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Titel
Oper als Geschäft. Impresari an italienischen Opernhäusern 1860–1900


Autor(en)
Toelle, Jutta
Reihe
Musiksoziologie
Erschienen
Kassel u.a. 2007: Bärenreiter-Verlag
Anzahl Seiten
269 S.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vlasta Reittererova

Der Begriff „Impresario“ ist im allgemeinen Bewusstsein mit der Vorstellung eines Menschen verbunden, der die Drähte zu den Operndirektoren und Musikverlegern zieht, Sänger und Komponisten ausbeutet und mit einem Kapital disponiert, dank dessen er seinen Ehrgeiz und seine Eitelkeit zur Schau stellen kann. Wie falsch diese Vorstellung ist, erläutert Jutta Toelle in ihrem Buch auf Basis gründlicher Quellenstudien: Sie beleuchtet vor allem auch die wenig bekannte Schattenseite des Lebens eines Impresarios, das allzu oft in Armut endete. Sein „Kapital“ bestand vorwiegend in seiner persönlichen Geschicklichkeit, Mut zum Risiko war eine Grundbedingung, da Erfolg oder Misserfolg im Theater immer auch von zufälligen Konstellationen abhängig waren. Der „Beruf“ des Impresario war immer ein Hasardspiel.

Jutta Toelle betrachtet diesen merkwürdigen Beruf am Beispiel einiger italienischen Impresari: Die italienischen Opernhäuser bieten sich für diese Forschung in besonderem Masse an, da die Oper als Gattung in Italien entstanden ist. Die Autorin hat ihre Untersuchungen auf die Zeit zwischen 1860 und 1900 begrenzt, also jenen Zeitraum, in den zwei wichtige (auch) theatergeschichtliche Ereignisse in Italien fallen: Die Gründung des italienischen Nationalstaates im Jahre 1861 und die Übernahme der Theaterbetriebe in die städtische Verwaltung im Jahre 1868.

Das Buch ist übersichtlich gegliedert: Auf die Einleitung (Methoden und Forschungsstand und Einführung in die Geschichte der italienischen Opernhäuser) folgen vier Kapitel, die die Entwicklung der italienischen „Opernindustrie“ analysieren. Im Kapitel I. Die Impresari als Akteure der Opernindustrie werden Inhalt, Sinn, Bedingungen, Gefahren und Erfolge des Berufs eines Impresario geschildert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Verbürgerlichung des Opernbetriebes in Italien praktisch beendet, nachdem sich die Impresari des 18. Jahrhunderts allmählich zu modernen Künstleragenten gewandelt hatten. Es zeigte sich, dass die Oper auch für die Gesellschaft des neuen Königreichs Italien repräsentativ war und einen Faktor in der Stärkung des nationalen Bewusstseins darstellte.

Die Analysen von Jutta Toelle zeigen deutlich, dass das bis heute diskutierte Problem der Zwecksmäßigkeit eines Stagione- oder eines Repertoire-Systems bereits damals ein Thema war. Die verfügbaren Quellen sind trotz ihrer imponierenden Vielfalt nicht immer ausreichend, sodass einige Schlussfolgerungen nur hypothetisch formuliert werden konnten. Wie ein Impresario zwischen dem unberechenbaren Publikumsgeschmack, den finanziellen Möglichkeiten, den Launen der Sänger, den manchmal schwachen oder korrupten Operndirektoren, und schließlich auch den sich rasch als einflussreiche Entscheidungsträger erweisenden Musikverlegern lavieren musste, zeigt Kapitel I.2. (Die Beziehung zwischen Opernhaus und Impresario), vor allem die Subkapitel b. (Die Planung des Erfolges) und c. (Machtverteilung und Konflikte). Am Beginn des Kapitels I.3. (Juristische und finanzielle Aspekte des Berufs Impresario) konstatiert Toelle: „Zwei miteinander verknüpfte Tatbestände lieferten den Zeitgenossen Argumente für die moralische Angreifbarkeit der Impresari und erschweren gleichzeitig heute die Recherche über sie: das Defizit einer Gesetzgebung für das Theaterwesen in Italien und die unzureichende Buchführung der meisten Impresari.“ (S. 36) Eine Feststellung, die sicher nicht nur die italienischen Theater betrifft.

Jutta Toelle führt alles an, was ein Impresario auf seine Kosten finanzieren musste, welche professionellen Kräfte in einem Opernhaus als Theaterangestellte arbeiteten, wie die mit den Kostümen, dem Orchester, den Choristen usw. zusammenhängenden Fragen geregelt wurden, ab wann man bei den Produktionen die Funktion eines (nicht mehr anonymen) Regisseurs oder eines Bühnenbildners findet, wie die italienischen Operntheater technisch ausgestattet waren, wie die Einnahmen eines Impresarios versteuert wurden usw. „Erstellt man ein holzschnittartiges Gesamtmodell der Ausgaben des Impresario, ergibt sich, dass er ungefähr ein Drittel, manchmal aber auch fast die Hälfte seines Budgets auf die Sängersolisten verwendete, ein weiteres Drittel auf die masse, also Chor, Orchester und Ballett, ein Sechstel auf die Ausstattung der Opern – Kostüme, Bühnenbilder, Requisiten und die Bühnenmaschinerie – und ein Sechstel auf alles weitere.“ Es handelte sich um ein „fragiles System, in dem die Einnahmen jederzeit abnehmen oder ganz ausbleiben und die Ausgaben sich schnell vervielfachen konnten“ (S. 49).

