wird, stört die Erinnerung an den Demokratiebringer USA Unter amerikanischem Schutz florierte Deutschland. Jetzt will sich das Land endlich von den USA abnabeln. Dabei geht es nicht um Politik, sondern um Identität. Die neue Selbstdefinition wird auf dem Terrain der Vergangenheit gesucht und artikuliert sich als Stolz auf die gelungene Läuterung. Ein friedliches Europa anstelle der machtbewussten USA soll nun der Welt zum Vorbild dienen. Doch ein Ende der amerikanischen Supermacht sollte sich Deutschland lieber nicht wünschen.

Konrad Schuller: Die Sirenen von Warschau
Wo der Krieg nie zu Ende ging: Bei den Polen und den Balten wecken die großen Nachbarn Russland und Deutschland immer noch die alten Ängste Das Kriegsende in Ostmitteleuropa lässt auf sich warten. Den Polen und Balten stecken deutsche und russische Besatzung und Gewaltherrschaft noch in den Knochen. Die neue Konfliktbereitschaft ist darum verständlich. Aber Europa ist die beste Chance, die Ostmitteleuropa je hatte.

Sonja Zekri: Die Tragödie zweier Völker
Der heillose Tschetschenien-Konflikt zerstört nicht nur die tschetschenischen Sozialstrukturen; er beschädigt auch die russische Gesellschaft Der Krieg in Tschetschenien ist vorbei, erklärte Wladimir Putin im Dezember. Doch die Katastrophe für die tschetschenische wie die russische Gesellschaft geht weiter. Die internationale Gemeinschaft sieht dabei zu.

Wolfgang S. Heinz: Lehren für den „Tag danach“
Welche Funktionen erfüllen Wahrheitskommissionen? Erfahrungen aus mehr als 40 Ländern zeigen, dass sie zumindest ein wirklichkeitsnäheres Geschichtsbild produzieren Erfahrungen mit Wahrheitskommissionen konnten bislang in rund 40 Ländern gesammelt werden – und sie fallen sehr unterschiedlich aus. Ihre Hauptaufgabe liegt in der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen, manchmal in der Wiedergutmachung. Doch in jedem Fall tragen sie zu einem etwas wirklichkeitsnäheren Geschichtsbild bei.

Alexandra Kemmerer: Atempausen des Rechts
Gesetzlosigkeit in der Stunde Null: Der furchtlose Formalismus des Staats- und Völkerrechtlers Hans Kelsen wird von Völkerrechtlern wieder entdeckt Im Moment der Gesetzlosigkeit endete für Hans Kelsen im Mai 1945 das Deutsche Reich. Die „Europäer“ unter den Völkerrechtlern bringen seinen furchtlosen Formalismus neu ins Gespräch.

Daniela Schwarzer: Vom Umgang mit der Europa-Malaise
Nein-Nein- und Nein-Ja-Sager: Wie Frankreichs EU-Politik aussehen könnte, wenn das EU-Verfassungsreferendum am 29. Mai scheitert Meinungsumfragen zufolge lehnt eine Mehrheit der Franzosen die EUVerfassung ab. Doch auch nach einem „Nein“ im Referendum wird sich Paris nicht als Gestaltungsmacht aus der EU zurückziehen wollen. Betrachtet man die Ablehnungsgründe und die Konstanten der französischen Außenpolitik, könnte Frankreich die EU-Partner nach einer Denkpause sogar zu einem neuen Sprung nach vorn drängen.

INTERVIEW mit Javier Solana: »Könnten wir so dumm sein?«
Der designierte EU-Außenminister über EU-Referenden, das EU-Waffenembargo gegen China, den Nahen Osten, den Balkan, die Russen und die Amerikaner

Christoph Schwegmann: Stärke durch Anpassung
Die NATO muss neu definiert werden, damit sie nicht weiter an Bedeutung verliert. Welche Rolle kann und sollte Deutschland in diesem Prozess spielen? Die Bedeutung der NATO nimmt kontinuierlich ab. Doch trotz der divergierenden Wahrnehmungen des Bündnisses in Europa und Amerika bleibt die Allianz ein wichtiges transatlantisches Instrument, das dringend benötigt wird. Was ist also zu tun, um die NATO wieder zu stärken? Und welche Aufgaben sollte Deutschland in diesem Prozess übernehmen?

Ernst-Otto Czempiel: Strategien der Demokratisierung
Wie exportiert man Demokratie? Sind militärische Mittel dafür geeignet? Welche anderen bieten sich an? Intervention und Freiheit im Zeitalter der Interdependenz Demokratisierungsbestrebungen von außen stellen die intervenierenden Akteure vor zahlreiche Probleme: Versprechen direkte, militärische Strategien den erwünschten Erfolg? Oder kann ein Land nur über die Mobilisierung der Gesellschaft zur Emanzipation, der Hilfe zur Selbsthilfe dauerhaft demokratisiert werden? Die Suche nach der richtigen Strategie.

INTERVIEW mit Schimon Stein: »Es fehlt die Empathie«
Wenig Grund zum Feiern? Israels Botschafter in Berlin über 40 Jahre deutsch-israelische Beziehungen

Wolf-Dieter Eberwein: Olympiade der Barmherzigkeit
Wenn nach der Flut die Spendenflut hereinbricht: über Sinn und Effektivität humanitärer Hilfe am Beispiel der Tsunami-Katastrophe in Asien Die Flutkatastrophe in Südostasien löste international eine in diesem Ausmaß bislang ungekannte Solidarität mit den Opfern aus. Ein neuer Humanitarismus? Oder eine Chance für die spendenden Länder, ihre Interessen zu artikulieren? Über Sinn und Effektivität humanitärer Hilfe.

Alexander Graf Lambsdorff: Nach dem „annus horribilis“
Jetzt oder nie: Im Reformjahr 2005 müssen die entscheidenden Weichen für die Zukunft der Vereinten Nationen gestellt werden In letzter Zeit wurden die Rufe nach einer umfassenden Neuordnung der Vereinten Nationen immer lauter. Mit seinen Vorschlägen zur Reorganisation ging UN-Generalsekretär Kofi Annan jetzt in die Offensive. Insbesondere die Zusammensetzung des Sicherheitsrats und nicht zuletzt die Rolle Deutschlands sind aber keineswegs unstrittig.

Tim B. Müller: Kriegsenden, Kriegsdenken
Victor Davis Hanson trägt Präsident Bush seine Vision des Bürgers als Krieger vor; das geteilte Gedächtnis Europas belastet die Beziehungen in der EU

BUCHKRITIK von Tim B. Müller: Strategische Intelligenz
Warum Amerika den Kalten Krieg der Ideen gewann – und was es heute daraus lernen kann: Neue Buchveröffentlichungen helfen bei der Erkundung des Themas Amerikas Public Diplomacy hat ein Problem. Das war nicht immer so. Als der Kalte Krieg militärisch und politisch noch nicht gewonnen war, siegte Amerika im Kalten Kulturkrieg – gegen die Sowjets wie gegen den europäischen Antiamerikanismus. Daraus lässt sich einiges lernen.

Kolumnen
WERKSTATT DEUTSCHLAND von Manfred Güllner: Rot-Grün: ein Auslaufmodell?
Sie mochten sich nie besonders, ihre Koalitionen waren keine Liebesheiraten; das erschwert Sozialdemokraten und Grünen den gemeinsamen Kampf um die Macht

ÖKONOMIE von Jim O’Neill: Achtung Europa: Die BRICs kommen!
Wenn die Europäer nicht global konkurrenzfähiger werden, dürften die großen Entwicklungsländer sie bald wirtschaftlich überholen: Was dann, Europa?

KULTUR von Gustav Seibt: Wohlstand für alle
„Hitlers Volksstaat“, das bahnbrechende Buch des Historikers Götz Aly, ordnet den nationalsozialistischen Fürsorgestaat in die 100-jährige Geschichte des deutschen Sozialstaats ein

TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck: Kleinklein mit großer Zukunft
Weltweit werden Milliarden in die Erforschung der Nanotechnologie gesteckt: Doch bis die ersten Nanoprodukte marktreif sind, wird es noch dauern

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