Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), 3

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), 3
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2015: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

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Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Institut für Zeitgeschichte

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS

Aufsätze

Hélène Miard-Delacroix
Reflexionen über die Vorgeschichte unserer Gegenwart
25 Jahre „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“

Frank Bösch
Zwischen Schah und Khomeini
Die Bundesrepublik Deutschland und die islamische Revolution im Iran

Christof Dipper
Die italienische Zeitgeschichtsforschung
Eine Momentaufnahme

Richard Wolin
Heideggers "Schwarze Hefte"
Nationalsozialismus, Weltjudentum und Seinsgeschichte

Christopher Nehring
Die Verhaftung Till Meyers in Bulgarien
Eine Randnotiz aus dem Archiv der bulgarischen Staatssicherheit

Diskussionen

Peter Hoeres
Gefangen in der analytisch-normativen Westernisierung der Zeitgeschichte
Eine Kritik am Konzept der Zeitbögen

Steffen Kailitz
Demokratie und Wirtschaftspolitik in der Weimarer Republik in international vergleichender Perspektive
Eine Replik auf den Beitrag von Tim B. Müller

*Notiz

Weltpolitik in Akten. Zum Abschied von Horst Möller als Hauptherausgeber der Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. (Andreas Wirsching)

Abstracts Juliheft 2015 – deutsch

Hélène Miard-Delacroix, Reflexionen über die Vorgeschichte unserer Gegenwart. 25 Jahre „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“

Die Veröffentlichung des jüngsten Bandes diplomatischer Dokumente der Bundesrepublik Deutschland (1984) bietet uns die Gelegenheit, über die historische Situation vor 30 Jahren nachzudenken. Durch eine Analyse dieser Epoche aus historischer Perspektive sucht der Beitrag festzustellen, ob diese Vergangenheit als Vorläufer unserer gegenwärtigen Sorgen verstanden werden kann. In vielerlei Hinsicht gehört diese Periode sicherlich zu dem, was wir heute als „Geschichte“ betrachten würden (z. B. die UdSSR, die deutsche Teilung und die südafrikanische Apartheid), aber einige Aspekte, mit denen die deutsche Diplomatie 1984 konfrontiert war, sind heute immer noch aktuell. Auch wenn sie damals unterschätzt wurden, können viele Charakteristika heutiger Konflikte schon klar identifiziert werden. Auf verschiedene Weisen können die Praktiken und Ziele der deutschen Diplomatie von 1984 sowohl als beispielhaft und als eine Inspiration für unsere moderne Epoche gesehen werden.

Frank Bösch, Zwischen Schahs und Khomeini. Die Bundesrepublik Deutschland und die islamische Revolution im Iran

Bereits die Zeitgenossen sahen die iranische Revolution 1979 als eine wichtige Zäsur, die weltweit die Angst vor einer radikalen islamischen Gewalt beflügelte. Da die Bundesrepublik zu Zeiten des Schahs sehr enge Beziehungen zum Iran pflegte, war eigentlich, ähnlich wie bei den USA, ein Bruch mit der Islamischen Republik erwartbar. Der Aufsatz zeigt hingegen archivgestützt, wie sich die bundesdeutsche Politik und Wirtschaft auf die neuen geistlichen Machthaber einließ und dabei trotz Massenhinrichtungen vom öffentlichen Menschenrechtsdiskurs relativ unbeeindruckt blieb. Die bisherigen ökonomischen und kulturellen Verbindungen zum Iran erleichterten die Errichtung politischer Brücken und führten zu einer pragmatischen Mittlerrolle der Bundesrepublik, auch gegenüber den USA. Wie detailliert anhand von VS-Akten belegt werden kann, konnten Deutsche deshalb auch bei der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran eine Schlüsselrolle in den Geheimverhandlungen einnehmen. Obgleich die Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen im Herbst 1981 zunahmen, hielten Politik und Wirtschaft grundsätzlich an diesen pragmatischen gepflegten Beziehungen fest.

