Internationale Politik 61 (2006), 8

Titel der Ausgabe 
Internationale Politik 61 (2006), 8
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Die neue Welt der Atommächte

Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
4196721508856 08
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 9,95

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

Die neue Welt der Atommächte

Im Juli flogen die Raketen. 4. Juli: Nordkorea testet ein halbes Dutzend Flugkörper, darunter eine atomwaffenfähige Langstreckenrakete vom Typ Taepodong 2, potenzielle Reichweite 6000 Kilometer. Der Versuch schlägt fehl, die Rakete stürzt kurz nach dem Start ins Meer. Japanische Zeitungen spekulieren, dass sie bei programmgemäßem Flugverlauf knapp vor dem US-Bundesstaat Hawaii im Pazifik gelandet wäre. 9. Juli: Indien testet eine Langstreckenrakete vom Typ Agni III, die mit einer Reichweite von 3000 Kilometern große Teile Chinas erreichen könnte. Der Versuch schlägt ebenfalls fehl, die Rakete versinkt nach fünf Minuten Flug im Golf von Bengalen. 12. Juli: Die islamistische Hisbollah im Libanon startet einen Überraschungsangriff auf Nordisrael, entführt zwei israelische Soldaten und tötet acht; Israel antwortet mit einer massiven Gegenoffensive. Die Hisbollah schießt hunderte von Raketen auf Israel – neben Katjuschas mit einer Reichweite von 20 Kilometern erstmals auch Zelzal-Raketen (Reichweite bis zu 200 Kilometer), die bis nach Haifa ins israelische Kernland fliegen, und eine hochmoderne radargesteuerte Rakete vom Typ C 802, die eine Korvette der israelischen Marine trifft. Herkunftsland dieser Raketen: Iran. Noch sind die Raketen der Hisbollah mit konventionellem Sprengstoff bestückt. Dennoch ist es ein durchaus bedrohliches Szenario, das sich hier entfaltet: Die Atomwaffenstaaten Nordkorea und Indien testen ihre Trägersysteme, der Atomwaffenaspirant Iran beliefert eine Terrororganisation. Schon wurden wieder Stimmen in den USA – und erstmals auch in Japan – laut, die gezielte Militärschläge auf nukleare Produktionsstätten in Nordkorea und Iran forderten. Seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Welt der Nuklearmächte stark verändert. Das Nichtverbreitungsregime, einer der Grundpfeiler der Weltordnung, steckt in einer existenziellen Krise. „Nicht Rüstungswettläufe sind die Gefahr, sondern die Erosion des Gewaltverbots und die Möglichkeit von Nuklearkriegen“, schreibt Joachim Krause in dieser IP. Die anderen Autoren des Titelthemas loten aus, was diese Diagnose bedeutet – und welche Politik not täte, um die multilateralen Institutionen, die das Gewaltverbot kontrollieren, wieder zu stärken. Sabine Rosenbladt, Chefredakteurin

Inhaltsverzeichnis

Inhalt
Die neue Welt der Atommächte

6 Joachim Krause
Wie ernst ist die Krise?
Die Erosion des Nichtverbreitungsregimes kann nur multilateral aufgehalten werden Nukleare Nichtverbreitung und internationale Ordnung hängen eng miteinander zusammen. Beide wurden für Jahrzehnte vornehmlich von den USA durch multilaterale wie unilaterale Politik garantiert. In dem Maße, wie die Wirksamkeit multilateraler Institutionen abnimmt, treffen einseitige Maßnahmen der USA zum Erhalt dieser Systeme international auf Widerstand. Daraus ergeben sich Spielräume für Länder wie den Iran. Nicht Rüstungswettläufe sind die Gefahr, sondern die Erosion des Gewaltverbots und die Möglichkeit von Nuklearkriegen.

16 Harald Müller
Nichtverbreitungsvertrag: Regime kaputt
Doppelmoral, Nonchalance, neue Doktrinen der Vertragshüter: Was den Vertrag beschädigt

Das Nichtverbreitungsregime steckt in einer schweren, wenn nicht gar terminalen Krise – vor allem, weil die Kernwaffenstaaten so nonchalant damit umgehen: Die amerikanischen, russischen, französischen Doktrinen legen nahe, dass ein kleiner Atomkrieg so schlecht gar nicht ist (wenn der Gegner keine Atomwaffen hat). Damit steuert die gesamte Welt in eine brandgefährliche neue Lage. Denn das schlechte Beispiel macht Schule.

