Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), 2

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), 2
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2011: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 66 €, Stud.abo: 38 € Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 52,80 €, Online-Zugang: 66 €, Print- und Online-Abo 66 €

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Liebe Listenmitglieder,

in der eben erschienenen Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte unterzieht Johannes Hürter, Historiker am Institut für Zeitgeschichte, die vom Außenministerium beauftragte Studie "Das Amt und die Vergangenheit" einer eingehenden wissenschaftlichen Prüfung. Lesen Sie seine kritischen Bemerkungen!
Ihr Oldenbourg Wissenschaftsverlag

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Johannes Hürter: Das Auswärtige Amt, die NS-Diktatur und der Holocaust. Kritische Bemerkungen zu einem Kommissionsbericht

Die Historikerkommission zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amts hat mit dem Buch „Das Amt und die Vergangenheit“ für einiges Aufsehen gesorgt. Dabei ist der substanzielle Ertrag gering, denn die Forschung war längst einig, dass der Auswärtige Dienst im NS-Herrschaftssystem kein „Fremdkörper“ war, sondern wie auch andere staatliche Institutionen dazu beitrug, eine rassistische Gewaltpolitik zu verwirklichen. Das vermeintlich Spektakuläre des Buches rührt daher, dass in ihm die Rolle des Auswärtigen Dienstes in der NS-Diktatur und besonders bei der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden stark vereinfacht und überzeichnet wird. Die Komplexitätsreduktion betrifft vor allem drei Bereiche: 1. Die diplomatische Elite wird als weitgehend homogener Block von Tätern beschrieben, ohne ihre Transformationsprozesse und Binnendifferenzierungen, besonders nach 1938, zu berücksichtigen. 2. Dem Auswärtigen Amt wird eine tragende, teilweise sogar leitende Funktion beim Holocaust zugesprochen, ohne die komplexen Zusammenhänge und Verläufe der „Endlösung“ sowie die Verantwortung der Haupttäter zu beachten. 3. Die NS-Unrechtspolitik und der Anteil des Auswärtigen Amts an ihr wird weitgehend auf den Holocaust beschränkt, während andere Verbrechenskomplexe vernachlässigt werden und die eigentliche Außenpolitik mit ihren negativen Konsequenzen ausgeklammert bleibt. Insgesamt bedeuten die pauschalen und nivellierenden Interpretationen des Kommissionsberichts einen deutlichen Rückschritt hinter die Bemühungen der Forschung, zu einem differenzierten Bild der nationalsozialistischen Diktatur und Gewaltpolitik zu gelangen. Dass stark vereinfachte Darstellungen der NS-Geschichte solchen Erfolg haben, sollte nicht allein der Zeitgeschichtsforschung zu denken geben.

Johannes Hürter, German Foreign Office, the Nazi Dictatorship and the Holocaust. Critical Remarks about a Commission Report

The Commission of Historians Dealing with the German Foreign Office´s Nazi Past has caused quite a stir with the book “Das Amt und die Vergangenheit” [The Foreign Office and the Past]. The substantive gain is however limited, for there has long been agreement among researchers that the Foreign Office was not “alien” to the Nazi system of government, instead contributing to the implementation of a racist policy of violence just like other state institutions. The supposed spectacular dimension of the book stems from the fact that it oversimplifies and exaggerates the role of the Foreign Service during the Nazi dictatorship, especially with regard to the persecution and extermination of the European Jews. The reduction in complexity mostly concerns three areas: 1. The diplomatic elite is described as an overwhelmingly homogeneous block of perpetrators without taking its transformation processes and inner differentiations into account (especially those after 1938). 2. The Foreign Office is ascribed with a major, sometimes even leading role in the Holocaust without consideration for the complex interrelationships and processes of the “Final Solution” as well as the responsibility of the main perpetrators. 3. Nazi persecution policy and the share of the Foreign Office in it is mostly limited to the Holocaust, while other mass crimes are neglected and actual foreign policy and its negative consequences remain excluded. On the whole the blanket and generalising interpretations of the commission report represent a clear setback for the efforts of research to accomplish a differentiated view of the National Socialist dictatorship and policy of violence. The fact that such simplifying accounts of Nazi history are so successful should not only worry researchers of contemporary history.

Kurt Bauer: Hitler und der Juliputsch 1934 in Österreich. Eine Fallstudie zur nationalsozialistischen Außenpolitik in der Frühphase des Regimes

Der Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 fand vor allem in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung Beachtung, nicht aber in der deutschen und internationalen Forschung. Der Grund lag unter anderem. darin, dass sich über die Rolle Hitlers kein klares Bild gewinnen ließ. Die entsprechenden Abschnitte der Goebbels-Tagebücher (erschienen 2005) erlauben nun in Kombination mit re-evaluierten altbekannten Quellen einen neuen Blick auf die Hintergründe des Juliputsches. Es zeigt sich nun, dass Hitler mit großer Wahrscheinlichkeit persönlich den Befehl dazu erteilte. Den Entschluss zum Schlag gegen das Dollfuß-Regime fasste er zur selben Zeit wie für den Schlag gegen die oberste SA-Führung. Innenpolitisch wollte Hitler mit dem „Röhm-Putsch“ den Weg zur Übernahme des Reichspräsidentenamts nach Hindenburgs absehbarem Tod freimachen; außenpolitisch hoffte er, mit Hilfe einer SN-Machtergreifung im Nachbarland die „Österreich-Frage“ zu entschärfen und damit gleich Italien auf seine Seite zu ziehen, um so der akuten Gefahr durch Frankreichs „Einkreisungsoffensive“ zu entgehen.