Christof Dipper, Die italienische Zeitgeschichtsforschung. Eine Momentaufnahme

Wer sich in Italien seit dem Jahre 2012 für eine Professur bewerben möchte, muss dafür zuvor den Nachweis seiner wissenschaftlichen Eignung erhalten (Abilitazione Nazionale Scientifica). Die damit beauftragten Kommissionen erhalten so einen singulär klaren Blick auf die Bewerber im jeweiligen Fach. In Storia contemporanea haben sich in zwei Jahren insgesamt 631 Kandidaten beworben, deren Produktion hier vorgestellt und bewertet wird. Da zwei Dritteln die Eignung verweigert werden musste, kann die Gesamtbilanz nur negativ ausfallen, auch wenn zahlreiche Bewerber fraglos internationales Niveau erreichen. Die Ursachen liegen in erster Linie im verfallenden Universitätssystem, dem, so wie es momentan beschaffen ist, mehr Geld überhaupt nicht helfen würde. Aus kulturanthropologischer Perspektive könnte man sagen, dass ein namhafter Teil italienischer Fakultäten, im Windschatten einer Politik von bemerkenswerter Unkenntnis der Folgen bildungsfeindlicher Strategien, sich offenbar von internationalen Standards abgekoppelt und ein ihren Vorstellungen entsprechendes Wissenschaftssystem geschaffen hat, aber das wäre ein Schlag ins Gesicht der exzellenten Minderheit. Der Maßstab muss dem internationalen Konsens über best practice entnommen werden.

Richard Wolin, Heideggers Schwarze Hefte: Nationalsozialismus, Weltjudentum und Seinsgeschichte

Heidegger beabsichtigte, dass seine Schwarzen Hefte, welche kürzlich in Deutschland veröffentlicht wurden, seine 102-bändige Gesamtausgabe krönen sollten. Sie stellen unter anderem eine krasse Bestätigung seiner philosophischen Bindung an den Nationalsozialismus dar – und damit einen Point of No Return für die Heideggerforschung. Aber die Schwarzen Hefte zeigen auch in erschreckender Weise Heideggers Obsession mit dem „Weltjudentum“ in der negativsten und Cliché-belastetsten Ausdrucksweise: als eine zentrale Quelle kultureller und sozialer Auflösung, die eliminiert werden müsse, um die „innere Wahrheit und Größe“ des Nationalsozialismus zu verwirklichen – wie Heidegger es selbst 1935 formulierte. Wie kann man nun aus der Zwickmühle mit einem großen Denkers herausfinden, der völlig überzeugt davon blieb, dass das NS-Regime mit seinem ungezügeltem Rassismus und exterminationistischem Militarismus eine adäquate Lösung für den „Untergang des Abendlandes“ darstellte?

Christopher Nehring, Die Verhaftung Till Meyers in Bulgarien. Eine Randnotiz aus dem Archiv der bulgarischen Staatssicherheit

Die Verhaftung des Terroristen und Mitglieds der „Bewegung 2. Juni“ Till Meyer im Sommer 1978 in Bulgarien ist bis heute eines der unbekannteren Kapitel in der Geschichte des westdeutschen Terrorismus und seiner Bekämpfung. Als Ergebnis umfassender Recherchen in den Archiven der ostdeutschen und bulgarischen Staatssicherheit (Dyrzhavna sigurnost) werden in diesem Beitrag neue Tatsachen über die Umstände der Verhaftung präsentiert. Dabei kann das bisherige Bild des Hergangs zum Teil bestätigt und zum Teil entscheidend ergänzt werden. Die Verhaftung Meyers durch das Bundeskriminalamt (BKA) im sozialistischen Ausland, die hier im Detail rekonstruiert wird, war dabei ein außergewöhnlicher Akt und Teil einer diplomatischen Annäherung zwischen dem sozialistischen Bulgarien und der Bundesrepublik. Auch fand sie im größeren Kontext der Kooperationsversuche des BKA unter Horst Herold mit den Ostblock-Ländern statt, von denen die Stasi jedoch (mit gutem Grund) ausgenommen wurde. Im Ministerium für Staatssicherheit wurde die Verhaftung als Vertrauensbruch seitens der bulgarischen Partner gegeißelt und führte zu scharfen Vorwürfen.