24 Karl-Heinz Kamp
Europas nukleares Schweigen
Die EU hat keine Rezepte gegen die Krise des nuklearen Nichtverbreitungsregimes

26 Henning Riecke
Patronage der Proliferation
Nukleare Zusammenarbeit als geopolitische Belohnung: eine gefährliche Tendenz

28 Oliver Thränert
Das große internationale Iran-Puzzle
Teherans Atomprogramm auf der diplomatischen Weltbühne
Mitte Juli ließen erstmals alle fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – also auch Russland und China – die Bereitschaft erkennen, über Sanktionen gegen Iran nachzudenken, falls er sich weiter weigert, die Urananreicherung auszusetzen. Trotz ihrer unterschiedlichen Interessen ist es den Hauptakteuren damit gelungen, eine einheitliche Linie gegenüber Iran zu vereinbaren – ein bedeutender Erfolg vor allem der europäischen Diplomatie. Er könnte weitreichende Folgen haben.

36 Wahied Wahdat-Hagh
„Absolut kein Konsens“
Nicht die viel gelobten Reformislamisten, jedoch große Teile der iranischen Bevölkerung lehnen das Atomprogramm ab
Die so genannten Reformislamisten sind kein Bollwerk gegen Achmadinedschads Atomprogramm: In dieser Frage herrscht Einigkeit zwischen Hardlinern und Reformern. Und die Bevölkerung? Demonstrationen, Diskussionen in Weblogs und der Umstand, dass die Bürger durch Wohltaten geradezu bestochen werden müssen, deuten darauf hin, die Iraner den Kurs ihres Präsidenten nicht geschlossen billigen.

42 Leonard S. Spector
Schwacher Staat, tödliche Sprengkörper
Die pakistanische Atombombe könnte sich als noch gefährlicher erweisen als eine iranische

Die Welt zählt neun Nuklearwaffenstaaten, mit Iran strebt ein zehnter hinzu. Doch die größte Gefahr geht von Islamabad aus, wo Präsident Musharraf einen einsamen Kampf gegen den islamistischen Terror führt. Bedroht von Putschisten, Abtrünnigen, korrupten Militärs und verwickelt in einen schwelenden Konflikt mit der benachbarten Atommacht Indien, könnte sein Land zum Spielball radikaler Islamisten werden. Pakistans Atomwaffenarsenal in solcher Hand wäre ein wahres Alptraumszenario.

48 Michael Krepon
Kein Brennstoff für Indien
Auch die Proliferation an befreundete Staaten wie Indien schwächt den Nichtverbreitungsvertrag

Im Zuge eines bilateralen Atomabkommens bieten die USA Indien Brennstofflieferungen an. Ob Neu-Delhi Kontrollen zulässt oder Atomtests wieder aufnimmt, ist ungewiss. Doch in jedem Fall ist das Abkommen eine Schwächung des Atomwaffensperrvertrags und des weltweiten Atomtestmoratoriums.

54 Sergej Kortunow
Für ein globales Frühwarnsystem
Russland schlägt ein neues weltweites System zur Kontrolle nuklearer Nichtverbreitung vor

Das Nonproliferationsregime aus der Zeit des Kalten Krieges steckt in einer tiefen Krise. Die „klassischen“ Instrumente zur Gefahrenabwehr – Abschreckung, Rüstungskontrolle, präventive Nichtverbreitung – reichen in der heutigen Welt nicht mehr aus. Nötig ist ein neues globales System der Kontrolle, gemeinsam entwickelt von den USA und Russland.

62 Soong Hee Lee
Nordostasiens prekäre Sicherheitslage
Die brodelnden Konflikte in Nordostasien werden durch Atomwaffenpotenziale verschärft. Die Region braucht eine multinationale Sicherheitsorganisation nach europäischem Vorbild Nordkoreas nukleare Ambitionen, Chinas rasanter Aufstieg, Japans neue Militärdoktrin, Russlands Regionalinteressen und die Politik der USA im pazifischen Raum haben eine geopolitische Lage geschaffen, die potenziell gefährlich werden kann: Spannungen und Konflikte in Nordostasien könnten militärisch eskalieren. Was fehlt, ist eine multinationale asiatische Sicherheitsorganisation nach europäischem Vorbild.

Internationale Politik
70 ISRAEL
Es geht ums Überleben von Michael Borgstede
Gegen die Angriffe von Hamas und Hisbollah helfen keine „angemessenen“ Reaktionen

73 LIBANON
Eine Plattform für Iran und Syrien von Maximilian Felsch
Gemeinsam mit dem Iran benutzt Syrien den Libanon als Spielball gegen Israel und den Westen
Im März 2005 zog sich die syrische Armee nach drei Jahrzehnten aus dem Libanon zurück – Folge der Zedernrevolution. Dennoch übt Syrien weiterhin Einfluss aus. Gemeinsam mit dem Iran nutzt Damaskus das Land nach wie vor als Plattform für den Kampf gegen Israel. Gegen die Eskalationsstrategie der Hisbollah war die Regierung machtlos.

