Deutschland Archiv 39 (2006), 5

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Deutschland Archiv 39 (2006), 5
Weiterer Titel 

Erschienen
Bielefeld 2006: W. Bertelsmann Verlag
Erscheint 
6x im Jahr
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
8,00 EUR

 

Kontakt

Institution
Deutschland Archiv: Zeitschrift für das vereinigte Deutschland
Land
Deutschland
c/o
]init[ Redaktion Köpenicker Straße 9 10997 Berlin
Von
Dr. Marc-Dietrich Ohse

»Ein angemessenes und würdiges Gedenken an die Freiheits- und Widerstandsbewegungen, die Friedens- und Versöhnungsbeiträge sowie der wirtschaftlichen und politischen Aufbauleistungen ist nicht nur für einen ehrlichen Umgang mit der eigenen Geschichte unverzichtbar, sondern auch konstitutiv für das Selbstverständnis der Nation und ihre demokratische Traditionsbildung«, so Bundestagspräsident Norbert Lammert zur Eröffnung des 46. Deutschen Historikertages am 19. September in Konstanz. Dies war eine seiner Antworten auf die »Frage, womit sich heute die Deutschen in ihrer Geschichte identifizieren können oder sollen«, die – so Lammert – »besonders dringlich geworden« sei.

Welche Defizite in der demokratischen Traditionsbildung noch bestehen, hat soeben der Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt (die Ergebnisse der Wahlen dort und in Berlin werden im nächsten Heft des Deutschland Archivs analysiert und kommentiert werden). Die politische Kultur in Ostdeutschland wie auch unter ost- und westdeutschen Jugendlichen sowie der Transformationsprozess allgemein sind Schwerpunkte der aktuellen Ausgabe des Deutschland Archivs.

Ein weiterer Akzent liegt auf dem Umgang mit der DDR- bzw. der deutschen Teilungsgeschichte, wie er derzeit anhand der »Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes ›Aufarbeitung der SED-Diktatur‹« (dokumentiert in DA, 4/2006) diskutiert wird. Diese Debatte reicht weit über die Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses hinaus, sie betrifft die deutsche Gesellschaft insgesamt. Sie berührt aber auch unsere Nachbarn, denn – so nochmals Lammert: »Die Geschichte der DDR ist nicht lediglich ein ostdeutsches Ereignis, sondern (…) Teil der deutschen Nationalgeschichte wie der europäischen Geschichte«. Das wird auch in verschiedenen Beiträgen des vorliegendes Heftes deutlich – etwa, wenn der Einfluss der Ereignisse in Ungarn vor fünfzig Jahren auf Intellektuelle in der DDR oder wenn Weichenstellungen in der Parteiengeschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit betrachtet werden.

Dass die Geschichte, gerade auch in ihren internationalen Zusammenhängen, die Politik Deutschlands und seiner Nachbarn bestimmt, ist in jüngster Zeit einerseits in der Debatte um den Einsatz deutscher Blauhelme im Nahen Osten und andererseits in den anhaltenden Verstimmungen zwischen Deutschland und Polen deutlich geworden. Anlass dafür waren unter anderem die Ausstellung des Bundes der Vertriebenen (BdV) zu Zwangsumsiedlungen im Europa des 20. Jahrhunderts (Bericht im vorliegenden Heft) wie auch das verstärkte Drängen von BdV und Kreisen der Union, ein »Zentrum gegen Vertreibungen« in Berlin einzurichten. Wie auch immer diese Frage entschieden werden mag, so ist dabei in jedem Fall auf die Empfindungen unserer Nachbarn, nicht nur der polnischen, Rücksicht zu nehmen. Dies gilt ungeachtet dessen, dass Norbert Lammert – der hier nochmals zitiert sei – Recht hat, wenn er sagt: »Trauer um deutsche Opfer ist ganz gewiss erlaubt, sie relativiert nicht die deutsche Verantwortung für den Nationalsozialismus.«

Ist der Nationalsozialismus das negative Extrem in der europäischen Geschichte, so bildet die friedliche Revolution von 1989 sicher einen der positiven Höhepunkte. Diese Phase, ihre Vor- und Nachgeschichte, demonstriert einmal mehr, wie sehr die (deutsch-)deutsche Geschichte vom internationalen Kontext abhing (auch sie ist Gegenstand des vorliegenden Deutschland Archivs). Hier bietet sich zudem ein, wenn nicht sogar der Anknüpfungspunkt für ein gemeinsames Geschichtsbild und für die demokratische Traditionsbildung von Deutschen, Polen und anderen Nationen im vereinigten Europa.

Inhaltsverzeichnis

Kommentare
Sven Felix Kellerhoff: Prinzip »Konspiration«. »Rosenholz« und die Birthler-Behörde S. 773

Udo Scheer: Thüringer Kulturstreit. Ein »Grenz«-Provokateur und ein Bilderstreit in der Provinz – oder Verzerrung als Prinzip S. 775

Karl Feldmeyer: Eine große politische Persönlichkeit. Zum Tod von Rainer Barzel (1924– 2006) S. 779

Zeitgeschehen
Andreas Hallermann: Sozialpolitik als Brücke zur demokratischen Konsolidierung? Wohlfahrtsstaatliche und demokratische Orientierungen in Ostdeutschland S. 781

Gitta Scheller: Die Transformation Ostdeutschlands. »Verwestlichung« oder Abgrenzung? S. 790