Peter Hoeres, Gefangen in der analytisch-normativen Westernisierung der Zeitgeschichte. Eine Kritik am Konzept der Zeitbögen

Der Beitrag diskutiert das von Anselm Doering-Manteuffel jüngst an dieser Stelle verschlagene Konzept der Zeitbögen zur Periodisierung und Konzeptualisierung der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. Das Konzept wird als grundsätzlich anschlussfähig, im Detail aber korrekturbedürftig bewertet. Vor allem aber richtet sich die Kritik auf die starke analytische und normative Orientierung an der Westernisierung, die zu einer Verengung der Perspektive und zur Ausblendung wichtiger Entwicklungen der deutschen und europäischen Geschichte führt. Im Gegensatz dazu plädiert der Aufsatz für eine Öffnung des Blicks für weitere Trends und Prozesse, um eine Funktionalisierung der deutschen Geschichte zu überwinden.

Steffen Kailitz, Demokratie und Wirtschaftspolitik in der Weimarer Republik in international vergleichender Perspektive. Eine Replik auf den Beitrag von Tim B. Müller.

Die erste deutsche Demokratie war zwar keineswegs zum Scheitern verurteilt, aber sie war auch keineswegs eine “etablierte Demokratie”, wie Tim B. Müller behauptet. Im Unterschied zu Müllers Kontrastfällen USA, Großbritannien und den skandinavischen Staaten war in Deutschland die Demokratie erst nach dem Ersten Weltkrieg aus einer Revolution geboren. Grundlegende strukturelle Probleme belasteten die neue Demokratie schwer. Es wäre ein großer Rückschritt für die Weimar-Forschung Müller zu folgen und den Sturz der deutschen Demokratie letztlich monokausal darauf zurückzuführen, dass zur “falschen Zeit” “die falschen Männer” um Brüning an der Regierung waren und eine “falsche”, weil nicht-“keynesianische Wirtschaftspolitik betrieben.

Abstracts Juliheft 2015 – englisch

Hélène Miard-Delacroix, Reflections on the Pre-History of the Present. 25 Years of the “Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland”

The publication of the most recent volume of the diplomatic documents of the Federal Republic of Germany (1984) provides us with the opportunity to ponder on the historical situation 30 years ago. By analysing this period with a historical perspective, the article aims to establish whether this past can be understood as a precursor for our present concerns. In many regards, this period undoubtedly belongs to what can be viewed today as “history” (e.g. the USSR, divided German and South African Apartheid), but some issues faced by German diplomacy in 1984 are still current today. Although they were underestimated at the time, many characteristics of present conflicts were already clearly identifiable. In several ways, the practices and the objectives of 1984 German diplomacy can be seen both as an example and an inspiration for our modern time.

Frank Bösch, Between the Shah and Khomeini. The Federal Republic of Germany and the Islamic Revolution in Iran

Even contemporaries saw the Iranian Revolution of 1979 as an important caesura which increased fears of radical Islamic violence worldwide. As the Federal Republic had maintained very close relations to Iran during the time of the Shah, a severance of relations with the Islamic Republic in similar fashion as the USA was to be expected. On the contrary this article, based on archival sources, shows that West German politicians and businesses engaged with the new clerical leadership and in so doing were relatively unaffected by the public human rights discourse despite mass executions. The previous economic and cultural connections to Iran facilitated the setting up of political bridges and resulted in the role of the Federal Republic as a pragmatic intermediary, also towards the USA. As hitherto classified files reveal in detail, the Germans were also able to play a key role during the secret negotiations regarding the hostage crisis in the American embassy in Tehran. Even though the protests against human rights violations increased in the autumn of 1981, politicians and businessmen, in principal, continued with these pragmatically maintained relations.

