Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 2

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 2
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2010: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 66 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 66 €, Print- und Online-Abo 66 €

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

soeben ist die neueste Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte erschienen. Ihre besondere Aufmerksamkeit möchten wir auf Jeffrey Herfs Dokumentation "Hitlers Dschihad" lenken. Neu ausgewertete Radio-Protokolle führen drastisch vor Augen, wie skrupellos die deutsche Rundfunkpropaganda in der arabischen Welt für die nationalsozialistische Politik warb.

Ihr Oldenbourg Wissenschaftsverlag

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Aufsätze:

Kiran Klaus Patel: Der deutsche Bauernverband 1945 bis 1990. Vom Gestus des Unbedingten zur Rettung durch Europa.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) war eine der wichtigsten Interessenvertretungen in den Anfangsjahrzehnten der Bundesrepublik. Wie aber nahm er diese Funktion wahr? Drei Thesen stehen im Vordergrund: Erstens erwies sich der DBV interessenspolitisch bis in die frühen 1960er Jahre hinein und auch noch danach als erstaunlich erfolgreich. Dem Gros seiner Klientel schadete dieser Erfolg indes oft mehr, als das er nutzte. Zweitens: Obwohl und weil Teile des Bauernverbandes gerade in den Anfangsjahrzehnten der Bundesrepublik mit rechtslastigen Ideologemen hantierten, hatte der DBV wesentlichen Anteil daran, die politischen Ordnung der Bundesrepublik zu stabilisieren. Und drittens: Obwohl der Verband der europäischen Integration zunächst entgegenzuarbeiten suchte, half ihm später ausgerechnet die EWG, seinen Einfluss zu sichern.

Kiran Klaus Patel, The German Farmers Association DBV, 1945-1990. From a Gesture of Defiance to Salvation in Europe.

The Deutsche Bauernverband (German Farmers Association, DBV) was one of the most important special interest groups during the first decades of the Federal Republic. But how did it fulfil this function? The three main theses presented in this article are: Firstly that the DBV proved to be surprisingly successful at promoting its interest until the early 1960s and even beyond. However, this success did more harm than good to the majority of its clientèle. Secondly that the DBV played a decisive role in the stabilisation of the political order of the Federal Republic – even though and because parts of the Farmers Association operated with right-wing ideological concepts. And thirdly that, even though the Association at first tried to counteract European integration, of all things it was the EEC that later helped it preserve its influence.

Oxana Nagornaja: Des Kaisers Fünfte Kolonne? Kriegsgefangene aus dem Zarenreich im Kalkül deutscher Kolonisationskonzepte (1914 bis 1922).

Während des Ersten Weltkriegs betrachtete die deutsche militärische Führung die Kriegsgefangenen aus dem Zarenreich als eines der wichtigsten Instrumente für dessen politische Unterminierung: Der Umgang mit den kriegsgefangenen Deutschrussen, Polen, Ukrainern, Balten, Muslimen und Georgiern wurde in den deutschen Kriegsgefangenen- Lagern zu einem Experimentierfeld deutscher Ostpolitik. Im Vergleich zur russischen Nationalitätenpolitik scheint die deutsche separatistische Propaganda stark von kolonialen Einstellungen geprägt und eng mit dem deutschen Kolonisierungsprojekt in Osteuropa verbunden gewesen zu sein, ausgerichtet auf die langfristige Sicherung des deutschen Einflusses im osteuropäischen Raum nach Beendigung des Krieges. Dabei kamen rasch zwei divergierende Interessen einander ins Gehege: der Plan, in den Randgebieten Russlands den modernen Nationalismus zu fördern, kollidierte mit den kolonialen Konzeptionen, die nicht erlaubten, in den Nationalitäten vollwertige Partner zu sehen..

Oxana Nagornaja, The Kaiser’s Fifth Column? Prisoners of War from Czarist Russia and German Plans of Colonisation (1914-1922).

During the First World War, the German military leadership saw the prisoners of war from the Czarist Empire as one of the most important instruments to politically undermine its enemy: The handling of imprisoned Germans of Russian citizenship, Poles, Ukrainians, Balts, Muslims and Georgians in the German POW camps became an experimental ground for German Ostpolitik. In comparison to Russian policy towards ethnic minorities, German separatist propaganda seems to have been strongly shaped by colonial attitudes and was closely connected to the German colonisation project in Eastern Europe, which aimed at securing German influence throughout the region in the long term after the end of the War. Two competing interests soon emerged: the plan to support modern nationalism in the Russian borderlands collided with colonial conceptions, which did not allow for seeing these nationalities as full-fledged partners.

