INTERNATIONALE POLITIK 61 (2006), 6

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INTERNATIONALE POLITIK 61 (2006), 6
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Ist der Nahe Osten noch zu retten?

Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
4196721509956
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 9,95

 

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Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Ist der Nahe Osten noch zu retten? 65 Prozent der Deutschen, das ergab eine Umfrage des AllensbachInstituts im Mai, glauben inzwischen, dass ein friedliches Zusammenleben mit der arabisch-muslimischen Welt auf Dauer unmöglich sein wird. 56 Prozent sehen den „Kampf der Kulturen“ zwischen Christentum und Islam bereits in vollem Gange. Die wechselseitige Dämonisierung von Orient und Okzident schreitet voran. Dschihadisten schüren im Internet den Hass auf „Ungläubige“ und lösen wegen ein paar Mohammed-Karikaturen monatelange muslimische Proteste weltweit aus; der Westen schaut besorgt auf den immer frecher auftrumpfenden iranischen Präsidenten, auf die täglichen Terror-Blutbäder im Irak und die Wahlerfolge islamistischer Gruppierungen wie der Hamas in den palästinensischen Gebieten oder der Muslimbrüder in Ägypten. Das amerikanisch-europäische Projekt „Demokratieförderung im Nahen und Mittleren Osten“ scheint gründlich schief gegangen zu sein. Keine Roadmap, nirgends. Von Nahem betrachtet, ergibt sich jedoch ein wesentlich komplexeres Bild. Mehrere Autoren dieser Ausgabe beschreiben, welche positiven Signaleffekte allein die erstmals freien und fairen Wahlen in den Palästinensergebieten, im Libanon und im Irak gehabt haben: Nicht nur haben sie lebhafte Demokratiedebatten in der gesamten arabischen Welt ausgelöst, sie haben auch massive Spaltungstendenzen innerhalb der bisher vom Westen als homogener Block perzipierten islamistischen Bewegungen produziert – die politisch erfolgreichen Gruppen wie die Hamas, die sich plötzlich in der Regierung wiederfinden, verlieren rapide den Nimbus des Märtyrertums, weil ihre Wähler von ihnen ganz pragmatische Verbesserungen der Lebensverhältnisse erwarten. Und die sind ohne politische Kompromisse nun mal nicht zu haben. So stecken sie in der Zwickmühle. Und müssen sich eher modernisieren, als dass es ihnen gelingt, ihre Gesellschaften zu islamisieren. Diese Prozesse muss der Westen fördern, statt sie auszugrenzen. Denn „ohne Einbeziehung des modernen politischen Islams,“ so Volker Perthes in dieser IP, „werden Reformen in der arabischen Welt kaum durchzusetzen sein.“
Sabine Rosenbladt, Chefredakteurin

Inhaltsverzeichnis

Inhalt
6 Ist der Nahe Osten noch zu retten?
Volker Perthes
Reform bleibt gefordert
EU und USA sollten den politischen Wandel in der arabischen Welt fördern, sollten sich aber bewusst bleiben, dass die Ergebnisse nicht immer die gewünschten sind

Nicht jede Veränderung, die sich im Nahen und Mittleren Osten in den letzten Jahren zugetragen hat, ist eine Folge des Irak-Kriegs. Zweifellos aber hat dieser Krieg die regionalen Verhältnisse massiv in Bewegung gebracht. Das zeigt sich auf der geopolitischen Ebene ebenso wie in der politischen Debatte innerhalb der nahöstlichen Gesellschaften selbst. Externe Akteure, nicht zuletzt USA und Europäische Union, haben guten Grund, politischen Wandel in der Region zu fördern und zu fordern. Was ihnen bislang fehlt, ist eine Strategie für den Umgang mit den gelegentlich unerwarteten Konsequenzen politischer Öffnungsprozesse.

