Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 3

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 58 (2010), 3
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2010: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 66 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 66 €, Print- und Online-Abo 66 €

 

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Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

was verbirgt sich hinter den Problemen der Stasi mit dem "großen" Bruder? Lesen Sie im neuesten Heft der VfZ, wie die Stasi die Ostpolitik Willy Brandts verhindern wollte, schließlich aber zähneknirschend auf den Kurs Moskaus einschwenken musste.

Ihr Oldenbourg Wissenschaftsverlag

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Aufsätze:

Christoph Buchheim, Der Mythos vom „Wohlleben“. Der Lebensstandard der deutschen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg
Der Aufsatz greift ein besonders brisantes, seit langem umstrittenes Thema auf, das in den letzten Jahren erneut heftig diskutiert worden ist. Vor allem Hans-Ulrich Wehler und Götz Aly haben mit ihren zugespitzten Themen vom "Wohlleben" der Deutschen im Dritten Reich für Diskussionsstoff gesorgt. Buchheim referiert zunächst den aktuellen Forschungsstand und präsentiert dann seine neuen Quellen, ehe er das 1939 eingeführte Rationierungssystem schildert und schließlich die Zuteilung von Lebensmitteln analysiert, wobei er es nie bei pauschalen Aussagen belässt: Er geht auf die Zuteilung einzelner Lebensmittel ein und nimmt verschiedene gesellschaftliche Gruppen in den Blick - und zwar entlang der Zeitachse bis 1945. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Lebensstandard der Deutschen war schon bei Kriegsbeginn relativ dürftig und verschlechterte sich ab 1942/43 kontinuierlich, ehe er 1945 einen Tiefpunkt erreichte. Dazu passt - mit differenziertem Blick auf die Alltagsrealität - , dass auch die Versorgung mit gewerblichen Konsumgütern sehr zu wünschen übrig ließ; hier war die Lage sogar noch bedrückender als bei der Lebensmittelversorgung. Von „Wohlleben“ kann allenfalls bei einer kleinen Oberschicht aus Partei, Staat und Wirtschaft die Rede sein, die es sich selbst in der Katastrophe noch gut gehen ließ.

Christoph Buchheim, The Myth of the “Good Life”. The Standard of Living of the German Civilian Population During the Second World War
The article tackles with an especially explosive topic which has been widely contested for a long time and has once again been taken up intensely during the last few years. Hans-Ulrich Wehler and Götz Aly in particular provoked the discussion with their pointed theses about the “Good Life” of the Germans during the Third Reich. Buchheim first reports on the current state of research and then presents his new sources before describing the rationing system introduced in 1939 and finally analysing the allocation of foodstuffs. He never just makes general statements: He covers the allocation of individual foodstuffs and takes individual social groups into account chronologically until 1945. The result is unambiguous: The standard of living of the Germans was already relatively frugal at the beginning of the War and continued to worsen as of 1942/43 before reaching a nadir in 1945. While keeping a differentiated view of everyday reality, the situation regarding the provisioning with consumer goods can be characterised as leaving a great deal to be desired as well – sometimes it was even more dismal than that regarding food. Only a small upper class among the party, state and economic elites enjoyed the “Good Life” despite the surrounding catastrophe.

Michael Mayer, „Die französische Regierung packt die Judenfrage ohne Umschweife an“ Vichy-Frankreich, deutsche Besatzungsmacht und der Beginn der „Judenpolitik“ im Sommer/Herbst 1940
Durch die restriktive französische Archivgesetzgebung konnte die Entstehungsgeschichte der französischen Rassengesetzgebung im Jahre 1940 bisher noch nicht auf Quellenbasis untersucht werden. Dieser Artikel greift nun erstmals auf die Dokumente der französischen Regierung und Verwaltung, der deutschen Besatzungsmacht in Paris sowie der Berliner Staatsführung zurück, um den komplexen Entstehungsprozess der französischen und deutschen „Judenpolitik“ im Sommer/Herbst 1940 zu untersuchen und mögliche Interdependenzen herauszuarbeiten. Der Fokus wird dabei insbesondere auf die Frage einer deutschen Einflussnahme auf die französische antijüdische Politik der ersten Monate des Vichy-Regimes gelegt. Die Ergebnisse dieser Analyse werden im Folgenden einer Gegenprobe unterzogen, indem der Autor die interne Diskussion der französischen Administration hinsichtlich der verwaltungstechnischen Umsetzung der französischen Rassengesetzgebung analysiert. Insgesamt wird deutlich, dass die französische „Judenpolitik“ in einer umfassenden Kontinuitätslinie des Antisemitismus im Frankreich Zwischenkriegszeit stand, die jedoch durch die verheerende Niederlage 1940 einem massiven Radikalisierungsschub unterworfen war. Zudem wird deutlich, dass die antijüdische Politik der französischen Regierung und der deutschen Besatzungsmacht relativ autochthon voneinander entstanden und bis Herbst 1940 kaum Berührungspunkte aufwiesen.

Michael Mayer, “The French Government Tackles the Jewish Question Outright”. Vichy-France, the German Occupying Power and the Beginning of “Jewish Policy” in Summer and Autumn 1940
Due to restrictive French archival legislation, the genesis of the French racial laws of 1940 has hitherto not been subjected to a source-based study. For the first time, this article covers all relevant documents – those of the French government and administration, the German occupying power in Paris and finally the state leadership in Berlin – to comparatively investigate the complex genesis of French and German “Jewish Policy” in summer and autumn 1940. The focus is on the question of the extent of a German exertion of influence on French anti-Jewish policy during the first months of the Vichy Regime. The results of this analysis are subsequently cross-checked; this section covers the internal discussions of the French administration about the administrative implementation of the French race laws. Here it becomes clear that French “Jewish Policy” contained elements of an older Antisemitism which had developed in inter-War France and had become further radicalised after the devastating defeat in 1940. It also becomes clear that the anti-Jewish policy of the French government and the German occupying power came about relatively autonomously of each other and exhibited few points of contact until autumn 1940.

Diskussionen:

Günther Gillessen, Tresckow und der Entschluß zum Hochverrat. Eine Nachschau zur Kontroverse über die Motive
Henning von Tresckow und seine militärischen Mitverschworenen waren 1941 in einflussreichen Stellungen des Stabes der Heeresgruppe Mitte an den Operationen gegen die Rote Armee beteiligt. Ob sie auch an den Massenverbrechen von Himmlers SS- und Polizeiverbänden hinter Front beteiligt waren, ist seit einigen Jahren Gegenstand einer heftigen Kontroverse. Diese Offiziere hätten zu Anfang des Russlandfeldzugs den Verbrechen der Mordtruppe Himmlers teilnahmslos zugeschaut, sie sogar unterstützt, meinten - gegen Einspruch von Gerhard Ringshausen und Hermann Graml - Johannes Hürter und Felix Römer. Doch dem, was sie bisher zur Begründung ihrer Ansicht vorgetragen haben, stehen andere Befunde im Wege, wie in diesem Beitrag dargelegt wird.

Günther Gillessen, Tresckow and the Decision to Commit High Treason. A Look Back at the Controversy About the Motives
Henning von Tresckow and his military co-conspirators were in influential positions in the general staff of Army Group Centre at the beginning of the German-Soviet War. For a few years, a controversy has been raging about the question whether they were also complicit in the mass crimes committed by Himmler's SS and police units behind the front. Against the objections of Gerhard Ringshausen and Hermann Graml, Johannes Hürter and Felix Römer assert that these officers had impassively watched the crimes of Himmler's murder units at the beginning of the War. However, other findings presented in this article get in the way of the argumentation they have employed so far.

Johannes Hürter, Entgegnung auf Günther Gillessen
In seiner Antwort weist Johannes Hürter die Argumentation und Kritik Günther Gillessens als spekulativ und wissenschaftlich verfehlt zurück. Er erinnert an den erreichten Forschungsstand über die Integration der Wehrmacht in den rassenideologischen Vernichtungskrieg und an einzelne Dokumente, die von Gillessen unvollständig zitiert und/oder verzerrend interpretiert werden. Hürter plädiert für eine kontextualisierende Analyse des Handelns von Generalstabsoffizieren an der Ostfront. Sie zeigt, in welchem Umfang Akteure wie die Offiziere des Heeresgruppenkommandos Mitte in der dramatischen Anfangsphase des deutsch-sowjetischen Krieges in ein militärisch, politisch-ideologisch und ethisch radikal entgrenztes Gewaltgeschehen eingebunden waren, aus dem selbst die Hellsichtigsten und Mutigsten unter ihnen erst nach und nach einen Weg heraus in den Widerstand fanden.