Kurt Bauer, Hitler and the July 1934 Putsch in Austria. A Case Study on National Socialist Foreign Policy during the Early Phase of the Regime

The coup attempt of the Austrian National Socialists on 25 July 1934 has so far mostly received attention in Austrian contemporary historiography, but not so much in German and international research. One of the main reasons is that the role of Hitler could not be clarified. The respective passages in the Goebbels diaries (published in 2005) together with reassessed previously known sources now allow for a new perspective on the background of the July Putsch. It is now apparent that it is highly likely that Hitler gave the order personally. He decided to strike at the Dollfuß regime at the same time that he decided to strike at the supreme SA leadership. On the domestic front Hitler wanted to open the path to taking over the office of Reich President after Hindenburg´s foreseeable demise by using the Röhm Putsch; on the foreign policy front he hoped to disarm the “Austrian Question” by way of a Nazi seizure of power, thus immediately drawing Italy to his side and avoiding the acute danger of France´s “encirclement offensive”.

Patrick Bernhard: Konzertierte Gegnerbekämpfung im Achsenbündnis. Die Polizei im Dritten Reich und im faschistischen Italien 1933 bis 1943

Repression und Polizei gehörten zu den wichtigsten Kooperationsfeldern im Achsenbündnis zwischen dem faschistischen Italien und dem Dritten Reich. Auf der Basis des Polizeiabkommens von 1936 umfasste diese Zusammenarbeit nicht nur einen umfassenden Informationsaustausch über politische und „rassische“ Gegner sowie deren Verfolgung weit über die Landesgrenzen der beiden Diktaturen hinaus. Es kam zudem auf beiden Seiten der Alpen zu Lern- und Radikalisierungsprozessen. Das betraf politische Gewalt und Militarisierung ebenso wie die Kontrolle „imperialer Räume“, die die beiden Diktaturen in Europa und Afrika eroberten. In besonderem Maß gilt das für die SA, die SS und die faschistische Miliz, deren Entwicklung auf vielfältige Weise miteinander verschränkt war. Radikalisierende Konvergenzen zwischen den beiden Diktaturen zeigen schließlich, dass der Nationalsozialismus nicht so unabhängig, verschieden oder gar „einzigartig“ war, wie das die NS-Forschung lange unterstellt hat. Vielmehr hat man die Geschichte des Dritten Reichs künftig viel stärker vom Faschismus her zu denken und zu schreiben. Nur so lässt sich letztlich dessen historischer Ort in der europäischen Krisengeschichte der Zwischenkriegszeit adäquat bestimmen.

Patrick Bernhard, Concerted Action against Enemies in the Axis Alliance. The Police during the Third Reich and in Fascist Italy 1933 to 1943

Repression and policing were among the main fields of Axis cooperation between Fascist Italy and Nazi Germany. Based on the police treaty of 1936, this collaboration not only encompassed a large-scale exchange of information on political and “racial” adversaries and their persecution even far beyond the national confines of the two dictatorships. It also led to learning and radicalisation processes on both sides of the Alps in terms of political violence, militarization, and controlling the “imperial spaces” the two dictatorships conquered in Europe and Africa. This holds true especially for the German SA, the SS, and the Fascist militia, whose respective developments were in many ways intertwined with one another. Such convergences between both dictatorships demonstrate that the Nazi regime was not as independent, different or even “unique” as historiography has claimed so far. Rather in future the history of the Third Reich has to be seen and analysed to a far greater extent in terms of Italian Fascism. Only in this way will its true significance for the European history in the first half of the 20th century be properly established.

Bastian Hein: Himmlers Orden. Das Auslese- und Beitrittsverfahren der Allgemeinen SS

Die Schutzstaffel der NSDAP bezeichnete sich selbst als „Elitetruppe“ des „Führers“ und als „verschworene Gemeinschaft“ überzeugtester Nationalsozialisten. Doch sie war auch eine Massenorganisation, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg mehr als 200.000 Freiwillige aus allen Schichten der deutschen Gesellschaft angehörten. Diese waren zu gut 90 Prozent in der sogenannten Allgemeinen SS organisiert, der die Forschung im Gegensatz zu SD, Konzentrationslager-SS und Waffen-SS bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Wie passten hier elitärer Anspruch und soziale Heterogenität zusammen? Bastian Hein zeichnet im Detail den Weg von der Bewerbung über die Auslese zur Aufnahme in den „Schwarzen Orden“ nach und untersucht, inwiefern es der SS-Führung in der Praxis gelang, diesen Prozess nach ihren selbst gewählten, rassistischen Maßstäben zu gestalten. Er analysiert den Zusammenhang, der zwischen dem aufwendigen Beitrittsverfahren und der Tatsache besteht, dass gerade die SS den Kern der Täter stellte, welche die nationalsozialistischen Massenverbrechen exekutierten.