14 Udo Steinbach
Wenn das Volk die Falschen wählt
Die Hoffnungen auf grundlegende Veränderungen im Nahen Osten haben sich bisher nicht bewahrheitet
Die Erwartung, dass nach dem 11. September 2001 im Nahen und Mittleren Osten „nichts mehr so sein würde wie vorher“, hat sich nicht bewahrheitet. Tatsächlich haben seither nur im Irak und in Afghanistan tiefgreifende Veränderungen stattgefunden – allerdings keine, die Euphorie aufkommen ließen. Der Irak-Krieg als Teil eines „war on terrorism“ hat im Gegenteil viele Ansätze zum Wandel eher blockiert.

22 Christoph Reuter
Das Dilemma des Dschihad
Die islamistische Bewegung spaltet sich: Die eine Hälfte nimmt erfolgreich an Wahlen teil, die andere bombt sich ins Abseits Zwischen Gruppen wie der Hamas und den Muslimbrüdern, die – erfolgreich – an Wahlen teilnehmen, und Dschihadisten wie Al-Qaida, die einen Radikalislam herbeibomben wollen, tut sich eine tiefe Kluft auf. Die einen werden zu politischen Parteien, die anderen sprengen sich ins Abseits.

28 Khaled Hroub
Ein Sieger, mit dem keiner rechnete
Teheran nutzt die Situation nach dem Irak-Krieg, um einen schiitischen „Widerstandsbogen“ gegen die USA, Israel und den Westen aufzubauen. Auf regionaler Ebene entwickelt sich Teheran immer mehr zum größten Nutznießer der amerikanischen Invasion im Irak. Das Regime arbeitet hart daran, die dominante Regionalmacht im Mittleren Osten zu werden. Dabei ist es die treibende Kraft eines schiitischen „Widerstandsbogens“, der Staaten und Bewegungen mit einer vehement antiamerikanischen Haltung verbindet. Nicht nur Amerikaner und Israelis betrachten den wachsenden Einfluss des Irans mit Sorge. Auch in arabischen Staaten, besonders jenen am Persischen Golf, wächst die Skepsis.

38 Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken
Partizipation statt Tyrannei der Stämme
Im Irak droht trotz Demokratie ein Rückfall in Klanstrukturen. Statt europäischer Häme wäre wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Unterstützung angebracht Dass die Demokratisierung des Iraks schleppend vorangeht, ist keine Frage der Kultur, sondern Folge der Diktatur. Statt Demokratie und Rechtsstaat setzen sich nun wieder alte Stammes- und Klientelstrukturen durch, die jeden Individualismus verhindern. Neben wirtschaftlicher Liberalisierung ist die Stärkung eines zivilgesellschaftlichen Bewusstseins im Irak vonnöten.

45 Katja Niethammer
Kein Labor arabischer Zukunft
Lange als Musterländle gefeiert, stehen auch die kleinen Golf-Staaten vor gewaltigen Problemen Neben Wiederaufbau im Irak und Aufrüstung im Iran vollziehen sich auch in den bevölkerungsarmen Monarchien am Persischen Golf politisch bedeutsame Veränderungen. Ölquellen trocknen aus, die Arbeitslosigkeit steigt, Islamisten drängen auf politische Repräsentation. In ihren Reaktionen changieren die Herrscherfamilien zwischen taktischer Anpassung und langfristigen Strukturreformen. Was bedeuten die Veränderungen für die Region?

52 Alfred Schlicht
Das Überleben sichern
Der islamistische Terror ist auch in Jordanien angekommen und destabilisiert das Land Mit der „Botschaft aus Amman“ hat die haschemitische Dynastie im Jahr 2004 ein einzigartiges Dokument vorgelegt, das sich einerseits an das islamische Umfeld, andererseits an Europa und die USA richtet. Auch in dem bisher so sicher eingeschätzten Jordanien ist der Terror angekommen, und bestimmte Gruppen, darunter die Terroristen, haben ein Interesse an Destabilisierung.

