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Titel
Prokop und die Perser. Untersuchungen zu den römisch-sasanidischen Kontakten in der ausgehenden Spätantike


Autor(en)
Börm, Henning
Reihe
Oriens et Occiens 16
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dariusz Brodka, Instytut Filologii Klasycznej, Uniwersytet Jagielloński, Kraków

Die moderne Forschung beschäftigt sich in jüngster Zeit sehr intensiv mit den Geschichtswerken des Prokopios von Kaisareia aus dem 6. Jahrhundert.1 Im Rahmen dieses verstärkten Interesses hat nun Henning Börm, der bereits mit einer Untersuchung zu den römisch-persischen Beziehungen hervorgetreten ist 2, eine Monographie vorgelegt, die die Kenntnisse des Prokopios über Persien und die Perser sowie die Faktoren, die seine Sicht auf dieses Volk bestimmten, und schließlich auch die römisch-persischen Beziehungen im 6. Jahrhundert eingehend analysiert.

Im Rahmen seiner Untersuchung möchte Börm drei Hauptprobleme erforschen: Vor allem will er das Ausmaß und die Qualität der Kenntnisse beurteilen, über welche Prokopios bzw. die Oströmer zur Zeit Justinians über das Sasanidenreich verfügten. Zudem geht es ihm um die Einschätzung Persiens und der Perser bei Prokopios. Börm möchte dabei auch die Faktoren bestimmen, die Prokops Perserbild prägten. Schließlich versucht er aufgrund der Geschichtswerke des Prokopios sowie anderer Parallelquellen, die Beziehungen zwischen Rom und Persien im 5. und 6. Jahrhundert darzustellen und die römische Persienpolitik zu analysieren (vgl. S. 12). Börm hält Prokopios für eine wichtige, aber insgesamt problematische Quelle zu den Persern. Daraus resultiert seine große Vorsicht bei der Untersuchung der einzelnen Informationen. Der Autor geht dabei von der richtigen Voraussetzung aus, dass besonders die ethnographischen Angaben bei antiken Historikern von vielen Faktoren abhängig sind: Die Analyse muss daher aufzeigen, welche Informationen dem Historiker zur Verfügung standen oder stehen konnten, und kann dann die Frage nach ihrer Auswahl, Anordnung und Interpretation beantworten. Eine solche Analyse wird allerdings durch den Umstand erschwert, dass Quellenkritik gerade in der Prokopios-Forschung bisher wenig geübt wird. Trotzdem gelingt es Börm unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontexts und der Parallelüberlieferung zumeist, die einzelnen Angaben und Berichte des Prokopios überzeugend auszuwerten.

Nach einem kurzen, aber hinreichenden Überblick über die wichtigste Forschungsliteratur (S. 18–29) bietet Börm eine allgemeine, eher skizzenhafte Darstellung der Werke des Prokopios, seines Lebenslaufes und seiner Umwelt (Prokop: Umwelt, Leben, Welt, S. 30–69). Er bezieht dabei einen eindeutigen Standpunkt in der in jüngerer Zeit wieder aufgelebten Diskussion über die Religionszugehörigkeit des Historikers und plädiert – wie die meisten Forscher – für sein Christentum. Das folgende Kapitel befasst sich mit den Grundproblemen der antiken Ethnographie und mit der Entwicklung des griechisch-römischen Perserbildes (Das Perserbild in der antiken Historiographie, S. 70–89). Nach diesen einleitenden Ausführungen analysiert Börm im ersten Hauptteil der Monographie die Angaben des Prokopios über Persien und die Perser (Prokops Angaben zu persischen Realien, S. 70–246). Börm geht dabei thematisch vor: In der Form eines systematischen Kommentars werden die Aussagen des Historikers über das Königtum (S. 92–125), den Adel (S. 126–142), die Ämter, Titel und Namen (S. 143–157), das Militärwesen (S. 158–177), die Religion (S. 171–200), die Geographie (S. 201–221) und die Geschichte Persiens (S. 220–242) vorgestellt und ausgewertet. Mit Recht wird hervorgehoben, dass Prokopios vor allem solche Dinge darstellt, die er als ungewöhnlich und interessant betrachtet; Punkte, die er für selbstverständlich oder unwichtig hielt, habe er unbeachtet gelassen (S. 90).

