Cover
Titel
Verschuldete Könige. Geld, Politik und die Kammer des Reiches im 15. Jahrhundert


Autor(en)
Kluge, Matthias
Reihe
Schriften der Monumenta Germaniae Historica (77)
Erschienen
Anzahl Seiten
562 S.
Preis
€ 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Frenken, Freischaffender Historiker

„Verschuldete Könige“ – der Titel der vorliegenden Arbeit assoziiert kaum etwas Positives und führt insofern, wie Mathias Kluge selbst zeigen kann, in die Irre. Denn dem problematischen Verschuldungsbegriff setzt der Autor zurecht den Kredit als ein innovatives Pendant zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit entgegen. Ein ausgeglichener Haushalt im Sinne einer heutigen konservativen Finanzpolitik war gewiss kein Ziel von Königen bzw. Kaisern im 15. Jahrhundert. Stattdessen ging es ihnen darum, stets ausreichende Mittel zur Verfügung zu haben, um ihre politische Agenda (Kriegsführung, Repräsentation etc.) verfolgen zu können. Solange dies gewährt war, zumindest kein gegenteiliger Eindruck entstand, mit anderen Worten die Bonität des Herrschers gewahrt blieb, war er kreditwürdig und folglich auch handlungsfähig. Ist es womöglich der Zeitgeist, der zu der pejorativen Formulierung des Buchtitels geführt hat, die Haltung unserer Tage, die in der Verschuldung (von Staaten) per se etwas Negatives sieht und das Dogma eines ausgeglichenen Haushalts wie eine heilige Kuh vor sich herträgt?

Abgesehen von seinem unglücklichen Titel ist Kluges Untersuchung aber ein wichtiger und forschungsgeschichtlich innovativer Beitrag für die noch ungeschriebene Reichsfinanzgeschichte des Spätmittelalters. Das von ihm ausgewertete Quellenmaterial stammt zu großen Teilen aus dem Archiv des „Reichserbkämmerers“ Konrad von Weinsberg im Hohenlohe-Zentralarchiv Neuenstein, dessen Überlieferung sich als ein wahrer Glücksfund für die Finanzgeschichte der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts erweist, aber auch weit darüber hinaus, z.B. für Erkenntnisse zum adligen Leben im Spätmittelalter1, von größtem Wert ist. Durch Auswertung ergänzenden Quellenmaterials, vor allem der Reichsregistraturbücher (aus dem Österreichischen Staatsarchiv) und ergänzenden Materialien städtischer Provenienz gelingt es Kluge, seine Befunde abzustützen sowie Struktur und Funktion der königlichen Kreditgeschäfte zu verdeutlichen.

Die Arbeit ist in drei große Teile gegliedert: Nach einer Einleitung, die einen Abriss des Forschungsstands wiedergibt sowie die Zielsetzung seiner Arbeit benennt und das methodische Vorgehen erläutert, untersucht Kluge im ersten Teil (S. 34–86) den Finanzbedarf der Herrscher. Ein wachsender Geldbedarf infolge der gesteigerten Bellizität der Epoche, aber auch zunehmender Repräsentationsausgaben – man denke beispielsweise an die prachtvollen Einzüge – ließ die Könige und ihre Berater nach immer neuen Quellen zur Finanzierung der von ihnen verfolgten Projekte und Vorhaben, ebenso wie zur Begleichung ihrer alltäglichen Ausgaben suchen. „Auf den Herrschern des 15. Jahrhunderts lastete hoher Finanzierungsdruck, der aus äußeren Ansprüchen und eigenen Erwartungen resultierte“ (S. 347). Spätestens zu Ende des 14. Jahrhunderts waren überdies die herkömmlichen Möglichkeiten erschöpft, traditionelle Einnahmequellen wie Landbesitz und Abgaben längst verpfändet. Daher mussten sich die Könige zunehmend über Kredite finanzieren, ein Instrument, das von der damaligen Finanzwelt zunächst für den wachsenden Handelsverkehr entwickelt worden war.

