Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 13 (2009), 1-2

Titel der Ausgabe 
Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 13 (2009), 1-2
Weiterer Titel 

Erschienen
Frankfurt am Main 2009: Vittorio Klostermann
Erscheint 
Anzahl Seiten
156 S.
Preis
38 Euro

 

Kontakt

Institution
Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit
Land
Deutschland
c/o
*Redaktionelle Zuschriften und Manuskripte:* Forschungszentrum Historische Geisteswissenschaften Johann Wolfgang Goethe-Universität, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main *Anzeigen und Bezug:* Verlag Vittorio Klostermann, Postfach 900601, 60446 Frankfurt am Main.
Von
Gisela Engel

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Andreas Mahler: Beginning in the middle. Strategie und Taktik an den Inns of Court

Der Beitrag geht aus von einer Aufführung des Troja-Stoffs auf der Bühne einer der Rechtsschulen in London um 1600 und fragt nach deren kultureller Bedeutung. Hierzu wird in einem ersten Schritt ein Modell historischer Verhaltensanalyse skizziert und mit Michel de Certeaus Konzept einer 'Kunst des Handelns' zu vermitteln gesucht. Sodann wird das Milieu der Londoner Rechtsschulen der Inns of Court in den Blick genommen und als Ort besonderer Netzwerk- und Konstellationsbildung beschrieben, an dem gesellschaftsstrategische Vorgaben durch individuelle Taktiken erprobt, befragt und ausverhandelt werden konnten. Schließlich wird die Frage des gesellschaftlichen Umbruchs um 1600 gestellt.

Thomas Leinkauf: Leibniz und Platon

Leibniz hat sich von Beginn seiner philosophischen Entwicklung an mit Platon beschäftigt und im Laufe dieser Entwicklung auch bestimmte Kernthematiken und Sachargumente Platons übernommen und weiterentwickelt. Der Beitrag versucht zunächst, eine zusammenfassende Darstellung dieser 'Platonica' in seinen Texten zu geben und dann, anhand dreier Beispiele das Weiterwirken platonischer Grundmotive darzustellen und zu erläutern.

Tobias Winnerling: »Man hat aber nicht Ursache, auf dieses Auctoris Beschreibung von Formosa viel zu bauen«. Die Insel Formosa in Zedlers Universal-Lexicon und bei George Psalmanazar

Das frühneuzeitliche Europa verfügte über zwei Strategien, um Wissen über Afrika, Amerika und Asien zu organisieren: Eine deskriptive, gegenwartsorientierte, die sich für die Validierung ihrer Aussagen auf Augenzeugenberichte stützte, sowie eine präskriptive, vergangenheitsorientierte, die den Wahrheitsgehalt ihrer Behauptungen durch eine Übereinstimmung derselben mit den traditionellen Topoi der ‚Fremde’ sicherte. Durch die präskriptive Form der Darstellung und ihre Wiederholung lang tradierter, aber meist fiktiver Bilder des Anderen wurde das zeitgenössische Europa weniger über die tatsächlichen Gegebenheiten informiert als vielmehr seiner selbst versichert; im negativen Spiegel des Nicht-Europäischen konnte sich der Leser seiner Identität als Europäer noch einmal versichern, was der Hauptgrund dafür war, dass diese Berichte trotz ihrer – verglichen mit Augenzeugenberichten – teilweise offensichtlichen Fehlerhaftigkeit so erfolgreich waren. Besonders so im Fall Asiens, für das die europäische Tradition eine Flut von Topoi und Stereotypen bereitstellte, mit denen der fremde Kontinent zu beschreiben war. Der vollständig fiktive Bericht des George Psalmanazar über die Insel Formosa (das heutige Taiwan) von 1704 und die extensive Nutzung eben dieses Berichtes als Quelle für den Artikel über Formosa in Johann Heinrich Zedlers Grossem Vollständigem Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste 1735 durch einen Autor, der mit deskriptiven Beschreibungen der Insel ebenso vertraut war, zeigen auf, dass der präskriptive Betrachtungsmodus noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts als eine legitime Weltsicht Europas fungieren konnte.