Mit der eingehenden Untersuchung dieser Probleme macht Börm einen großen Schritt auf dem Weg zu einem modernen Kommentar der Bella des Prokopios. In jedem Fall werden die Aussagen des Historikers über Persien gründlich auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüft. Zweifelsohne erreicht Börm dabei sein Ziel und kann die sich gestellte Frage, welchen Quellenwert Prokops Informationen über das Sasanidenreich haben, überzeugend beantworten (vgl. S. 15): Mit guten Argumenten weist Börm nach, dass besonders Prokops Informationen über das persische Königtum sehr qualitätsvoll sind (vgl. S. 124 u. 244). Bestätigt wird auch die Zuverlässigkeit des Historikers im Bereich des Kriegswesens (S. 160ff.); trotzdem seien auch bei Prokopios manche Fehler, Irrtümer und Verzerrungen zu finden, die sich jeweils aus verschiedenen Umständen oder Faktoren erklären ließen. Börm berücksichtigt in seiner Analyse die Grundsätze der antiken Geschichtsschreibung und zeigt deutlich auf, dass Prokopios sein Material teilweise frei gestaltet, Dinge aus ihrem Kontext reißt und Interpretationen gibt, die den Leser in die Irre führen können (S. 245).

Zusammenfassend schätzt Börm die Qualität der Angaben über die persischen Realien recht positiv ein: Er stellt fest, dass sie sich in vielen überprüfbaren Punkten als zutreffend oder plausibel erweisen (S. 337). Dies ist sicherlich eines der wichtigsten und wertvollsten Ergebnisse dieses Buches. Hervorzuheben ist auch die Tatsache, dass Börms Analysen der Passagen zu Persien der Forschung durchschlagende Argumente gegen einige allzu spekulative Prokop-Deutungen von Kaldellis liefern, denen gerade zahlreiche Passagen zu den Persern zugrunde liegen.3 Börm streicht zudem heraus, dass bei Prokopios Kontakte mit orientalischen Traditionen in manchen Punkten spürbar sind. In Hinblick auf die Quellenforschung hätte man noch die Beantwortung der Frage gewünscht, welchen Einfluss das verlorene Geschichtswerk des Eustathios von Epiphaneia auf Prokops Bericht hatte; es ist beispielsweise sehr wahrscheinlich, dass die Schilderung der Belagerung Amidas 502 auf Eustathios zurückgeht. Das Geschichtswerk dieses insgesamt problematischen Historikers bleibt bei Börm aber leider unberücksichtigt.

Beachtenswert ist Börms Untersuchung der Ursachen des Einfalls von Chosroes I. in das oströmische Reich im Jahr 540, obwohl durchaus einige Korrekturen in seiner Argumentation möglich sind. Laut Börm erklärt Prokopios den persischen Angriff aus den persönlichen Motiven des Königs, aus Neid und Angst wegen der römischen Erfolge im Westen. Börm betrachtet hingegen innenpolitische Motive als den eigentlichen Grund für die Invasion: Es handele sich hier um ein Zusammentreffen günstiger Faktoren, die die Perser nutzen wollten. Chosroes habe nach militärischem Ruhm und leichter Beute gestrebt, um seine innenpolitische Position noch zu stärken (S. 238f.). Daher hält Börm die Bewertung der Motive des Perserkönigs in den Bella für zu einseitig und meint, Prokopios verkenne die Beweggründe des Monarchen (S. 239). Meines Erachtens lässt sich aber diese Interpretation zumindest teilweise bereits aus dem Bericht des Prokopios herauslesen: In seiner Ursachenanalyse weist Prokopios nicht nur auf Neid und Angst des Königs, sondern auch auf die Kategorie der sich bietenden günstigen Gelegenheit hin, die Chosroes auszunutzen versucht.4 Nur das Motiv der möglichen Verstärkung eigener Macht berücksichtigt Prokopios nicht, und an diesem Punkt hat Börm völlig Recht.

