Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 66 (2015), 9–10

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 66 (2015), 9–10
Weiterer Titel 
Lehrerforschung – Schulbuchforschung

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monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

EDITORIAL VON MICHAEL SAUER

Das vorliegende Heft befasst sich schwerpunktmäßig mit zwei Themen aus dem Bereich der Geschichtsdidaktik. Zur empirischen Lehrerforschung sind in den letzten Jahren einige Arbeiten vorgelegt worden – zu nennen sind hier insbesondere der Dokumentationsband zur Augsburger Tagung der "Konferenz für Geschichtsdidaktik", die dem Thema "Professionalisierung von Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern" gewidmet war, sowie der Jahresband 2013 der "Zeitschrift für Geschichtsdidaktik" zum Thema "Forschungsfeld Geschichtslehrkräfte". Dennoch ist dieses "Forschungsfeld" im Vergleich zu Pädagogik/Erziehungswissenschaften und auch zu anderen Fachdidaktiken in der Geschichtsdidaktik bislang unterbelichtet geblieben. Dies ist umso bedauerlicher, als sich in wichtigen Fragen der Lehrerforschung eine hohe Bedeutung der Fachspezifik erwarten lässt. Schon 2006 haben Jürgen Baumert und Mareike Kunter mit Blick auf damals vorliegende Untersuchungen konstatiert: "Fächervergleichende Analysen zeigen, dass das Fach den eigentlichen Handlungsrahmen von Lehrkräften darstellt. […] Diese Studien liefern insgesamt ein sehr starkes Argument dafür, Untersuchungen zum Unterricht und zur Lehrerkompetenz domänenspezifisch anzulegen [...]." (Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 9, 2006, H. 4, S. 492

Genau diese Frage nach der Fachspezifik verfolgen Martin Rothland, Johannes König und Jörgen Wolf in ihrer Studie über die Berufswahlmotivation von Geschichtslehrkräften. Sie gelangen hier allerdings zu dem Ergebnis, dass sich Geschichtslehrkräfte von anderen im Hinblick auf die Varianz berufswahlrelevanter Faktoren nicht unterscheiden – wobei jedoch anzumerken ist, dass gerade Faktoren wie das Fachinteresse oder die Selbsteinschätzung fachlicher Kompetenz in der Untersuchung unberücksichtigt geblieben sind. Auch mit der Wirksamkeit subjektiver Theorien (oder beliefs/Überzeugungen) hat sich die geschichtsdidaktische empirische Forschung noch wenig befasst. Monika Fenn hat in einer aufwendigen Interventionsstudie mit Studierenden solche Theorien, ihre Auswirkungen auf das Unterrichtshandeln und die Effekte gezielter Modifikationen durch geschichtsdidaktische Lehre erhoben. Sie konstatiert positive, aber keineswegs selbstläufige Effekte durch den Einsatz von Video-Coaching, Best-Practice-Beispielen und Gelegenheiten für forschend-entdeckendes Lernen. Es liegt auf der Hand, dass solche Fragestellungen und Befunde für die Konzeption und tatsächliche Wirksamkeit der universitären Didaktik-Ausbildung von zentraler Bedeutung sind.

Ebenfalls zwei Beiträge des Heftes sind dem Thema Schulbuchanalyse gewidmet. Trotz pictorial oder visualturn, trotz des schon länger intensivierten Interesses der Geschichtsdidaktik an Bildquellen sind Studien, die sich mit deren Verwendung im Schulbuch befassen, bislang noch eine ziemliche Ausnahme geblieben. Klassische Schulbuchstudien beschränken oder konzentrieren sich zumeist auf die Verfassertexte – dass diese gemeinsam mit Text- und Bildquellen unterschiedlicher Gattungen, mit informierenden Darstellungsformen wie Karten und Grafiken, mit Leitfragen, Anmoderationen und Arbeitsaufträgen ein didaktisches Arrangement bilden, das insgesamt in den Blick genommen werden muss, ist noch viel zu wenig realisiert worden. Die Studien von Inga Kahlcke und Stephan Scholz untersuchen die Entwicklung visueller Schulbuchnarrative für die zwei eng benachbarten zeitgeschichtlichen Themen Nationalsozialismus (1960–2000) sowie "Flucht und Vertreibung". Dabei werden auch die jeweiligen Bildkontexte in den Blick genommen, gehen inhaltliche und im engeren Sinne didaktische Analyse Hand in Hand. Beide Aufsätze gelangen zu dem Befund, dass sich im Laufe der Zeit zwar positive Veränderungen wahrnehmen lassen, dass aber Bildquellen im Schulbuch noch sorgfältiger und bewusster gehandhabt werden müssen, um fachwissenschaftliche Erkenntnisse und fachdidaktische Standards zur Geltung zu bringen.