Karsten Speck/Wilfried Schubarth: Ostdeutsche Jugend im Westen angekommen? Empirische Befunde zur Lebenslage und regionalen Mobilität ostdeutscher Jugendlicher S. 799

Zeitgeschichte
Günther Glaser: Neues Denken und Handeln in der NVA in der Umbruchphase der DDR (22. September – 17./18. November 1989) S. 814

Peter Joachim Lapp: Schüler in Uniform. Die Kadetten der NVA S. 823

Siegfried Prokop: »Ulbricht wird aus Moskau ferngelenkt, Harich aus Budapest«. Der ungarische Einfluss auf die intellektuelle Opposition in der DDR im Jahre 1956 S. 833

Matthias Loeding: Politische Weichenstellung im Vorfeld der SED-Gründung. Der Zentralausschuss der SPD, Kurt Schumacher und die sozialdemokratischen Konferenzen in Wennigsen und Hannover am 5./6. Oktober 1945 S. 841

Jörg Bernhard Bilke: Dichter der Sintflut, des Weltuntergangs. Zur DDR-Rezeption Gottfried Benns S. 851

Francesca Weil: »Mein Bestes für das Gesundheitswesen«. Ehemalige IM-Ärzte als Abgeordnete der letzten Volkskammer (1990) S. 853

Wolfgang Schmidt: Widerspruch. Zu Helmut Wagner: Die »deutsche Ostpolitik« (DA, 1/2006; DA, 3/2006) S. 865

Helmut Wagner: Erwiderung auf Wolfgang Schmidts »Widerspruch« S. 866

Forum
Markus Driftmann: Gelobt wird aus den falschen Gründen. Helmut Kohl und die deutsche Wiedervereinigung S. 868

Uta Karstein/Thomas Schmidt-Lux: »Ossis« und »Wessis« als ›imagined communities‹. Über die kommunikative Prägung kollektiver Grenzen in ostdeutschen Familien S. 875

Eckhard Jesse: Sächsische Bürgerrechtler – 1989/90 und heute S. 883

Alf Lüdtke: Alltag: Der blinde Fleck? S. 894

Martin Sabrow: Die Zukunft der Aufarbeitung und die Argumente der Vergangenheit. Zur Kritik an den Empfehlungen der Expertenkommission für die öffentliche Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur S. 902

Tagungen, Veranstaltungen
Wolfram von Scheliha: Diktaturerfahrungen und ihre Erinnerungen im 20. Jahrhundert in Osteuropa – erlebte und erforschte Geschichte. Internationale Fachtagung in Berlin, 4./5. Mai 2006 S. 910

Karin Siebert: Opfergeschichten – Opfergeschichte. Politische Verfolgung unter NS-Herrschaft und Stalinismus. Tagung in Tutzing, 5./6. Mai 2006 S. 913

Karlheinz Lau: Basis für das Gedenken? Zwei Ausstellungen zu Vertreibungen in Berlin S. 916

Jörg Bernhard Bilke: Schreiben nach dem Untergang des SED-Staates. DDR-Literatur von 1989 bis 2006. Tagung in Erlangen, 11. – 14. Mai 2006 S. 918

Einladung und Call for Papers: Stabilität vs. Systemkrise – die DDR im Jahr 1987. Potsdam, 5.12.2006 S. 922

Rezensionen
Marc Bauder, Dörte Franke: Jeder schweigt von etwas anderem (Stefan Trobisch-Lütge) S. 923

Rainer Eckert: Antitotalitärer Widerstand und kommunistische Repression (Heidi Behrens) S. 925

Ilko-Sascha Kowalczuk, Tom Sello (Hg.): Für ein freies Land mit freien Menschen (Christof Geisel) S. 927

Christof Geisel: Auf der Suche nach dem dritten Weg (Bernd Eisenfeld) S. 929

Alfred Radeloff (Hg.): Progressive Protestanten (Henning Pietzsch) S. 931

Günther Glaser: »… auf die ›andere‹ Seite übergehen« (Torsten Diedrich) S. 932

Claudia Lepp: Tabu der Einheit? (Hermann Wentker) S. 934

Christoph Meyer: Herbert Wehner (Heiko Tammena) S. 937

Peter Reichel: Schwarz-Rot-Gold (Ulrich Neuhäußer-Wespy) S. 939

Jörg Roesler, Dagmar Semmelmann: Vom Kombinat zur Aktiengesellschaft (Peter Hübner) S. 940

Rolf Reißig, Michael Thomas (Hg.): Neue Chancen für alte Regionen? (Jörg Roesler) S. 942

Burkhard Olschowsky: Einvernehmen und Konflikt (Theo Mechtenberg) S. 943

Hermann Weber (Hg.): Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2006 (Stefan Troebst) S. 945

Siegfried Prokop: DDR am Scheideweg (Siegfried Schwarz) S. 946

Clemens Burrichter, Gerald Diesener (Hg.): Reformzeiten und Wissenschaft; Andreas Malycha: Geplante Wissenschaft (Gerd-Rüdiger Stephan) S. 948

Markus Wustmann: Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig 1947 – 1951 (Andreas Malycha) S. 950

Ute Schneider: Hausväteridylle oder sozialistische Utopie? (Gisela Helwig) S. 951

Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932 – 1939 (Hermann Weber) S. 953

Constantin Goschler: Schuld und Schulden (Wolfgang Buschfort) S. 955

Annotationen S. 957
Die Autorinnen und Autoren dieses Heftes S. 959
Impressum S. 960

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