Den zweiten Hauptteil des Buches bilden Ausführungen zum Bild der Perser, das von Prokopios entworfen wird (Das Bild der Perser bei Prokop, S. 247–275). Gezeigt werden hier sowohl die positiven als auch die negativen Merkmale, die der Historiker am persischen Volk und an ihren Königen erkennt. Dabei versucht Börm auch die Faktoren zu bestimmen, die auf die Ausformung von Prokops Perserbild Einfluss nahmen. Betont werden hier vier Faktoren (literarische, ideologische, praktische und innenpolitische), während das religiöse Moment eigentlich nur im Fall des persischen Angriffs auf Edessa zu erkennen sei. Diese Ergebnisse überzeugen; auch mit Börms Meinung, Prokops Darstellung der Perser sei eher heterogen als ausgewogen (S. 275), darf man im Prinzip übereinstimmen. Es gibt sicherlich bei Prokopios keine generelle „Verteufelung“ der Perser (S. 273); die positiven Merkmale der Perser beziehen sich allerdings vor allem auf den Bereich des Kriegswesens. Prokopios wusste sehr gut, wie gefährlich der Feind im Osten war, was Börm zu Recht unterstreicht (S. 273). Anzumerken ist aber, dass Prokopios die Tugend der Gerechtigkeit den Persern nicht zuspricht. Die relevante Stelle (bell. 2,15,19), die Börm hier heranzieht (S. 250), stammt aus einer Rede und sollte meines Erachtens nichts als Meinung des Autors betrachtet werden. Abschließend wendet sich Börm den römisch-persischen Beziehungen im 6. Jahrhundert zu, wobei die epochale Bedeutung des Bruches des Ewigen Friedens durch Chosroes im Jahr 540 zu Recht hervorgehoben wird (vgl. bes. S. 336).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Arbeit von Börm eine gründliche, mit großer Gelehrsamkeit verfasste historische Studie darstellt, welche den Quellenwert der persischen Passagen bei Prokopios zuverlässig und ausgewogen beurteilt. Der Leser erhält in dieser Arbeit einen hervorragenden und kompetenten Kommentar zu allen Stellen bei Prokopios, die sich auf Persien und persische Realien beziehen, zudem findet er hier eine nüchterne Analyse der römischen Ostpolitik im 6. Jahrhundert. Die Arbeit von Börm enthält zahlreiche neue, wichtige Erkenntnisse, die ihr zweifellos einen bedeutenden Rang in der modernen Prokopios-Forschung garantieren werden.

Anmerkungen:
1 Vgl. Kaldellis, Anthony, Procopius of Caesarea. Tyranny, History and Philopsophy at the End of Antiquity, Philadelphia 2004; Brodka, Dariusz, Die Geschichtsphilosophie in der spätantiken Historiographie. Studien zu Prokopios von Kaisareia, Agathias von Myrina und Thephylaktos Simokattes, Frankfurt am Main u.a. 2004.
2 Vgl. Börm, Henning, Der Perserkönig im Imperium Romanum. Chosroes I. und der sasanidische Einfall in das Oströmische Reich 540 n.Chr., in: Chiron 36 (2006), S. 299–328.
3 Vgl. besonders S. 142, wo Kaldellis’ Meinung (wie Anm. 1, S. 80ff.), Prokopios habe in seinen persischen Passagen an manchen Stellen viele Elemente gänzlich frei erfunden, mit guten Argumenten abgelehnt wird. Zu Recht bezweifelt er auch Kaldellis’ Hypothese (wie Anm. 1, S. 67), dass es sich bei den Anekdoten im ersten Teil des Bellum Persicum um den Entwurf eines Bildes der Dekadenz der persischen und römischen Monarchen handele (S. 296), sowie seine Vermutung (wie Anm. 1, S. 100ff.), Prokopios orientiere seine Schilderungen zum Schicksal des Seoses an den Berichten über Sokrates (S. 185). Vgl. auch S. 164.
4 Ausführlicher dazu vgl. Brodka (wie Anm. 1), S. 63ff.

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