Inhaltsverzeichnis

INHALT DER GWU 9–10/2015

ABSTRACTS (S. 494)

EDITORIAL (S. 496)

BEITRÄGE

Martin Rothland/Johannes König/Jörgen Wolf
Berufswahl Geschichtslehrer/-lehrerin? Vergleichende Analysen zur Bedeutung fachbezogener Varianz der Berufswahlmotivation als Gegenstand fachdidaktischer Forschung (S. 497)

Monika Fenn
Beeinflusst geschichtsdidaktische Lehre die subjektiven Theorien von Studierenden zu Lehren und Lernen im Geschichtsunterricht? Ergebnisse einer empirischen Interventionsstudie (S. 515)

Inga Kahlcke
Wandel der Erinnerungen – Wandel der Bilder? Der Nationalsozialismus bis 1939 als visuelles Narrativ in westdeutschen Geschichtsschulbüchern 1960–2000 (S. 539)

Stephan Scholz
Fotografische Repräsentationen und Konstruktionen von 'Flucht und Vertreibung' im Schulbuch (S. 562)

Erik Beck/Arne Timm
"Behinderung" und chronische Krankheit im Mittelalter. Ein geeignetes Thema für den inklusiven Geschichtsunterricht? (S. 577)

Rainer Pöppinghege
Straßennamen im Geschichtsunterricht (S. 600)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Gregor Horstkemper
Geschichte auf 9 x 13 cm. Fotografien als zeithistorische Quellen und Forschungsobjekte (S. 608)

LITERATURBERICHT

Stefan Jordan
Theorie und Geschichte der Geschichtswissenschaft (S. 611)

NACHRICHTEN (S. 625)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 628)

ABSTRACTS DER GWU 9–10/2015

Martin Rothland/Johannes König/Jörgen Wolf
Berufswahl Geschichtslehrer/-lehrerin? Vergleichende Analysen zur Bedeutung fachbezogener Varianz der Berufswahlmotivation als Gegenstand fachdidaktischer Forschung
GWU 66, 2015, H. 9/10, S. 497 – 514

Ausgehend von der in der Forschung zur Lehrerbildung anzutreffenden Annahme, dass Lehramtsstudierende fachabhängig unterschiedliche Konstellationen der Berufswahlmotivation aufweisen und der in der geschichtsdidaktischen Forschung zur Lehrerbildung geäußerten Kritik an einer ausbleibenden fachlichen Konturierung dieser Forschung wird in dem vorliegenden Beitrag erstmalig auf der Basis einer repräsentativen Stichprobe von n = 1772 Lehramtsstudierenden unter Anwendung eines international elaborierten Erhebungsinstruments der Frage nachgegangen, ob sich fachbezogene Varianz der Berufswahlmotivation bei Studierenden mit der Berufswahl Geschichtslehrer/-lehrerin im Vergleich mit anderen Lehramtsstudierenden zeigt. Sowohl im fachinternen Vergleich der Geschichtslehramtsstudierenden wie auch im externen Vergleich kann im Ergebnis keine fachbezogene Varianz der berufswahlrelevanten Faktoren nachgewiesen werden. Stattdessen wird eine sich in der Forschung international abzeichnende verallgemeinerbare Motivstruktur, eine Basis- oder Kernmotivation bestätigt, die augenscheinlich auch für die angehenden deutschen Geschichtslehrkräfte gilt.

