L'HOMME. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 18 (2007), 1

Titel der Ausgabe 
L'HOMME. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 18 (2007), 1
Weiterer Titel 
Dienstbotinnen

Erschienen
Wien 2007: Böhlau Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: 2x jährlich
ISBN
978-3-412-11506-7; ISSN 1016-362X
Anzahl Seiten
181 S.
Preis
€ 22,50

 

Kontakt

Institution
L'Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft
Land
Austria
c/o
Redaktion: Veronika Siegmund, MA L’HOMME-Redaktion, c/o Institut für Geschichte, Universität Wien, Universitätsring 1, 1010 Wien Österreich Telefon: +43-(0)1-4277-408 13 Fax: +43-(0)1-4277-9408 Verantwortliche Herausgeberin: Christa Hämmerle
Von
Langreiter, Nikola

DIENSTBOTINNEN

„Es war ein einzigartiges, beiderseitiges Herzensverständnis, welches diese zwei Menschen miteinander verband ...“ Diese poetischen Worte beschreiben nicht etwa eine große Liebe sondern das (Arbeits-)Verhältnis zwischen dem Literaten Marcel Proust und seiner Hausangestellten Céleste Albaret.

Vielschichtig können Dienstbotinnen-Geschichten bei genauer Text- und Kontextanalyse werden. Das gilt für frühneuzeitliche Beispiele ebenso wie für aktuelle Medienberichte. Wir wissen, dass heute Familienleben vielfach ohne ‚schwarze’ Hausarbeit oder ‚illegale Pflege’ nicht funktionieren würde. Über das Leben der Putzfrauen, Altenbetreuerinnen und Krankenpflegerinnen, die oft aus sogenannten Dritte Welt Ländern oder dem ehemaligen Ostblock kommen, über ihre Motive, Wünsche und Meinungen wissen wir wenig.

Dienstbotinnen – ein zentrales Thema der Frauen- und Geschlechtergeschichte

Dienstbotinnen und Hausgehilfinnen gehören zu den Kernthemen der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Lange interessierten vorrangig die städtischen Dienstmädchen um 1900. Hier waren geschlechtsspezifische Ungleichheiten besonders greifbar. Die Reproduktionsarbeit wurde in der bürgerlichen Gesellschaft ins unsichtbare Private verdrängt, und um einen gewissen Lebensstandard halten zu können, beschäftigte man in den bürgerlichen Haushalten auch familienfremde Frauen.

Während dieses Feld also gut erforscht ist, zeigen sich hinsichtlich anderer historischer Phasen, geographischer Räume und sozialer Milieus große Lücken.
Die Anregung zu diesem Themenheft geht unter anderem auf einen von Regina Schulte geleiteten Workshop über „Narratives of the Servant“ zurück, der in einem europaweiten Projekt Fortsetzung fand. „L’Homme. Z. F. G.“ versteht sich hier einmal mehr als Mittlerin zwischen unterschiedlichen Wissenschaftskulturen und Sprachen.

Die Beiträge

Von der Magd Zita, die schon zu ihren Lebzeiten im 13. Jahrhundert als heilig galt, erzählt Raffaela Sarti und zeigt dabei, wie die katholische Kirche und andere Autoritäten die Heilige instrumentalisierten. Jeweils zeit- und zielgruppengemäß wurden mit den Geschichten gesellschaftlich erwünschte Normen für Dienstmädchen propagiert und ihnen zugleich die religiöse Überhöhung ihres Lebens als Trost und Ausgleich angeboten.

Mit Familien in der frühneuzeitlichen Toskana befasst sich Giulia Calvi und macht darauf aufmerksam, dass dort nicht immer klar zwischen DienerInnen und Familienmitgliedern unterschieden wurde. Viele Situationen – z. B. illegitime Geburt oder Witwenschaft – machten Angehörige zu DienstbotInnen und führten sie in Existenznöte. Calvi spricht von border identities und argumentiert dieses Konzept mit zahlreichen Beispielen.

Karen Elisa Diehl geht es um „dritte Personen und narrative Dopplungen“. Mit der Wiederentdeckung des französischen Romanciers Marcel Prousts wurde seine Haushälterin Céleste Albaret zur Zeitzeugin, zur begehrten Interviewpartnerin für Journalisten, Filmer und Biographen. Ihnen erzählte sie in der dritten Person von Prousts Leben und macht sich selbst indirekt zur Hauptperson.

Helma Lutz bearbeitet das Thema „Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung“. Die Berufstätigkeit von Frauen hat in den Haushalten nicht zur gerechten Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern geführt; zu tief ist die Hierarchie der Geschlechter in das Waschen, Kochen und Putzen eingeschrieben. Solche Arbeiten an ‚fremde’ Frauen zu delegieren, stört die Ordnung nicht. Die modernen (Haus-)Arbeitsverhältnisse der Migrantinnen erinnern an jene der Dienstmädchen um 1900 – besonders wenn die Frauen bei ihren ArbeitgeberInnen wohnen.