Johannes Hürter, Reply to Günther Gillessen
In his reply Johannes Hürter rebuffs the argumentation and critique employed by Günther Gillessen as speculative and academically amiss. He recounts the achieved state of research regarding the integration of the Wehrmacht into the racial/ ideological war of extermination and points to individual documents which are only quoted in excerpts and/or are interpreted in a distorted fashion by Gillessen. Hürter speaks in favour of a contextualising analysis of the actions of general staff officers at the Eastern Front. They show to what extent actors such as the officers in the Army Group Command Centre were integrated into (in military, political-ideological as well as ethical terms) radically unfettered events of violence during the dramatic initial phase of the German-Soviet War; even the most foresighted and the most courageous only emerged gradually to find their path towards resistance.

Alexander Haritonow/Klaus-Dieter Müller, Die Gesamtzahl sowjetischer Kriegsgefangener – Eine weiterhin ungelöste Frage
Das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg ist eine der größten Tragödien dieses Krieges. Millionen von ihnen fielen in deutsche Hand und mehr als Hälfte überlebte die deutsche Kriegsgefangenschaft nicht. Seit dem Jahr 1999 beschäftigt sich ein von der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten geleitetes internationales Projekt, vorwiegend humanitär, mit ihnen. 2008 erschien in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte (Heft 4/2008) ein Aufsatz früherer Projektmitarbeiter mit dem Titel „Sowjetische Kriegsgefangene in deutschem Gewahrsam 1941-1945“, in denen sie auf der Grundlage von Projektunterlagen, die bis zum 2005 erhoben worden waren (ca. 350000 Personen), beanspruchen, die Gesamtzahl sowjetischer Kriegsgefangener, auf jeden Fall für das Reichsgebiet, endgültig ermittelt zu haben. Sie werteten dazu die von der Wehrmacht vergebenen Erkennungsmarkennummern nach bestimmten Hypothesen aus. Eine empirische Überprüfung ihrer Methode sowie ihrer Ergebnisse im Jahre 2009 durch die projektleitende Stelle erbrachte jedoch keine Bestätigung. Vielmehr zeigte sich auf der Grundlage der Unterlagen einer etwa doppelt so großen Zahl von Kriegsgefangenen (ca. 700.000 Personen), dass in sehr viel mehr Lagern Kriegsgefangene registriert worden sind als die Unterlagen von 2005 vermuten ließen. Eine strikt schematische Anwendung der Methode würde zudem zu dem Schluss führen, dass insgesamt mehr als 11 Millionen sowjetische Kriegsgefangene von deutschen Stellen im Reichsgebiet sowie außerhalb des Reichsgebietes registriert worden sein müssten, ganz abgesehen von den Kriegsgefangenen, die vor ihrem Tod gar nicht mehr registriert wurden. Selbst Ergebnisse für sog. Russenlager im Reich bzw. sonstige Stalags im Reich führen zu Erhöhungen um 1,8 Millionen Gefangene. Dem widersprechen alle bisherigen historischen Erkenntnisse, selbst wenn man eine relativ große Varianz zwischen verschiedenen von der Forschung bislang veröffentlichten Zahlen zu Grunde legt. Die alleinige Nutzung der Erkennungsmarkennummern führt damit zur Zeit zu keinem validen Ergebnis. Die genaue Zahl bzw. Größenordnung sowjetischer Kriegsgefangener bleibt weiterhin eine ungelöste (methodische) Frage.