Im zweiten Teil untersucht Kluge den Vorgang der Kreditaufnahme (S. 87–358): Da die Könige ausgabenorientiert agierten, stand zu Beginn eine Kalkulation der benötigten Mittel. Beispiele zeigen, wie sehr die Könige Vorstellungen über ihren Geldbedarf entwickelten, welche Mittel für bestimmte, politisch als notwendig erachtete Projekte benötigt wurden (z.B. für den Italienzug Ruprechts oder die Steuerveranschlagungen Sigmunds vor seiner ersten Reise ins Reich nach der Königswahl). „Die Aussicht auf neue Schulden konnte [den Herrscher] nicht davon abhalten, in politischen Erfolg zu investieren“ (S. 347). Um erfolgreich zu sein, war daher eine kreative Kreditschöpfung zunehmend unabdingbar. Kreditgeber (für Geld, Waren und Dienstleistungen) waren in hohem Maße Fürsten, Adlige, Städte und Kaufleute, die sich davon selbst Gewinn versprachen. Die gesuchte Nähe zum König brachte allerdings auch die Verpflichtung mit sich, sich an der Finanzierung seiner Unternehmungen zu beteiligen; G. Fouquet sprach in diesem Kontext von „Mit-Unternehmerschaft am Reich“.2 Konkret hieß dies, dem Herrscher Kredite zu gewähren und Kredite, die dieser bereits bei anderen Gläubigern aufgenommen hatte, zu übernehmen. Auf diese Weise wurde das finanzielle Risiko der königlichen Politik mitgetragen und teilweise vom Herrscher auf seine Gläubiger übergewälzt. Der politische Erfolg des Königs bedeutete für diesen die Hoffnung auf einen „return on investment“ und dass die beim Herrscher gemachten eigenen Schulden infolge der eingegangenen Kreditverhältnisse ausgelöst werden konnten. König Sigmunds Erfolg als Gastgeber des Konstanzer Konzils und sein Einsatz bei der Überwindung des Schismas zahlte sich entsprechend auch für seine Gläubiger aus: Der neugewählte Papst Martin V. gewährte einen Sonderkirchenzehnten, mit dem Sigmund zumindest einen Teil seiner Schulden begleichen konnte. Wie man im dritten Teil von Kluges Untersuchung sehen kann, führte dies jedoch oft nur zu einer Ausweitung der Kreditgeschäfte mit dem König. Um so wichtiger war es daher für den Gläubiger, Sicherheiten zu erlangen, etwa den Zugriff auf Steuern, besonders beliebt die Judensteuern, auf Ämter und Herrschaftsrechte. Einzigartig ist, dass die Weinsberg-Akten die schriftliche Dokumentation dieser Kreditgeschäfte enthalten, die Schuldurkunden mit Fälligkeitsterminen, aber auch die Quittierung von Auszahlungen, die üblicherweise danach vernichtet wurden.

Im dritten Teil geht Kluge auf die Kredittilgung ein (S. 359–520). Das etwas überraschende Ergebnis ist, dass Kluge nachweisen kann, dass die Könige sehr wohl Kredite tilgten. Dies war allerdings kein Beleg für ihre gute Zahlungsmoral, sondern sollte den Schein der Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten. Umschuldungen waren insofern ein normaler Vorgang. Rückzahlungsverzögerungen waren alltäglich, sie banden den Gläubiger noch stärker an den Herrscher und die Aussicht auf etwaige Rückzahlung gaben dem König die Möglichkeit, neue Kredite einzufordern. Der Gläubiger war letztlich derjenige, auf den der Herrscher sein Risiko maßgeblich abwälzen konnte. Im Todesfall war es für den Gläubiger schwer, Rückzahlungen veranlassen zu können.

Abschließend zieht der Autor ein knappes Fazit, hebt einmal mehr die Bedeutung des Weinsberger Akten hervor, die einen guten, aber keinen vollständigen Einblick in die Finanzierung des Hofes geben. „Sie ermöglichten [aber] eine strukturelle Analyse des königlichen Umgangs mit Kreditverhältnissen“ (S. 515).

Abgerundet wird die Untersuchung durch ein Verzeichnis der zahlreichen besuchten Archive und der dort ausgewerteten Handschriften (S. 537–542). Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis befindet sich – wie in der Reihe üblich – am Anfang der Arbeit (S. XI–LIII). Zur Freude des Benutzers besitzt das Buch überdies ein umfangreiches Namensverzeichnis (S. 543–562). Zum Schluss sei noch die sprachliche Fehlerlosigkeit positiv erwähnt; allein die manchmal missglückten automatischen Worttrennungen am Zeilenende trüben – wenn auch nur peripher – den soliden Gesamteindruck des Buches.

Alles in allem hat Kluge einen wichtigen Beitrag zur Reichsfinanzgeschichte der ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts verfasst; die Zeit davor und danach wird hingegen nur am Rande gestreift. Für den untersuchten Zeitraum werden Struktur und Funktion der königlichen Finanztätigkeit gut herausgearbeitet, die Schuldenpolitik, die Kreditfinanzierung und die Tilgungsabwicklung mit zahlreichen Beispielen veranschaulicht. Exemplarisch lässt sich die Finanzierung von Großveranstaltungen wie dem Konstanzer Konzil oder den Romzügen nachvollziehen. So erhält der Leser einen guten Einblick in die königliche Finanzpolitik. Auch über Ruprechts und Sigmunds Beschäftigung mit ihren eigenen Finanzmitteln erfährt man Neues, was einen differenzierteren Blick auf die Herrschertätigkeit im späten Mittelalter ermöglicht. Die Vorstellung, dass der König keine Ahnung von Finanzpolitik besessen und nur Schulden gemacht habe, wird von Kluge relativiert und widerlegt.

Die vorliegende Untersuchung öffnet die Tür für weitere Forschung. Es wird zwar kaum einen weiteren Archivschatz wie den des Reichserbkämmerers Konrad von Weinsberg zu heben und auszuwerten geben. In den Archiven von Fürsten und Städten ließe sich aber gewiss genügend Material finden, das das von Kluge so eindrucksvoll gezeichnete Bild der königlichen Kreditpolitik auf eine noch breitere Ebene stellen kann.

Anmerkungen:
1 Vgl. Bernd Fuhrmann, Konrad von Weinsberg – Ein adliger Oikos zwischen Territorium und Reich [= VSWG.Bh. 171], Wiesbaden 2004.
2 Gerhard Fouquet, Haushalt und Hof, Stift und Adel, in: Thomas Zotz (Hrsg.), Fürstenhöfe und ihre Außenwelt, Würzburg 2004, S. 216–246, hier S. 239.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension