Internationale Politik 61 (2006) 4

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Internationale Politik 61 (2006) 4
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Zukunftskontinent Afrika

Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
1430-175X
Anzahl Seiten
144
Preis
9,95

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Patrick Wagner

In dieser Ausgabe der IP kommen Bob Geldof und Bono nicht zu Wort. Es fehlen auch Jeffrey Sachs, Tony Blair und Angelina Jolie. Es werden weder Entschuldungsinitiativen gelobt noch weitere Live-8-Konzerte angemahnt oder die Erhöhung der Entwicklungshilfe eingefordert. Stattdessen entwerfen die Autoren dieses Heftes ein realistisches Bild von den Ursachen der Probleme des oft als „verloren“ bezeichneten Kontinents.

„Nach mehr als einem halben Jahrhundert Entwicklungshilfe ist Afrika stärker verschuldet und wirtschaftlich labiler als jemals zuvor“, konstatiert der Kenianer James Shikwati: „Paradoxerweise liegt es nicht im Interesse der Hilfsindustrie, einheimische afrikanische Lösungsansätze zu fördern, da sie von den afrikanischen Problemen lebt.“ Die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe, so Shikwati, habe „Afrika die Fähigkeit genommen, effektiv am Welthandel teilzunehmen, was zu geringerer
Produktivität und damit zu noch mehr Abhängigkeit führt.“ Selbst ein potenziell so reiches Land wie der Kongo, urteilt der stv. Leiter der UN-Friedensmission MONUC, Albrecht Conze, sei „als Objekt fremder Begierden, als leichte Beute für Rohstoffräuber … strukturell und moralisch so tief gefallen“, dass es Jahrzehnte dauern werde, um das Land aus den Klauen seiner Ausbeuter zu befreien.

Aber deutsche Entwicklungshilfe tut doch Gutes? Leider, schreibt der Misereor-Experte Volker Riehl, „steht der deklamierte Erfolg der deutschen Afrika-Politik in keinem Verhältnis zu den realen, für die Zivilgesellschaft vor Ort erkennbaren Fortschritten.“ Denn „wer ausschließlich auf den Staat vertraut, ist in Afrika verraten“. Afrikas vorkoloniale Strukturen, so der Ghanaer George Ayittey, ein in Washington lehrender Ökonom, seien von freiem Handel, Unternehmertum und basisdemokratischen Kontrollmechanismen geprägt gewesen, bevor den Afrikanern
„von Sozialisten mit Schweizer Bankkonto Ideologien aus Europa übergestülpt“ wurden. Diese alten Kulturen gelte es wieder zu beleben – und nicht weiter blind westliche Staatsformen zu kopieren.

„Viele Probleme in Afrika sind unter tatkräftiger Mitwirkung des Nordens entstanden,“ sagt Bundespräsident Horst Köhler. „Deshalb müssen die Europäer noch ein Stück weiter aufwachen und sich immer wieder fragen, was ihr Anteil an den Problemen im Afrika von heute ist.“

Inhaltsverzeichnis

Zukunftskontinent Afrika

James Shikwati
Fehlentwicklungshilfe
Hilfsgelder aus den reichen Ländern bevormunden Afrika, nützen nur den Eliten und verhindern, dass der Kontinent auf die Beine kommt Traditionelle Entwicklungshilfe hat Afrika nicht vorangebracht. Stattdessen hat sie Volkswirtschaften geschwächt, autoritäre Führer gestärkt, freies Unternehmertum ausgehebelt und Möglichkeiten zu eigenständigen afrikanischen Lösungsansätzen untergraben. Wirtschaftliche Liberalisierung im Verbund mit Rechtsstaatlichkeit und einer stabilen Eigentumsordnung wäre die wesentlich bessere Form der Entwicklungshilfe.

INTERVIEW mit Horst Köhler
»Afrika ist für uns alle wichtig!«
Der Bundespräsident über eine Partnerschaft mit Afrika, die europäische Afrika-Politik, EU-Battle-Groups und einen fairen Marktzugang für afrikanische Produkte

George Ayittey
Vorkolonialer Freihandel
Freie Märkte existierten lange vor dem Kolonialismus. Die neuen unabhängigen Regierungen begingen den Fehler, nicht an diese Tradition anzuknüpfen Nach der Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft wurden in den meisten afrikanischen Staaten dirigistische Wirtschaftssysteme eingeführt. Das war allerdings keine Rückkehr zu vorkolonialen Zuständen, sondern das genaue Gegenteil: Unternehmertum, freier Handel und Märkte waren die Regel in Afrika. Das Modell Botswanas zeigt, dass ein Anknüpfen an diese marktwirtschaftliche Tradition ein Entwicklungsweg für Afrika sein kann.

Stefan Mair
Weniger Altruismus, mehr Engagement
Sinnvolle deutsche Afrika-Politik muss Werte und Eigeninteressen miteinander verbinden. Doch dazu sollte erst einmal geklärt werden, welche Interessen das überhaupt sind Die deutsche Afrika-Politik befindet sich im Umbruch. Lange stand sie unter den Vorzeichen von Werteorientierung, Altruismus und Armutsbekämpfung. Die sicherheitspolitischen Herausforderungen in Afrika bedürfen jedoch zunehmend einer nüchternen Abwägung von Interessen.

Albrecht Conze
Reich – und hilflos ausgeliefert
Die ersten freien Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo sind wichtig. Aber sie werden vorerst nichts an der rücksichtslosen Interessenpolitik anderer Staaten ändern Die ersten Wahlen im „Herz der Finsternis“ sind ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung. Sie werden jedoch vorerst nichts an der rücksichtslosen Interessenpolitik derer ändern, die seit einem Jahrzehnt vom Chaos in der Demokratischen Republik Kongo profitieren.

Dominic Johnson
Auf tönernen Füßen
Die MONUC ist mit ihrer Aufgabe, die Wahlen im Kongo zu sichern, überfordert. Doch ein Abzug wäre jetzt das falsche Signal. Der Kongo braucht mehr Engagement, nicht weniger Eine nationale Armee, die Kriege produziert statt zu schlichten, plündernde und mordende Milizen, mangelnde Kooperation zwischen kongolesischen Truppen und der UN-Mission – angesichts des Chaos im Kongo drohen die Erfolge des internationalen Engagements unterzugehen. Die kommenden Wahlen wecken Erwartungen – die allerdings nur erfüllt werden können, wenn die internationale Gemeinschaft das Land nicht sich selbst überlässt.

Volker Riehl
Demokratie von unten
Es war ein Fehler, allein auf den funktionierenden Staat zu setzen. Traditionelle nichtstaatliche Strukturen könnten Afrika zum Kontinent der Zukunft machen Die deutsche Politik der Entwicklungszusammenarbeit setzt auf den funktionierenden afrikanischen Staat. Das birgt die Gefahr, den Kontakt zur Zivilgesellschaft zu verlieren. Dabei sind es gerade die nichtstaatlichen Strukturen, die wichtige Aufgaben übernehmen, an verwurzelte Traditionen anknüpfen und Afrika zum Kontinent der Zukunft machen könnten.

Internationale Politik
IRAN
Ein Dogma muss vom Tisch von Richard Herzinger
Deutsche Sozialdemokraten wehren sich mit Händen und Füßen gegen die „militärische Option“ im Falle des Irans. Das hat viel mit Mentalität, aber wenig mit Realität zu tun Die nicht mehr zu leugnende Bedrohung, die die iranischen Nuklearambitionen darstellen, haben endlich auch die Deutschen aus ihrem außenpolitischen Dornröschenschlaf geweckt. Dennoch scheint es schwarz-roter Konsens zu sein, dass die militärische Option unter allen Umständen ausgeschlossen werden muss. Doch gerade die Sozialdemokratie könnte aus einer antitotalitären Tradition schöpfen, die keineswegs immer pazifistisch ist.

ANTISEMITISMUS
Die zweite Spaltung der Welt von Matthias Küntzel
Die Leugnung des Holocaust durch den iranischen Präsidenten ist nicht nur eine Retourkutsche im Karikaturenstreit. Antisemitismus ist in der Region tief verwurzelt Dass der iranische Präsident Machmud Achmadinedschad den Holocaust für eine Erfindung hält, ist mehr als der Ausrutscher eines verbohrten Ideologen. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg tat sich eine Kluft auf: zwischen dem Westen, der sich mit Auschwitz auseinandersetzt und weiten Teilen des iranischen Regimes und der arabischen Welt. Dort sind nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut fest verwurzelt.