Alexander Haritonow/Klaus-Dieter Müller, The Total Figure of Soviet Prisoners of War – Still an Unsolved Question
This article is a response to a paper published in VfZ 4/2008 under the title “Soviet Prisoners of War in German Custody 1941–1945. Data and Dimensions”. This paper was based on project material accumulated up to 2005 by the Saxon Memorial Foundation (covering approximately 350,000 persons), with the help of which the authors calculated the total amount of Soviet prisoners of war in German hands during the Second World War. However in 2009, an examination of their method as well as their results by the project managing organisation did not result in confirmation. Rather, an examination on the basis of material relating to a figure almost twice as large (covering approximately 700,000 persons) showed that prisoners of war were registered in many more camps than the material accumulated by 2005 suggested. Additionally, a strictly schematic application of their method would lead to the conclusion that more than 11 million Soviet prisoners of war were registered by German authorities within as well as outside the territory of the Reich, not to mention prisoners of war who were not registered before their death. This is inconsistent with all that historical research has established so far, even if one presupposes a relatively large variance between the different hitherto published figures. The exact figure or order of magnitude of the Soviet prisoners of war remains unresolved.

Dokumentation:

Siegfried Suckut, Probleme mit dem „großen Bruder“. Der DDR-Staatssicherheitsdienst und die Deutschlandpolitik der KPdSU 1969/70
Gestützt auf historiografisch bisher nicht im Zusammenhang gewürdigte Unterlagen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wird analysiert, wie die politische Geheimpolizei der SED 1969/70 auf den Beginn der neuen Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Regierung in Bonn reagierte. Belegt wird, dass Minister Mielke und sein Stellvertreter, der Chef der Westspionage (HVA), Markus Wolf, diese Politik von Anfang an für eine für die DDR und die sozialistische Staatengemeinschaft besonders gefährliche Variante bisheriger „imperialistischer“ Deutschlandpolitik hielten, die letztlich darauf ziele, den Sozialismus in der DDR zu beseitigen und das östliche Bündnissystem zu unterminieren. In Gesprächen mit der KGB-Führung warnten sie die „Freunde“ und mahnten indirekt, der Bundesregierung keine Zugeständnisse zulasten der DDR zu machen. Mielke und Andropow fungierten dabei, so scheint es, als in Rücksprache mit ihren Parteiführungen handelnde Akteure. Dokumentiert ist vor allem die geplante Argumentation der DDR-Vertreter in diesem Stellvertreter-Diskurs über die Ost- und Deutschlandpolitik der Regierung Brandt. Mielke und Wolf bedienten sich extensiv der Erkenntnisse der Westspionage, die die umfangreichen vorbereitenden Ausarbeitungen der HVA durchziehen und erkennen lassen, dass der Stasi-Chef zu selbstbewusstem, mitunter schulmeisterlich anmutendem Auftreten gegenüber den sowjetischen Vertretern entschlossen war. Das belegen vor allem seine hier dokumentierten vorbereitenden Notizen für die Unterredung mit Andropow, die nach Aktenlage wenige Wochen vor der Unterzeichnung des Gewaltverzichtsabkommens zwischen Bonn und Moskau in Ost-Berlin stattfand.

Siegfried Suckut, Problems with the “Elder Brother”. The East German Secret Service and the CPSU’s Policy on Germany in 1969/70
This article covers the question of how the political secret police of the East German Communist Party (SED) reacted to the onset of the new Eastern policy and policy on Germany of the Social-Liberal coalition in Bonn in 1969/70. Material from the GDR Ministry for State Security (MfS), which has not hitherto been historiographically analysed in context, shows that minister Mielke and his deputy, the head of the department for espionage in Western countries (HVA) Markus Wolf, from the start considered this variant of “imperialist” policy on Germany especially dangerous for the GDR and the socialist states, as this policy ultimately aimed at abolishing socialism in the GDR and the undermining of the Eastern alliance system. They warned their “friends” in conversations with the KGB leadership and indirectly exhorted them not to make any concessions to the West German government at the expense of the GDR. Mielke and Andropov functioned as acting parties in consultation with their respective party leadership. The documentation is most clear regarding the planned argumentation of the GDR representatives in this proxy discourse about the Eastern policy and policy on Germany of the Brandt government; Wolf especially was resolved to exhibit a confident, sometimes even school-masterly attitude towards the Soviet representatives. This is attested by his preliminary notes for the conversation with Andropov which are presented here; according to the available documents, the meeting took place a few weeks before the signing of the treaty on the renunciation of the use of force between Bonn and Moscow in East Berlin.

Rezensionen online (April-Juni 2010)

Reviews online (April-June 2010)

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