Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014), 3

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014), 3
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2014: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Gabriele Jaroschka

Das neue Heft der VfZ liegt vor. Besonders möchten wir Sie auf den Beitrag von Grzegorz Rossoliński-Liebe über die ukrainische Diaspora und den Genozid an den Juden aufmerksam machen.

Ihr Oldenbourg Wissenschaftsverlag

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Aufsätze

Anselm Doering-Manteuffel,
Die deutsche Geschichte in den Zeitbögen des 20. Jahrhunderts

Wie lässt sich die Nationalgeschichte fassen, ohne dass die Grenzen des Landes zu Grenzen der Erkenntnis werden? Wie lassen sich die sozialen, technisch-wissenschaftlichen und ideellen Basisprozesse in Beziehung setzen zu den Zäsuren der politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts? Mit diesen Leitfragen entwirft Anselm Doering-Manteuffel, Professor für Neuere Geschichte und Direktor des Seminars für Zeitgeschichte der Eberhard Karls-Universität Tübingen, das Konzept der Zeitbögen, die es erlauben, den Verlauf der deutschen Geschichte seit 1900 neu zu strukturieren. Das 20. Jahrhundert war von drei großen Konflikten bestimmt, die sich jeweils als Machtkampf um die Durchsetzung grundsätzlich unvereinbarer soziopolitischer und ökonomischer Ordnungsmuster verstehen lassen: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Kalter Krieg. Der Machtkampf galt der Verhinderung respektive Durchsetzung des angloatlantischen Ordnungssystems der „Freiheit“ im Sinne von Marktwirtschaft und Demokratie als hegemoniales Prinzip. Die großen Konflikte markierten jedoch nicht nur politische Einschnitte, siewirkten vielmehr als Katalysatoren im längerfristigen Geschehen des jeweiligen Zeitbogens.

Anselm Doering-Manteuffel,
German History during Twentieth Century Time Spans

How can national history be conceived without the borders of a country evolving into the limits of insight? How can the underlying social, technical-scientific and ideological processes be related to the caesuras of the political history of the 20th century? With these central questions in mind, Anselm Doering-Manteuffel, Professor of Contemporary History and Director of the Seminar for Contemporary History of the University of Tuebingen, drafts his concept of Zeitbögen [time spans], which allow for a new structuring of the course of German history since 1900. The 20th century was shaped by three major conflicts, which can each be understood as a struggle for power in order to assert fundamentally irreconcilable socio-political and economic systems: The First World War, the Second World War and the Cold War. The struggle for power was about preventing or (respectively) implementing the Anglo-Atlantic system of “freedom”, i.e. a free-market economy and democracy, as the hegemonic principal. However, the great conflicts not only marked political caesuras, but rather served as catalysts in the more long term developments of the respective time span.

Paul Köppen,
„Aus der Krankheit konnten wir unsere Waffe machen.“ Heinrich Brünings Spardiktat und die Ablehnung der französischen Kreditangebote 1930/31

Ungeachtet der Tatsache, dass mittlerweile mehrere Generationen von Historikern das Thema ausführlich diskutiert haben, erscheinen zentrale Punkte von Heinrich Brünings Wirtschafts- und Finanzpolitik während der Weltwirtschaftskrise noch immer unklar. War seine Kanzlerschaft lediglich eine Periode situationsbedingten Krisenmanagements, in der konzeptionelles Handeln angesichts außen- und innenpolitischer Umstände schlicht nicht möglich war, oder verfolgte Brüning tatsächlich den Plan einer monarchischen Restauration? Optierte er für krisenverschärfende Deflationsmaßnahmen aufgrund mangelnder Alternativen oder eher aus einer politischen Überzeugung heraus? Die Hintergründe zu Berlins kategorischem ‚Nein!‘ anlässlich der französischen Kreditofferten 1930/31 können hier neue Erkenntnisse vermitteln, die letztlich den Schluss nahelegen, dass Brünings Spardiktat tatsächlich einem ganz bestimmten politischen Kalkül folgte.