79 TERRORISMUS
Der gemeinsame Feind von Ilan Mor
Gegen den islamistischen Terrorismus kann die internationale Gemeinschaft nur geschlossen vorgehen. Dabei ist der Druck auf bestimmte Staaten unvermeidlich

86 BALKAN
Düstere Perspektiven von Marie-Janine Calic
Nach dem endgültigen Zerfall Ex-Jugoslawiens fehlt der Europäischen Union immer noch ein kohärentes Politikkonzept für die Balkan-Region
Im Juni ist auch die letzte der ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens, Montenegro, als unabhängiger Staat international anerkannt worden. Das von den UN verwaltete Protektorat Kosovo steuert ebenfalls auf die Souveränität zu. Viele dramatische Strukturprobleme der Region bleiben dennoch bestehen: Der Europäischen Union fehlt der Wille zu einer strategisch ausgerichteter, kohärenter Balkan-Politik.

96 SICHERHEIT
Globaler Aktionismus reicht nicht von Stephan Klingebiel
Auch zum Thema Sicherheitspolitik gibt es in Deutschland keine echte Debatte

100 STAATLICHKEIT
Politik als „lernendes System“ von Frank-Walter Steinmeier
Der Bundesaußenminister befasst sich mit den „Transformationen des Staates“
„Transformationen des Staates?“ heißt ein von Stephan Leibfried und Michael Zürn herausgegebener, gerade erschienener Sammelband. Seine Texte entspringen der Arbeit des Bremer Sonderforschungsbereichs „Staatlichkeit im Wandel“, der sich mit Richtung, Art und Tiefe der Veränderungen in der OECD-Staatenwelt beschäftigt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat das Buch kürzlich in Berlin vorgestellt. Dieser Beitrag basiert auf seinen Ausführungen.

106 KULTURPOLITIK
Öffnung zur Welt von Heinrich Wefing
Die Goethe-Institute müssen sich den Zeitläuften anpassen – ohne Geld geht das nicht
Welchen Anspruch und Auftrag hat das Goethe-Institut, und welche Ausstattung braucht es, um diesen Auftrag zu erfüllen? Darüber ist eine lebhafte Kontroverse entflammt. Sie zeigt vor allem eines: Die deutsche auswärtige Kulturpolitik muss eine strategische Entscheidung treffen, wie sie in einem grundlegend veränderten geopolitischen Umfeld künftig auftreten will. Und sie muss diesen Auftritt angemessen finanzieren.

112 RUSSLAND
Putins Geschichtspolitik von Rainer Lindner
Russland soll wieder ein „großes Land“ sein; deshalb nutzt der Präsident die imperiale Symbolik von der Zaren- bis zur Sowjetzeit – und wird selbst zur historischen Figur
Zar Peter der Große, Stalins Sowjethymne, der zarische Doppeladler, die Siege russischer Großfürsten im neuen militärischen Feiertagskalender neben denen zarischer Generäle oder der Roten Armee: Mit dem symbolischen Rückgriff auf Russlands Historie untermauert Präsident Putin seinen Anspruch, Russland wieder zum „großen Staat“ zu machen.

124 AMERIKABILDER von Tim B. Müller
Was kommt nach der Bush-Revolution?
Abgesänge auf Bush und die Neocons helfen auch nicht weiter, wenn es um die neuen globalen Herausforderungen geht

128 BUCHKRITIK von Michael Kimmage, Helmut Volger und Wolfgang G. Schwanitz
Fukuyama am Scheideweg
Neokonservative in der Dauerkrise, die Vereinten Nationen für Anfänger und eine Ehrenrettung des Orientalismus

Kolumnen
68 WERKSTATT DEUTSCHLAND von Franz Walter
Die Waffen gestreckt
Die Zeit für einen neuen Konservatismus ist reif, doch die CDU lebt lieber liberal

84 ÖKONOMIE von Birger P. Priddat
Braucht die Politik ethische Leitbilder?
Wo Parlamentarier sich nicht an ungeschriebene Anstandsregeln halten, da braucht es eben Vorschriften und Sanktionen

98 KULTUR von Lorenz Jäger
Balladen und Geschichten
Peter Hacks und Robert Gernhardt haben es vorgemacht: die Wiederbelebung des erzählenden Gedichts als Ausdruck von Geschichtsbewusstsein

122 TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck
Hirn, mehr Hirn!
Die Hirnforschung macht spektakuläre Fortschritte. Doch eine konsistente Theorie der menschlichen Kognition bietet sie nicht

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