58 Kenneth W. Stein
Das Ende der „arabischen Welt“
Die arabische Einheit war immer eine Fiktion. Allmählich mehren sich Stimmen der Selbstkritik in der Region Nach dem letzten Gipfel der Arabischen Liga ist nicht mehr zu leugnen, dass die vielbeschworene „arabische Einheit“ immer eine Fiktion war: Partikularinteressen, Stammes- und Klanloyalitäten und tief verwurzelte autoritäre Strukturen hindern die arabischen Staaten daran, eine kraftvolle Vision für die Zukunft ihrer Region zu entwerfen. Doch die interne Kritik am trostlosen Zustand der arabischen Staatenwelt wird lauter.

Internationale Politik
68 DEUTSCHE AUSSENPOLITIK
Mehr Bismarck, weniger Habermas von Christian Hacke
Die Große Koalition bringt einen neuen Realismus in die deutsche Außenpolitik
In der Anfangsphase der Großen Koalition dominierte ein außenpolitisches Primat. Das überrascht, denn die letzten Monate der Regierung Rot-Grün und vor allem der Wahlkampf standen im Zeichen der Innenpolitik. Angesichts vieler großer Herausforderungen muss sich die deutsche Außenpolitik neu orientieren. Welche Prioritäten setzt die Regierung Merkel-Müntefering? Erste Konturen zeichnen sich ab. Eine Analyse.

77 DIPLOMATIE
Erinnerung und Ausblick
Ein deutsch-israelisches Papier zum 40. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
Aus Anlass des 40. Jahrestags der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland haben die Planungsstäbe des deutschen Auswärtigen Amtes und des israelischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten zum ersten Mal ein gemeinsames Papier erarbeitet. Im Zentrum ihrer Überlegungen standen Fragen nach dem Stellenwert der Erinnerung für das Selbstverständnis der beiden Staaten und ihrer Beziehungen zueinander und grundsätzliche Überlegungen zu den gemeinsamen Werten und Interessen beider Länder. Es besteht die gemeinsame Hoffnung, dass dieses Papier als Grundlage weiterer Überlegungen über die hier genannten Themen dienen wird.

84 EU-MISSION
Was soll die EU im Kongo? von Hans-Georg Ehrhart
Offenbar ist sich Europa nicht ganz darüber im Klaren, wie weit es sich im Kongo engagieren will und soll
In der Debatte um die Rolle Deutschlands bei der „EUFOR DR Kongo“,dem Einsatz der EU zur Stabilisierung des Kongos, werden zu Recht ein klares Mandat, eine vernünftige Ziel-Mittel-Relation und eine stringente Interessenanalyse gefordert. Welche Ziele, Konzepte, Strategien und Methoden verfolgt die EU, was ist sie bereit zu investieren?

90 POLITISCHE PHILOSOPHIE
Imperiale Versuchungen von Joscha Schmierer
Eine Entgegnung auf Alan Poseners „Empire Europa“
„Empire Europa“ war kürzlich ein kleines Loblied auf das Imperium1 von Alan Posener in der IP betitelt. Die Traumrolle scheint derzeit vakant. Den USA ist sie nicht auf den Leib geschrieben. Aber ist sie nicht passend für die EU?, fragte Posener. Tatsächlich ist die Position des Imperiums heute wohl nicht im Angebot. Die Herausforderung von Europas imperialem Erbe an die Staatenwelt bleibt freilich bestehen. Sie hat einen hässlichen Namen: prekäre Staatlichkeit.

100 VEREINTE NATIONEN
Der neue UN-Menschenrechtsrat von Wolfgang S. Heinz
Trotz Verbesserungen ist dieses Gremium von der politischen Gesamtlage abhängig
Für den 19. Juni ist die erste Sitzung des neuen Menschenrechtsrats angesetzt, der die alte und viel kritisierte Menschenrechtskommission ablöst. Er ist in der UN-Hierarchie höher angesiedelt, und durch die Wahl der Mitglieder soll sichergestellt werden, dass „schlechte“ Staaten nicht mehr dazugehören. Es wird aber von der politischen Gesamtatmosphäre abhängen, ob jetzt Erfolg versprechende Zusammenarbeit möglich ist.

