Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), 1

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), 1
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2015: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Scannell, Siobhan

De Gruyter Oldenbourg wünscht Ihnen viel Vergnügen beim lesen der Vierteljahrsheft für Zeitgeschichte!

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Abstract

Horst Möller,
Die Bayerische Vereinsbank zwischen Resistenz und Gleichschaltung 1933–1945

Welche Konsequenzen hatten Bankpolitik und die Bankenaufsicht für die bisher wenig untersuchten Regionalbanken während der NS-Diktatur? Erfolgte – wie in vielen anderen gesellschaftlichen Sektoren – einer Art „Selbstgleichschaltung“ oder suchten die Banken nach Freiräumen? Welche Folgen hatte die Personalpolitik für die Besetzung der Leitungs- und Aufsichtsgremien? Tatsächlich gelang es Vorstand und Aufsichtsrat der hier beispielhaft untersuchten Bayerischen Vereinsbank recht lange, etwa bis 1938, ihre Autonomie zu bewahren. Mutige leitende Persönlichkeiten und die beiden Großaktionäre, die Gutehoffnungshütte und die Mendelssohn-Bank spielten dabei die entscheidende Rolle, insbesondere Paul Reusch, von 1936 bis 1938 Vorsitzender des Aufsichtsrats. Doch auch nach der Gleichschaltungsaktion von 1938, in der das NS-Regime das Ausscheiden dieser beiden Großaktionäre aus der als „Judenbank“ diffamierten Bayerischen Vereinsbank erzwang, setzten sich Vorstand und Aufsichtsrat trotz des nun erfolgten nationalsozialistischen Personalschubs gegen die weitere Einschränkung ihrer Autonomie zur Wehr, die die NS-Funktionäre 1942/1943 indes nochmals intensivierten. Bis Ende des Krieges blieb durch äußerst geschicktes Handeln der Bankleitung immerhin eine Teilautonomie erhalten: Sie beweist, in welchem Maße Resistenz möglich war.

Horst Möller,
The Bayerische Vereinsbank between Resistenz and Gleichschaltung 1933–1945

During the Nazi dictatorship, what consequences did bank policy and bank supervision have for the hitherto barely scrutinised regional banks? Did a form of “self-Gleichschaltung” [bringing oneself into line with Nazism] occur – as it did in many other social fields – or did the banks seek areas with room to manoeuvre? What consequences did staff policy have for the filling of positions in management and on the supervisory board? In the case of the Bayerische Vereinsbank, which serves as an example here, the management and supervisory boards succeeded for a considerable length of time – approximately until 1938 – to preserve their autonomy. Courageous senior members and the two major shareholders – the Gutehoffnungshütte and the Mendelssohn-Bank – played a decisive role in this regard, especially Paul Reusch, head of the supervisory board between 1936 and 1938. But even after the Gleichschaltung action of 1938, in which the Nazi regime forced these two major shareholders out of the Bayerische Vereinsbank, which was denounced as a “Jewish bank”, management and the supervisory board continued to put up a fight against any further limitations of their autonomy despite the 1938 influx of Nazi personnel and further intensified pressure by Nazi functionaries in 1942/43. Until the end of the war, bank management succeeded in at least preserving some partial autonomy through their highly skilled actions: This shows, to what extent Resistenz [immunity to full-scale integration into National Socialism] was possible.

Anne Rohstock,
Vom Anti-Parlamentarier zum „kalten Arisierer“ jüdischer Unternehmen in Europa. Theodor Eschenburg in der Weimarer Republik und im Dritten Reich

Über den Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg wird seit 2011 heftig gestritten. War Eschenburg bereits in der Weimarer Republik Demokrat? Oder wandelte sich seine Einstellung erst nach 1945? Wie ist darüber hinaus sein Verhalten im NS zu beurteilen? Anne Rohstock unternimmt es auf der Basis neuer Quellenfunde, Eschenburgs Wirken in der Weimarer Republik und im Dritten Reich historisch einzuordnen. Dabei zeigt sich, dass er in der ersten deutschen Demokratie anti-parlamentarisch und anti-pluralistisch dachte. Im NS-Regime vertrat Eschenburg die Belange des NS-Regimes ohne Rücksicht auf menschliche Verluste: So betrieb er den Ausschluss jüdischer Unternehmen aus den Wirtschaftsbeziehungen mit dem Deutschen Reich und sorgte so dafür, dass Juden die Lebensgrundlage entzogen wurde. Diese gewissermaßen „kalte Arisierung“ war zwar Teil routinierter Abläufe im Reichswirtschaftsministerium. In diesem Rahmen nutzte Eschenburg seinen durchaus vorhandenen Handlungsspielraum aber im Sinne des NS-Regimes. Damit wirft der Artikel ein neues Licht auf die Mitwirkung Eschenburgs an der Entrechtung und Verfolgung der Juden in Europa.

