Titel
Die Ohne-Mich-Bewegung. Die bundesdeutsche Friedensbewegung im deutsch-deutschen Kalten Krieg (1949 - 1955).


Autor(en)
Werner, Michael
Erschienen
Anzahl Seiten
742 S.
Preis
€ 29,50
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Holger Nehring, University of Sheffield, Department of History

Die Debatten um die Aufstellung einer bundesdeutschen Armee zu Beginn der 1950er-Jahre waren eine wichtige Bewährungsprobe für die noch junge bundesdeutsche Demokratie. Um so überraschender ist es, dass es bisher neben einer Reihe von Überblicksdarstellungen zum bundesdeutschen Pazifismus und einigen Detailuntersuchungen noch keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Gesamtdarstellung dieser Bewegung gibt, obwohl die spätere Anti-Atomtod-Bewegung sowie die Ostermärsche mittlerweile gut behandelt sind.1 Michael Werner hat sich in seiner Dissertation nun diesem Thema angenommen. Sein Ziel ist es dabei, das “Geflecht aus Fakten, Halbwahrheiten und Erfindungen“ (S. 31), welche die Debatten um einen bundesdeutschen Wehrbeitrag umranken, durch eine solide Quellenstudie zu entwirren. Analytisch weist er, dem common sense entsprechend, Organisation und außerparlamentarischen Charakter als zentrale Kriterien aus, die seine Untersuchung bestimmen sollen, so dass er letztlich “circa 250 Organisationen“ (S. 46) im Zeitraum zwischen 1949-1955 erfassen kann. Eine solche Analyse kann er aber empirisch allein schon aus Gründen der Arbeitsökonomie nicht wirklich leisten. In etwas bemühter Argumentation bestimmt Werner sodann fünf zentrale Lager innerhalb der Bewegung – eine Unterscheidung, welche nach seiner Meinung Licht ins Dunkel der Spekulationen um die “Ohne Mich“-Bewegung bringen soll: die kommunistische, auf den Weltfriedensrat orientierte “neue Friedensbewegung; eine sozial-demokratisch-gewerkschaftliche Strömung; pazifistische Organisationen; christliche Wehrgegner und schließlich die Neutralistenbewegung.

Die Bedeutung und Diskussionen dieser Gruppen beleuchtet er in fünf recht kleingliedrigen Kapiteln in einem episch breiten, mit insgesamt 1841 Endnoten garnierten Text. Zunächst bietet er allseits bekannte Details zum aussenpolitischen Kontext. Sodann geht er auf die Entstehung, Spaltung und das Auseinanderbrechen der Bewegung ein. Ein eigenes Kapitel widmet sich der Politik der SED gegenüber der Bewegung und den Folgen, welche diese Interventionen auf die Debatten innerhalb der Bewegung hatten. Immer wieder betont Werner den grundsätzlich neuen Charakter seiner Analyse auf der Basis bisher nicht ausgewerteter Quellen (z.B. S. 22) und bietet in der Zusammenfassung in der Tat eine in ihrer Dialektik einigermaßen neue Argumentation. Diese betont, dass sich durch die kommunistische Beteiligung an der “Ohne Mich Bewegung“ einerseits die “‘Systemfrage‘“ stellte (Anführungszeichen im Original, S. 547), andererseits aber die bundesdeutsche Demokratie aus der Debatte gestärkt hervorging, da sich allmählich ein von Werner nicht näher definiertes politisches Bewusstsein herausbildete.

Was bietet die Arbeit aber tatsächlich? Wie sich schon in der Gliederung der Bewegung in fünf Gruppen zeigt, geht es dem Autor darum, die die nach seiner Ansicht von ethischen Überzeugungen getragenen Stränge der “Ohne Mich“-Bewegung von einer durch die SED unterminierten und deshalb letztlich nicht von nach seiner Meinung moralischen Gesichtspunkten getragenen “neuen Friedensbewegung“ zu trennen. Dieses Argument ist nicht wirklich neu, war schon Zeitgenossen bekannt und repliziert letztlich den zeitgenössischen Antikommunismus. Die von Werner auch zitierten Untersuchungen von Heike Amos und Michael Lemke bieten hier wesentlich systematischere Überblicke.2 Umso mehr überrascht es, dass sich Werner in der Druckfassung der Dissertation nicht mit der bahnbrechenden Studie von Till Kössler zur KPD auseinandergesetzt hat, welche zwar nach Abschluss der Dissertation im Jahre 2000 aber deutlich vor Drucklegung des Bandes erschien. Kösslers konsequent sozialgeschichtlicher Ansatz hätte hier wesentlich weitergeführt, da sie das Koordinatensystem des Kalten Krieges zum Gegenstand ihrer Analyse gemacht hätte.3 Auch die eingehendere Lektüre von Patrick Majors Buch zur KPD, welche schon zu Beginn der 1990er-Jahre jene Quellen beackerte, welche jetzt als “neu“ bezeichnet, fehlt im Literaturverzeichnis, das im übrigen ganz allgemein Lücken aufweist, was Literatur in englischer Sprache angeht.4

