Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), 4

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), 4
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 58 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 58 €, Print- und Online-Abo 66 €

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

lesen Sie im neuesten Heft der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte den spannenden Beitrag von Matthias Dahlke über die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz 1975 – der einzige terroristische Anschlag, bei dem die Regierung Schmidt mit den Terroristen verhandelte und deren Forderungen erfüllte.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Jaroschka
Oldenbourg Wissenschaftsverlag

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Anselm Doering-Manteuffel, Nach dem Boom: Brüche und Kontinuitäten der Industriemoderne seit 1970

Seit den 1970er Jahren hat sich ein Paradigmenwechsel der Industriemoderne in Europa vollzogen. Er läßt die Zeit des Nachkriegsbooms bis 1975 als eine historische Epoche erscheinen, die abgeschlossen ist. Die Geschichtswissenschaft muß deshalb analytische Kriterien zur Historisierung dieser Zeit entwickeln, um die „Epoche des Booms“ deutlich von unserer Gegenwart „nach dem Boom“ abzugrenzen. Der Aufsatz gibt Begründungen für die These des Epochenbruchs um 1975/80 und skizziert ein epistemologisches Instrumentarium, mit dem eine solche Historisierung geleistet werden kann.

Anselm Doering-Manteuffel, After the Boom: Ruptures and Continuities of Industrial Modernity since 1970

Since the 1970s, a paradigm shift of industrial modernity in Europe has taken place. The post-War boom epoch until 1975 now appears as a concluded historical era. Historiography must therefore develop analytical criteria to historicise this period, to demarcate the “age of the boom” and our present phase “after the boom”. The article provides arguments in favour of the thesis that the end of the period occurred around 1975/80 and sketches an epistemological methodology, with which it can be historicised

Stefan Martens, Frankreich zwischen „Histoire contemporaine“ und „Histoire du temps présent“

In Frankreich hat sich in den vergangenen Jahren neben der „Histoire contemporaine“ zunehmend auch der Begriff der „Histoire du temps présent“ eingebürgert. Die Entwicklung der Zeitgeschichte zu einer eigenen Disziplin nahm wie in Deutschland, auch in Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg ihren Anfang. Einer der Wegbereiter war Pierre Renouvin. Nach dem Zweiten Weltkrieg ordnete der Staat mit der Gründung des Comité d’Histoire de la Deuxième Guerre mondiale die Forschung neu, verweigerte ihr aber zugleich den Zugang zu den Archiven. Unter dem Einfluss der Schriften von Marc Bloch privilegierten Lucien Febvre und vor allem Henri Michel die Zeitzeugenbefragung. Die Dokumentation der Befreiung des Landes entwickelte sich rasch zu einem der Schwerpunkte der Arbeit des Comités. Nach öffentlicher Kritik wurde das Comité aufgelöst; an seine Stelle trat 1978 das Institut d’histoire du temps présent. Gleichzeitig wurde die Verschlusszeit für staatliche Akten auf dreißig Jahre reduziert. Die Forschung nahm unter dem Gründungsdirektor François Bédarida einen neuen Anfang, entwickelte sich aber als Reaktion auf Enthüllungen und Skandale zunächst zu einer innerfranzösischen Auseinandersetzung um die eigene Vergangenheit. Das Abtreten der Generation der Zeitzeugen in Verbindung mit der Verankerung der Zeitgeschichte an den Universitäten und dem Nachrücken von jungen Forschern haben die Diskussion jedoch zunehmend versachlicht. Das IHTP, das am Anfang dieser Entwicklung stand, ist jüngst durch die Forderung nach einer Reform der staatlich finanzierten Forschung in eine Krise geraten. Angesichts der Gründung zahlreicher neuer Forschungseinrichtungen ist eine inhaltliche Neuausrichtung dieses Instituts unverzichtbar, wenn es seine führende Stellung in Frankreich bewahren soll.

