Themenportal „Europäische Geschichte“ (18.-21. Jh.): Newsletter 03/2017

Von
Siegrist, Hannes - Universität Leipzig

Themenportal Europäische Geschichte

Liebe Leserinnen und Leser von H-Soz-Kult,

nachfolgend finden Sie eine Aufstellung der zuletzt neu ins Themenportal Europäische Geschichte eingestellten Artikel, Essays, Materialen und Quellenauszüge.

Essay/Artikel:

Judith Große: "Schwarz-weiße Liebe". Die (post-)koloniale 'Mischehenfrage' im deutschen Sexualreformdiskurs der Zwischenkriegszeit.
Abstract:
Unter den veröffentlichten Leserbriefen an die Redaktion der Zeitschrift Die Ehe. Monatsschrift für Ehewissenschaft, -Recht und –Kultur findet sich im Jahrgang 1929 die Anfrage einer Leserin „in einer Sache […], die so eigenartig ist, daß es sich wohl lohnt, sie den Lesern vorzulegen.“ Die anonymisierte Verfasserin des Briefes bittet um Antwort auf die Frage, „ob moralische oder gesetzliche Bedenken gegen die Ehe einer Weißen mit einem Neger existieren“. Eine Freundin der Verfasserin, die als Wirtschafterin auf einem Gutshof tätig sei, hege die Absicht, einen aus Kamerun stammenden Hausdiener zu heiraten und mit ihm das Gut zu verlassen. Der Heiratskandidat sei 1913 als Junge von dem Rittergutsbesitzer aus der Kolonie nach Deutschland mitgenommen worden. Als besorgte Freundin frage sie sich nun, „ob man davon abraten [solle] und mit welcher Begründung“.
Die im Brief geschilderte Begebenheit stellte für die Zeitgenossen offenbar ein ungewöhnliches Ereignis dar. Dies erklärt sich zunächst aus der Tatsache, dass die Einwanderung aus den Kolonien in Deutschland mit seinem kurzlebigen (1884–1919) und vergleichsweise kleinen Kolonialreich, anders als etwa in Frankreich und England, ein marginales Phänomen war. Die fast ausnahmslos männlichen Migranten waren als Seeleute, Kaufleute und Sprachlehrer, als Personal der sogenannten Völkerschauen, zur Ausbildung oder als Dienstboten in Deutschland tätig und lebten überwiegend in den großen Städten. So gering die Zahl kolonialer Migranten auch war, ihre symbolische Bedeutung ist nicht zu unterschätzen: Nicht nur machten sie die (ehemaligen) Kolonien im ‚Mutterland‘ sichtbar, auch sie selbst befanden sich in einer exponierten Position, in einem Zustand erhöhter Sichtbarkeit, was sich in der Quelle im Hinweis auf das „Sensationsbedürfnis“ des Dienstherren widerspiegelt. Das für die Briefautorin eigentlich Irritierende an diesem Fall war aber die Eheschließung eines „Negers mit einer Weißen“. Die Wortwahl ist ein deutlicher Indikator dafür, dass die vermeintliche ‚Rassenzugehörigkeit‘ der beiden Partner im Zentrum der Frage stand. ….
In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, <http://www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-4097>.

Patricia Hertel: Ferien in der Diktatur. Tourismus und Politik in Westeuropa, 1945–1975.
Abstract:
Die westeuropäischen Demokratien hatten zu ihren Nachbarn Portugal, Spanien und Griechenland in den Jahrzehnten des Kalten Kriegs ein ambivalentes Verhältnis. Die seit den 1930er-Jahren etablierten Diktaturen von Francisco Franco in Spanien und von António de Oliveira Salazar in Portugal, geostrategisch wichtige und antikommunistische Partner, passten ebenso wenig in das Bild eines „freien Westens“ wie das siebenjährige Obristenregime in Griechenland. Insbesondere in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren berichteten die Tageszeitungen über die Hinrichtungen politischer Gefangener in Spanien, die Kolonialkriege in Portugal und die Verfolgung von Gegnern der griechischen Militärjunta für Kritik unter Politikern, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Doch sorgten die drei Länder parallel dazu für andere Schlagzeilen, die sich in den Reiseseiten der Zeitungen fanden: Diese berichteten ausführlich über die attraktiven Ferienziele in ebendiesen Ländern, wo der Auslandstourismus bis dahin unerreichte Wachstumsraten erreichte. Spanien stand mit knapp 35 Millionen Touristen im Jahr 1973 an der Spitze. Die westeuropäischen Diktaturen schienen zwei Gesichter zu haben: ein rückwärtsgewandtes, das an einem anachronistisch erscheinenden politischen System festhielt und ein freundlich in die Zukunft blickendes, das Millionen Touristen modernen Komfort und unbeschwerte Urlaubsfreuden anbot. Diese beiden Facetten der Länder existierten scheinbar zusammenhanglos nebeneinander.
Tourismus galt und gilt noch heute als unpolitisch oder privat. Doch Tourismus und Politik funktionieren nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in einem oft komplexen und nicht sofort ersichtlichen Wechselverhältnis. Aufgrund seiner politischen Dimension – grenzüberschreitendes Reisen ist nicht ohne politisches Wirken möglich – ist Tourismus nicht nur relevant für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Vielmehr wirft eine Politik- und Kulturgeschichte des Tourismus auch ein neues Licht auf politische Beziehungen zwischen Demokratien und Diktaturen innerhalb Westeuropas. Die Ambivalenzen dieses Verhältnisses, das Schwanken zwischen wirtschaftlichen Kooperationen und politischen Konflikten, zwischen ideologischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Schatten des Kalten Kriegs, zwischen moralischen Idealen und pragmatischen Entscheidungen werden gerade am Tourismus besonders sichtbar, denn sowohl Herkunfts- als auch Zielländer waren an seinem Funktionieren interessiert. Tourismusexperten aus Staat und Privatwirtschaft, Publizistik und Presse etablierten die Diktaturen als beliebte Feriendestinationen. ….
In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, <http://www.europa.clio-online.de/essay/id/artikel-4096>.

Material/Quellenauszug:

*„Schwarz-weiße Liebe“, Leserbriefe aus „Die Ehe“ (1929). In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, <http://www.europa.clio-online.de/quelle/id/artikel-4095>.

Die iberischen Diktaturen in der ausländischen Reiseliteratur der 1960er-Jahre. In: Themenportal Europäische Geschichte, 2017, <http://www.europa.clio-online.de/quelle/id/artikel-4094>.

Das Themenportal Europäische Geschichte veröffentlicht seit 2006 unter der Adresse <http://www.europa.clio-online.de> Materialien (Textdokumente, Statistiken, Bilder und Karten), Darstellungen und Debatten zur Geschichte Europas und der Europäer/innen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Nutzerinnen und Nutzer, die gerne mit eigenen Beiträgen mitwirken möchten, werden um Vorschläge gebeten. Schreiben Sie bitte an die Redaktion <clio.europa-redaktion@geschichte.hu-berlin.de>. Über die Auswahl und Annahme von Beiträgen entscheidet das Herausgeberkollegium aufgrund eines unkomplizierten Evaluationsverfahrens. Weitere Informationen zur Zielstellung und Konzeption des Projektes finden Sie auf den Webseiten des Projektes.

Im Namen der Herausgeberinnen und Herausgeber des Themenportals wünschen ich Ihnen erfolgreiche wie auch erholsame Semesterferien.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Hannes Siegrist (Leipzig), Sprecher des Herausgeberkollegiums

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