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Titel
Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel


Autor(en)
Aly, Götz; Sontheimer, Michael
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: S. Fischer
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maren Janetzko, Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, Ruhr-Universität Bochum

Fromms – das erste Markenkondom der Welt – war in Deutschland jahrzehntelang das Synonym für Kondome schlechthin und ist bis heute immerhin die hierzulande am zweithäufigsten gekaufte Kondommarke. Der jüdische Firmengründer Julius Fromm jedoch geriet in Vergessenheit, nachdem er gleich zweimal zum Opfer totalitärer Regime wurde: Der „Arisierung“ seines Betriebs durch die Nationalsozialisten folgte die Überführung ins "Volkseigentum" der DDR. Die packende Geschichte dieses Firmen- und Familienschicksals erzählen nun Götz Aly und Michael Sontheimer.

Die ersten Kapitel schildern den Aufstieg des aus Russland nach Berlin immigrierten Julius Fromm vom mittellosen Zigarettenverkäufer zum erfolgreichen Unternehmer. Fromm, der sich seine Kenntnisse über die Gummiwarenfabrikation in Abendkursen angeeignet hatte, erkannte eine Marktlücke und brachte während des Ersten Weltkriegs das weltweit erste Markenkondom auf den Markt. Die Nachfrage war enorm, herrschte doch in vielen Soldatenbordellen Kondomzwang, um die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten während des Krieges einzudämmen. Waren Präservative bis dahin ein eher unzuverlässiger Schutz sowohl vor Krankheiten wie auch vor ungewollter Schwangerschaft, so setzte Fromm von Anfang an auf Qualität und bürgte dafür mit seinem Namen. Was 1914 als Ein-Mann-Betrieb begann, wuchs so innerhalb kurzer Zeit zu einer ansehnlichen Fabrik, deren Ausstoß im Jahr 1926 bei 24 Millionen Kondomen lag. Aly und Sontheimer haben viele interessante Aspekte der Firmengeschichte zusammengetragen. Sie beschreiben sowohl die technischen Vorgänge der Kondomherstellung und die Überwindung der damit verbundenen Qualitätsprobleme als auch die Herausforderung, das Produkt Kondom in einer auch in den 1920er-Jahren noch immer prüden Gesellschaft zu vermarkten.

Besonderen Raum widmen Aly und Sontheimer dem Schicksal des Unternehmens und der Familie Fromm in der Zeit des Nationalsozialismus. Sie können sich hier auf hervorragende Quellen stützen, die ihnen eine dichte und anschauliche Dokumentation der Vorgänge erlauben.1 Wie viele andere erfolgreiche jüdische Unternehmer hielt auch Julius Fromm so lange wie möglich an der Fortführung seines Betriebs fest. Auf Anfeindungen, die sowohl dem „jüdischen“ Unternehmen wie auch dem „unmoralischen“ Produkt galten, reagierte Fromm mit Anpassung: Er bewarb seine Produkte als „Rein deutsches Edel-Erzeugnis“ (S. 81), ließ den englischen Zusatz „Act“ im Firmennamen weg und rückte zeitweise sogar anstelle der Präservative die ebenfalls hergestellten Baby-Sauger in den Mittelpunkt der Reklame. Trotz der im Sommer 1936 gegen „die Judenfirma Fromms“ entfachten Kampagne des „Stürmer“ hielt Fromm weiter an seinem Unternehmen fest. Untätig blieb er angesichts der nationalsozialistischen Judenverfolgung allerdings nicht: Seine drei Söhne brachte er im Ausland in Sicherheit und wandelte seine Firma in eine GmbH um, an der er 98 Prozent der Anteile hielt, die jedoch von zwei nichtjüdischen Direktoren geleitet wurde. Beide waren Mitglieder der NSDAP, was Fromm befürwortete. Ende 1937 entschied er sich schließlich, sein Unternehmen zu veräußern. Wohl kein Zufall, denn zu diesem Zeitpunkt begann die NS-Führung, den Druck auf jüdische Unternehmer zu verstärken, zunächst insbesondere durch eine Kürzung der Importkontingente. 2 Diese Maßnahme traf die Firma Fromms Act an der empfindlichsten Stelle, da zur Kondomproduktion importierter Kautschuk unerlässlich war.