Claus Bernet: Größe und Erscheinungsort des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit

Wird das Himmlische Jerusalem als Utopie konkret, dann werden Fragen nach numerischer Größe, dem Zeitpunkt und dem geographischen Ort des Erscheinens relevant, ebenso wie die Zahl der möglichen Einwohner. Diskutiert wurden diese Fragen im 17. Jahrhundert vor allem innerhalb der architectura sacra. Analysiert werden in dem Beitrag Architekturvorstellungen von Gregor Perlitius, Martin von Cochem, Christian Scriver, Nikolaus Goldmann und Leonhard Christoph Sturm, Johann Wilhelm Petersen und Friedrich Christoph Oetinger.

Es wird untersucht, welche Vorstellungen und Konzepte diese Autoren innerhalb der architectura sacra zur Beschreibung des Himmlischen Jerusalem entworfen haben und mit welchen Argumenten über Größe und Ort gestritten wurde, einschließlich der Berücksichtigung konfessioneller Vorzeichen. Eine Klärung dieser Fragen war eine entscheidende Voraussetzung, spätere Umsetzungsversuche der Utopie des Himmlischen Jerusalem im 18. Jahrhundert Gestalt werden zu lassen.
Die Rekonstruktion dieser Diskurse um das „wahre Aussehen“ der Gottesstadt zeigt, dass Größe und Ort des Erscheinens, wenn die Utopie glaubhaft sein sollte, einem bestimmten Realitätssinn folgen mussten und nicht ins Imaginäre ausufern durften. Denn die chiliastische Utopie war für den frühneuzeitlichen Menschen nicht literarische Fiktionalität, sondern Teil seiner Lebenswirklichkeit und muss daher in ihrem historischen Kontext zur Kenntnis genommen werden.

Michael Spang: Anthropologie und Geschlechterbild in Anna Maria van Schurmans Dissertatio über Frauenbildung

Die niederländische Gelehrte Anna Maria van Schurman (1607-1678) veröffentlichte 1641 eine lateinische Schrift mit dem Titel Dissertatio de ingenii muliebris ad doctrinam et meliores litteras aptitudine, in der sie dafür plädierte, Frauen den Zugang zu wissenschaftlicher Bildung zu öffnen. Dieser Abhandlung wird in der Forschung immer wieder eine auffällige Ambivalenz attestiert: Van Schurman changiere in Fragen der Geschlechteranthropologie zwischen einer progressiven und einer konservativen Position und propagiere bisweilen ein traditionell abwertendes Frauenbild, das im Widerspruch zum eigentlichen Impetus ihrer Abhandlung stehe. Der Artikel analysiert im einzelnen Struktur und Inhalt der in der Dissertatio vorgelegten Argumentation und zeigt detailliert auf, welche anthropologischen, epistemologischen und theologischen Argumente hier zusammengeführt werden. Van Schurmans Haltung lässt sich auf dieser Basis vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Diskurses der Querelle des femmes und im Kontext der biographisch für die Autorin prägenden Einflüsse charakterisieren und einordnen.

Sabine Blackmore: Matchless and yet Melancholy? Weibliche Melancholie in den Gedichten von Katherine Philips

Neuere Forschungen verweisen zunehmend auf den genderspezifischen Charakter der Melancholie. Dabei fällt auf, dass bis ins späte 17. Jahrhundert Frauen in medizinischen Traktaten zur Melancholie, falls sie überhaupt berücksichtig werden, lediglich eine marginale Rolle spielen. Auch das pseudoaristotelische Konzept von der Melancholie als Prädisposition für das intellektuelle und kreative (männliche) Genie schließt Frauen rigoros aus dem Melancholiediskurs aus. Während die Dichter des 17. Jahrhundert sich in zahlreichen Texten intensiv mit der Melancholie auseinandersetzen, scheint es nur sehr wenige Texte von zeitgenössischen Dichterinnen zu geben, die dieses Thema literarisch verhandeln. Dabei überraschen ihre Texte oftmals durch einen ungewöhnlichen Umgang mit diesem virulenten Phänomen ihrer Zeit.
Der Aufsatz untersucht, wie die frühneuzeitliche Dichterin Katherine Philips – von ihren Zeitgenossen als matchless Orinda gepriesen – versucht, sich entgegen den geltenden Genderkonventionen im männlich definierten Diskurs der literarischen Melancholie zu positionieren, ohne dabei ihre minutiös konstruierte Selbstdarstellung und Reputation in Frage zu stellen. Dabei gelingt es Philips in den hier analysierten Gedichten, das zeitgenössische Melancholiekonzept zu transformieren, um sich zugleich als matchless and yet melancholy zu stilisieren.

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