Monika Fenn
Beeinflusst geschichtsdidaktische Lehre die subjektiven Theorien von Studierenden zu Lehren und Lernen im Geschichtsunterricht? Ergebnisse einer empirischen Interventionsstudie
GWU 66, 2015, H. 9/10, S. 515 – 538

Das Unterrichtshandeln von Lehrkräften wird von subjektiven Theorien beeinflusst. Allerdings ist unklar, wie differenziert diese wirken. Der Beitrag präsentiert detaillierte Ergebnisse einer Interventionsstudie, die untersucht, ob bestimmte Maßnahmen der universitären Lehre die subjektiven Theorien von Studierenden der Geschichtsdidaktik beeinflussen. Die Überzeugungen lassen sich mittels traditioneller Lehre verändern, allerdings ist der Effekt bestimmter Maßnahmen wie Videocoaching signifikant größer. Eine Modifikation dieser Überzeugungen genügt indes nicht für die Veränderung des tatsächlichen Unterrichtshandelns. Das Aufbrechen von Skripts ist unerlässlich.

Inga Kahlcke
Wandel der Erinnerungen – Wandel der Bilder? Der Nationalsozialismus bis 1939 als visuelles Narrativ in westdeutschen Geschichtsbüchern 1960 – 2000
GWU 66, 2015, H. 9/10, S. 539 – 561

Der vorliegende Artikel verbindet Ansätze der Visual History mit einer Schulbuchanalyse. Analysiert wird die visuelle Repräsentation des Nationalsozialismus in Schulbüchern von 1960 bis 2000 unter besonderer Berücksichtigung des Einflusses geschichtswissenschaftlicher und gesellschaftlicher Deutungsmuster. Es wird herausgearbeitet, welche verschiedenen Narrative über den Nationalsozialismus im Medium des Schulbuchs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mittels Bildern transportiert wurden. Anhand zahlreicher Beispiele werden dabei sowohl Wandelprozesse als auch Kontinuitäten in der Entwicklung des visuellen Gedächtnisses zum Nationalsozialismus nachgezeichnet.

Stephan Scholz
Fotografische Repräsentationen und Konstruktionen von 'Flucht und Vertreibung' im Schulbuch
GWU 66, 2015, H. 9/10, S. 562 – 576

Fotografien tragen entscheidend zu dem 'Bild' von 'Flucht und Vertreibung' bei, das durch Geschichtsschulbücher vermittelt wird. Visuell wird die deutsche Zwangsmigration auf die besonders dramatische, erste Phase der Flucht verkürzt. Der problematische Entstehungskontext der zahlreichen im Rahmen der NS-Propaganda entstandenen Fotos bleibt ausgeblendet. Bildensembles und Bild-Text-Kombinationen konstruieren oft eine alleinige Verantwortung der Siegermächte für das Leid der Flüchtlinge, das als Teil eines kollektiven deutschen Nachkriegselends erscheint. Ein quellenkritischer Zugang zu den Fotografien wird nicht eröffnet.

Erik Beck/Arne Timm
"Behinderung" und chronische Krankheit im Mittelalter. Ein geeignetes Thema für den inklusiven Geschichtsunterricht?
GWU 66, 2015, H. 9/10, S. 577 – 599

Momentan steht die Geschichtsdidaktik vor der großen Herausforderung, das Schulfach Geschichte auf die Erfordernisse eines inklusiven Schulsystems vorzubereiten. Neben den notwendigen Veränderungen im methodischen und unterrichtsorganisatorischen Bereich widmet sich dieser Beitrag insbesondere der Aufgabe, Möglichkeiten einer inhaltlichen Umsetzung des Themas "Behinderung" im Geschichtsunterricht aufzuzeigen. Hierfür wird der Umgang mit "Behinderung" und chronischer Krankheit speziell im Mittelalter zunächst geschichtswissenschaftlich skizziert und im Anschluss anhand des Beispiels "Sachsenspiegel" geschichtsdidaktisch aufbereitet.

Rainer Pöppinghege
Straßennahmen im Geschichtsunterricht
GWU 66, 2015, H. 9/10, S. 600 – 607

In jüngster Zeit sind Straßennamen zum Gegenstand heftiger öffentlicher Kontroversen geworden. Im Geschichtsunterricht können sie dazu beitragen, die Urteilsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern zu fördern und deren Einsicht in den selektiven Konstruktcharakter von "historischen" Straßenbenennungen zu vertiefen. Der Artikel diskutiert schließlich einige Beispiele dafür, in welcher Weise das Thema Straßennamen im Sinne eines kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts genutzt werden kann.

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