I. Stephan u.a. (Hrsg.): NachBilder des Holocaust

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Titel
NachBilder des Holocaust.


Herausgeber
Stephan, Inge; Tacke, Alexandra
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
303 S., 46 SW-Abb.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Düwell, Universität Bonn

Der Titel des Bandes verweist auf James E. Youngs Untersuchung „Nach-Bilder des Holocaust in zeitgenössischer Kunst und Architektur“ (Hamburg 2001). Young rekurrierte damit auf den Sachverhalt, dass der Bezug der nach dem Holocaust geborenen Künstler zu diesem Ereignis grundsätzlich medial vermittelt ist, so dass sich ihre Kunst nicht direkt auf das historische Ereignis und vor allem auf die Formen der Erinnerung und Repräsentation bezieht. Konzentrierte sich Young auf bildende Kunst, Denkmalskultur und Architektur, so werden im vorliegenden Band auch literarische Texte und Filme berücksichtigt. Die literaturwissenschaftliche Perspektive dominiert; fast alle AutorInnen sind LiteraturwissenschaftlerInnen bzw. StudentInnen der Neueren deutschen Literatur.

Nach Aussage der Herausgeberinnen sollen im vorliegenden Band nicht nur die strukturellen Veränderungen von Repräsentationsformen beobachtet werden, die sich durch den Übergang von der Generation der Überlebenden auf die zweite und dritte Generation ergeben, sondern als zusätzliche Vergleichsebene wird das Verhältnis der Holocausterinnerung zum nach 1989 neu auflebenden Opferdiskurs der Deutschen in den Blick genommen. Als Beleg eines solchen Opferdiskurses und der damit verbundenen Entschuldungsstrategien wird der Boom an Hitler-Inszenierungen gewertet. Weitere mediale Manifestationen sind die seit den 1990er-Jahren einsetzende und weiterhin anhaltende Produktion von Familienromanen und literarischen Texten von Nachkommen der NS-Täter. Darüber hinaus fokussiert der Band neue Konzeptionen von Erinnerungsorten, die sich von traditionellen Museums- oder Gedenkstättenkonzepten lösen, sowie aktuelle Debatten wie diejenige um Günter Grass’ Erinnerungsbuch oder die durch die „Wehrmachtsausstellungen“ initiierte Hinwendung zur Geschichte der Täter.

In den drei ersten Beiträgen werden literarische Auseinandersetzungen mit der Täterschaft untersucht. Besprochen werden Uwe Timms autobiographischer Text „Am Beispiel meines Bruders“, Ulla Hahns „Unscharfe Bilder“, Günter Grass „Beim Häuten der Zwiebel“ und Niklas Franks stark sexualisierte Abrechnung mit seinem Vater Hans Frank, Generalgouverneur im besetzten Polen und 1946 in Nürnberg hingerichtet. Anne D. Peiter wertet in dem folgenden Beitrag Dieter Fortes Romantriologie „Das Haus auf meinen Schultern“ als Holocaust-Kitsch. Als Beispiele prekärer österreichischer Familiengeschichten auf der Seite der Nachkommen der ‚Täter‘ einerseits und der ‚Opfer‘ andererseits stellt Julia Freytag die Romane „Es geht uns gut“ von Arno Geiger und „Vienna“ von Eva Menasse einander gegenüber (beide aus dem Jahr 2005). Die französische Gegenwartsliteratur über den Holocaust nimmt Katja Schubert in ihrem Beitrag über den Text „Beaune la Rolande“ (2004) von Cécile Wajsbrot in den Blick. Schubert deutet die Geschichte der Ich-Erzählerin, deren Großvater aus dem französischen Durchgangslager ‚Beaune la Rolande‘ nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde, vor allem vor der Folie des seit den 1990er-Jahren favorisierten Konzepts der transgenerationellen Traumatisierung.

Im Unterschied zu den teilweise autobiographisch fundierten Texten qualifiziert Christian Thomas den Roman „Flughunde“ von Marcel Beyer als „eigenständige literarische Form der Geschichtsschreibung“ (S. 167), da dieses Werk Teile aus historischen Dokumenten und Fiktion montiert. Die Möglichkeit avancierter Textproduktionen im Kontext der Shoah demonstrieren die Texte von Elfriede Jelinek. Alexandra Pontzen analysiert auf der Basis einer genauen Lektüre von Jelineks Text „Das über Lager“ (1989) das für Jelineks Schreiben stilbildende Verfahren, „die Sphären Konsumwelt und Massenvernichtung, triviale Alltagsgegenwart und katastrophische Vergangenheit, Präsenz und Absenz nicht zu trennen, sondern sie als in der Sprache […] unauflösbar miteinander verbunden vorzuführen“ (S. 96). Eine Irritation entstehe in den Texten Jelineks vor allem durch den bewussten Verzicht auf die Hierarchisierung und Privilegierung von Aussagen in den Textkollagen.