In „L’Homme extra“ stellt Christine Schneider mit Nekrologen von Ordenschwestern eine selten verwendeten Quellengattung vor. Auch sie sind Narrationen von und über Dienerinnen, hier Dienerinnen Gottes und zugleich Bräute Jesu Christi.
Vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges und mit neuen Materialien der britischen Militärregierung und aus der Sowjetischen Besatzungszone analysiert Irene Stoehr die 1946–1948 geführte Debatte um die NS-Vergangenheit der deutschen Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer.

Das „Forum“ ist den Einführungen in die Frauen- und Geschlechtergeschichte beziehungsweise feministische Geschichtswissenschaft von Andrea Griesebner (Wien) und Claudia Opitz (Basel) gewidmet. Je zwei Männern und Frauen, zugleich Angehörige unterschiedlicher Wissenschaftlergenerationen, haben sie dezidiert aus ihrer Perspektive gelesen und vergleichend besprochen.

Den Abschluss bilden Rezensionen einiger themenspezifischer Publikationen zu Frauenarbeit in Haushalten unterschiedlicher Epochen sowie interessanter Neuerscheinungen aus der Geschlechtergeschichte und den Gender Studies.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Gunda Barth-Scalmani u. Regina Sculte 7
Editorial

Beiträge

Raffaella Sarti 11
Legenden von der heiligen Zita und Dienstbotengeschichte

Giulia Calvi 33
Kinship and Domestic Service in Early Modern Tuscany. Some Case Studies

Karen Diehl 47
Dritte Personen und narrative Dopplungen: Céleste Albaret und Marcel Proust

Helma Lutz 61
Intime Fremde – Migrantinnen als Haushaltsarbeiterinnen in Westeuropa

L’Homme extra

Christine Schneider 79
„Wann Gott Eine Seel ihm auserwählt, und das Herz besitzt, mus die Creatur weichen.“ Die Berufung zur Nonne in Hagiographie und Nekrolog

Irene Stoehr 95
Kalter Bürgerinnen-Krieg? Eine deutsche Debatte um NS-Vergangenheit und Frauenbewegung am Beispiel Gertrud Bäumers 1946–1948

Forum

115
Einführungen in die Feministische Geschichtswissenschaft und Geschlechtergeschichte
Zur Diskussion gestellt von Caroline Arni, Barbara Asen, Johann Kirchknopf u. Helmut Puff

Rezensionen

Traude Bollauf 131
Ursula Lüfter, Martha Verdorfer u. Adelina Wallnöfer, Wie die Schwalben fliegen sie aus. Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920–1960

Waltraud Ernst 134
Maria S. Rerrich, Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten

Erna M. Appelt 137
Helma Lutz, Vom Weltmarkt in den Privathaushalt. die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung
Briget Anderson, Doing the dirty work? Migrantinnen und die Globalisierung der Hausarbeit

Annemarie Steidl 140
Antoinette Fauve-Chamoux Hg., Domestic Service and the Formation of European Identity. Understanding the Globalization of Domestic Work, 16th–21st Centuries

Claudia Finotelli 144
Hausarbeit, DienstbotInnen und Migration in der Zeitschrift „Polis“

Thomas Winkelbauer 148
Cathrin Hermann, ... Maria Hueberin zu Moitrambs, um sich by allhiesigen Zunften einverleiben zu lassen ... Geschlechterrollen im Zwettl der Frühen Neuzeit

Elena Taddei 151
Katrin Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts

Ellinor Forster 151
Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft 1700–1914
Cordula Scholz Löhnig, Bayerisches Eherecht von 1756 bis 1875 auf dem Weg zur Verweltlichung

Waltraud Heindl 157
Heidrun Zettelbauer, „Die Liebe sei Euer Heldentum“. Geschlecht und Nation in völkischen Vereinen der Habsburgermonarchie

Helga Embacher 161
Gerhard Oberkofler, Käthe Spiegel. Aus dem Leben einer altösterreichischen Historikerin und Frauenrechtlerin in Prag

Eva Sänger 163
Karin Zachmann, Mobilisierung der Frauen. Technik, Geschlecht und Kalter Krieg in der DDR

Hanna Hacker 166
Christina von Braun u. Inge Stephan Hg., Gender@Wissen. Ein Handbuch der Gender-Theorien

Claudia Jarzebowski 169
Ingrid Bauer, Christa Hämmerle u. Gabriella Hauch Hg., Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen

Abstracts
175

Anschriften der AutorInnen
179

Abstracts

Giulia Calvi, Kinship and Domestic Service in Early Modern Tuscany. Some Case Studies

This paper focuses on the relationships between servants and family members and on the shifting boundaries that defined both terms. In the 16th and 17th century weak family members could be confused with servants, and servants could be viewed as part of the family. Affection and obligations towards kin were represented mainly in terms of dependence, deference and hierarchy, and were therefore rooted in a broad terminology concerning servitude and service. I shall also consider issues regarding the self-fashioning of servant identities, both in objective (i. e., expressing an external point of view) and subjective terms.