ASYMMETRISCHE KRIEGE
Grausamkeit oder Zurückhaltung von Martin van Creveld
Es gibt zwei erfolgreiche Vorbilder für eine wirksame Bekämpfung von Aufständen: Syriens ehemaliger Präsident Hafis al-Assad und die britische Armee in Nordirland Die Wehrmacht scheiterte in Jugoslawien, Frankreich in Algerien, die Sowjetunion in Afghanistan und die USA in Vietnam und vermutlich auch im Irak. Selbst bei Einsatz brutaler Methoden und überlegener Technik erleiden reguläre Armeen gegen Aufständische nur Niederlagen. Es sei denn, sie nähmen sich die Grausamkeit des ehemaligen Präsidenten Syriens, Hafis al-Assad, oder die Zurückhaltung der Briten in Nordirland zum Vorbild.

SÜDAMERIKA
Eine sozialistische Renaissance? von Philipp Freiherr von Brandenstein
Wo Sozialismus drauf steht, ist noch lange keiner drin. Die Wahlen in Südamerika müssen noch keinen generellen Linksruck bedeuten Südamerika wendet sich dem Sozialismus zu – darauf zumindest lassen die Ergebnisse der jüngsten Wahlen schließen. Doch kann diese Entwicklung mit dem westlichen Konzept von „links“ überhaupt interpretiert werden? Die Staaten der Region entfalten eine erstaunlich wirtschaftsliberale und pragmatische Politik – auch aufgrund der momentanen Zurückhaltung der USA und günstige ökonomische Bedingungen.

NEUER WOHLFAHRTSSTAAT
Europas soziale Werte von Michael Opielka
Wollen die Europäer den Sozialstaat oder mehr Wirtschaftsliberalismus? Ohne Besinnung auf die kulturelle Dimension dieses Konflikts ist eine neue Verfassung kaum denkbar Die Verfassung der Europäischen Union wurde durch die Kontroverse zwischen den Befürwortern einer eher wohlfahrtsstaatlichen und einer eher wirtschaftsliberalen Ausrichtung politisch blockiert. Ohne eine Reflexion der kulturellen Dimension dieses Konflikts dürfte seine Überwindung nicht gelingen. Dabei erweist es sich als hinderlich, dass die sozialen Verfassungswerte bislang eher abstrakt postuliert, aber kaum auf ihre historische und institutionelle Verankerung analysiert wurden. Genau darin liegt jedoch ihr Beitrag zur Identität Europas.

COPYRIGHT
Den Geist in die Flasche sperren? von Doron Ben-Åtar
Erst die systematische Verletzung britischer Urheberrechte hat die USA im 18. und 19. Jahrhundert zur Wirtschaftsmacht befördert. Ein Vorbild für Entwicklungsländer Westliche Staaten und Firmen versuchen mit allerlei Rechtsmitteln zu verhindern, dass sich Produzenten in der Dritten Welt urheberrechtlich geschütztes Know-how aneignen. Doch das historische Beispiel der USA zeigt, dass Industriespionage der Königsweg zum wirtschaftlichen Erfolg ist. Großbritannien gelang es jedenfalls nicht, den Abfluss von Wissen und Technologie in seine ehemaligen nordamerikanischen Kolonien aufzuhalten.

RUSSLANDBILDER von Stefan Scholl
Staatlich verordnete Politik-Idylle
Konflikte werden lauwarm plattgebügelt, Kritik erscheint höchstens zwischen den Zeilen. Die Journalisten sind nicht um die Wirklichkeit zu beneiden, die sie zu beschreiben haben

BUCHKRITIK von Andreas Eckert und Ingo Way
Krise und Entwicklung
Neues aus der Afrika-Forschung zu Ressourcenkonflikten, Armutstheorien und Ehrbegriffen. Lord Dahrendorf predigt Gelassenheit im Angesicht des Islamismus
Neue und wieder aufgelegte Studien zu ethnischen und Ressourcenkonflikten, Demokratisierungserfolgen, Aids-Epidemien, Ehrbegriffen, Geschlechterverhältnissen, Armutstheorien und zur Lage der afrikanischen Jugend.

Kolumnen
ÖKONOMIE von Helmut Reisen
Die asiatischen Giganten und Afrika
Afrika profitiert vom Superzyklus – jetzt muss in Zukunftsindustrien investiert werden

WERKSTATT DEUTSCHLAND von Paul Nolte
Baustelle Bildung
Unterfinanziert und dennoch als Allheilmittel empfohlen

KULTUR von Gustav Seibt
Moralische Doppelzüngigkeit
John Maynard Keynes’ Beobachtungen in Versailles bleiben aktuell

TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck
Milchstraße 78, 5. Stock
Trotz großem Lauschangriff: noch keine Neuigkeiten aus dem All

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