Anne Rohstock,
From an Anti-Parliamentarian to a “Cold Aryaniser” of Jewish Companies in Europe. Theodor Eschenburg during the Weimar Republic and Third Reich

Since 2011 there has been a heated debate about the political scientist Theodor Eschenburg. Was he committed to democracy already back in the Weimar Republic? Or did his political opinions only change after 1945? Additionally, how should we assess his actions during Nazi rule? On the basis of newly discovered sources, Anne Rohstock places the actions taken by Eschenburg during the Weimar Republic and the Third Reich into historical context. She shows that, during the first period of democratic rule, Eschenburg held anti-parliamentarian and anti-pluralistic views. During the Third Reich, Eschenburg represented the interests of the Nazi regime regardless of the consequences for those affected: He aimed at squeezing Jewish enterprises out of economic relations with the German Reich; his actions resulted in Jews losing their livelihood. While this in some ways “cold Aryanisation” was part of routine procedures of the Reich Ministry of Economics, Eschenburg used the room for manoeuvre available to him for the benefit of the Nazi regime. The article thus sheds new light on Eschenburg’s participation in the deprivation and persecution of the Jews in Europe.

Magnus Brechtken,
Mehr als Historikergeplänkel. Die Debatte um „Das Amt und die Vergangenheit“

Der Aufsatz zieht eine Bilanz der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte über „Das Amt und die Vergangenheit“. Von der These ausgehend, dass Vergangenheitsaufarbeitung in der Bundesrepublik von Beginn an einen aufklärerisch rationalisierenden und emanzipatorischen Effekt in der Gesellschaft hatte, der weit über die Beurteilung rein historischer Fragen hinausgeht, werden generelle Linien und Hintergründe der Forschungsentwicklung bis zur Jahrtausendwende präsentiert. In den wiederkehrenden Vergangenheitsdiskussionen zeigt sich eine verblüffende Fülle verfügbarer Informationen und Argumente, die auf wechselnde Konjunkturen des gesellschaftlichen Interesses trafen. Eine zentrale Frage ist etwa, warum die Forschungen von Christopher Browning und Hans-Jürgen Döscher in den 1980er und 1990er Jahren nicht dieselbe Resonanz auslösten wie der Kommissionsbericht 2010. In der Diskussion um „Das Amt“ waren Argumentationsmuster erkennbar, die geschichtspolitisch statt empirisch zu argumentieren versuchten. Der wissenschaftliche Diskurs setzte die eingangs formulierte These empirischer Rationalität durch. Ein zentrales Ergebnis der Debatten um die personellen Kontinuitäten von vor 1945 bis zur Bundesrepublik der 1960er Jahre ist die Erkenntnis, dass die Mentalität und das Denken, die Weltbilder und Wertvorstellungen dieser Menschen einer noch weitgehend zu leistenden empirisch-archivalischen Analyse bedürfen.

Magnus Brechtken,
More than an Historians‘ Skirmish. The Debate on “Das Amt und die Vergangenheit”

The article provides an historiographical summary of the public and academic debate on the book Das Amt und die Vergangenheit [The German Foreign Office and the Past]. Based on the hypothesis that investigating and discussing the highly problematic aspects of the Federal Republic’s history has had an enlightening and emancipatory effect on German society far beyond purely historical questions, the text presents the general direction and the research development from the immediate aftermath of the war until the turn of the century. It becomes clear that an astonishing variety of information and arguments was presented in the regular discussions of the German public about its past. The bulk of potentially perceptible information met with varying interest of the society. One key question is for example why the findings of Christopher Browning and Hans-Jürgen Döscher in the 1980s and 1990s did not receive a similar public appreciation as the commission’s report in 2010. The debate about “Das Amt” echoed patterns of arguments in which the politics of history dominated. In the academic discourse the rational weighing of empirical-based arguments prevailed. The debate about the continuities of personnel from before 1945 to the institutions of the Federal Republic in the 1960s has made it clear that more empirical research on the mentality and thinking, the world views and the value systems of these people, based on thorough archival scrutiny, has still to be done.