Die mit dem Verkauf beauftragte Reichs-Kredit-Gesellschaft zeigte sich angesichts des lohnenden Objekts äußerst kooperativ: Sie bot Fromm an, ihm mit einem Kredit von einer Million Reichsmark die Auswanderung zu ermöglichen und das Unternehmen in Zwischenbesitz zu nehmen, um anschließend in Ruhe nach einem Käufer zu suchen. Diese Lösung verhinderte die am 26. April 1938 (nicht im Mai! S. 91) erlassene Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden bzw. die zugehörige Anordnung vom gleichen Tag, die den Verkauf „jüdischer Unternehmen“ an die Genehmigung einer staatlichen Behörde knüpfte (nicht unbedingt des Reichswirtschaftsministeriums (S. 92), dies war nur bei Großunternehmen der Fall). Die Verwaltungsbehörde musste wiederum die zuständige Handelskammer sowie den jeweiligen Gauwirtschaftsberater der NSDAP anhören. 3 Damit war die NSDAP, die vielerorts schon vorher den Verlauf von „Arisierungen“ entscheidend beeinflusst hatte, nun ganz offiziell beteiligt.

Die lukrative Firma Fromms Act geriet in den folgenden Monaten ins Visier gleich mehrerer hochrangiger Parteifunktionäre. Sowohl der Berliner Gauwirtschaftsberater Heinrich Hunke als auch Hitlers Wirtschaftsberater Wilhelm Keppler interessierten sich für die Kondomfabrik. Den Zuschlag erhielt schließlich Hermann Göring, beziehungsweise dessen Patentante Baronin Elisabeth von Epenstein-Mauternburg, die Göring im Gegenzug zwei Burgen überschrieb, darunter Burg Veldenstein bei Nürnberg, auf der Göring einen Teil seiner Kindheit verbracht hatte. Um dieses Arrangement durchzusetzen, drohten die NS-Behörden der Bank, Fromms Act die Kautschukkontingente gänzlich zu entziehen. Einem von Julius Fromm präsentierten Kaufinteressenten verweigerte das Reichswirtschaftsministerium die Genehmigung des vorgelegten Kaufvertrags. Statt dessen diktierte das Ministerium die Vertragsbedingungen des am 21. Juli 1938 abgeschlossenen Kaufvertrags mit der Baronin von Epenstein. Waren Fromm und seine Hausbank zu Beginn der Verkaufsverhandlungen von einem Verkehrswert von fünf Millionen Reichsmark ausgegangen, so zahlte von Epenstein schließlich 200.000 Schweizer Franken. Damit erhielt Julius Fromm nur einen Bruchteil des wahren Werts seiner Firma, diesen jedoch, anders als viele andere jüdische Unternehmer, in Devisen und mit der Zusicherung des Reichswirtschaftsministerium, über den Betrag frei verfügen zu können. Die Beamten des RWM verschafften dem Ehepaar Fromm überdies einen Passvermerk, dem zufolge sie jederzeit und ohne besondere Formalitäten ausreisen konnten.

Ihr in Deutschland zurückgebliebenes Vermögen fiel, wie es der Untertitel des Buches formuliert, „unter die deutschen Räuber“, was Aly und Sontheimer dank hervorragender Quellen fast lückenlos dokumentieren können. Die zahlreichen Details machen das Mitwirken vieler einzelner an Enteignung und schamloser Bereicherung sehr plastisch. Besonders eklatant war die Gier der Finanzbehörden, die es kaum abwarten konnten, sich Fromms zunächst als Feindvermögen treuhänderisch verwaltete Güter anzueignen. Noch bevor der Treuhänder vom Kammergericht offiziell entpflichtet war, unternahmen sie erste Schritte zur Verwertung des Frommschen Vermögens, ungeachtet der Proteste des Treuhänders.

