H. Altrichter (Hrsg.): Adenauers Moskaubesuch 1955

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Titel
Adenauers Moskaubesuch 1955.


Autor(en)
Altrichter, Helmut
Erschienen
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Das „Rhöndorfer Gespräch“ am 1./2. September 2005 bot Sachkennern und Zeitzeugen Gelegenheit, die Verhandlungen in Moskau über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen von verschiedenen Gesichtspunkten her zu beleuchten. Hanns Jürgen Küsters folgert aus den Bonner Akten, dass Adenauer nicht nur im Unterschied zu seinem politischen Umfeld von vornherein die Anknüpfung der Beziehungen bejahte, sogar als notwendig ansah, sondern auch – anders als sein Biograph Hans-Peter Schwarz meinte – keine sowjetische Bereitschaft zur Wiedervereinigung erwartete. Wenn er diese gleichwohl zunächst in den Mittelpunkt der Gespräche rückte, sollte dies seine Kritiker und die deutschlandpolitischen Eiferer seines Lagers bis hin zur eigenen Delegation davon überzeugen, dass da vorerst nichts zu erreichen war und mithin allein die Gefangenenfreigabe in Betracht kam. Diese „so nachhaltig als einzigartigen Erfolg darzustellen“, sei „ein Meisterstück Adenauerscher Politik“ gewesen. Küsters hebt die souveräne, von realistischen Erwartungen getragene Verhandlungsführung des Bundeskanzlers hervor, der, wenn es erforderlich war, selbst emotionsgeladene Attacken gut zu parieren wusste und sich stets als schlagfertig erwies, macht aber zugleich deutlich, dass der dem deutschen Publikum bewusst gebotene Eindruck äußerster Härte trügt, denn Adenauer war flexibel und konnte sich daher der Situation auch mit weichen Tönen des Begütigens und Entgegenkommens anpassen. Aleksej Filitov ergänzt die deutsche Innensicht mit einem Ausblick auf die innersowjetische Szene. Auch dort hatte der Außenminister andere Vorstellungen. Um die Herstellung eines Verhältnisses zur Bundesrepublik bemühte sich insbesondere Chruschtschow, der sich davon neben enger wirtschaftlich-technischer Zusammenarbeit Kontaktmöglichkeiten zu Opponenten der Bonner Westpolitik erhoffte.

Zu den sowjetischen Erwartungen gehörte auch, dass sich Westdeutschland mit der Beziehungsaufnahme Probleme mit seinen westlichen Verbündeten einhandeln werde, die diesen Verselbständigungsschritt und eine ostpolitische Umorientierung ablehnen würden. Wie die Darstellungen von Christian Ostermann (USA), Klaus Larres (Großbritannien) und Georges-Henri Soutou (Frankreich) zeigen, erfüllte sich die Hoffnung zwar bei einzelnen Persönlichkeiten, namentlich den Botschaftern Bohlen, Joxe und Francois-Poncet, nicht aber bei den führenden Kreisen der Westmächte. Präsident Eisenhower bekundete demonstrativ sein Vertrauen zum Bundeskanzler, der seinerseits alles tat, um der Sorge einer politischen Annäherung an die UdSSR den Boden zu entziehen, und dabei auch erste Verstimmungen im Kreml nicht scheute. Michael Lemke wendet sich aufgrund stupender Kenntnis der ostdeutschen Akten gegen die verbreitete Ansicht, dass die SED-Führung vom sowjetischen Bemühen um Bonn nur Schaden gehabt habe. Zwar blieben die Interessen der DDR in den Moskauer Verhandlungen völlig unberücksichtigt, wie das fehlende sowjetische Verlangen nach einer Anerkennung des Ost-Berliner Staates und die widerstandslose Hinnahme der Hallstein-Doktrin zeigen, doch gewährte der Kreml Ausgleichsleistungen, die dem SED-Regime vor allem einen gewissen Zuwachs an politischer Autonomie bescherten. Interessant sind die Ausführungen Christian Oberländers, aus denen hervorgeht, dass die „Adenauer-Formel“ – das auf ein Tauschgeschäft Gefangenenfreigabe gegen Zugeständnis an die UdSSR reduzierte Verhandlungsergebnis – für die Japaner in den durch innenpolitische Komplikationen belasteten Gesprächen mit Moskau eine erhebliche Rolle gespielt hat.

Außer durch jeweils an die Vorträge anschließende Diskussionen wird die Sicht der Historiker ergänzt durch ein Symposium mit vier Zeitzeugen, welche die Moskauer Verhandlungen als vor- und nachbereitender Diplomat, dolmetschender Teilnehmer, beobachtender Journalist und betroffener Kriegsgefangener erlebten und von diesen unterschiedlichen Perspektiven her zurückblickten.

Helmut Altrichter hat für das „Rhöndorfer Gespräch“ über Adenauers Reise nach Moskau sowohl kundige Referenten als auch Zeitzeugen gewonnen, die etwas zu sagen haben. Der auf dieser Basis entstandene Sammelband bietet nicht nur einen interessanten Überblick über das Verhandlungsgeschehen und dessen internationale Zusammenhänge, sondern ergänzt auch die bisherige Forschung um neue Aspekte. Das Werk ist daher allen am Thema interessierten Lesern einschließlich Fachhistorikern zu empfehlen.

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