Stefan Martens, France Between „Histoire contemporaine“ and „Histoire du temps present“

Next to the expression „Histoire contemporaine“, the term „Histoire du temps present“ has increasingly come into use in France over the past years. As in Germany, the development of contemporary history as a separate discipline began in France after the First World War. One of its precursors was Pierre Renouvin. After the Second World War, the state restructured research by the foundation of the Comité d’Histoire de la Deuxième Guerre mondiale, but simultaneously denied it access to the archives. Under the influence of the writings of Marc Bloch, Lucien Febvre and especially Henri Michel privileged the use of interviews of contemporaries. The documentation of the liberation of the country quickly developed into one of the foci in the work of the Comité. Due to public criticism, the Comité was dissolved; the Institut d’histoire du temps présent took its place in 1978. At the same time, the period of closure for state files was reduced to thirty years. Under the founding director François Bédarida, research made a new start, but as a reaction to exposures and scandals it at first developed into an internal French debate about the nation’s past. The fading of the generation of contemporary witnesses in conjunction with the embedding of contemporary history at the universities and the succession of young researchers have increasingly objectified the discussion. The IHTP, responsible for the beginning of this development, has recently entered a crisis due to the demand for a reform of state financed research. In view of the establishment of a number of new research institutions, a reorientation regarding content is indispensable for this institution, if it is to retain its leading position in France.

Malte König, Zwischen Prostitution und Emanzipation. Die Schließung der staatlich lizenzierten Bordelle Italiens (1948-58)

Zehn Jahre diskutierte das italienische Parlament die so genannte Legge Merlin. Erst im Jahre 1958 setzte das Gesetz der kontrollierten Prostitution ein Ende und sorgte für die Schließung der case chiuse – staatlich lizenzierter Bordelle, in denen seit Zeiten Cavours die medizinische Überwachung von Prostituierten garantiert wurde. War im 19. Jahrhundert die Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten ausreichend gewesen, um die Einführung der case di tolleranza zu begründen, so stellte sich die Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg ungleich komplizierter dar. Menschen-, insbesondere frauenrechtliche Argumente hatten an Gewicht gewonnen, während das gesundheitspolitische aufgrund der Entdeckung des Penicillins an Zugkraft verlor. Gleichzeitig nahm der internationale Druck zu, da sogar die UNO gegen die lizenzierte Prostitution in den Mitgliedsstaaten vorging. Schließlich spiegeln sich in dieser Debatte auch die Neudefinition der Frau sowie der Bruch mit einigen sozialen Grundmustern wider.

Malte König, Between Prostitution and Emancipation. The Closing of Licensed Brothels in Italy (1948-1958)

For over ten years the Italian parliament discussed the so-called Legge Merlin. However, it was only in 1958 that parliament abolished controlled prostitution and closed the case chiuse – state licensed brothels, which since Cavour’s time had provided medical care for and control of prostitutes. Justified in the 19th century as a means to combat venereal diseases, discussions surrounding the case di tolleranza became increasingly complex after the Second World War. While human and women’s rights grew in importance, the discovery of penicillin weakened health policy arguments and justifications. At the same time, international pressure increased, as even the United Nations took action against licensed prostitution in member states. Finally, the debate reflects the changing definitions of the role of women as well as the break with a number of social patterns.

Matthias Dahlke, „Nur eingeschränkte Krisenbereitschaft“. Die staatliche Reaktion auf die Entführung der CDU-Politikers Peter Lorenz 1975

Die Entführung des Spitzenpolitikers Peter Lorenz im Februar 1975 war eine der bis dahin schwersten Herausforderungen für die „Innere Sicherheit“ der Bundesrepublik Deutschland; allerdings wird sie heute durch den „Deutschen Herbst“ weitgehend verdrängt. Politikerentführung als Mittel des Terrorismus war ein Novum. Für die Krisenstäbe der Bundes- und Landesregierungen gab es keine vorgefertigten Strategien; nach fast einer Woche entschieden sie sich für ein Nachgeben und ließen fünf inhaftierte Terroristen in das sozialistische Süd-Jemen ausfliegen. Der Blick in die Akten, Strategiepapiere und Manöverkritiken der Krisenstäbe und der involvierten Ministerien offenbart die Konfliktlinien, Handlungsansätze und Debatten auf dem Weg zu dieser Entscheidung. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung spielte Bundeskanzler Helmut Schmidt nur eine untergeordnete Rolle bei der Entscheidungsfindung. Insbesondere die Länder, dominiert von Helmut Kohl und Klaus Schütz, verstanden es, ihre nachgebende Haltung durchzusetzen. Es wird auch deutlich, dass die neue, medienorientierte Strategie der Terroristen sowie die Überforderung der zerrütteten Berliner Landespolizei den staatlichen Spielraum stark einschränkte. Die „erfolgreiche“ Lorenz-Entführung setzte Maßstäbe für terroristisches als auch staatliches Handeln, wie die kurz darauf folgende Botschaftsbesetzung in Stockholm zeigte.