Julius Fromm starb wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs voller Pläne für den Wiederaufbau seiner Firma. Die langwierigen und frustrierenden Auseinandersetzungen um die Rückerstattung seines entzogenen Vermögens musste er nicht mehr miterleben. Leider wird dieses Thema nicht kompakt in einem Kapitel behandelt, sondern an vielen verstreuten Stellen. Mehr Systematik und einige Erläuterungen zur Handhabung von Rückerstattung und Entschädigung in den deutschen Besatzungszonen bzw. der BRD und DDR wären hier für das Verständnis des Lesers sehr hilfreich gewesen. An dieser Stelle erweist sich die mangelnde Rezeption der Forschungsliteratur – es findet sich im Literaturverzeichnis kein einziges Werk zur Wiedergutmachung 4 – als echtes Manko. So bleibt unklar, warum sich Fromms Erben einerseits die Rechte an der Firma und Marke Fromms Act durch einen Vergleich mit dem Erben der Baronin von Epenstein, Otto Metz-Randa, zurückerwerben konnten, während andererseits die beiden in Ost-Berlin gelegenen Fabriken 1949 von der DDR enteignet und in "Volkseigentum" überführt wurden. An ganz anderer Stelle im Buch erfährt der Leser, dass für die beiden Ost-Berliner Werke nach der deutschen Wiedervereinigung Restitutionsanträge gestellt und – nach langwierigen Verfahren – auch bewilligt wurden. Für beide Fabriken erhielten Fromms Erben Entschädigungen.

Die Geschichte der Firma Fromms Act und ihres Inhabers ist ein in vielerlei Hinsicht typisches Beispiel für das Schicksal „jüdischer“ Unternehmen im Nationalsozialismus. Allerdings verzichten Aly und Sontheimer auf jegliche Einordnung ihrer Ergebnisse in den Stand der Forschung. Sie liefern auch keine über das bereits Bekannte hinausgehenden Erkenntnisse. Ihr Anliegen ist, wie Götz Aly im Vorwort formuliert, ein anderes: Hier soll einmal eine jener „nicht selten abgründigen, immer nur zufällig aufgefundenen Nebengeschichten [erzählt werden], die [...] die Historiographie so liebenswert [machen]“ (S. 7). Dabei nehmen sich die Autoren die Freiheit, viele Nebenpfade zu verfolgen, insbesondere die Lebensgeschichten der meisten vorkommenden Personen, was nicht immer zwingend notwendig erscheint.

Während ähnliche Fallstudien sonst eher im Rahmen lokalgeschichtlicher Forschung oder studentischer Abschlussarbeiten entstehen, wird diese Geschichte dank der Bekanntheit der Autoren wie auch des Fromm’schen Produkts ein größeres Publikum erreichen. Im Gegensatz zur analysierenden und systematisierenden Forschungsliteratur nutzen Aly und Sontheimer das Identifikationspotential ihres Fallbeispiels und rücken die menschlichen Aspekte, das Handeln und Erleben ihrer Hauptpersonen, in den Mittelpunkt. So gelingt es ihnen mittels einer gut recherchierten und interessant erzählten Geschichte, auch einem nichtwissenschaftlichen Publikum die Themen „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ nahezubringen.

Anmerkungen:
1 Dies sind vor allem die „Arisierungsakten“ der Reichs-Kredit-Gesellschaft sowie des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg, außerdem die Wiedergutmachungsakten sowie zahlreiche Interviews mit Mitglieder der Familie Fromm.
2 Vgl. Bajohr, Frank, „Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933-1945, Hamburg 1997, S. 218f. Bajohrs wichtige Studie fehlt im Literaturverzeichnis als Standardwerk zur „Arisierung“ ebenso wie Genschel, Helmut, Die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft im Dritten Reich, Göttingen 1966.
3 Vgl. Bajohr, „Arisierung“, S. 223f. sowie Genschel, Verdrängung, S. 150-157.
4 Einen ersten Überblick gibt Hockerts, Hans Günter, Wiedergutmachung in Deutschland 1945-2000, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), S. 167-214. Die wichtigsten Themen und Autoren versammeln Goschler, Constantin; Lillteicher, Jürgen (Hrsg.), „Arisierung“ und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989, Göttingen 2002.

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