106 FRANKREICH
Ein kompromissloses Land von Martin Koopmann
Die französische Gesellschaft stellt sich stur gegenüber der Globalisierung
Drei Faktoren tragen dazu bei, dass Frankreich derzeit von einer Krise in
die nächste taumelt: zum einen die Schwierigkeit, das französische
Gesellschaftsmodell an die Herausforderungen der Globalisierung
anzupassen, zum zweiten die erheblichen Mängel des politischen Systems.
Und drittens wird jetzt ein Jahr lang Wahlkampf in der Republik
herrschen. Kein Wunder, dass die Fronten sich immer mehr verhärten.

114 GLOBALISIERUNG I
Ungleicher Wohlstand oder Armut für alle von Erich Weede
Globalisierung schafft mehr Wohlstand, aber nicht unbedingt mehr Gleichheit. Werden die europäischen Wohlfahrtsstaaten das akzeptieren können?
Globalisierung führt weltweit gesehen zu mehr Wohlstand. Doch der
Fortschritt hin zu globaler Gleichheit geht in den bereits entwickelten
Ländern oft mit steigender sozialer Ungleichheit einher. Es wäre aber
kontraproduktiv, dem durch protektionistische Maßnahmen entgegenzuwirken.
Durch höhere Steuern etwa werden Leistungsträger vergrault.
Ein gewisses Maß an Ungleichheit wird zu akzeptieren sein.

118 GLOBALISIERUNG II
Globalisierung = Frieden? von Gerald Schneider
Langfristig sorgt wirtschaftliche Liberalisierung für mehr Frieden. Mittelfristig ist allerdings mit Konflikten zu rechnen
Globalisierung reduziere die innere und äußere Aggressivität von Nationalstaaten, heißt es oft. Obwohl wirtschaftlich integrierte Staaten tatsächlich weniger Kriege führen als Autarkien, ist die außenwirtschaftliche Öffnung zuweilen mit einem erhöhten Konfliktrisiko verknüpft. Ferner kann eine Allianz zwischen dem Exportsektor und dem „militärisch-industriellen Komplex“ eine Regierung dazu verleiten, ihr Land in die Weltwirtschaft zu integrieren und gleichzeitig außenpolitisch aggressiv auftreten zu lassen. Daher ist die These, wonach Freihandel Frieden schafft, deutlich zu qualifizieren.

124 NAHOSTBILDER von Jochen Müller
Gleichheit unter der Scharia?
In arabischen Medien wächst der Unmut über die untergeordnete Stellung der Frauen

128 BUCHKRITIK von Wolfgang G. Schwanitz, Martin Riexinger und Karl Kaiser
Generation, Wissen, Freiheit
Arabische Entwicklung, islamische Internationalisten und Mitterrands Deutschland-Politik

Kolumnen
Drei arabische Berichte über die Entwicklung des menschlichen Potenzials in Mittelost liegen inzwischen vor. Dieser Tage erscheint der vierte Arab Human Development Report über die Lage der Frauen. Zeit, einen Überblick über die bisherigen Ergebnisse und Probleme zu geben.

66 ÖKONOMIE von Norbert Walter
Road(map) to nowhere?
Die Abhängigkeit von den Rohstoffen des Nahen Ostens macht den Westen erpressbar

82 WERKSTATT DEUTSCHLAND von Karl-Rudolf Korte
Parteien auf Sinnsuche
Den großen Volksparteien geht die Zukunftsorientierung zunehmend verloren

98 KULTUR von Lorenz Jäger
Aenaeas, Roland und Artus
Die Briten schöpfen ihre Europa-Skepsis auch aus ihrer Nationalmythologie

112 TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck
Bionik – Forschen wie bei Muttern
Die besten Erfindungen macht immer noch die Natur. Man muss nur genau hinsehen
Service

136 Veranstaltungskalender
138 Nachwuchsforum
140 Dokumentation

4 Rückschau / IP-Frage
142 Impressum
144 Vorschau

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