Den Umgang mit Erinnerungsorten untersucht Manuel Köppen in einem instruktiven Beitrag zur filmischen Inszenierung von Erinnerungslandschaften, der sich auf die Gegenüberstellung von Claude Lanzmanns Film „Sobibor“ (2001) und Romuald Karmakars „Land der Vernichtung“ (2004) konzentriert. Köppen vertritt die These, dass Lanzmanns Film, in dem der Regisseur den Überlebenden Yehuda Lerner zum bewaffneten Aufstand der Häftlinge im Vernichtungslager Sobibór interviewt, stark auf Sinnproduktion angelegt ist. Der ganze Film steuere auf den Moment des Tötungsaktes zu. So interpretiert Köppen „Sobibor“ als Gründungsakt israelischer Wehrhaftigkeit und Identität. Dieser filmischen Sinnstiftung wird die Arbeit Karmakars als Verfahren des Sinnentzugs gegenübergestellt. Einen ebenfalls dekonstruierenden Umgang mit Erinnerungsorten konstatiert Alexandra Tacke bei Rebecca Horns Installation „Konzert für Buchenwald“ (1999), das Tacke detailliert als Gegen-Monument analysiert.

In neueren deutschen Filmen nehmen Hitlerdarstellungen deutlich zu. Sabine Hake analysiert am Beispiel von Bernd Eichingers Film „Der Untergang“ die seit den 1990er-Jahren verstärkt zu beobachtende Tendenz einer Historisierung des Holocaust und „postnationalen Nostalgie für das Nationale“ (S. 203). Die wachsende Entfernung der NS-Vergangenheit ermögliche „die Selbsterfahrung des zeitgenössischen (deutschen) Publikums als Opfer seiner eigenen Geschichte“ (S. 190).

Auch Judith Keilbach geht von der Tendenz in aktuellen deutschen Filmen aus, die Täter des Nationalsozialismus und vor allem Hitler „als Person verstehbar zu machen“ (S. 219). Keilbach untersucht das vierteilige Dokudrama „Speer und Er“ (2005), das sich unter anderem auf die persönliche Beziehung zwischen Speer und Hitler konzentriert. Keilbach kommt zu dem Schluss, dass der Film durch eine komplexe Narration und die Montage verschiedener Elemente zwar eine historiographische Multiperspektivität erzeugt, die Beziehung zwischen „Speer und Er“ jedoch eindimensional als homoerotische Liebesbeziehung in Szene gesetzt wird. Die damit verbundene Entlastungsfunktion arbeitet Keilbach präzise heraus.

Weniger entlastend als provokativ erscheint dagegen die Hitlerdarstellung des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan mit dem Titel „Him“ (2001), eine knieende Wachsfigur. Alke Vierck interpretiert diese Figur als Reflexion auf den Führerkult der 1930er-Jahre und die Bildrhetorik von Heinrich Hoffmanns propagandistischen Fotos. Zugleich werde der sakrale Kult unterlaufen, indem die Betrachter auf die knabengroße Wachsfigur herabschauen. Als Beispiel einer persönlichen Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte beschreibt Lydia Strauß einige Werke von Gerhard Richter, die auf privaten Fotografien basieren und sowohl das Verhältnis zwischen Familienerinnerung und historischem Dokument als auch die Relation von Fotografie und Malerei reflektieren. Im abschließenden Beitrag beschäftigt sich Ulf Buschmann mit der Integration von Spielzeug in die zeitgenössische Kunst über den Holocaust und hebt die affektive – und nicht didaktische – Wirkung dieser Kunst hervor. Am Beispiel etwa des Lego-Konzentrationslagers des polnischen Künstlers Zbigniew Libera (1996) zeigt sich, dass viele Konzepte, die den Abnutzungseffekten der (stereotypen) Ikonographie des Holocaust durch formale Innovation oder Provokation entgegenzuarbeiten versuchen, ihrerseits schnell überholt sind.

Der Band nimmt sehr unterschiedliche Beispiele für Repräsentationen des Holocaust der letzten 15 Jahre in den Blick, allerdings ohne eine spezifische Fragestellung zu privilegieren. Eine zusätzliche Unschärfe erhält das Projekt durch den Hinweis, dass der jetzige Band als erster von drei Bänden konzipiert ist, dem weitere Bände zu Nachbildern der RAF und Nachbildern der ‚Wende’ von 1989 folgen sollen. Somit werden sehr heterogene und in ihrer Reichweite nicht vergleichbare historische Ereignisse lediglich aufgrund der Tatsache gereiht, dass sie in irgendeiner Weise mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus verbunden seien: „Dass Holocaust, RAF und Wende unmittelbar miteinander zusammenhängen, wird schon alleine daran deutlich, dass man bei den RAF-Terroristen im übertragenen Sinne von den ‚Kindern der Nationalsozialisten‘ spricht, die deutsche Teilung als unmittelbare Auswirkung des Zweiten Weltkrieges verstanden und die Tarnung vieler Ex-Terroristen, die jahrelang in der DDR untergetaucht waren, erst nach der Wende öffentlich wurde.“ (S. 15) Solche oft strategisch hergestellten Verbindungen wären heute allerdings selbst zu historisieren; als übergreifendes Konzept gleich dreier Sammelbände erscheinen sie wenig überzeugend.

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