Eine wichtige Rolle im Opernbetrieb spielte dessen Adressat – das Publikum. Aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse stand der Theaterbetrieb in Konfrontation mit dem vielfältigen und unberechenbaren Geschmack der Zuschauer. Nach 1880 trat eine Opernkrise ein, die mit den veränderten Bedingungen des Betriebes zusammenhing. Interessant sind die Quellen, die über den Mangel an guten Sängern klagen (nur allzu sehr erinnern sie an heutige Stimmen), was dazu geführt hat, „bei steigender Nachfrage nach der Spitzengruppe von Sängern“ die Preise in die Höhe zu treiben (S. 53). Der Einfluss der Verleger auf den Opernbetrieb, so unentbehrlich sie wegen der Vermittlung und Herstellung des Aufführungsmaterials auch waren, hat, was die Auswirkung ihrer Verlagspolitik auf das Publikum betrifft, letztendlich eine nahezu erpresserische Rolle gespielt. „Ricordi, Lucca und Sonzogno zementierten ihre Machtposition zusätzlich dadurch, dass sie in ihre Verträge Ausschlussklauseln aufnahmen, die den Impresari vorschrieben, gleich mehrere Opern aus ihrem Verlag abzunehmen und in einer Spielzeit keine Werke der Konkurrenten aufzuführen.“ (S. 55) Die anwachsende Bevölkerung der Städte am Ende des Jahrhunderts wollte unterhalten werden, sie besuchte jedoch nicht (nur) die Oper, sondern die zahlreichen neuen – und billigeren – Massenattraktionen. Die Eintrittspreise mussten den finanziellen Möglichkeiten eines bürgerlichen Publikums angepasst werden, die teuren Logen erwiesen sich dabei als Belastung, sodass viele Theatergebäude umgebaut wurden – ein Beispiele für Kommerzialisierung des Opernbetriebs. Wie die einzelnen Theater bzw. Städte mit und um ihre Operntheater kämpften, zeigt das Kapitel IV. (Strategien der Opernhäuser).

Im Kapitel III. (Auswirkungen der Krise) werden konkrete Impresari-Karrieren geschildert. Eine quellenmäßig gut belegte „Affäre“ Morini ist Beispiel für ein Scheitern, dessen Gründe trotz mancher Indizien letztlich unerklärbar bleiben (S. 68-83). Bei den Brüdern Luciano und Ercole Marzi, die zwischen den Jahren 1849-67 aktiv waren, wurde der zeitliche Rahmen des Buches ausgeweitet. Die Fallbeispiele zeigen viele Gemeinsamkeiten und sind mit dem Kapitel III.3 Ricordi und Sonzogno als Impresari und der Information über die ersten Versuche, Theatergelegenheiten mit Hilfe einer Aktiengesellschaft zu regeln, verbunden (Kapitel III.4).

Das Buch von Jutta Toelle bringt viele Aspekte und Anregungen für die weitere Forschung. Das Beispiel der Ablehnung der „österreichischen Vergangenheit“ in Mailand und daraus resultierend die Stärkung des regionalen Selbstbewusstseins, das auch (oder vorwiegend) im Theater Auswirkungen hatte, ist z. B. mit der Autonomisierung der Nationaltheater in den slawischen Ländern vergleichbar. Hier wäre es auch interessant, einen Vergleich mit denjenigen Theatern anzustellen, die auf ähnliche Weise in einer politisch beeinflussten Situation gearbeitet und ihre ökonomische Berechtigung gesucht haben, z.B. in Ungarn nach dem Ausgleich von 1867. Es wäre aber auch interessant der Frage nachzugehen, wie sich im Vergleich mit dem italienischen „Nationaltheater“, in dem es nicht um die Frage der nationalen Sprache ging, die sich erst konstituierenden „Nationaltheater“ in Böhmen, Polen usw. entwickelt haben.

Es bieten sich auch weitere Fragestellungen an, die die Musikästhetik einbeziehen: Die Frage etwa, inwieweit der ganze Prozess und die von Jutta Toelle beschriebene Opernkrise mit der Veränderung der Musiksprache zusammenhing, mit der durch die Ablehnung der alten Nummern-Oper zusammenhängenden Krise der komischen Oper, mit der „Invasion“ des deutschen (Wagner) und französischen Repertoires, mit den neuen Stoffen (Verismo), mit den neuen Anforderungen an die Gesangstechnik und die darstellerischen Fähigkeiten der Sänger usw. Die Oper war und ist ein Geschäft – aber nicht nur das. Sie war und ist auch – wie Jutta Toelle zum Schluss ihres Buches konstatiert – eine politische und selbstverständlich auch eine ästhetische Frage. Alle diese Aspekte hängen miteinander zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.

Das Buch wird durch ein sehr nützliches Glossar der italienischen Begriffe aus dem Gebiet der Oper ergänzt, der Anmerkungsapparat bringt weitere detaillierte Informationen, das Personenregister bietet auch kurze biographische Angaben. Ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich mit Operngeschichte befassen.

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