Bastian Hein, Himmler′s Order. The Selection- and Entry Procedure of the General SS

The Nazi Party´s Schutzstaffel called itself the “elite forces” of the “Führer” and considered themselves a “sworn community” of the most fanatic National Socialists. But it was also a mass organization to which more than 200.000 volunteers from all classes of German society belonged even prior to the Second World War. More than 90 percent of them were members of the so-called General SS, which in contrast to the SS security service (SD), the concentration camp guards and the combat units of the Waffen-SS has attracted only little scholarly attention. How did its elite pretensions and its social heterogeneity coexist? Bastian Hein offers a detailed description of the “Black Corps′” application, selection and introduction process. He investigates to what extent the SS leadership was successful in enforcing its own racist criteria during this process and analyses the connection between these complex entry procedures and the fact that, in many of the Nazi′s mass crimes, Hitler′s willing executioners came from the ranks of the SS.

Dokumentation

Andreas Malycha: Ungeschminkte Wahrheiten. Ein vertrauliches Gespräch von Gerhard Schürer, Chefplaner der DDR, mit der Stasi über die Wirtschaftspolitik der SED im April 1978

Das Dokument ist Zeugnis eines zentrales Konflikts innerhalb des SED-Politbüros in den 1970er Jahren. Während eines Gesprächs zwischen dem Chefplaner der DDR, Gerhard Schürer, und einem MfS-Offizier im April 1978 werden die Schlüsselprobleme der DDR-Wirtschaft offen durchgesprochen. Ein solcher systeminterner Einblick in die internen Kontroversen über die volkswirtschaftlichen und sozialpolitisches Bedingungen der DDR war bislang nur selten möglich. Erkennbar wird, welche Folgen die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen des VIII. Parteitags 1971 hatten und was für Diskussionen dies im Politbüro als auch unter führenden Wirtschaftsexperten auslöste. Schürer gehörte zu jenen Politbüromitgliedern, die auf eine Zurücknahme bzw. Korrektur der ausufernden Sozialpolitik drängten und den privaten Konsum der Bevölkerung zugunsten produktiver Investitionen drosseln wollten. Honecker hielt dagegen trotz der erkennbaren Leistungsgrenzen der Wirtschaft und der Mängel der Planungsökonomie an seiner Strategie fest, durch eine Sozialpolitik, die ökonomisch nicht wirklich fundiert war, die Herrschaft der SED zu stabilisieren. Ganz offenbar sprach Schürer mit einem ranghohen Offizier der Staatssicherheit in der Absicht, über den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, Honecker zu einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik zu bewegen.

Andreas Malycha, Unvarnished Truths. A Confidential Conversation between Gerhard Schürer, Chief Planner of the GDR, and the Stasi about the Economic Policy of the SED in April 1978

The document provides testimony of a central conflict within the SED politburo during the 1970s. During a conversation between the chief planner of the GDR, Gerhard Schürer, and a Stasi officer in April 1978 the key problems of the economy of the GDR are discussed openly. So far such an internal perspective of the inner controversies regarding the macroeconomic and socio-political conditions of the GDR has only rarely been possible. The repercussions of the economic policy changes of the VIII. party conference become apparent – as well as the discussions which subsequently arose in the politburo and among leading economic experts. Schürer was one of the politburo members advocating a revocation or correction of the expansive social policies and a curbing of the private consumption of the population in favour of productive investments. Despite the observable limits of economic performance and the deficiencies of the command economy, Honecker in contrast clung to his strategy of stabilising the rule of the SED by a social policy not really founded in economic realities. Obviously Schürer spoke with a leading Stasi officer in order to induce Honecker to undertake a change of course in economic policy through the Minister for State Security, Erich Mielke.

Notizen

Horst Möller, Friedrich Wilhelm Rothenpieler scheidet als Stiftungsratsvorsitzender aus
Horst Möller, Friedrich Wilhelm Rothenpieler retiring as Head of the IfZ Board of Trustees

Horst Möller, Helmut Altrichter scheidet als Beiratsvorsitzender aus
Horst Möller, Helmut Altrichter retiring as Head of the IfZ Research Advisory Board

Thomas Schlemmer und Hans Woller, Schreib-Praxis. Das Institut für Zeitgeschichte und der Oldenbourg Verlag veranstalten zum fünften Mal ein anwendungsorientiertes Schreibseminar (29. August–2. September 2011)
Thomas Schlemmer und Hans Woller, The Institute of Contemporary History and Oldenbourg Publishing organise a practical writing seminar for the fifth time (August 29th–September 2th, 2011)

Rezensionen

Rezensionen online (Januar–März 2011)
Reviews online (January–March 2011)

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