Thomas Welskopp: Ein „Cheers“ auf das schlechte Gewissen. Gesellschaftliche Trinkkultur und Geschmacksverfall in der amerikanischen Prohibitionszeit 1920 bis 1933.

Etwa seit den 1890er Jahren begannen die viktorianischen Moralvorstellungen der Bürgerinnen und Bürger in der urbanen Mittelklasse zu verblassen. An die Stelle trat eine weltoffenere Moral, auch im blick auf den Konsum. Doch gelang diese Transformation nicht ohne Gewissensbisse. Selbstzweifel und der Nachhall puritanischer Lustfeindlichkeit bremsten eine ungehemmte Ausbreitung des Hedonismus. Als die National Prohibition seit Januar 1920 den Verkauf, Transport und die Herstellung von Alkohol zu Trinkzwecken verbat, geschah dies just in einer Zeit, in der sich eine neue private Partykultur in der amerikanischen Mittelklasse kleinerer und größerer Städte herausbildete. Der dort zelebrierte Umgang mit dem verbotenen Gut Alkohol reflektierte in besonderem Maße die zwischen Zögern und rauschhafter Hingabe oszillierende kollektive Entdeckungsreise in die Konsumgesellschaft, die bei aller Angeberei mit dem Gesetzesbruch doch nicht ohne schlechtes Gewissen daherkam. Gerade das ausgiebige, ritualisierte Sprechen über den Alkohol und das Trinken, das bei der miserablen Qualität des verfügbaren Stoffes unverhältnismäßig erscheint, entpuppte sich so als eine Art Wegtherapierung moralischer Zweifel durch Selbstvergewisserung in der Gruppe.

Thomas Welskopp, “Here’s to Bad Conscience.” The Culture of Drinking and the Degeneration of Taste during National Prohibition in the United States, 1920-1933.

Since the 1890s Victorian moral values began to fade away in the urban middle classes of the United States, yielding the way to a more cosmopolitan morale which included a new indulgence in consumption. This transformation, however, did not proceed without a grain of bad conscience. Self-doubts and the resonance of Puritan asceticism slowed down the diffusion of pure hedonism. National Prohibition, which prohibited the sale, transportation, and production of alcohol as intoxicating beverage, came into effect in January 1920 – precisely at a time when the middle classes in both small towns and large cities started celebrating a new private party cult. The handling of the prohibited stuff therefore reflected the cumbersome expedition into the terrain of modern mass consumption society which oscillated between balking and senseless commitment. Yet despite all the loud-mouthed braggadocio about defying the law, bad conscience was all-present in party conversations. Seen in this light, the ritualized discourse on alcohol and drinking – unlikely, considered the poor quality of the available liquids – appears as a form of collective self-therapy to talk away hazardous moral considerations.

Magda Martini: Die DDR der italienischen Linken. Erfindung und Entzauberung einer kulturellen Projektion.

Obwohl Italien und die DDR sich feindlich gegenüberstehenden Blöcken angehörten, waren die Kulturbeziehungen während des vierzigjährigen Bestehens des „anderen Deutschlands“ intensiv. Ungeachtet der politischen „Null-Beziehungen“, die von der 1955 ausgegeben Hallstein-Doktrin eingefordert und von den italienischen Regierungen auch bis 1989 praktiziert wurden, zeigten sich die Träger der italienische Kultur sehr daran interessiert, die DDR kennenzulernen und mit ihr zu kommunizieren. Mehr noch als das Interesse für den real existierenden Sozialismus war es ihre starke antifaschistische Bindung, die einige italienische Intellektuelle dazu bewegte, das „Zentrum Thomas Mann“ in Rom zu unterstützten. Seit 1957 organisierte es Ausstellungen, Tagungen, Konferenzen und Studienreisen. Doch waren die Beziehungen zur „Liga für Völkerfreundschaft“ und zu anderen Institutionen der DDR auch von ideologischen und politischen Meinungsverschiedenheiten geprägt, wie sie auch die Freundschaft zwischen der KPI und der SED belasteten. Die Geschichte der Kulturbeziehungen zwischen beiden Ländern bietet ein interessantes und manchmal überraschendes Bild von der komplexen Beziehung zwischen dem politischen Establishment in Italien und der DDR.

Magda Martini, The GDR on the Italian Left. The Setting-Up and Dispelling of a Cultural Projection.