Christof Dipper, Italian Contemporary Historiography. A Snapshot

Since 2012 anyone who wishes to apply for an Italian professorship must first receive the proof of his or her scientific suitability (Abilitazione Nazionale Scientifica). The commissions assigned this task thus receive a very clear insight regarding the applicants in their respective subjects. Over the past two years, 631 candidates in total have applied for Storia contemporanea; it is their output which will be presented and assessed here. As two thirds had to be considered as unsuitable, the overall assessment can only be negative, even if many applicants undoubtedly reach an international level of accomplishment. The reasons, first of all, are to be found in the collapsing university system, which in its current configuration would not be helped at all by the influx of additional money. From the perspective of cultural anthropology one could say, that a notable part of Italian faculties have decoupled themselves from international standards against a background of policies marked by a remarkable degree of ignorance regarding the consequences of strategies hostile to education – such an assessment would, however, be a slap in the face for the excellent minority. The benchmark must be derived from the international consensus regarding best practice.

Richard Wolin, Heidegger’s Black Notebooks: National Socialism, World Jewry, and the History of Being

Heidegger intended the Black Notebooks, which were recently published in Germany, as the culminating achievement of his 102-volume Collected Works edition. They represent, among other things, a stark reaffirmation of his philosophical commitment to National Socialism – and, as such, a point of no return for Heidegger scholarship. But what the Black Notebooks also disturbingly reveal is Heidegger’s obsession with “World Jewry” in the most negative and cliché-ridden terms: as a pivotal source of cultural and social dissolution that must be eliminated in order to realize National Socialism’s “inner truth and greatness” – as Heidegger himself put it in 1935. How, then, should one go about resolving the conundrum of a great thinker who remained entirely convinced that the Nazi regime, with its unbridled racism and exterminationist militarism, represented an adequate solution to the “decline of the West”?

Christopher Nehring, The Arrest of Till Meyer in Bulgaria. A Marginal Note from the Bulgarian State Security Archives

The arrest of Till Meyer, terrorist and member of the 2 June Movement, in Bulgaria in the summer of 1978 is to this day one of the less familiar chapters in the history of West German terrorism and anti-terror policy. This article presents new facts about the circumstances of the arrest which result from comprehensive research in the archives of the East German and Bulgarian state security services (Dyrzhavna sigurnost). This allows for the partial verification as well as crucial expansion of the existing understanding of the course of events. Meyer’s arrest by the West German Bundeskriminalamt (BKA – Federal Criminal Police Office) in a foreign country which was part of the Socialist Bloc, which is the subject of the detailed reconstruction here, was an extraordinary act and part of a diplomatic rapprochement between socialist Bulgaria and the Federal Republic. It also occurred within the larger context of cooperation attempts on the part of the BKA under Horst Herold with Eastern Bloc countries, from which the East German Stasi was however excluded (for good reasons). In the East German Ministry of State Security, the arrest was castigated as a breach of trust on the part of their Bulgarian partner and led to harsh accusations.

Peter Hoeres, Trapped in the Analytical-Normative Westernisation of Contemporary History. A Critique of the Zeitbögen Concept

The article discusses the concept of Zeitbögen [time spans] to identify periods and to conceptualise German history in the 20th century, as it was recently presented in this journal by Anselm Doering-Manteuffel. In general, the concept may be regarded as being sustainable, even though certain details require correction. Above all, this critique is concerned with the concept’s strong analytical and normative orientation towards “Westernisation”. It constrains perspectives and ignores important developments of German and European history. In contrast, the paper advocates to broaden the concept’s scope and to take into account other important trends and processes in order to overcome any kind of functionalisation of German history.

Steffen Kailitz, Democracy and Economic Policy during the Weimar Republic from an International Comparative Perspective. A Reply to the Article by Tim B. Müller

While the first German democracy was by no means doomed to failure, it was also by no means an “established democracy”, as Tim B. Müller asserts. Unlike Müller’s comparative cases – the USA, Great Britain and the Scandinavian states – democracy in Germany had only come into being after the First World War due to a revolution. Fundamental structural problems were severe burdens for this new democracy. It would be a major setback for research into Weimar to follow Müller and ultimately attribute the fall of the first German democracy to a single cause, namely that “the wrong men” around Brüning were in government “at the wrong time” and pursued a “wrong”, i.e. non-Keynesian, economic policy.

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