Paul Köppen,
“We Can Convert the Disease Into Our Weapon.” Heinrich Brüning’s Austerity Diktat and the Rejection of the French Loan Offers in 1930/31

Despite the fact that many generations of historians have discussed the topic extensively, the central issues of Heinrich Brüning’s economic and fiscal policy during the Great Depression still remain unclear. Was his chancellorship merely a period of situational crisis management, during which conceptual action was practically impossible due to the international and domestic circumstances, or did Brüning actually pursue a restoration of the monarchy? Did he opt for an aggravation of the crisis by engaging in deflationary measures due to a lack of alternatives or because of his political convictions? The background of Berlin’s categorical “No!” to French loan offers in 1930/31 may provide new insights into these questions. They ultimately suggest that Brüning’s austerity diktat did actually result from a specific political calculation.

Tamara Ehs,
Der „neue österreichische Mensch“. Erziehungsziele und studentische Lager in der Ära Schuschnigg 1934 bis 1938

Mit dem Hochschulerziehungsgesetz führte der austrofaschistische Staat 1935 universitäre Sommerlager, sogenannte „Hochschullager“ ein. Diese 1936 und 1937 abgehaltenen Lager mussten von allen männlichen Studierenden besucht werden und dienten der körperlichen und geistigen Wehrhaftmachung. Sie waren Orte einer elitären ideologischen Gemeinschafts- und Nationsbildung zur Ausbildung des „neuen österreichischen Menschen“, den man in Absetzung von der NS-Identität des deutschen Reiches konzipierte. Mittels der Gemeinschaftserfahrung des mehrwöchigen Lagerlebens sollte die neue österreichische Volksgemeinschaft erlebt werden. Es galt, die Existenz eines gegenüber Hitler-Deutschland souveränen katholisch-deutsch definierten Österreichs zu behaupten und die Jugend in österreichischen Patriotismus zu üben. Die vormilitärische Ausbildung intendierte darüber hinaus eine Militarisierung, die jedoch eher im Sinne der Disziplinierung als in einer hinreichenden Ausbildung in Kampffähigkeit erfolgte.

Tamara Ehs,
The “New Austrian People”. Educational Goals and Student Camps During the Schuschnigg Era, 1934 to 1938

With the Hochschulerziehungsgesetz [University Education Act] of 1935, the Austro-Fascist regime introduced university summer camps (the so-called Hochschullager). They were held in the summers of 1936 and 1937 and were compulsory for all male students. Their purpose was to achieve physical and mental militarisation. These camps were places to form an elite ideological community: a nation-building exercise was undertaken in order to form the “new Austrian people”, which was designed to be different from the Nazi identity of the German Reich. During the communal experience of camp life over several weeks, a new Austrian national community was to be sampled. The goals were the assertion of the existence of a sovereign Catholic-German Austria vis-à-vis Hitler’s Germany and the practice of Austrian patriotism by Austrian youth. Additionally, the pre-military training was aimed at a militarisation, which was, however, directed more at establishing discipline rather than achieving sufficient combat training.

Grzegorz Rossoliński-Liebe,
Erinnerungslücke Holocaust. Die ukrainische Diaspora und der Genozid an den Juden

Im ersten Halbjahr 1944 verließen zusammen mit den abziehenden deutschen Besatzern mehrere Tausend Ukrainer ihr Land, um ein Zusammentreffen mit der sich nähernden Roten Armee und den sowjetischen Behörden zu vermeiden. Zwischen Sommer 1941 und dem Zeitpunkt ihrer Flucht hatten alle diese Ukrainer in irgendeiner Form Erfahrungen mit dem Holocaust gesammelt, entweder als Beobachter, als Retter oder als Täter. In den späten 1940er Jahren wurden die meisten von ihnen aus DP-Lagern in verschiedene westliche Länder wie Australien, Kanada, die Vereinigten Staaten oder Großbritannien umgesiedelt; einige verblieben in Westdeutschland und Österreich. In ihren Zeitungen und vielen Memoiren beschrieben und diskutierten sie oft den Zweiten Weltkrieg, aber entweder erwähnten sie den Holocaust überhaupt nicht oder sie stellten ihn als ein Verbrechen da, das nur von den Nazis und einer kleinen Gruppe unpatriotischer Ukrainer begangen worden war. Die Teilnahme der ukrainischen Polizei, der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und ihrer Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) sowie verschiedener „normaler“ Ukrainer vor Ort schien in diesen Memoiren und historischen Diskursen nicht auf. Im Gegenteil wurden einige dieser Akteure, vor allem die Mitglieder der OUN und die Partisanen der UPA, als Freiheitskämpfer und Nationalherren gefeiert. Der Aufsatz, der sich auf die Westukraine konzentriert, erforscht wie die ukrainische Diaspora während des Kalten Krieges die Vernichtung der Juden vergaß, Holocausttäter und Kriegsverbrecher in Helden der Ukraine verwandelte und argumentierte, dass Überlebende aus Ostgalizien und Wolhynien, die Ukrainer als Täter benannten, sowjetische Propagandisten und jüdische Chauvinisten seien.