Even though Italy and East Germany belonged to antagonistic ideological blocks, cultural relations were intensive during the forty years of existence of the “Other Germany”. Despite “zero relations” in the political field due to the requirements of the Hallstein Doctrine proclaimed by West Germany in 1953 until 1989, representatives of Italian culture were very interested in becoming acquainted and communicating with the GDR. More than the interest in state socialism, it was the strong Antifascist connection which convinced some Italian intellectuals to support the “Zentrum Thomas Mann” in Rome. Since 1957 it organised exhibitions, conferences and study trips. Yet the relations between the Italians and the “League of the GDR for Friendship Among the Peoples” as well as other institutions of the GDR were also shaped by ideological and political disagreements, which also strained the friendship between the Italian Communist Party and the SED. The history of cultural relations between these two countries offers interesting and sometimes surprising insights into the complex relationship between the political establishments of Italy and the GDR.

Dokumentation:

Jeffrey Herf: Hitlers Dschihad. Nationalsozialistische Rundfunkpropaganda für Nordafrika und den Nahen Osten.

Während des Zweiten Weltkriegs unternahm das NS-Regime intensive Bemühungen, um an Araber und Muslime im Nahen Osten und in Nordafrika in arabischer Sprache zu appellieren. Dies tat es auf zweierlei Weise: Erstens stellte es sich als ein Vorkämpfer eines säkularen, zuerst gegen England, dann gegen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion gerichteten Antiimperialismus dar; zweitens verwendete und rezipierte es islamische Traditionen auf solch eine Weise, dass sie als kompatibel mit der Ideologie des Nationalsozialismus erschienen. Von Herbst 1939 bis März 1945 sendete das NS-Regime sieben Tage und Nächte die Woche arabische Kurzwellensendungen in den Nahen Osten und nach Nordafrika. Obwohl ein Großteil der deutschsprachigen NS-Radiosendungen aufgezeichnet und sorgfältig archiviert wurde, hat sich nur sehr wenig von den circa 2.000 Tagen und 6.000 Stunden der arabischen Abendsendungen (also der Hauptsendezeit) in deutschen Archiven erhalten. Die Sendungen wurden aber von Angestellten der amerikanischen Botschaft in Kairo während des Krieges transkribiert. Von April 1942 bis März 1945 sendete Botschafter Alexander Kirk den wortgetreu ins Englische übersetzten Text der „Axis Broadcasts in Arabic“ an das amerikanische Außenministerium in Washington, D.C. Die folgenden vierzehn Dokumente, ausgewählt von mehreren Tausend, geben einen Eindruck von den Hauptthemen der Kriegssendungen. Die Dokumente der „Axis Broadcasts in Arabic“ stellen einen signifikanten Fortschritt für unser Wissen über die Versuche des NS-Regimes dar, an Araber und Muslime zu appellieren und die Hauptthemen der NS-Propaganda in Europa für dieses Zielpublikum anzupassen.

Jeffrey Herf, Hitlers Jihad. National Socialist Radio Propaganda for North Africa und the Middle East.

During World War II, the Nazi regime engaged in an intensive Arabic language effort to appeal to Arabs and Muslims in the Middle East and North Africa. It did so both by presenting the Nazi regime as a champion of secular anti-imperialism, first against Britain, and then against the United States and the Soviet Union, as well as by a selective appropriation and reception of the traditions of Islam in ways that suggested their compatibility with the ideology of National Socialism. From the fall of 1939 to March 1945, the Nazi regime broadcast short wave Arabic programs to the Middle East and North Africa seven days and nights a week. Although a great deal of Nazi radio broadcasts in German were tape recorded and carefully archived, very little remains from the approximately 2,000 days and 6,000 hours of prime time Arabic language evening broadcasts in German archives. They were, however, transcribed by a staff in the American Embassy in wartime Cairo, Egypt. From April 1942 to March 1945, Ambassador Alexander Kirk sent the verbatim, English translations of “Axis Broadcasts in Arabic” to the Office of the Secretary of State in Washington, D.C. The following fourteen documents – selected from a total of thousands – convey general themes expressed in the wartime broadcasts. The “Axis Broadcasts in Arabic” documents represent a significant advance in our knowledge about Nazi Germany’s efforts to appeal to Arabs and Muslims and to adapt the main themes of Nazi propaganda in Europe to this listening audience.

Notizen:

Schreib-Praxis. Das Instituts für Zeitgeschichte und der Oldenbourg Verlag veranstalten zum vierten Mal ein anwendungsorientiertes Schreib-Seminar (6.-10. September 2010).
The Institute of Contemporary History and Oldenbourg Publishing organise a practical writing seminar for the third time (September 6th¬–10th, 2010).

Rezensionen online (Januar–März 2010)
Reviews online (January-March 2009)

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