Leider kommt bei allem Bemühen einer empirisch gesättigten Darstellung dessen, was wirklich gewesen ist, die systematische Analyse der ideologischen Grundeinstellungen, der Protestdynamik und der Protestsemantiken zu kurz – also die Untersuchung dessen, was der “Ohne Mich“-Bewegung überhaupt ihre zeitgenössische Resonanz verschaffte. Auch die Bedeutung der Kampagne der Adenauer-Regierung gegen die “Ohne Mich“-Bewegung durch den “Volksbund für Frieden und Freiheit“ bleibt in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Bewegung doch etwas farblos: gerne hätte der Leser erfahren, dass der von der Bundesregierung mit dieser Aufgabe betraute Eberhard Taubert bis 1945 Mitarbeiter des Reichspropagandaministeriums gewesen war. Etwas kasuistisch spricht Werner zwar von der Bedenklichkeit mancher geheimdienstlicher Tätigkeit der Bundesrepublik unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, bezeichnet dann aber die Aktionen doch als “gerechtfertigt und notwendig“ (S. 532f.). Gerade hier hätte es tatsächlich auf der Basis von Quellen, die bisher nicht in diesem Zusammenhang und Umfang untersucht wurden, etwas tiefer gebohrt werden können. Besonders hätte es weiter geführt, wenn sich der Autor die Erkenntnisse der Bewegungsforschung, die er auf dem Stand der 1970er- und 1980er-Jahre in der Einleitung kurz diskutiert, auch konzeptionell zu eigen gemacht hätte – wie auch für andere Aspekte seiner Untersuchung macht sich das Fehlen wichtiger Titel in englischer Sprache hier besonders schmerzlich bemerkbar.5

Was die Arbeit also bietet, ist ein nicht immer auf der Höhe des Forschungsstandes zur Bundesrepublik argumentierender Gesamtüberblick über die verschiedenen Strömungen der “Ohne Mich“-Bewegung, die im Detail durchaus das eine oder andere interessante Detail zu Tage gefördert haben mag. Die Breite der Quellenbasis beeindruckt dabei besonders. Dafür ist man einerseits dankbar, muss man nun nicht mehr die Informationen aus verschiedenen Detailstudien zusammensuchen. Ein Personen- und Organisationsregister erleichtet dabei die Arbeit. Andererseits blieb die Chance, eine Analyse der Bewegung im Zusammenhang der Sozial- und politischen Kulturgeschichte des geteilten Deutschlands, wie sie der Untertitel und einige Bemerkungen in der Einleitung erwarten ließen, leider ungenutzt.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Stefan Appelius, Pazifismus in Westdeutschland. Die Deutsche Friedensgesellschaft 1945-1968, 2 Bde., Aachen 1991; Eckart Dietzfelbinger, Die westdeutsche Friedensbewegung 1948 bis 1955. Die Protestaktionen gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1984; Alexander Gallus, Die Neutralisten. Verfechter eines vereinten Deutschlands zwischen Ost und West 1945-1990, Düsseldorf 2001.
2 Heike Amos, Die Westpolitik der SED 1948/49-1961. “Arbeit nach Westdeutschland“ durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Staatsicherheit, Berlin 1999.
3 Till Kössler, Abschied von der Revolution: Kommunisten und Gesellschaft in Westdeutschland 1945-1968, Düsseldorf 2005.
4 Patrick Major, The death of the KPD: Communism and anti-communism in West Germany, 1945-1956, Oxford 1997.
5 Vgl. z.B. Ron Eyerman and Andrew Jamison, Social Movements: A Cognitive Approach, Pennsylvania State University Press 1991; Doug McAdam / John D. McCarthy / Mayer N. Zald (Hrsg.), Comparative Perspectives on Social Movements. Political Opportunities, Mobilizing Structures, and Cultural Framings, Cambridge 1996.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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