Grzegorz Rossoliński-Liebe,
Holocaust Amnesia. The Ukrainian Diaspora and the Genocide against the Jews

In the first half of 1944, tens of thousand Ukrainians left their country together with the withdrawing German occupiers in order to avoid confrontation with the approaching Red Army and the Soviet authorities. Between the summer of 1941 and their time of departure, all of these Ukrainians had had some kind of experience with the Holocaust, either as observers, as rescuers or as perpetrators. In the second half of the 1940s they were relocated from DP camps to various western countries such as Australia, Canada, the USA and the United Kingdom, while some remained in West Germany and Austria. In their newspapers and numerous memoirs they frequently described and discussed the Second World War, but they either did not mention the Holocaust at all or portrayed it as a crime committed only by the Nazis and a small group of unpatriotic Ukrainians. The participation of the Ukrainian police, the Organization of Ukrainian Nationalists (OUN) and its Ukrainian Insurgent Army (UPA), and various types of ordinary local Ukrainians did not appear in these memoirs and historical discourses. On the contrary, some of these actors, in particular the members of the OUN and the partisans of the UPA, were commemorated as freedom fighters and national heroes. Concentrating on western Ukraine, this article explores how, during the Cold War, the Ukrainian Diaspora forgot the annihilation of the Jews, turned Holocaust perpetrators and war criminals into heroes of Ukraine, and argued that survivors from eastern Galicia and Volhynia, who mentioned Ukrainians as perpetrators, were Soviet propagandists and Jewish chauvinists.

Diskussion

Martina Steber/Bernhard Gotto/Elizabeth Harvey/Moritz Föllmer/Peter Longerich/Dietmar Süß: Volksgemeinschaft und die Gesellschaftsgeschichte des NS-Regimes

Viel Wirbel um die nationalsozialistische Volksgemeinschaft in der deutschen NS-Forschung: Mit dem neuen Band „Visions of Community in Nazi Germany. Social Engineering and Private Lives“ erreicht die Debatte um das Potenzial des Volksgemeinschafts-Zugangs den englischsprachigen Raum. Die beiden Herausgeber Martina Steber und Bernhard Gotto stellen ein innovatives Modell vor, um den Begriff zu operationalisieren, und entfalten so eine erneuerte Gesellschaftsgeschichte des „Dritten Reichs“. Moritz Föllmer, Elizabeth Harvey, Peter Longerich und Dietmar Süß gehen der Innovationskraft dieses Zugangs auf den Grund und fragen, ob er tatsächlich geeignet ist, den sozialen und kulturellen Wandel während der NS-Diktatur zu erklären.

Martina Steber/Bernhard/Gotto/Elizabeth Harvey/Moritz Föllmer/Peter Longerich/Dietmar Süß, Volksgemeinschaft and the Social History of the Third Reich

Lots of fuss over the National Socialist Volksgemeinschaft in German research on National Socialism: With the new edited volume “Visions of Community in Nazi Germany. Social Engineering and Private Lives” the debate reaches the English-speaking world. The editors, Martina Steber and Bernhard Gotto, introduce an innovative model to systematize the meaning, power and impact of the Volksgemeinschaft concept in the Third Reich and in so doing develop a new social history of National Socialism. Moritz Föllmer, Elizabeth Harvey, Peter Longerich and Dietmar Süß critically assess its innovative potential for explaining social and cultural change during the Nazi dictatorship.

Notiz

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Bestandsnachweise 0042-5702