Karen Elsa Diehl, Third Persons and Narrative Gemination: Céleste Albaret und Marcel Proust

Céleste Albaret (1891–1984) was in the services of Marcel Proust (1871–1922) from 1913 until the writer’s death. In these years she worked as delivery boy, cook, maid, secretary and personal assistant. She had almost unrestricted access to his everyday and his working life. When she was interviewed as prime witness for biographies and films on Proust, she cast herself in the role of the perfect and only servant. Her own biography is initially subsumed by the needs of and later by the interest in her employer.

When interviewed for her position, Marcel Proust asked whether she mastered the polite from of address, i. e. speaking in the third person, she replied no. The narrative of Céleste Albaret emerges, however, by addressing third persons in a different sense: She gave numerous interviews to Proust biographers and documentary filmmakers. Her life story emerges precariously from the margins. The differences between the story as told by her and the story as told by others let her emerge indirectly as a first person – albeit speaking to others about her master.

Raffaella Sarti, Zita’s legend and servants’ history

A Filipino TV series of the 1960s whose main characters were a good and a bad maid and an Italian medieval mummy kept in Lucca (Italy): these apparently unrelated items are in fact related. The mummy is that of Saint Zita, a 13th-century holy maid. The Filipino programme (developed by a Jesuit) was entitled “Santa Zita and Mary Rose” and may be seen as one of the numerous narratives inspired by Zita’s story.

Thus, after showing consistencies and inconsistencies between the results of the study of the mummy and the first medieval life of the saint, the article focuses on the manipulation of the medieval legend (which reflects pauperistic values) over more than eight centuries. According to it, Zita often neglected her domestic duties in order to pray or go on pilgrimages, and even gave alms, without permission, from her master’s goods. Nevertheless, from the Counter-Reformation onwards, Zita was increasingly used to provide maids with a model to follow, and she was increasingly represented as an ideal servant, loyal and obedient. She was also increasingly presented as the patron of maids, to the point that in 1955 the Pope proclaimed her as such.

This evolution had to do both with the feminisation of domestic service and the growing interests of the Church in (lower class) women in order to guarantee social conservation or even restoration. On the other hand, the fact that, in many countries, Catholic people such as the Filipinas/os were/are well represented among the ‘new’ domestic workers may not be casual: the Catholic Church, indeed, plays/ed an important role in facilitating the meeting of supply of, and demand for, domestic labour on a global scale.

Christine Schneider, “When God chooses himself a soul and owns the heart, creature must step aside”. The calling of nuns in hagiography and necrologs (from the Viennese Ursuline Convent, 17th/18th century)

The vitae of the Capucine nun, Clara Francisca of Antwerp (1618–1647), the Italian Benedictine nun Johanna Maria Bonomo (1606–1670), and the Shoeless Carmelite nun Theresia Margaretha Farnese (1637–1684) idealize the life decision for the nun vocation. In the Viennese Ursuline Convent, Mater Elisabeth, born von Rebenstein, wrote the nun’s necrologs after 1772. The present treatise addresses aspects lifted from these vitae and examines how the stories of the nuns’ calling in the hagiographies differ from the descriptions in the necrologs. These aspects specifically relate to the nuns’ parents resistance to the calling, to the nuns’ decision between marriage and celibacy; and to the nuns’ own “inner” resistance against the calling.

Monks, frequently of the same order, composed and distributed printed hagiographic vitae of nuns to a wide audience. Necrologs handwritten by nuns, however, remained in the cloisters. Hagiographs as well as necrologs were written with the aim of vividly demonstrating the model of life and holyness of an exemplary nun and thus encouraging emulation. Impediments such as parental resistance or inner doubts were interpreted as God’s test of the calling. Ultimately, hagiographies depict the calling of a nun as an irresistible act of “being chosen” by God.

Irene Stoehr, Cold Civil War? A German Debate about the Nazi Past and the Women’s Movement: the Case of Gertrud Bäumer 1946–1948

Gertrud Bäumer was one of the most prominent female liberal politicians and leader of the German women’s movement before 1933. For a two-year period after 1945 journalists and politicians from all German occupation zones accused her for having supported the Nazi Regime with her editing activities and publications during the ‘Third Reich’.

The article contextualizes this campaign against Bäumer within the discourse on the Nazi past in post war Germany, the beginning of the Cold War, and the reorganization of women’s movement in East and West Germany. The case study on Gertrud Bäumer draws attention to the long-neglected “domestic” political dimensions of the Cold War in Germany and investigates the usefulness of concepts like “Cold War Culture” and “Cold Civil War” not only for the category of gender in post war German history.

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