Matthias Dahlke, „Only Limited Crisis Preparedness“. The Reaction of the State to Abduction of the CDU Politician Peter Lorenz in 1975

The abduction of the leading politician Peter Lorenz in February 1975 was one of the greatest challenges as yet for the „Internal Security“ of the Federal Republic of Germany; today, however, it is largely out-shadowed by the events of the „German Autumn“of 1977. The kidnapping of politicians as a means of terrorism was unprecedented. There were no prepared strategies for the crisis management groups in the Federal and State governments; after almost a week, they decided to give in and have five imprisoned terrorists flown out to socialist South Yemen. The files, policy and debriefing papers of the crisis management groups and the involved ministries reveal the divides, the ideas for solutions and the debates leading up to this decision. Contrary to public perception, Chancellor Helmut Schmidt only played a minor role in the decision making process. The State governments especially, dominated by Helmut Kohl and Klaus Schütz, pushed through their concessionary attitude. It also becomes clear that the new, media-orientated strategy of the terrorists as well as the overstrained and internally shaken Berlin State police sharply limited the governmental scope of action. The “successful” abduction of Lorenz set standards for terrorist as well as governmental actions, as the terrorist occupation of the Stockholm embassy showed soon after.

Dokumentation

Matthias Uhl und Armin Wagner, „Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen nachrichtendienstlicher Aufklärung in besonders verständlicher Weise“. Bundesnachrichtendienst und Mauerbau, Juli-September 1961

„Im Sommer einundsechzig, am 13. August, da schlossen wir die Grenzen und keiner hat's gewusst“, hieß es nach dem Mauerbau in einem ostdeutschen Propagandalied. Doch hatten die westlichen Geheimdienste tatsächlich keinerlei Kenntnis von den östlichen Vorbereitungen zur Grenzschließung? Ein Blick in die jetzt im Bundesarchiv in Koblenz zugänglichen Dokumente des Bundesnachrichtendienstes bestätigt dieses Bild nicht. Bereits Ende Juli 1961 wies der BND die Bundesregierung in seinem routineüblichen Monatsbericht darauf hin, dass mit einer „wirksamen Blockierung“ West-Berlins durch die DDR gerechnet werden müsse. Während die Politik in West-Berlin und Bonn verschiedene Reaktionen des Ostens für möglich hielt, gab es aus Sicht des Bundesnachrichtendienstes in den Wochen und Tagen vor und während des Mauerbaus für keine Handlungsoption so viele Indizien wie für die gewaltsame Sperrung der Sektorengrenze und die Abriegelung West-Berlins. Genau das meldete die BND-Auswertung der politischen Führung der Bundesrepublik.

Matthias Uhl and Armin Wagner, „The Possibilites, but also the Limits of Intelligence Service Reconnaissance in Especially Comprehensible Manner“. The Bundesnachrichtendienst (Federal Intelligence Service) and the Construction of the Berlin Wall, July – September 1961

„In the Summer of sixty-one, on the 13th of August, we closed the border and nobody saw us“, was the rhyme in an East German propaganda song after the construction of the Berlin Wall. But did the western intelligence services really have no clues as to the Eastern preparations for the closure of the border? Documents now accessible in the Federal Archives in Koblenz do not confirm this assessment. As early as the end of July, 1961, the Bundesnachrichtendienst (BND) indicated to the Federal Government in one of its routine monthly reports that the possibility of an „effective blockade“ of West Berlin by the GDR had to be considered. While politicians in West Berlin and Bonn deemed diverse reactions by the East as possible, in the view of the Bundesnachrichtendienst, more signs were pointing to the forceful barring of the sector boundary than towards any other course of action during the weeks and days before and during the construction of the Berlin Wall. This is precisely what the BND assessment reported to the political leadership of the Federal Republic.

Rezensionen online

Juli – September 2007

Reviews online

July – September 2007

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
rda_languageOfExpression_z6ann
Bestandsnachweise 0042-5702