Anne Barnert,
Personen, Großstadt, blinde Flecken. Der Bestand "Staatliche Filmdokumentation" der DDR

Die "Staatliche Filmdokumentation" (SFD) bestand zwischen 1970 und 1986 am Filmarchiv der DDR, wo sie etwa 300, nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Dokumentarfilme als Geschichtsquellen für spätere Generationen produzierte. Ihr Ziel war eine systematische und umfassende Eigendokumentation des sozialistischen Staates DDR für die Zukunft. Als Teil der SED-Vergangenheitspolitik besaß die SFD Freiheiten: Sie konnte ihre Filme teilweise an der Zensur vorbei herstellen und dokumentieren, was den staatlichen Medien verboten war. Die überlieferten Filmdokumente der SFD sind bis heute nahezu unbekannt geblieben. Als Ergebnis eines Forschungsprojektes am Institut für Zeitgeschichte wird dieser einzigartige Quellenbestand im Beitrag erstmals auf archivarischer Grundlage vorgestellt: 1) die umfangreiche Personendokumentation der SFD, welche vor allem die mittlere Führungselite der DDR umfasste, 2) Sachdokumentationen, insbesondere mit sozialhistorischem Schwerpunkt auf Berlin, sowie 3) Filme, die für die Zukunft auch solche Aspekte der DDR dokumentieren sollten, die in der Gegenwart der Zensur unterlagen.

Anne Barnert,
Personalities, the Capital, Blind Spots. The Collection “Staatliche Filmdokumentation” of the GDR

The Staatliche Filmdokumentation [State Film Documentation, or SFD] existed at the Filmarchiv [Film Archive] of the GDR between 1970 and 1986, where it produced documentary films classified as not for public dissemination but as an historical source for future generations. Its goal was a systematic and comprehensive self documentation of the socialist state of the GDR for future reference. As part of the SED’s politics of history, the SFD possessed certain freedoms: It was partially able to bypass censorship in the creation of its films and thereby provides a record on topics forbidden to the state media. The preserved film documents of the SFD are almost unknown to date. As the result of a research project at the Institute for Contemporary History, this unique source collection will be presented on an archival basis for the first time: 1) the extensive SFD documentation on personalities, which especially covered the mid-rank leadership elite of the GDR, 2) topical documentation, especially focussed on the social history of Berlin, as well as 3) films, which were supposed to create documentation on aspects of the GDR which currently were subject to censorship.

Stephan Lehnstaedt,
Der Deutungsstreit um die „Ghettorenten“. Anmerkungen zur Diskurspraxis des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen

Im Sommer 2014 novellierte der Bundestag das „Ghettorentengesetz“ (ZRBG) und sah nun für Beschäftigungen in einem Ghetto einen Rentenbeginn seit 1997 vor, und zwar unabhängig davon, wann der Antrag darauf gestellt und wie er bisher beschieden worden war. Das Parlament kritisierte die frühere restriktive Praxis stark, während zeitgleich das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen seine meist ablehnende Haltung verteidigte – unter anderem in den VfZ. Dieser Beitrag dokumentiert die aktuellen Entwicklungen und hinterfragt das Argument, wonach eine für die Holocaustüberlebenden großzügigere Auslegung bis 2009 schlicht nicht möglich gewesen sei. Zudem wird der Umgang der Justiz mit ihren Kritikern analysiert, insbesondere mit dem Richter Jan-Robert von Renesse.

Stephan Lehnstaedt,
The Interpretative Struggle for the “Ghetto Pensions”. Remarks on the Practice of Discourse of the State Social Court of North Rhine-Westphalia

In the summer of 2014 the German parliament amended the “Ghetto Pensions Act” [a.k.a. ZRBG in German] to the effect that pensions resulting from employment in a ghetto now presuppose a start of pension payments in 1997, unrelated to the date of the application and any prior decision to date. Parliament harshly criticised the earlier restrictive practice, while at the same time the Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen [State Social Court North Rhine-Westphalia] defended its mostly dismissive position – also here in the VfZ. This contribution creates a documentation of the current developments and questions the argument that a more generous interpretation in favour of Holocaust survivors was simply impossible before 2009. Additionally it analyses the way the justice system has dealt with its critics, especially the judge Jan-Robert von Renesse.

Angaben zu den Autoren

Dr. Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin 1992–2011 (Leonrodstraße 46b, 80636 München), em. Ordinarius für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität München

Dr. Anne Rohstock, Akademische Rätin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen (Münzgasse 26, 72070 Tübingen)

Dr. Magnus Brechtken, stv. Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (Leonrodstraße 46b, 80636 München)

Dr. Anne Barnert, Film- und Kulturwissenschaftlerin (Ulrichstraße 14, 71672 Marbach am Neckar)

Dr. Stephan Lehnstaedt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau (al. Ujazdowskie 39, PL-00-540 Warschau, Polen)

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Bestandsnachweise 0042-5702